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Unselbständige Verbzweitkonstruktionen

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 51-65)

4.2.3 Unselbständige Verbzweitkonstruktionen

Als dritter Phänomenbereich für den Übergang von Subordination zur Koordi-nation sollen im Folgenden Konstruktionen mit Verbzweitstellung in den Fokus genommen werden, die in ihrer syntaktischen Abhängigkeit zum Bezugssatz Komplementstatus haben. Gemeint sind Beispiele wie die folgenden:

Beispiel 97: „Aus Regierungskreisen verlautete jedoch, dies entspreche nicht der Regierungs-politik.“ (Altmann/Hofmann 2004: 30)

Beispiel 98: „Felix sagte, Lisa raucht wieder.“ (Antomo/Steinbach 2010: 9)

Beispiel 99: „die sind so langsam dass man meint man stirbt.“ (Androutsopoulos 1998: 280) Die markierten Verbzweitsätze in den Beispielen (97-99) sind dabei einerseits gegenüber dem jeweiligen Matrixsatz relativ selbständig, haben aber anderer-seits eine Komplement-funktion, nämlich häufig als Akkusativ-, aber auch als Genitiv-, Präpositionalobjekt oder als Subjekt (vgl. Altmann/Hofmann 2004:

30), inne.

Unselbständige Verbzweitkonstruktionen weisen – anders als Relativkon-struktionen und weil-Konstruktionen mit Verbzweitstellung – keine Junktion auf. Sie sind nicht nur syntaktisch (indem sie eine Leerstelle der Valenz des Matrixverbs füllen), sondern auch intonatorisch in ihren Bezugssatz integriert (vgl. Altmann/Hofmann 2004: 30; Antomo/Steinbach 2010: 9). Wie bei RV2, so ist auch für abhängige Hauptsatzkonstruktionen mit Komplementstatus (KV2) festzuhalten, dass sie gemeinsam mit ihrem Matrixsatz eine Fokus-Hintergrund-Gliederung bilden (vgl. Antomo/Steinbach 2010: 9). Die nachfolgenden Beispie-le veranschaulichen diese intonatorischen und informationsstrukturelBeispie-len Ge-meinsamkeiten zwischen RV2 und KV2:273

Beispiel 100: Das Blatt hat eine Seite, (/) die ist ganz schwarz. (Gärtner 2001: 103) Beispiel 101: Felix sagte, (/) Lisa raucht wieder. (Antomo/Steinbach 2010: 9) Beispiel 102: Felix sagte, (/) dass Lisa wieder raucht. (Antomo/Steinbach 2010: 9)

Beispiel (102) stellt die – mit den uneingeleiteten Verbzweitsätzen alternierende – Variante des dass-Komplementsatzes dar. Der Vergleich der Beispiele (100) und (101) unterstreicht dabei den deutlichen Unterschied aus syntaktischer Perspektive im Vergleich mit Relativkonstruktionen (oder auch

weil-|| 273 Die Notation (/) zeigt an, dass der Intonationsbogen nach dem Matrixsatz (durch Anstei-gen des Tonhöhenverlaufs) aufrechterhalten wird (vgl. Kapitel 4.2.2.).

Konstruktionen) mit Verbzweitstellung: Diese werden adverbial oder attributiv gebraucht (vgl. Antomo/Steinbach 2010: 8).

Zur Auseinandersetzung mit dem syntaktischen Status „abhängiger Hauptsätze“ und ihrer Rolle in gesprochener und geschriebener Sprache des Deutschen wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel geforscht (vgl. z.B.

