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Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbletztsatz

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 142-156)

4.3.3 Serialisierung der komplexen Verbalphrase

4.3.3.2 Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbletztsatz

Abbildung 28 veranschaulicht die Frequenzunterschiede der Abfolgetypen II-I und I-II auf alle erfassten Belege mit Modalverbkomplex.384 Erwartungsgemäß sind in Teilkorpus GF, das aus standardnahen Gesprächen besteht, in Hauptsät-zen mit Modalverbkomplex keine Belege für die standardferne I-II-Abfolge zu finden. In Teilkorpus JD überwiegt deutlich die standardnahe Realisierung, während die erwachsenen Dialektsprecher/-innen deutlich häufiger als die jungen Osttiroler/-innen ihre Äußerungen in der dialektalen I-II-Abfolge reali-sieren.

Es stellt sich nun die Frage, ob sich dieser intergenerationelle Unterschied auch im Bereich der mehrgliedrigen Verbalkomplexe im Verbletztsatz bestätigt.

Dem soll im folgenden Unterkapitel nachgegangen werden.

4.3.3.2 Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbletztsatz

Wie in Bezug auf Verberst- und Verbzweitsätze so wurden in der bestehenden Fachliteratur bisher auch bezüglich der Verbletztsätze neben den Modalverbfü-gungen weitere Formen mehrteiliger Tempusformen, die eine Abfolgevariation der Verbteile aufweisen, berücksichtigt. Eisenberg (2004: 16) etwa fasst folgen-de Liste von Verben, bei folgen-deren Verwendung in Verbletztsätzen ein doppelter Infinitiv und damit eine Stellungsalternation möglich ist, zusammen:

a. Modalverben daß sie arbeiten kann b. nicht brauchen ohne zu

daß sie nicht arbeiten braucht c. lassen

daß sie ihn arbeiten läßt d. AcI-Verben

daß sie ihn arbeiten sieht

e. Verben mit reinem Inf., die auch den zu-Inf. regieren wie lernen, helfen, lehren

daß sie arbeiten lernt

f. bleiben mit reinem Inf. statischer Verben wie sitzen, stehen, liegen daß sie sitzen bleibt

g. Bewegungsverben mit reinem Inf. in finaler Bedeutung wie gehen, kommen, fahren (Alternative um zu)

daß sie arbeiten geht

|| 384 Die beobachteten Frequenzunterschiede sind signifikant: χ2=7,51868305 (Signifikanzni-veau P=0,01).

Nicht für alle dieser Konstruktionen mit theoretisch möglicher Verbstellungsal-ternation finden sich in Patockas Korpus oder den Teilkorpora JD, ED und GF überhaupt Belege, oder wenn, dann in nur sehr geringer Beleganzahl. Keine Abfolgevariation ist im bairischen Dialektgebiet Österreichs laut Patocka etwa anzunehmen bei folgendem Kookkurrenztyp:

1. SUB … PTII - FINauxpI (=II-I): finites Auxiliarverb des Passivs + Partizip II des Vollverbs

daß des Flaisch a weng gmischt wiad (Patocka 1997, 271) 'dass das Fleisch ein wenig gemischt wird.'

waasch wer do verOASCHT wead; [JD 14, Z. 1003]

'Weißt du, wer da verarscht wird?'

Auch die Gespräche der hier untersuchten Teilkorpora JD, ED und GF zeigen in Bezug auf diesen Kookkurrenztypen keine Abfolgevariation.

Bei folgenden Kookkurrenztypen sieht Patocka zwar die Möglichkeit einer Reihenfolge-variation, enthält sich aber aufgrund der schlechten Beleglage einer variantengeographischen Aussage:385

2.

a. SUB386 … INFII - FIN{sein, tun, kommen}I (= II-I)387 --- SUB … FINI - INFII (= I-II):

dass aufs Kolb zun woaten is --- dass aufs Kolb is zun woaten ('dass auf das Kalb gewartet werden muss')

b. SUB … INFII - FIN{anfangen}I (= II-I) --- SUB … FIN{anfangen}I - INFII (= I-II):

bol du heuer zi mahn unfongsch --- bol du heuer unfongsch zi mahn ('sobald du dieses Jahr mit dem Mähen beginnst')

c. SUB … INFII - FINtunI (= II-I) --- SUB … FINtunI- INFII (= I-II):

