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Funktionale und weiterführende formale Aspekte

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 119-129)

4.3.2 tun -Periphrase

4.3.2.3 Funktionale und weiterführende formale Aspekte

für die Wiener Jugendlichen festgestellte Tendenz zum würde-Konjunktiv im Speziellen lässt sich in Bezug auf Osttiroler Jugendkommunikation jedoch ebenso wenig bestätigen wie eine fast durchgehende Verwendung analytischer Konjunktiv-II-Formen im Allgemeinen, wie sie Glauninger (2008: 239) in Bezug auf Jugendliche in Wien feststellt. Schließlich zeigen die Osttiroler Daten auch bei den Jugendlichen einen regen Gebrauch synthetisch gebildeter Konjunktiv-II-Formen, v.a. jene der Variante 2 mit Infix –at. Unter den analytisch gebildeten Formen ist in den Osttiroler Freundesgesprächen die Konjunktiv-II-Variante mit tun-Periphrase noch häufiger vertreten als der würde-Konjunktiv. Im Vergleich mit den erwachsenen Osttiroler/-innen bleibt jedoch festzuhalten, dass die jugendlichen insgesamt (tat- und würde-Konstruktionen zusammengenommen) deutlich häufiger analytische Konjunktiv-II-Formen verwenden als die erwach-senen Osttiroler/-innen. Rund 55% der Belege in Teilkorpus JD entfallen auf eine der analytischen Varianten 3 oder 4. Der Vergleich mit Teilkorpus GF weist aber darauf hin, dass diese Tendenz nicht als altersgebunden angesehen wer-den kann – schließlich sind in der standardnahen Erwachsenenkommunikation der Fernsehgespräche noch mehr Belege für die analytische Konjunktivbildung (ausschließlich mit würd- + Infinitiv), nämlich rund 69%, festzustellen.

Der Faktor Alter scheint also lediglich in Bezug auf Variante 3, die Konjunk-tivbildung mittels tun-Periphrase, relevant zu sein. Dieser Belegtyp ist in Teil-korpus JD signifikant häufiger anzutreffen als in TeilTeil-korpus ED, das stattdessen deutlich mehr Belege für die dialektale Konjunktivvariante 2 mit Infix -at auf-weist. Die weiter oben angestellte Vermutung der zentralen Rolle der tun-Periphrase für die Konjunktiv-II-Bildung in der Osttiroler Jugend-kommunikation kann also als bestätigt angesehen werden.

4.3.2.3 Funktionale und weiterführende formale Aspekte

Als charakteristisch für die tun-Periphrase wird in der rezenten Fachliteratur seine Polyfunktionalität angesehen (vgl. Fischer 2001: 137; Günthner 2010: 137).

Die für die auxiliare tun-Konstruktion mit Infinitiv im Vorfeld zentrale Funktion der Verbtopikalisierung wurde bereits weiter oben besprochen. Standardgram-matisch nicht akzeptierte tun-Periphrasen mit nicht im Vorfeld realisiertem Infinitiv des Vollverbs sind durch weitere – v.a. pragmatische – Funktionen gekennzeichnet: Zunächst ermöglichen tun-Konstruktionen mit nachgestelltem Verb die Stellung des semantisch wichtigeren Infinitivs des Vollverbs in Rhema-Position (vgl. Eroms 1984: 41; Abraham/Fischer 1998: 41; Schwitalla 2006: 129;

Bittner 2010: 229), wodurch eine „Optimierung des Verhältnisses von Diskurs-struktur und SatzDiskurs-struktur“ (Abraham/Fischer 1998: 45) erzielt wird. Mit der

Endstellung des Vollverbs und der Fokussierung seiner Semantik geht häufig dessen prosodische Akzentuierung einher (vgl. Schwitalla 2006: 130), wie fol-gende Beispiele zeigen:

Beispiel 200: i tüa lei laut SCHNAUben olbm.