Reis 1995; 1997; Auer 1998; 2002; Frank 2000; Meinunger 2004; Anto-mo/Steinbach 2010; Freywald 2013). Dies zeigt sich auch im Hinblick auf die Diversität der in den Forschungsarbeiten verwendeten Terminologie.274 Die Beschreibung eines Beispielsatzes wie in (101) als „uneingeleiteter Nebensatz“

(z.B. Zifonun et al. 1997) betont die Abgrenzung zu den mit der Subjunktion dass eingeleiteten Nebensätzen mit Verbletztstellung. Wenn Eroms (2000) diese als „unselbständige Verbzweitsätze“ beschreibt, akzentuiert er die Position des Verbs und die Bindung der Konstruktion an den Bezugssatz. Ist von „abhängi-gen Hauptsätzen“ (z.B. Engel 1982: 239) die Rede, so wird die syntaktische Au-tonomie der betreffenden Konstruktionen betont und die gleichzeitig bestehen-de semantische Bindung an bestehen-den Bezugssatz ausgedrückt. Die Beschreibung von Beispiel (101) als „V2-Komplementsatz“ (z.B. Antomo/Steinbach 2010) rückt dagegen die Komplementfunktion der Konstruktion und ihre Topologie (Verb-zweit-stellung) in den Mittelpunkt des Interesses. Freywald (2013) spricht von

„uneingeleiteten V2-Sätzen“ und streicht damit einen der Hauptunterschiede gegenüber anderen unselbständigen Verbzweit-Konstruktionen – das Nicht-Vorhandensein einer Junktion – heraus. Die Autoren rezenter Arbeiten versu-chen insgesamt meist, die Begriffe Hauptsatz und Nebensatz zu vermeiden, um die Assoziation eines dichotomischen Verhältnisses zu umgehen. Auch Freywald (2013) hält fest, dass unselbständige Verbzweitkonstruktionen

aufgrund ihrer syntaktischen und pragmatischen Eigenschaften nicht als prototypische Nebensätze einzustufen [sind]. Vielmehr kommt ihnen ein Grad an Selbständigkeit zu, der dazu berechtigt, hier von nicht vollständig integrierten Strukturen zu sprechen. Zudem bilden uneingeleitete V1- und V2-Sätze jeweils keine in sich homogene Gruppe, sondern lassen sich entlang einer Integriertheitsskala in weitere Subtypen unterteilen. Es ist daher sinnvoll, bei der Benennung die Begriffe Hauptsatz und Nebensatz ganz zu vermeiden, da sie eine Dichotomie implizieren, der sich die hier in Frage stehenden Strukturen ja gerade entziehen. (Freywald 2013: 320)

Tendenziell scheinen uneingeleitete Verbzweitkonstruktionen nicht ausschließ-lich, aber doch häufiger in gesprochener als in geschriebener Sprache

aufzutre-||

274 Zu einer tiefergehenden Gegenüberstellung vgl. Freywald (2013: 320).

ten (vgl. Auer 2002: 134; Freywald 2013: 319)275, und hier vor allem nach Verba dicendi und sentiendi (vgl. Auer 2002: 134). Einen konkreten Hinweis zu einer möglicherweise bestehenden Altersspezifik gibt Androutsopoulos (1998: 279).

Er weist darauf hin, dass in seinem Korpus geschriebener Jugendsprache eine Bevorzugung von Parataxe nach „einleitenden Matrixsätzen mit Verben des Denkens, Glaubens etc. (meinen, denken, glauben, hoffen, finden) “ (Androuts-opoulos 1998: 279) unter Jugendlichen belegt ist (vgl. Bsp. (99)).

Ein erster Blick auf die hier zu untersuchenden Teikorpora JD, ED und GF zeigt, dass sowohl in den stärker informellen, dialektgeprägten Freizeitgesprä-chen aus Osttirol als auch in der standardnahen Fernsehkommunikation Bei-spiele für Komplementsätze mit Verbzweitstellung ohne einleitende Junktion und die mit dieser Konstruktion alternierende Variante der mit dass eingeleite-ten Komplementsätze vorkommen:

Beispiel 103: und geschtern auf oamol sog se jo hetz PRÜFT se nimmer; [JD 2, Z. 96]

'Und gestern auf einmal sagt sie ja, jetzt prüft sie nicht mehr.' Beispiel 104: und non sog se ma dass i an FÜNfer krieg. [JD 2, Z. 97]

'Und dann sagt sie mir, dass ich einen Fünfer kriege.'