de wos trogen tuan --- als wonn Hund und Kotzn tatn rafm388 ('als wenn Hunde und Katzen täten raufen')

d. SUB … PTII - FINauxt{s}I (= II-I) --- SUB … FINauxt{s}I- PTII (I-II):

||

385 Die Beispiele wurden (vereinfacht) aus Patocka (1997: 272274) übernommen.

386 Die Abkürzung „SUB“ steht für „subordinierendes Element.“

387 Dieser Typ betrifft sehr spezifische Bedeutungen der regierenden finiten Formen der Verben sein, tun und kommen, nämlich: sein 'etwas muss/kann getan werden', tun 'etw. taugt zu' und kommen in Bedeutung a: es kommt zu … 'der Zeitpunkt ist da' und Bedeutung b: jemand kommt zu … 'jemand kommt etwas tun' (für Beispiele und weitere Details vgl. Patocka 1997:

272).

388 Patocka (1997: 273) vermutet hier Folgendes: „Nach Ausweis der Belege scheint dieser Typ ausschließlich in der Variante II-I, also der standardkonformen, möglich zu sein, sofern es sich um eine indikativische Periphrase handelt. Im Falle einer konjunktivischen tun-Periphrase hingegen sind beide Varianten möglich.“

de in Schoadara-Haus ai(n)gmau(r)t is389 ('die im Scheiderer-Haus eingemauert ist')

e. SUB … PTII - FIN{kriegen}I (= II-I) --- SUB… FIN{kriegen}I- PTII (I-II):

und wonnst is easchte Moi aafglodn kriagst ('wenn du das erste Mal aufgeladen kriegst')

f. SUB … INFII - FIN{lassen}I (= II-I) --- SUB… FIN{lassen}I - INFII (= I-II):

wonn i mi no weiterhin ausbilden loss

('wenn ich mich noch weiter ausbilden lasse') g. SUB … FIN auxt{w}I - PTIII - INFauxtII (= I-III-II):

wäöl a s wiad net gwußt hobm ('weil er es wird nicht gewusst haben') Von diesen sieben Kookkurrenztypen sind in den Teilkorpora JD und ED Belege für die Typen 2a-d und 2f zu finden, allerdings nicht immer in beiden Abfolge-varianten. Für Typ 2a liegt etwa in den hier untersuchten Teilkorpora nur ein Beleg, und zwar in Standardabfolge, vor:

– 2a: SUB … INFII - FIN{sein, tun, kommen}I (= II-I):

ob_s erscht SPÄter zun unfung isch- [ED 6, Z. 2184ff.]

'ob es erst später zum anfangen ist'

Ein interessantes Ergebnis bringt die Suchabfrage nach Kookkurrenztyp 2b in den Teilkorpora JD und ED zutage: Alle vorzufindenden Verbletzt-Konstruktionen mit Formen des Lexems anfangen als finitem Verb in Kombina-tion mit einem Infinitiv in den untersuchten Teilkorpora (6 Belege) zeigen die Nonstandard-Abfolge:

– 2b: SUB … FIN{anfangen}I - INFII (= I-II):

wenn mit sechsezwanzg onfongsch stuDIEren; [ED 1, Z. 1852]

'wenn du mit sechsundzwanzig anfängst studieren' dass_er im HAUS do onfong (---) umazugreifen [ED 2, Z. 63]

'dass er im Haus da anfängt herumzugreifen'

wenn nit wieder amol die BERge onfongen rumpeln- [ED 3, Z. 1297ff.]

'wenn nicht wieder einmal die Berge anfangen rumpeln' wenn die letzen AA schun unfongen zan saufen- [JD 20, Z. 158]

'wenn die Kleinen auch schon anfangen zu saufen' dass_e nit unfongsch zu LOchen; [JD 7, Z. 1072]

'dass du nicht anfängst zu lachen'

|| 389 Bei diesem und den nächsten Typen (also 2d-g) gibt Patocka (vgl. 1997: 273274) an, dass sie in seinem Korpus in nur einer Variante (nämlich der standardkonformen) belegt sind, dass aber davon auszugehen sei, dass auch die zweite Variante I-II möglich ist.

sobold_s herunten onfong amol SCHIAN wean [ED 4, Z. 1778ff.]