ʹIch tu nur laut schnauben immer.ʹ

Beispiel 201: er tuat die gonze zeit lei HUSsen, [JD 13, Z. 737]

ʹEr tut die ganze Zeit nur hussen [Anm. ML: aufwiegeln, hetzen]ʹ

Mit der Akzentuierung des Vollverbs geht eine Fokussierung des Handlungsas-pekts der Äußerung einher (vgl. Günthner 2010: 137). Diese aktionale Funktion von auxiliarem tun wird auch bei Abraham/Fischer (1998: 39) betont, die drei funktionale Subtypen der tun-Periphrase auf der Handlungsebene unterschei-den. Auxiliares tun dient demnach „zum Ausdruck von a) Durativität, b) Habi-tualität und c) Progressivität“ (Abraham/Fischer 1998: 39). Für ersteres, die Betonung der Dauer einer Tätigkeit findet sich u.a. folgendes Beispiel in der Osttiroler Freizeitkommunikation:

Beispiel 202: tusch vierzehn toge drei wochen oft lei DURCHoarbeten; [ED 4, Z. 1406]

ʹ[Du]356 tust vierzehn Tage, drei Wochen lang dann nur durcharbeiten.ʹ

Auch das Gewohnheitsmäßige einer Handlung kann mittels einer tun-Periphrase betont werden:

Beispiel 203: d_hetz nimmp_er olba (.) so !RIE!sige benZINkanischter mit, un_non tuat er de VOLLfüllen, [JD 2, Z. 804f.]

ʹUnd jetzt nimmt er immer so riesige Benzinkanister mit und dann tut er die vollfüllen.ʹ Beispiel 204: weil sie tuat olbm bis zwoa FERNsehen und sem steh i AUF wieder; [ED 4, Z.

1212f.]

ʹWeil357 sie tut immer bis zwei fernsehen und da stehe ich auf wieder.ʹ

Das Vor-sich-Gehen bzw. die Persistenz einer Handlung anzuzeigen, ist eben-falls mit Hilfe der auxiliaren tun-Konstruktion möglich,358 wie folgende Beispiele zeigen:

|| 356 Zum Wegfall des Personalpronomens in Konstruktionen der 2.Pers.Sg. in der Osttiroler Freizeitkommunikation vgl. Kapitel 4.4.2.

357 Zum Vorkommen von Verbzweitstellung in weil-Konstruktionen in den Teilkorpora JD, ED und GF vgl. Kapitel 4.2.1.

358 In diesem Anzeigen von Progressivität ist die tun-Periphrase mit nachgestelltem Verb damit der Verlaufsform am + Infinitiv sehr ähnlich (vgl. Ich tu gerade arbeiten mit Ich bin

Beispiel 205: eigentlich tuan mir do grod volle LÄSCHtern ge- [JD 2, Z. 303]

ʹEigentlich tun wir da grad voll lästern, gell?ʹ

Beispiel 206: und (--) zusätzlich tuat er beim WIfi no oabeitn- [ED 5, Z. 381]

ʹUnd zusätzlich tut er beim Wifi [Anm. ML: Wirtschaftsförderungsinstitut] noch arbeiten.ʹ Günthner (2010) fasst die Charakteristik der tun-Periphrase als funktionales

„Allround-Talent“ wie folgt zusammen: Es handelt sich insgesamt um eine Kon-struktion,

die Sprecher(innen) als Ressource für bestimmte kommunikative Aufgaben einsetzen:

Trotz ihrer Stigmatisierung als Standardabweichung wird sie als Mittel verwendet, das verzögert produzierte Vollverb zu projizieren und in der Rhemaposition hervorzuheben, die Persistenz und das Gewohnheitsmäßige einer Handlung zu markieren und zugleich Informalität, Emphase und soziale Nähe zu kontextualisieren. (Günthner 2010: 137) Dementsprechend ist es nicht weiter verwunderlich, dass tun-Periphrasen v.a.

in informeller Kommunikation wie in den Teilkorpora JD und ED beobachtet werden können und hier besonders in Gesprächssequenzen mit erhöhter emoti-onaler Beteiligung der Sprecher/-innen vorkommen. Dies zeigt sich nicht nur in den Jugend-, sondern auch in den Erwachsenen-gesprächen aus Osttirol (vgl.