Beispiel 105: oba i glaab es is wieder (--) einheimische Gotik. [ED 3, Z. 1902]

'Aber ich glaube, es ist wieder einheimische Gotik.'

Beispiel 106: wie sie: hetz GSOG hot dass der voter EINsteig (.) <<creaky> finanziell>. [ED 1, Z.

1883]

'Wie sie neulich gesagt hat, dass der Vater einsteigt finanziell.' Beispiel 107: man denkt die hätten was miteinander [GF 220, Z. 199]

Beispiel 108: und ich denke daß ich dabei (-) ein weg gefunden hab [GF 254, Z. 208f.]

In Abstimmung mit Kapitel 4.2.1. zu weil-Verbzweitkonstruktionen und 4.2.2. zu Relativ(satz)konstruktionen mit Verbzweitstellung wird Androutsopoulos (1998:

279) folgend eine möglicherweise bestehende alterspräferentielle Tendenz zum Gebrauch unselbstständiger Verbzweitkonstruktionen fokussiert. Dazu werden zunächst die formalen Charakteristika abhängiger Hauptsätze beleuchtet (Kapi-tel 4.2.3.1.), um in der anschließenden Frequenzanalyse (Kapi(Kapi-tel 4.2.3.2.) das Vorkommen spezifischer unselbständiger Verbzweitkonstruktionen (v.a. nach Verba dicendi und sentiendi) zu untersuchen. Funktionale Zusammenhänge mit den weiter oben besprochenen weil-Konstruktionen und

Relativsatzkonstrukti-|| 275 Bezüglich des Formalitätsgrades betont Freywald (2013: 319): „Uneingeleitete V2-Sätze treten typischerweise in gesprochener Sprache auf, sind dabei jedoch keineswegs auf informel-le Varietäten beschränkt.“

onen werden abschließend in Kapitel 4.2.4 (Zusammenführung und funktionale Aspekte) beleuchtet.

4.2.3.1 Formale Beschreibung

Formal charakterisieren sich unselbständige Komplementsätze mit Verbzweit-stellung (im Folgenden auch: KV2), wie oben bereits angedeutet wurde, vor allem durch ihre semantische und syntaktische Abhängigkeit vom Bezugssatz (Komplementstatus), ihre intonatorische und ihre informationsstrukturelle Integriertheit und die junktionslose Realisierung. Antomo/Steinbach (2010) halten fest, dass KV2 dabei „nicht von der Illokution des Matrixsatzes abhän-gen, da sie als internes Argument immer in Bezug auf das Matrixverb interpre-tiert werden.“ (Antonmo/Steinbach 2010: 7). Wie in einem Aussagesatz so ist auch im folgenden Fragesatz sowohl die unselbständige Konstruktion mit Verb-zweitstellung als auch der mit dass eingeleitete Nebensatz möglich:

Beispiel 109: „Hat Peter geglaubt, Maria wird wieder mit dem Rauchen anfangen? / dass Maria wieder mit dem Rauchen anfangen wird?“ (Antonmo/Steinbach 2010: 8)

Hinsichtlich der Realisierung von KV2 sind aber auch einige Restriktionen fest-zuhalten: Die unselbständige Verbzweit(satz)konstruktion ist etwa nicht mög-lich, wenn der Matrixsatz eine Negation aufweist oder sein finites Verb seman-tisch Negation anzeigt (vgl. Antonmo/Steinbach 2010: 56)276, z.B.:

Beispiel 110: *Peter hat nicht geglaubt, Maria wird wieder mit dem Rauchen anfangen.

Beispiel 111: *Peter bezweifelt, Maria wird wieder mit dem Rauchen anfangen.

Darüber hinaus können unselbständige Verbzweitkonstruktionen nur im Nach-feld auftreten (vgl. auch Freywald 2013: 322), in Bezug auf ihre topologischen Eigenschaften unterscheiden sie sich also deutlich von anderen Satzgliedern.