'sobald es herunten [im Tal] anfängt einmal schön werden'

Wenngleich aufgrund der geringen Beleganzahl keine verallgemeinerbaren Aussagen möglich sind, scheint das Verb anfangen die Nonstandard-Abfolge, also die Nachstellung des Infinitivs (entweder mit oder ohne zu), in besonderer Weise zu begünstigen.390 Dies zeigt sich auch in vergleichbaren Perfektkon-struktionen:

– 2b (Perfekt): SUB … PTII - FINauxI - INFIII: II-I-III ≈ I-II:

wie se zum schluss ongfongen hom SCHUNkeln. [ED 3, Z. 3070]

'als sie am Ende angefangen haben schunkeln'

In Bezug auf den nächsten Kookkurrenztypen, 2c, äußert Patocka folgende Vermutung:

Nach Ausweis der Belege scheint dieser Typ ausschließlich in der Variante II-I, also der standardkonformen, möglich zu sein, sofern es sich um eine indikativische Periphrase handelt. Im Falle einer konjunktivischen tun-Periphrase hingegen sind beide Varianten möglich. (Patocka 1997: 273)

Dass der konjunktivische Gebrauch der tun-Periphrase391 die Nonstandardabfol-ge begünstigt, lässt sich auf Basis der diskursiven Daten aus den Teilkorpora JD und ED nicht bestätigen. Hier finden sich nämlich sowohl in Konstruktionen mit indikativischer als auch mit konjunktivischer tun-Periphrase keine Belege für die I-II-Abfolge. Nachfolgend sollen einige Beispiele angeführt werden:

– 2c: SUB … INFII - FINtunI (= II-I):

wenn du OAbeiten tuasch [JD 13, Z. 849]

'wenn du arbeiten tust'

wenn i a glasl WOSser trinken tat [ED 6, Z. 872]

'wenn ich ein Glas Wasser trinken täte'

wenn ma amol olle URlaub foahn taten- [JD 22, Z. 321f.]

'wenn wir einmal alle [in/auf]392 Urlaub fahren täten'

|| 390 Auch Patocka (1997: 272) verweist darauf, dass sich „Sätze mit anfangen möglicherweise anders als die vorigen [Kookkurrenztypen] verhalten […].“

391 Details zur Verwendung der tun-Periphrase in der Konjunktivbildung und anderen Mög-lichkeiten des Konjunktivs II im Südbairischen finden sich in Kapitel 4.3.2.

392 Zum Wegfall der Präposition in Konstruktionen mit richtungskodierenden Verben vgl.

Kapitel 4.4.1.

Auch für die Kookkurrenztypen 2d und 2f finden sich in den hier untersuchten Teilkorpora ‒ gleich wie in Patocka (1997: 273274) ‒ keine Belege für die Non-standard-Abfolge:

– 2d: SUB … PTII - FINauxt{s}I (= II-I):

de besser nit beSIEdelt waarn; [ED 3, Z. 1172]

'die besser nicht besiedelt wären'

weil des so scheiße AUFgeteilt is. [JD 2, Z. 686]

'weil das so scheiße [schlecht] aufgeteilt ist' – 2f: SUB … INFII - FIN{lassen}I (= II-I):

wenn i des WEGtuan loss; [JD 14, Z. 1236]

'wenn ich das wegtun [entfernen] lasse'

dass se de auf_m boden LIEgen lossen; [JD 14, Z. 1534f.]

'dass sie die [Frau] auf dem Boden liegen lassen'

Auch hier finden sich vergleichbare Belege als Perfektkonstruktion, z.B.:

– 2f (Perfekt): SUB … INFIII - PT/EINFII - FINauxI: III-II-I ≈ II-I:

dass er se: am BOden schlofen lossen hot; [JD 13, Z. 1258]

'dass er sie am Boden schlafen lassen hat'

Parallel zur oben in Kapitel 4.3.3.1. beschriebenen Verbzweitsatz-Konstruktion des Typs 2f unter Beteiligung von Bewegungsverben (er ist wildern gegangen ‒ er ist gegangen wildern) findet sich darüber hinaus folgender, bei Patocka nicht erwähnter Kookkurrenztyp, für den sich in den Teilkorpora ED und JD sowohl Belege in standardkonformer II-I-Abfolge, als auch in umgekehrter Serialisie-rung finden:

– 2g: SUB … INFII - FIN{Direktiva}I (= II-I)--- SUB… FIN{Direktiva}I - INFII (= I-II) II-I: wenn i OAbeiten gangat. [JD 17, Z. 669]

'wenn ich arbeiten ginge'

I-II: wenn_e gehsch a wi KLOIben [ED 6, Z. 2196f.]