Bspe. 207 und 208):

Beispiel 207: ED 1, Z. 324-337: „Alkohol für Minderjährige“

324 Wal: (.) NA;

325 !I! hob gsog (-) äh wos i nit (--) verSTEH, 326 → (---) oba wenn i se amol TRIFF non tua i se echt amol FROgen;

327 also mi hot des schon a bissel geärgert von der WIRtin drüben-

328 (1.3) do sein gitschen von [Ortschaft] wo man woaß dass se VIERzehn sein.

329 (1.4) de bring denen ALkohol zum trinken- ((…))

337 °h also des isch absolut (.) ä:h (1.0) des isch absolut nit in ORDnung.

ʹNein! Ich habe gesagt, was ich nicht verstehe- Aber wenn ich sie einmal treffe, dann tu ich sie echt einmal fragen. Also, mich hat das schon ein bisschen geärgert von der Wirtin drüben. Da

|| de am Arbeiten.) Weiterführende Informationen zur am-Progressivkonstruktion finden sich u.a.

in Ebert (1996), Krause (2002) und Gárgyán (2013).

sind Mädchen von [Ortschaft], bei denen man weiß, dass sie vierzehn sind. Die bringt denen Alkohol zum Trinken. ((…)) Also das ist absolut nicht in Ordnung.ʹ

Diese Gesprächssequenz behandelt den Alkoholausschank einer Gastwirtin an jugendliche Minderjährige – eine Handlung, die Sprecherin Wal verurteilt und für die sie die betreffende Person bei nächster Gelegenheit zur Rede stellen will (Dann tu ich sie echt einmal fragen.).

Ein ähnlich emotional aufgeladenes Thema wird in Bsp. (208) diskutiert.

Die Sprecher/-innen Sab und Han, selbst Lehrpersonen an einer Schule in Silli-an, beziehen hier unterschiedliche Positionen, was die Qualität der schulischen Institutionen in Osttirol und die Anforderungen an die Schüler/-innen angeht:

Beispiel 208: ED 5, Z. 1231-1237: „Anforderungen an Osttiroler Schulen“

1231 Sab: (.) also i f red hetz do NIT dass d do [schlechtere] LEHrer waarn;

1232 Han: [jo; ] 1233 Sab: Überhaupt nitte;

1234 oba du hosch AAnfoch (1.3) von den schülern her nit des wos mia !DO! heroben hom;

1235 (--) des is a !UN!terschied;

1236 Han: → =do tuasch (-) oh do tuasch di TEIschen;

ʹSab: Also, ich sage jetzt da nicht, dass dort schlechtere Lehrer wären. Han: Ja. Sab: Überhaupt nicht. Aber du hast einfach von den Schülern her nicht das, was wir da heroben haben. Das ist ein Unterschied. Han: Da tust – Oh! – da tust [du] dich täuschen.ʹ

Die starke emotionale Beteiligung des Sprechers Han in Bezug auf diese Thema-tik drückt sich zunächst prosodisch im schnellen Anschluss seiner Reaktion in Z. 1236 auf Sabs vorangehende Äußerung aus. Die Wiederholung des finiten Verbs und der parenthetische Einwurf der Interjektion in Kombination mit der tun-Periphrase (Da tust – Oh! – da tust [du] dich täuschen.) verstärken die em-phatische Wirkung seiner – Sabs Argumenten widersprechenden – Äußerung.

Neben diesen Gesprächspassagen mit gesteigerter Emotionalität und Ex-pressivität werden auxiliare tun-Konstruktionen mit nachgestelltem Vollverb-Infinitiv in den Osttiroler Freundesgesprächen gehäuft verwendet, wenn spezi-fische Handlungsabläufe beschrieben werden. Die folgende Sequenz eines Ge-sprächs dreier Jugendlicher aus Lienz soll dies veranschaulichen:

Beispiel 209: JD 17, Z. 381-398: „Fliegende Fische“

381 Ale: (.) de FLIEGfische;

382 (-) KENNSCH de de wos (--) brutal long ü üba:

WOSser sein.