KV2 stehen also typischerweise nach dem Bezugssatz, sie können aber auch in andere Nebensatz-konstruktionen eingebettet werden (vgl. Freywald 2013: 324-325), z.B.:

Beispiel 112: „Als Peter sich erkundigt hat, ob die Gäste im Restaurant tatsächlich gesagt haben, dass sie finden, er kennt sich echt gut mit Wein aus, haben alle zustimmend genickt.“

(Freywald 2013: 325)

|| 276 Für diese (verb)semantische Restriktion gibt es aber auch Ausnahmen. Diese werden z.B.

von Auer (1998: 292) und Freywald (2013: 328) näher ausgeführt.

Das, und die Tatsache, dass uneingeleitete Verbzweitsätze sich nicht als Teile von Frage-Antwort-Ellipsen eignen277, spricht nach Freywald (2013: 322323) für die syntaktische Integriertheit der Verbzweitkonstruktionen.

Ein weiteres syntaktisches Charakteristikum der unselbständigen Verb-zweitsätze ist, dass sie nicht mit einem dass-Nebensatz koordinieren und typi-scherweise278 nicht durch ein Korrelat im Bezugssatz vertreten werden können (vgl. Antomo/Steinbach 2010: 5; Freywald 2013: 325). Dies zeigt sich an folgen-den Beispielsätzen:

Beispiel 113: „*Maria glaubt, [dass Hans auf ihre Party kommt und Petra bringt ihren Mann mit].“ (Antomo/Steinbach 2010: 5)

Beispiel 114: „Peter hat es geglaubt, #Lisa hat wieder mit dem Rauchen angefangen. / dass Lisa wieder mit dem Rauchen angefangen hat.“ (Antomo/Steinbach 2010: 5)

Prosodisch zeichnen sich KV2 dadurch aus, dass sie in ihren Bezugssatz inte-griert sind und sich mit diesem eine Fokus-Hintergrund-Gliederung teilen.

Freywald merkt an, dass sie aber dennoch einen eigenen Fokusakzent aufwei-sen können – die Intonation verläuft in diesem Fall aber weiterhin progredient und typischerweise ohne Pause (vgl. Freywald 2013: 326).

Hinsichtlich der semantischen Charakteristika der unselbständigen Verb-zweitsätze ist festzuhalten, dass „[d]as Auftreten von ØV2-Sätzen […] wesentlich von der Semantik des Matrixprädikats abhängig [ist]“ (Freywald 2013: 327).

Besonders häufig ist Verbzweitstellung nach Verben des Sagens, Denkens und Meinens, nach Perzeptionsverben (z.B. hören, lesen, merken), nach volitiven Verben (z.B. hoffen, bitten), nach Präferenzverben (z.B. vorziehen, besser/lieber sein), nach Feststellungs- und Gewissheitsprädikaten (z.B. es ist klar, es ist so) sowie nach die Sache/das Ding/Problem ist-Konstruktionen (vgl. Günthner 2008).279

|| 277 Ähnliches wurde auch für so genannte „Echo-Sätze“ festgestellt, z.B.: Peter glaubt, Maria wird wieder mit dem Rauchen anfangen. #Maria wird mit dem Rauchen anfangen? Das glaubt er?. Antomo/Steinbach (2010: 8) weisen darauf hin, „dass VL-Nebensätze in Echo-Kontexten besser sind als ihre V2-Entsprechungen. Da Echo-Sätze Äußerungen über Äußerungen sind, muss immer eine Original-Äußerung rekonstruiert werden. Dieser Bezug zu einer gegebenen Originaläußerung schließt wieder V2-Stellung im eingebetteten Satz aus […].“

278 Dies gilt vor allem für das es- bzw. das-Korrelat. Korrelative Präpositionaladverbien kön-nen dagegen – v.a. in indirekter Redewiedergabe mit Konjunktiv I – vorkommen, ja sogar obligatorisch sein (vgl. Breindl 1989: 234; Freywald 2013: 325).

279 Unselbständige Verbzweitkonstruktionen können natürlich auch nach entsprechenden Nominal-konstruktionen (z.B. die Behauptung/Mitteilung, Idee, Sorge, Hoffnung etc., er kommt nach Hause) auftreten (vgl. Freywald 2013: 327).