'wenn du gehst ein wenig aufklauben [aufsammeln]'

Die meisten Belege und daher die größte variantengeographische Relevanz weisen aber wie bei den mehrgliedrigen Verbalkomplexen in Verberst- und Verbzweitsätzen auch in den Verbletztsätzen die Konstruktionen mit Beteili-gung von Modalverben auf (Kookkurenztypen 3a-d). Neben diesen Konstruktio-nen mit finiten Modalverben bzw. Modalverb-Ersatzinfinitiven (o-der -partizipien) stellt Patocka auch Abfolgevariation mit einer höheren Beleganzahl in Konstruktionen des Typs dass er müde gewesen ist (3e-f), des Typs dass er müde geworden ist (3g-h) sowie in Perfektkonstruktionen des Typs dass er gearbeitet hat (3i-j) fest. Insgesamt finden sich hier neben zweigliedrigen

(Typ 3a, e, g und i) auch drei- (Typ 3b, c, f, h und j) und sogar viergliedrige Ver-balkomplexe (Typ 3d) mit Verbstellungsvariation:

3.

a. SUB … INFII - FINmodI (= II-I) --- SUB… FINmodI - INFII (= I-II): dass er arbeiten muss --- dass er muss arbeiten

b. SUB … FINmodI - INFIII - INFII (= I-III-II ≈ I-II): wenn man kann schauen gehen c. SUB … FINauxt{h}I - INFIII - EINFmodII (= I-III-II): dass er hat arbeiten müssen393

SUB … INFIII - FINauxt{h}I - EINFmodII (= III-I-II): dass er arbeiten hat müssen SUB … FINauxt{h}I - EINFmodII - INFIII (= I-II-III): dass er hat müssen arbeiten d. SUB … FINauxt{h}I - EINFmodII - INFIII - INFIV (= I-II-III-IV ≈ I-II-III): dass er überall

hat müssen hingehen arbeiten

e. SUB … PT{sein}II - FINauxt{s}I (= II-I): dass er müde gewesen ist SUB … FINauxt{s}I - PT{sein}II (= I-II): dass er müde ist gewesen

f. SUB … INF III - PT{sein}II - FINauxt{s}I (= III-II-I ≈ II-I):, z.B. daß-s goa nimma zum datoan gwesen war ('dass es gar nicht mehr zu tun gewesen wäre')394

SUB … INF III - FINauxt{s}I - PT{sein}II (= III-I-II ≈ I-II): z.B.: wos zun kliabm is gwest ('was zu spalten ist gewesen')

g. SUB … PT395cop{werden}II - FINauxt{s}I (= II-I): dass er müde geworden ist SUB … FINauxt{s}I - PTcop{werden}II (= I-II): dass er müde ist geworden

h. SUB … PTIII - PTauxpII - FINauxt{s}I (= III-II-I ≈ II-I): dass eines gebaut worden ist SUB … PTIII - FINauxt{s}I- PTauxpII (= III-I-II ≈ I-II): dass eines gebaut ist worden SUB … PTIII - PT{werden}II - FINauxt{s}I (= III-II-I ≈ II-I): wie es da rumorend gewor-den ist im Bauch

i. SUB … PTII - FINauxtI (= II-I): dass er gearbeitet hat SUB … FINauxtI - PTII (= I-II): dass er hat gearbeitet

j. SUB … PTIII - PTauxt{h}II FINauxt{h}I (= III-II-I ≈ II-I): wie es die Sau genug gebro-chen gehabt hat – wie es die Sau genug hat gebrogebro-chen gehabt

SUB … INF III - PTII - FINauxtI (= III-II-I ≈ II-I): wenn er einladen gegangen ist – wenn er ist einladen gegangen

In den Teilkorpora JD und ED sind insgesamt 81 Verbletzt- (bzw. Verbspäter-) Konstruktionen mit Beteiligung von Modalverben enthalten, wobei für die bei Patocka beschriebenen Kookkurrenztypen 3b und 3d keine Belege gefunden werden konnten. Nachfolgend sollen ‒ bevor der intergenerationelle Vergleich

|| 393 Das Modalverb kann anstatt eines Ersatzinfinitivs auch als Partizip belegt sein (dass er hot oabeiten gmiasst 'dass er hat arbeiten gemusst').