383 Dom: wos,

384 [(.) de mit zwa meter ] SPONNweite;

385 Ale: [de wos so richtig FLIAgen. ] 386 Mic: (---) [((lacht))]

387 Ale: [NA; ]

388 Mic: [(-) <<lachend> du TROTtel>.]

389 Ale: [(-) de (-) de tuam ] nochan die:

FLOSsen so bewegen, 390 non FLIAgen de;

391 de fliagen sicher an die fuchzehn MEter.

392 Dom: (--) WIE;

393 Ale: fuchzehn meter sein de über_n WOSser.

394 Dom: i KENN se jo woll;

395 de (.) de hupfen non AUfi,

396 → non tuam se a so irgndwie so FLOTtern 397 und non FLIAgen se voll.

398 (-) tschju:h.

ʹAle: Die Fliegfische. Kennst [du] die, die was359 brutal lang über Wasser sind. Do: Was. Die mit zwei Meter Spannweite. Ale: Die was so richtig fliegen. Mic: ((lacht)) Ale: Nein! Mic: Du Trottel!

Ale: Die tun dann die Flossen so bewegen. Dann fliegen die. Die fliegen sicher an die fünfzehn Meter. Dom: Wie? Ale: Fünfzehn Meter sind die über dem Wasser. Dom: Ich kenn das ja schon.

Die hüpfen dann hinauf, dann tun sie so irgendwie flattern und dann fliegen sie voll. Tschjuh!

[Anm. ML: imitiert Fluggeräusch]ʹ

In diesem Gesprächsausschnitt beschreibt Sprecher Ale in Z. 389-393 den – für Fische untypischen – Vorgang des Fliegens; die Iterativität der Flossenbewe-gung des Fischs, die schließlich in die BeweFlossenbewe-gung des Fliegens mündet, betont er dabei mithilfe der tun-Periphrase (Die tun dann die Flossen so bewegen.).

Diese Konstruktion nimmt Dom später auf (vgl. Z. 396): Die einmalige, punktu-elle Bewegung des Hüpfens (Die hüpfen dann hinauf.) und der andauernde Zu-stand des Fliegens (Und dann fliegen sie voll.) werden auch von Dom ohne tun-Periphrase realisiert, die den Zustand vom Hüpfen zum Fliegen verändernde

|| 359 Zum Gebrauch verschiedener Relativelemente (u.a. der/die/das was) in der Osttiroler Freizeitkommunikation vgl. Kapitel 4.2.2.

Handlung wird dagegen wieder (wie in Z. 389) durch eine auxiliare tun-Konstruktion betont (Dann tun sie so irgendwie flattern.).

Bezüglich der in der Fachliteratur beschriebenen Funktionen der tun-Periphrase sind in den diskursiven Daten aus Osttirol insgesamt keine spezifi-schen kommunikativen Kontexte oder gar altersbezogene Unterschiede erkenn-bar. Auch die weiter oben beschriebenen lexikalischen Beschränkungen in Bezug auf den verwendeten Infinitiv gelten auch für die Osttiroler Freundesge-spräche. So ist etwa auch hier die Kombination von finitem tun mit dem Hilfs-verb sein als Infinitiv nur in Voranstellung belegt, z.B.:

Beispiel 210: oba sein tuat_s woll a HORte soch; [ED 6, Z. 1313]

ʹAber sein tut es schon eine harte Sache.ʹ

Lediglich in einer Aufnahme mit Jugendlichen im Matrei, nämlich in JD 23, fin-det sich der Gebrauch von nachgestelltem Infinitiv sein in einer tun-Periphrase (vgl. Z. 323: Tust du noch ein Jude sein.). Diese Konstruktion scheint beim genüber jedoch für Irritation zu sorgen, was der Blick auf den gesamten Ge-sprächsausschnitt verrät:

Beispiel 211: JD 23, Z. 318-328: „Vom Judo-Sport zum Jude-Sein“

318 Chr: (-) wos isch_n dei LIEBlingssport;

319 Ste: ((lacht leise)) 320 Chr: ha-

321 Ste: JUdo;

322 Chr: (-) woll,

323 → (.) TUASCH_e no a jude sein;

324 Ste: (--) wos,

325 Chr: → tuasch no a JUde sein;

326 Ste: (---) WOS tua i;

327 Chr: <<lächelnd> bisch_e no a JUde>;

328 Ste: (-) <<lachend> holt die FRESse>;

ʹChr: Was ist denn dein Lieblingssport. Ste: Judo. Chr: Schon? Tust du noch ein Jude sein. Ste:

Was? Chr: Tust [du] noch ein Jude sein. Ste: Was tu ich? Chr: Bist du noch ein Jude. Ste: Halt die Fresse.ʹ

In einer freien Assoziation springt Sprecher Chr von Stes Lieblingssportart Judo zu einer Zuweisung der Prädikation „Jude-Sein“ auf Ste. Diesen thematischen Sprung (von Judo [dʒu:do:] über Judo [ju:do:] zu Jude) nachzuvollziehen, scheint Ste schwerzufallen – wohl auch aufgrund der ungewöhnlichen syntak-tischen Konstruktion. Nach mehrmaligem Nachfragen von Ste in den Z. 324 und

326, ändert Chr seine Formulierung von der tun-Periphrase „Tust (du) noch ein Jude sein?“ hin zur unmarkierten Formulierung „Bist du noch ein Jude?“. Erst dann reagiert Ste auf die – scherzhaft gerahmte – Provokation360, indem er Chr harsch das Rederecht entzieht (Halt die Fresse.), gleichzeitig durch sein Lachen aber auch Zustimmung für die als gelungen oder originell eingestufte Assoziati-on zum Ausdruck bringt.

Auch in Bezug auf die Konjunktiv-II-Bildung mittels tun-Periphrase (tät- + Infinitiv) bestätigen sich die angegebenen Restriktionen. Der nachgestellte Infi-nitiv des täte-Konjunktivs kommt auch hier nicht in Kombination mit Hilfs- und Modalverben vor. Im kommunikativen Kontext einzelner tun-Periphrasen, z.B.

des folgenden Belegs, lässt sich dies gut beobachten:

Beispiel 212: JD 4, Z. 604-609: „Wintersport“

604 Mag: → tüat es schi foahn oder SNOWboarden;

605 Kat: (--) SCHI foahn;

606 (--) oba i glaab i will (-) i: wellat UNheben;

607 [(-) SNOWboarden-]

608 Mag: [(-) i wellat ] AA snowboarden;

609 =he_sch viel COOLer;

ʹMag: Tut ihr Schi fahren oder snowboarden? Kath: Schi fahren. Aber ich glaube, ich will – ich wollte anfangen. [Mit dem] Snowboarden. Mag. Ich wollte auch snowboarden. Das ist viel cooler.ʹ

Obwohl Sprecherin Mag ihre Frage nach der gewohnheitsmäßigen Freizeitakti-vität ihrer Freundinnen in Form einer tun-Periphrase formuliert (Tut ihr Schi fahren oder snowboarden?)361, reagiert die Gesprächspartnerin auf die Frage zunächst nur mit einer kompakten Struktur (Schi fahren) und verwendet für ihren nachfolgend geäußerten Wunschsatz nicht den täte-Konjunktiv (i tat un-heben wellen, 'ich täte anfangen wollen'), sondern die Konjunktiv-II-Variante mit Infix -at (i wellat unheben, 'ich wollte anfangen') – eine Konstruktion, die Mag in Z. 608 aufnimmt (i wellat AA snowboarden, 'ich wollte auch

snwoboar-||

360 Zur populärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diskriminierenden Ausdrücken im Sprachgebrauch Jugendlicher u.a. durch Beschimpfungen als Jude vgl. Brammertz (2011).