Aus pragmatischer Perspektive ist festzuhalten, dass unselbständige Verb-zweitsätze – im Gegensatz zur alternierenden dass-Nebensatzvariante – wie uneingebettete Verbzweit-Hauptsätze über eine eigene assertive Kraft verfügen (vgl. Reis 1997; Gärtner 2001; Freywald 2013: 329), aber „kein eigenständiges Kontextupdate aus[lösen] und daher nicht als eigenständige Assertionen ver-wendet werden [können]“ (Antomo/Steinbach 2010: 22). Es ist hier also von einem „relativ assertierenden“ Charakter (Auer 1998: 293), einem „assertiven Potential“ (Antomo/Steinbach 2010: 22) der KV2 auszugehen, das „im Mat-rixsatz absorbiert [wird]“.

Insgesamt ist festzuhalten, dass abhängige Hauptsatzkonstruktionen „zwar eine Satzgliedfunktion erfüllen, dabei aber nicht unbedingt Satgliedstatus besit-zen.“ (Freywald 2013: 329; Hervorhebung im Original). Im Vergleich zu den alternierenden dass-Sätzen „zeigt sich eine unterschiedliche syntaktische und semantische Distribution“ (Freywald 2013: 329). Für die Klassifikation von KV2 als syntaktisch selbständige Konstruktionen sprechen u.a. die Stellung im Nachfeld und ihr assertives Potential. Gleichzeitig sind unselbständige Verb-zweitkonstruktionen aber auch prosodisch, syntaktisch (als Komplement), se-mantisch und pragmatisch (als Teil der Fokus-Hintergrund-Gliederung) in den Matrixsatz integriert.280

Prinzipiell abzugrenzen sind unselbständige Verbzweitkonstruktionen von Diskursmarker bildenden Konstruktionen mit Verba dicendi und sentiendi (z.B.

ja ich mein, also ich denk (mal)).281 In Belegen wie Beispiel (115) ist die verbale Einleitung „formal und inhaltlich […] reduziert“ (Auer 1998: 301) und quasi-lexikalisiert, die „ursprünglichen satzsyntaktischen Beziehungen zwischen Matrixsatz und Folgeeinheit sind entsprechend für die Wahrnehmung mehr oder weniger ausgeblendet“ (Schröder 2006: 219). Der solchermaßen als Dis-kursmarker verwendeten Konstruktion folgt ein syntaktisch selbständiger Hauptsatz (vgl. Auer 1998: 301).

Beispiel 115: „siebzehn [Zuschauer] sind echt wenig; (-) naja ich mein vielleicht sinds auch zwanzig

(≠ ‚ich meine, dass es vielleicht zwanzig sind‘) (Auer 1998: 302)

||

280 Der Grad an (Des-)Integriertheit variiert aber auch innerhalb der Gruppe der abhängigen Verbzweit-konstruktionen. Freywald (2013: 332333) weist daher verschiedene Subtypen einer Integriertheitsskala (von absolut integrierten, über relativ integrierten und relativ unintegrier-ten bis hin zu absolut unintegrierunintegrier-ten Verbzweit-Komplemenunintegrier-ten) zu.

281 Nähere Ausführungen zu ich-mein-Konstruktionen und anderen Konstruktionen mit Verba dicendi und sentiendi als Diskursmarker finden sich u.a. in Auer (1998), Günthner/Imo (2003) und Fiehler et al. (2004: 295).

Gemäß dieser Abgrenzung werden in der folgenden Frequenzanalyse lediglich jene Belege berücksichtigt, in denen keine Grammatikalisierung der Matrixsatz-konstruktion zum Diskursmarker festzustellen ist. Im Fokus der quantitativen Analyse steht die Frage nach einem möglicherweise bestehenden altersgebun-denen Unterschied in der Frequenz des Vorkommens unselbständiger Verb-zweitsätze. Als Grundlage dafür wird zunächst ein Überblick über das Vorkom-men von KV2 (in Abgrenzung zu Haupt- und Nebensätzen) in den drei Teilkorpora JD, ED und GF gegeben. Anschließend werden Konstruktionen mit den Verba dicendi sagen, glauben, meinen und denken in den Blick genommen und die diesbezüglich in den drei Teilkorpora bestehenden Varianten und ihre Gebrauchsfrequenzen beleuchtet.