394 Mit der Bedeutung 'etw. muss getan werden'.

395 „Cop“ ist hier als Abkürzung für „Kopula“ verwendet (vgl. Patocka 1997: 287).

fokussiert wird ‒ zunächst zur Veranschaulichung einige Beispiele aus den Osttiroler Teilkorpora für Typ 3a angeführt werden:

– 3a: SUB … INFII - FINmodI (= II-I):

wie du gfühlsmäßig ä:h (.) des HOben wellasch, [ED 1, Z. 1087]

'wie du gefühlsmäßig das haben wolltest [möchtest]' ob des verschiedene !SCHICH!ten sein sollen- [ED 2, Z. 790f.]

'ob das verschiedene Schichten sein sollen' weil der irgendwos HOben wollt [JD 8, Z. 352]

'weil der irgendetwas haben wollte' wenn i PAUse mochen will [JD 13, Z. 811]

'wenn ich eine Pause machen will'

ob i eben schon die PILle nehmen deafat; [JD 18, Z. 389]

'ob ich eben schon die [Anti-Baby-]Pille nehmen dürfte' – 3a: SUB… FINmodI - INFII (= I-II):

wenn mia bis: sechse miassen OARbeten- [ED 4, Z. 1380]

'wenn wir bis sechs müssen arbeiten'

dass i di konn glei HERschlogen mit der hond; [JD 7, Z. 29]

'dass ich dich kann gleich verprügeln mit der Hand' wos ma sollen SCHREIben [JD 2, Z. 214]

'was wir sollen schreiben'

wenn man_s will LIACHT hoben [ED 5, Z. 25]

'wenn man es will hell haben'

wenn er do müass a reparaTUR zohlen [ED 4, Z. 275]

'wenn er da muss eine Reparatur zahlen'

In Bezug auf die geographische Verteilung der Varianten (vgl. Abbildung 29) stellt Patocka fest, „daß sich die Räume mit den Verbstellungen er hat müssen arbeiten […] und daß er muß arbeiten […] im Süden des Untersuchungsgebietes einigermaßen decken […].“ Allerdings sei in Bezug auf die Nebensätze im Osten Niederösterreichs mit Wien und auch im Burgenland die standardnahe Seriali-sierung vorherrschend. Für den Süden des bairischen Dialektraums in Öster-reichs, der im Fokus der hier durchgeführten Untersuchung steht, ist also davon auszugehen, dass für die dialektale Abfolge I-II „dass er muss arbeiten“ auch in der Osttiroler Freizeitkommunikation Beispiele anzutreffen sein müssten. Tat-sächlich weisen in den Teilkorpora JD und ED 11 von 76 Belegen die oben be-schriebene Nonstandard-Abfolge auf. Dass die von Patocka vor mehr als fünf-zehn Jahren festgestellte Abfolgevariation im Süden Österreichs nach wie vor besteht, lässt sich also aufgrund der hier untersuchten diskursiven Daten aus Osttirol prinzipiell bestätigen. Allerdings ist die Standardabfolge (dass er nicht

arbeiten muss) häufiger als die Nonstandard-Abfolge (dass er nicht muss arbei-ten) belegt.

Abb. 29: Karte zur Variantengeographie der Modalverbkomplexe in VL-Sätzen (Patocka 2000a:

253)

Neben den bisher genannten zweigliedrigen gibt es auch drei- bzw. viergliedrige Modalverbkomplexe in Verbletztkonstruktionen, nachfolgend seien Beispiele für die oben aufgelisteten Abfolgevarianten des Typs 3c (je einmal belegt) ange-führt:

– 3c: SUB … FINauxt{h}I - INFIII - EINF/PT396modII (= I-III-II):

wos i heit hob !TUAN! miassen in gonzen vormittog [JD 13, Z. 906]

'was ich heute habe tun müssen den ganzen Vormittag [hindurch]' – 3c: SUB … INFIII - FINauxt{h}I - EINF/PTmodII (= III-I-II):

dass sem nit RAAchen hosch deafen [JD 13, Z. 1125]

'dass [du]397 damals nicht rauchen hast dürfen'

– 3c: SUB … FINauxt{h}I - EINF/PTmodII - INFIII (= I-II-III):

wo se hom gwellt is FEIerwehrhaus herbauen [ED 6, Z. 1755f.]