Informationen zum Stellenwert von Tabuwörtern und Sexualsprache in Jugendkommunikation finden sich in Bahlo (2013: 126) und einen Überblick über „Liebe, Sex und Provokation im Sprachgebrauch Jugendlicher“ geben Bahlo/Fladrich (2014).

361 Hier zeigt sich wiederum die Verwendung von tun-Periphrasen im Kontext der habituellen Funktionalität, wie sie weiter oben besprochen wurde.

den'). Auf den ersten Blick scheint hier auch der zweigliedrige Verbalkomplex, der durch eine analytische Konstruktion entstehen würde (ich täte anfangen wollen) hinderlich zu sein. Der Vergleich mit verschiedenen Belegen des täte-Konjunktivs in den Osttiroler Kommunikaten zeigt aber, dass gerade mit zwei-gliedrigen Verbalkomplexen die tun-Periphrase häufig verwendet wird (vgl.

Bsp. 213a), wohl u.a., um die Distanzstellung der semantisch wichtigen Verben zu verhindern (vgl. 213b):362

Beispiel 213:

(a)

i tat_s ma NIT gfollen lossen. [JD 17, Z. 1261]

ʹIch täte es mir nicht gefallen lassen.ʹ (b)

i lossats ma NIT gfollen. [ML, konstruiert]

ʹIch ließe es mir nicht gefallen.ʹ

Die periphrastische Konjunktiv-Variante mit tät- + Infinitiv ist in den Osttiroler Freundesgesprächen auch bei distanzstellungsfähigen Verben mit Inkorporie-rung des Substantivs ins Verb (vgl. Bittner 2010: 239; vgl. Bsp. 214)363 oder auch bei trennbaren Partikelverben (vgl. die Bspe. 215 und 216) häufig zu beobachten:

Beispiel 214: i tat gern wieder_mol VOLleyboll spielen. [JD 8, Z. 377]

ʹIch täte gern wieder einmal Volleyball spielen.ʹ Beispiel 215: i tat aa !IN!kaafen. [ED 6, Z. 1668]

ʹIch täte auch einkaufen.ʹ

Beispiel 216: des (.) do_m tat i holt schon aan ONdern onstellen ehrlich gsog; [ED 2, Z. 626f.]

ʹDa täte ich halt schon einen anderen einstellen ehrlich gesagt.ʹ

Falls in diesen oder ähnlichen grammatischen Kontexten eine analytische Kon-junktivbildung begünstigt wird, stellt sich aber immer noch die Frage, warum dann der täte- gegenüber der würde-Konstruktion der Vorzug gegeben wird.

Abraham/Fischer (1998) kritisieren die Gleichsetzung der würde- mit der tun-Periphrase mit folgender Begründung: „würd- ist im Alemannisch-Bairisch-Österreichischen nicht heimisch und wird als standarddeutsches Identifikat

||

362 Weiterführende Informationen zu Besonderheiten der Serialisierung des Verbalkomplexes im Bairischen im Allgemeinen und in den untersuchten Teilkorpora JD und ED im Speziellen finden sich in Kapitel 4.3.3.

363 In der Bedeutung solcher Konstruktionen im Rahmen „klammerstärkender Prozess[e]“

(Bittner 2010: 239) im Deutschen scheint es auch einen Zusammenhang mit dem Wegfall der Präposition in Äußerungen wie Ich gehe morgen Kino vs. Ich gehe morgen ins Kino zu geben. Zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung damit sei auf Kapitel 4.4.1.3. verwiesen.