4.2.3.2 Frequenzanalyse

Um die drei Teilkorpora GF, ED und JD hinsichtlich ihrer syntaktischen Kom-plexität zu untersuchen, wird in allen vorgefundenen Belegen der satzförmigen Einheitentypen KS (kanonischer Satz) und MS (möglicher Satz)282 zwischen Nebensätzen als Indikator für Hypotaxe, Hauptsätzen als Indikator für Parata-xe, sowie abhängigen Hauptsätzen, die eine Zwischenposition zwischen hypo-taktischen und parahypo-taktischen Konstruktionen einnehmen, unterschieden. Die nachfolgende Tabelle fasst die absoluten und relativen Häufigkeiten des Vor-kommens dieser drei Typen satzförmiger diskursiver Einheiten zwischen Sub- und Koordination (Nebensätze > abhängige Hauptsätze > Hauptsätze) in den drei Teilkorpora zusammen:

Tab. 17: Verteilung der satzförmigen Äußerungen hinsichtlich Sub- und Koordination (absolute und relative Häufigkeiten)

|| 282 Zur detaillierten Beschreibung satzförmiger Äußerungen in den untersuchten Gesprächen vgl. Kapitel 3.3.2.2.

Die grafische Darstellung im Balkendiagramm veranschaulicht die quantitati-ven Unterschiede hinsichtlich der Komplexität der verwendeten Satzkonstrukti-onen in den drei Teilkorpora:

Abb. 20: Verteilung satzförmiger Äußerungen (relative Häufigkeiten)

Im Vergleich der drei Teilkorpora treten interessante Ergebnisse zutage: Zu-nächst weisen die analysierten „Gespräche im Fernsehen“ aus Teilkorpus GF eine für mündliche Kommunikation relativ hohe Frequenz an Nebensätzen auf (29,89%) und können hinsichtlich dieses Kriteriums als Gespräche mit einem hohen syntaktischen Komplexitätsgrad aufgefasst werden.283 Dass Äußerungen, die in einem gegenüber privater Freizeitkommunikation durch Öffentlichkeit gekennzeichneten Rahmen einer Fernsehdiskussion elaborierter und

hinsicht-|| 283 In Bezug auf die syntaktische Komplexität in mündlicher Kommunikation wird zumeist von einer generell stärker parataktischen bzw. asyndetischen Gestaltung in spontaner gespro-chener Sprache im Vergleich zu geschriebener Kommunikation ausgegangen (vgl. z.B.

Schwitalla 2003: 107), ohne dies mit empirischen Daten zu belegen (vgl. die diesbezügliche Kritik bei Auer 1998: 286). Bestehende statistische Untersuchungen zum Hypotaxe-Parataxe-Verhältnis in gesprochener Sprache ergeben für das Vorkommen von Nebensätzen Werte zwischen 0,12 und 0,25 (vgl. Bubenheimer 2001). Mit einem Wert von rund 0,3 liegt Teilkorpus GF deutlich über diesen Durchschnittswerten. Eine Zusammenstellung verschiedener Auswer-tungen des Verhältnisses von neben- zu unterordnenden Satzkonstruktionen in mündlicher Kommunikation findet sich in Bubenheimer (2001).