'wo sie haben gewollt [wollen] das Feuerwehrhaus herbauen'

||

396 Aufgrund der häufigen Realisierung des modalen Verbteils als Partizip (PT) anstatt eines Ersatzinfinitivs (EINF) im hier untersuchten Korpus wird die ansonsten weitgehend von Patocka übernommene Formalisierung an dieser Stelle ergänzt.

397 Zum Wegfall des Personalpronomens in Konstruktionen der 2.Pers.Sg. in den Gesprächen der Osttiroler Proband/-innen vgl. Kapitel 4.4.2.

Darüber hinaus finden sich in Teilkorpus JD noch zwei Belege für die II-I-III-Abfolge sowie ein Beleg für die III-II-I-II-I-III-Abfolge dieses Subtyps, für die in Patockas Korpus keine Beispiele enthalten sind:398

– 3d: SUB … EINF/PTmodII - FINauxt{h}I - INFIII (=II-I-III):

wenn i gemiasst hon KELLnern; [JD 22, Z. 972]

'als ich gemusst habe kellnern'

wie ma gemiasst hom die MAPpen ogeben [JD 8, Z. 985]

'als wir gemusst haben die Mappen abgeben'

– 3d: SUB … INFIII - EINF/PTmodII - FINauxt{h}I (= III-II-I):

weil i jo die BIbel obe trogen gemiasst hon af_n friedhof [JD 2, Z. 909]

'weil ich ja die Bibel hinunter tragen gemusst habe auf den Friedhof'

Bezüglich der drei- (bzw. viergliedrigen) Varianten der Kookkurrenztypen 3c und 3d ist laut Patocka davon auszugehen, dass die Variation in diesem Bereich u.a. deswegen so stark ausgeprägt ist, weil er über den dialektalen Sprachge-brauch hinaus auch auf Ebene der einzelnen Standardvarietäten im deutschen Sprachraum eine Rolle spielt.399 So ist in Österreich die „vielfach als österreich-typisch betrachtete Variante III-I-II die dominierende […], wenigstens in den nördlichen Regionen.“ (Patocka 1997: 280281) Belege für die I-III-II-Standardabfolge (dass er hat arbeiten müssen) finden sich v.a. im östlichsten Teil Österreichs (Wien, Niederösterreich und dem Burgenland; vgl. Abbildung 30), Patocka stellt jedoch auch dort einen schwankenden Gebrauch dieses Typs konkurrierend zu den anderen Varianten fest. Für Kärnten und Osttirol sind in Patockas Korpus keine Belege vorhanden. In Nordtirol finden sich aber auch Belege für die I-II-III-Variante (dass er hat müssen arbeiten). Die dialektal präfe-rierte Variante ist demnach „nicht im gesamten Bundesgebiet (bzw. im bairi-schen Teil davon) die mit III-I-II, sondern es kommt durchaus auch die […]

Standardvariante I-III-II vor, darüber hinaus auch die wohl konservativere I-II-III“ (Patocka 1997: 281). Ergänzend zu untenstehender Karte von Patocka (1997:

280) (vgl. Abb. 30) sei mit Blick auf Vorarlberg auf die Ergebnisse bei Schallert (2013; 2014a) verwiesen: Der Autor hält nämlich für die I-II-III-Variante fest,

||

398 Patocka bekräftigt, dass es theoretisch sechs verschiedene Möglichkeiten der Verbabfolge gibt, „von denen aber nur drei (möglicherweise vier) tatsächlich genutzt werden.“ (Patocka 1997: 278) Es zeigt sich aufgrund der hier vorliegenden Belege also, dass neben den drei von Patocka beschriebenen Abfolgetypen im Osttiroler Korpus noch zwei weitere nachgewiesen werden können.

399 Zur Serialisierung des Modalverbkomplexes in den Standardvarietäten vgl. auch Zeman (1988), Ammon (1995: 176) und Scherr/Niehaus (2013).

dass diese im alemannischsprachigen Gebiet Österreichs mit der III-I-II-Variante sogar zu den Hauptvarianten gehöre (vgl. Schallert 2014a: 275).