vermieden“ (Abraham/Fischer 1998: 37). Dies wird jedoch durch die Osttiroler Daten nicht bestätigt, sind in der Jugendkommunikation doch trotz der im Dia-lekt zur Verfügung stehenden synthetischen Variante mit Infix -at fast 16% der Äußerungen mit Konjunktiv II in der würde-Umschreibung belegt. Prinzipiell dürfte ein Grund für die Bevorzugung periphrastischer Konjunktiv-II-Bildung auch in der „Vermeidung komplizierter morphologischer und phonotaktischer Bildungen, d.h. undurchsichtiger bzw. schwieriger Flexionsformen, ungünsti-ger Silbenstrukturen oder rhythmisch komplizierter Formen“ (Abraham/Fischer 1998: 43) liegen. Die Autoren nennen dafür exemplarisch das Verb zittern: zitte-rat (synthetischer Konjunktiv II) vs. i tat zittern (periphrastischer täte-Konjunktiv). Dieser morpho-phonologische Effekt zeige sich auch bei Verben,

„deren Stammvokal auf -t auslautet“ (Abraham/Fischer 1998: 43), z.B. beten: i betat – i tat beten. Tatsächlich finden sich auch in den diskursiven Daten aus Osttirol Belege für tun-Periphrasen, die möglicherweise mit diesm Einflussfaktor der morpho-phonologischen Realisierung in Zusammenhang zu bringen sind (vgl. Bsp. 217 a und b):364

Beispiel 217:

(a)

na oba de tat sunscht ban [NAme] oben oarbeten; [ED 4, Z. 1290]

ʹNein aber die täte sonst beim [Name] oben arbeiten.ʹ (b)

de oarbetat sunscht ban [NAme] oben. [ML, konstruiert]

ʹDie arbeitete sonst beim [Name] oben.ʹ

Insgesamt handelt es sich bei den eben genannten möglichen Einflussfaktoren jedoch nur um erste Beobachtungen – inwiefern die Größe des Verbalkomple-xes bzw. die Charakteristika der infiniten Verbteile beim Gebrauch der tun-Periphrase im Indikativ und im Konjunktiv einen auslösenden Faktor spielen und ob funktionale Unterschiede zwischen dem periphrastischen täte- und dem würde-Konjunktiv bestehen, müsste anhand einer noch größeren Belegsamm-lung überprüft werden.

|| 364 Weiter oben wurden in anderen Zusammenhängen bereits Belege für tun-Periphrasen mit dem Lexem (durch-) arbeiten als Infinitiv erwähnt, nämlich Bsp. (203): tusch vierzehn toge drei wochen oft lei DURCHoarbeten; [ED 4, Z. 1406] und Bsp. (206): und (--) zusätzlich tuat er beim WIfi no oabeitn- [ED 5, Z. 381].

4.3.2.4 Fazit

Bei der tun-Periphrase handelt es sich um eine klammerbildende Konstruktion der deutschen Sprache, die in der Öffentlichkeit und in Bildungsinstitutionen meist auf Ablehnung stößt. Diese Stigmatisierung bezieht sich v.a. auf auxilia-res tun mit nachgestelltem Infinitiv (z.B. Er tut gerade lesen.), während tun-Periphrasen mit vorangestelltem Infinitiv im Vorfeld (häufig mit Kontrastfunk-tion, z.B.: Lesen tut er ja, aber schreiben nicht.) auch aus normgramma-tischer Perspektive anerkannt sind (vgl. z.B. Duden für „Richtiges und gutes Deutsch“

2011: 907). In Bezug auf die hier untersuchte Osttiroler Freizeitkommunikation wurde v.a. erstere, nicht standardgrammatisch akzeptierte Form der tun-Periphrase fokussiert, und zwar hinsichtlich ihres Vorkommens im Indikativ und im Konjunktiv II, wobei tät- + Infinitiv anderen Varianten der Konjunktiv-II-Bildung im Bairischen gegenübergestellt wurde.

Auf Basis der Fachliteratur wurden die formalen Charakteristika auxiliaren Tuns im Indikativ sowie der Konjunktiv-II-Bildung im Bairischen zusammenge-fasst (vgl. Kapitel 4.3.2.1.). Darauf aufbauend wurde eine Frequenzanalyse (vgl.