0% 20% 40% 60% 80% 100%

GF ED JD

GF ED JD

Nebensätze 29,89% 17,94% 11,51%

abhängige Hauptsätze 4,84% 2,86% 2,34%

Hauptsätze 65,27% 79,20% 86,15%

Komplexität der satzförmigen Äußerungen

lich ihrer Syntax integrativer ausfallen als dies in der Alltagskommunikation unter Freunden der Fall ist, mag kein großes Erstaunen hervorrufen.284 Inner-halb dieser Gruppe der dialektgeprägten, intimen Gespräche der Teilkorpora ED und JD scheint es aber zusätzlich einen altersgebundenen Unterschied in der Verteilung zu geben. Die Analyse der Stichprobe ergibt hier eine deutliche Ten-denz zur parataktischeren diskursiven Gestaltung in den Gesprächen der ju-gendlichen Osttiroler/-innen. Nur 11,51% der satzförmigen Äußerungen in Teil-korpus JD können als Nebensätze klassifiziert werden, während 86,15% der Sätze nebenordnend realisiert wurden.285 Auch die Kategorie der abhängigen Hauptsätze (als in den Matrixsatz integrierte Konstruktion mit Verbzweitstel-lung) weist bei den jugendlichen im Vergleich zu den erwachsenen Osttiroler/-innen und zu den erwachsenen Standardsprecher/-Osttiroler/-innen den kleinsten Wert auf.

Im Vergleich der Einzelgespräche innerhalb der Teilkorpora zeigt sich dabei eine relativ große Spannbreite: In Teilkorpus JD etwa weist die Aufnahme einer Mädchengruppe aus Sillian (JD 4) den geringsten Anteil an Nebensätzen auf (4,1%). Fünf der 14 Freundesgespräche unter Jugendlichen weisen für die un-terordnenden Satzgefüge einen Prozentwert von unter 10% auf, der größte rela-tive Anteil an Nebensätzen ist in einer Aufnahme jugendlicher Mädchen aus Lienz (JD 18: 19,7%) belegt. Hier lässt sich aber weder ein Einfluss des Faktors Gender noch der einzelnen Kleinregionen (Lienzer Becken, Iseltal (Matrei und Virgen), Pustertal (Sillian) und Defereggental (St. Jakob und St. Veit)) auf die neben- oder unterordnende Realisierung bzw. auf das Vorkommen unselbstän-diger Verbzweitkonstruktionen nachweisen.

Als Zwischenfazit kann also festgehalten werden, dass im standardnahen Teilkorpus GF gegenüber den beiden dialektgeprägten Teilkorpora JD und ED eine deutlich höhere Anzahl an Nebensätzen festzustellen ist. Mehr als ein Drit-tel aller satzförmigen Äußerungen sind in den Fernsehgesprächen als Neben-satz (29,9%) oder als abhängiger HauptNeben-satz (4,8%) realisiert. In der Freizeit-kommunikation der Dialektsprecher/-innen ist der relative Anteil der hypotaktischeren Konstruktionen dagegen deutlich niedriger, und auch im Vergleich der Altersgruppen zeigt sich eine weitere Abstufung: In den

Freun-||

284 Der Unterscheidung in orate und literate Strukturen nach Maas (2010) folgend sind so-wohl die Freundesgespräche der Teilkorpora JD und ED als auch die Fernsehgespräche aus Teilkorpus GF aus medialer Perspektive prinzipiell orale Kommunikate, also Erscheinungsfor-men mündlicher Kommunikation. Teilkorpus GF weist aber eine deutlich höhere Frequenz literater Strukturen auf als die beiden Korpora mit Freizeitgesprächen des intimen Registers.

285 Die beobachteten Frequenzunterschiede zwischen den drei Teilkorpora sind statistisch signifikant: χ2= 695,995 (df=4, Signifikanzniveau P = 0,001).

desgesprächen der Jugendlichen wird nur etwas mehr als jede zehnte satzför-mige Äußerung subordinierend realisiert. Mit einem Anteil von mehr als 86%

Hauptsatzkonstruktionen scheint sich in der Osttiroler Jugendkommunikation eine Präferenz für aggregative286 Satzkonstruktionen abzuzeichnen.

Dieses Zwischenergebnis darf jedoch nicht unreflektiert stehen bleiben.

Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein abhängiger Hauptsatz ohne Junktion anstelle des entsprechenden alternierenden Nebensatzes mit einlei-tender Subjunktion realisiert wird, vom im Matrixsatz vorkommenden finiten Verb und dessen Semantik abhängig (vgl. Kapitel 4.2.3.1).287 Aus diesem Grund sollen im Folgenden bestimmte Verben in den Blick genommen werden, bei denen beide Varianten (Matrixsatz + abhängiger Hauptsatz – Matrixsatz + Ne-bensatz) möglich sind, und die in allen drei Teilkorpora in hoher Frequenz be-legt sind. Dies ist bei den Verba dicendi bzw. sentiendi sagen, glauben, meinen und denken der Fall.

Wie aus untenstehender Tabelle 18 zu entnehmen ist, finden sich in Teil-korpus JD 142, in TeilTeil-korpus ED 167 und in TeilTeil-korpus GF 195 Konstruktionen mit sagen/glauben/meinen/ denken, denen entweder eine abhängige Verbzweit-konstruktion oder eine Nebensatz-Verbzweit-konstruktion mit Subjunktion dass nachfolgt.

Bevor die Ergebnisse dieser Frequenzanalyse näher beschrieben werden, müssen noch drei Äußerungskontexte genannt werden, die nicht in die Auswer-tung einbezogen werden: Erstens können – wie weiter oben schon erwähnt wurde (vgl. Kapitel 4.2.3.1.) – Äußerungen, in denen die Verben sagen, glauben, meinen, denken als lexikalisierte Diskursmarker verwendet werden, nicht als abhängige Verbzweitkonstruktionen klassifiziert werden. Diese solchermaßen in der mündlichen Kommunikation als Nähezeichen eingesetzten ich mein/sag/glaub/denke-Konstruktionen können eine Intonationsphrase einlei-tend (Bsp. 116), aber auch im Verlauf des Intonationsbogens einer Äußerung auftreten (Bsp. 117):

Beispiel 116: na waasch i maan der computer is OBgstürzt und er hot olles verLOren;=nit- [ED 3, Z.: 246f.]

|| 286 Der Begriff der Aggregation wird als Gegenpol zur Integration in der Beschreibung gespro-chener Sprache verwendet, um die ihr zugrundeliegende Additivität stärker zu akzentuieren.

Aggregation ist dabei im Sinne eines Aufeinanderfolgens bzw. Nebeneinanderstellens von Äußerungen in mündlicher Kommunikation zu verstehen; zur näheren Auseinandersetzung sei auf Ágel (2003) und Hennig (2006: 9394) verwiesen, der Begriff Aggregation geht Hennig (2006: 93) zufolge auf Raible (1992) zurück.

287 Auf diese „Verzerrung“ quantitativer Analysen aufgrund der lexikalischen Steuerung der Bezugsverben weist auch Auer (2002: 134) hin.

'Nein weißt du, ich mein, der Computer ist abgestürzt und er hat alles verloren, nicht?' Beispiel 117: de hob i oba SELber glaab i nimmer; [JD 2, Z. 1002]

'Die habe ich aber selber glaube ich nicht mehr.'

Zweitens werden jene Äußerungen nicht als KV2 gewertet, in denen auf das Verbum dicendi ein Zitat im Sinne rekonstruierter (eigener oder fremder) Rede folgt:288

Beispiel 118: no hon i gsog jo i woaß WOLL; [JD 2, Z. 435]

'Dann habe ich gesagt: „Ja, ich weiß (das) schon.“'

Und drittens werden abhängige Verbzweitkonstruktionen, die im Rahmen einer Zitatsequenz fremder Rede geäußert werden, nicht in die Auswertung aufge-nommen:

Beispiel 119: JD 7, Z. 1076-1085: „Seyffenstein“

1076 Dan: (--) äh wie HOAßT er denn;

1077 And: (--) SEYffenstein.

1078 Dan: (--) <<krächzend> SEYffenstein>- 1079 (---) zu beFEHL eure majestät-

1080 Ale: hetz schaugen sie amol die kaiserliche

1080 Ale: hetz schaugen sie amol die kaiserliche

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