Kapitel 4.3.2.2.) durchgeführt, die zunächst das Vorkommen von tun-Periphrasen im Indikativ und Konjunktiv in den drei Teilkorpora JD, ED und GF in den Blick nahm und sich anschließend auf den Vergleich der Altersgruppen konzentrierte. Hier überraschte zunächst, dass in Teilkorpus GF keinerlei tun-Periphrasen belegt sind und auch in den beiden dialektal geprägten Teilkorpora in Relation zu den jeweiligen Vergleichsgrößen der Grundgesamtheit (Gesamt-zahl der kanonisch geschriebensprachlichen Sätze (KS) bzw. Gesamt(Gesamt-zahl der möglichen Sätze (MS)) relativ selten vorkommen. In der Analyse der insgesamt 155 Belege für auxiliare tun-Konstruktionen brachte v.a. die Ausdifferenzierung hinsichtlich des Verbmodus einen interessanten Unterschied zutage: In den Gesprächen der jugendlichen Osttiroler/-innen sind deutlich mehr tun-Periphrasen im Konjunktiv II belegt als in jenen der erwachsenen Proband/-innen.

In der Detail-Analyse der belegten Äußerungen mit Konjunktiv-II-Formen zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den drei Teilkorpora JD, ED und GF. Während im Korpus mit den standardnahen Fernsehgesprächen nur zwei Konjunktiv-Varianten belegt sind (nämlich analytisch würd- + Infinitiv: rund 69%; synthetisch standardsprachlich: rund 31%), ist die Variabilität hinsicht-lich der Konjunktivbildung in den beiden Dialektkorpora JD und ED viel stärker ausgeprägt. In den diskursiven Daten aus Osttirol finden sich dialektale Kon-junktiv-II-Formen (synthetisch mit Ablaut; synthetisch mit Infix -at; analytisch tat- + Infinitiv), doch auch der würde-Konjunktiv ist in der Osttiroler Freizeit-kommunikation belegt. Der in der allgemeinen Analyse der tun-Periphrasen

bereits festgestellte altersbezogene Unterschied wird auch durch die Analyse der verwendeten Konjunktiv-II-Formen bestätigt. Bei den erwachsenen Osttiro-ler/-innen überwiegen deutlich Belege der synthetisch gebilde-ten Konjunktiv-Variante mit Infix -at, während die Freundesgespräche der jugendlichen Pro-band/-innen ein signifikant höheres Vorkommen analytischer Konjunktiv-II-Formen – v.a. des periphrastischen täte-Konjunktivs – zeigen. Im Vergleich mit Ergebnissen aus dem Wiener Raum nach Glauninger (2008), der dagegen einen verstärkten Gebrauch des würde-Konjunktivs bei Wiener Jugendlichen beobach-tet, wird deutlich, dass auch innerhalb Österreichs in der Jugendkommunikati-on regiJugendkommunikati-onale Unterschiede bestehen, deren Verteilung anhand einer

bereits festgestellte altersbezogene Unterschied wird auch durch die Analyse der verwendeten Konjunktiv-II-Formen bestätigt. Bei den erwachsenen Osttiro-ler/-innen überwiegen deutlich Belege der synthetisch gebilde-ten Konjunktiv-Variante mit Infix -at, während die Freundesgespräche der jugendlichen Pro-band/-innen ein signifikant höheres Vorkommen analytischer Konjunktiv-II-Formen – v.a. des periphrastischen täte-Konjunktivs – zeigen. Im Vergleich mit Ergebnissen aus dem Wiener Raum nach Glauninger (2008), der dagegen einen verstärkten Gebrauch des würde-Konjunktivs bei Wiener Jugendlichen beobach-tet, wird deutlich, dass auch innerhalb Österreichs in der Jugendkommunikati-on regiJugendkommunikati-onale Unterschiede bestehen, deren Verteilung anhand einer

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