Abb. 30: Serialisierung des Kookkurrenztyps „dass er hat arbeiten müssen“ (Patocka 1997:

280)

Auf der oben durchgeführten formalen Ausdifferenzierung einzelner Subtypen der Abfolgevariation und der Kontrastierung mit den Ergebnissen von Franz Patocka aufbauend soll nun jedoch wieder der Fokus auf den intergenerationel-len Vergleich der beiden Teilkorpora JD und ED gelegt werden. Dazu wurden alle Belege der variablen Modalverbkonstruktionen in Nebensätzen (also die Belege der Typen 3a und 3c) zusammengefasst und standardkonforme den nicht-standardkonformen Varianten gegenübergestellt.400

|| 400 Der einzelne Beleg zur Zwischenstellung (Abfolge-Variante I-III-II) des Kookkurrenztyps 3c (dass du damals nicht rauchen hast dürfen) wurde dafür Scherr/Niehaus (2013: 81) folgend als in Österreichs Gebrauchsstandard gültige Standardvariante aufgefasst und daher der stan-dardkonformen Realisierung zugerechnet.

Tab. 36: Serialisierung in Nebensatzkonstruktionen mit Modalverbkomplex (absolute und relative Häufigkeiten)

VK-Serialisierung II-I und I-III-II im NS:

SUB…INF - VmodINFf SUB… VauxFIN - INF - VmodINF SUB… INF - VauxFIN - VmodINF

VK-Serialisierung I-II und I-II-III im NS:

SUB…MVinf - INF SUB…VVinf - VmodINF - VauxFIN SUB… VauxFIN - VmodINF - INF SUB… INF - VmodINF - VauxFIN SUB… VmodINF - VauxFIN - INF

gesamt

ED 34/75,56% 11/24,44% 45/100%

JD 31/86,11% 5/13,89% 36/100%

GF 157/99,37% 1/0,63% 158/100%

Im Vergleich der drei Teilkorpora zeigt sich wieder die äußerst geringe Variabili-tät in der standardnahen Fernsehkommunikation: Von 158 Belegen von Neben-satzkonstruktionen mit Modalverb-Beteiligung im Verbalkomplex ist nur ein nicht standardkonformes Beispiel belegt. In den beiden dialektal geprägten Teilkorpora zusammengenommen finden sich insgesamt 81 Belege für die Seria-lisierung im Modalverbkomplex der Nebensätze, davon sind 16 (ca. 19,75%) den oben besprochenen Nonstandard-Kookkurrenztypen zuzuordnen. Das heißt also, dass auch in den beiden Teilkorpora der Südbairisch-Sprecher/-innen die standardkonforme II-I-Serialisierung deutlich überwiegt. Im Vergleich der Al-tersgruppen zeigt sich jedoch eine niedrigere Realisierung der Nonstandard-Varianten in den Freundes-gesprächen der jugendlichen gegenüber jenen der erwachsenen Osttiroler/-innen.401 Nur fünf der 31 Belege von zwei- oder mehr-gliedrigen Nebensatzkonstruktionen mit Modalverb-beteiligung sind in den Jugendkommunikaten in der I-II- bzw. I-II-II-Abfolge durchgeführt. Damit ist bestätigt, dass sich diese Variante eher im alemannischsprachigen Gebiet Öster-reichs zeigt, wie Schallerts Ergebnisse nahelegen. Die folgende Grafik veran-schaulicht die relativen Häufigkeiten in den drei untersuchten Teilkorpora:

|| 401 Die beobachteten Frequenzunterschiede zwischen Teilkorpus JD und ED sind nicht statis-tisch signifikant: χ2=1,406 (Signifikanzniveau P=0,24; df=1).

Abb. 31: Serialisierung in Nebensatzkonstruktionen mit Modalverbkomplex (relative Häufigkei-ten)

Wie bereits in Bezug auf die mehrgliedrigen Modalverbalkomplexe in Verb-zweitsätzen festgestellt wurde, so ist also auch in den Nebensatzkonstruktionen eine geringere Tendenz zur Nonstandard-Abfolge bei den Jugendlichen festzu-stellen. Auch wenn die geringe Beleglage in den Nebensatzkonstruktionen kei-ne statistisch signifikante Verteilung erkenkei-nen lässt, so weist hier doch die Tendenz bei den Jugendlichen in Richtung standardkonformer Realisierung.

Neben den Belegen mit Beteiligung von Modalverben beschreibt Patocka (1997) auch folgende weitere Kookkurrenztypen als variantengeographisch fassbar (vgl. 1997: 284):402

– 3e: SUB … PT{sein}II - FINauxt{s}I (= II-I): dass er müde gewesen ist de RICHtig guat gwesen sein; [ED 5, Z. 1272]

'die richtig gut gewesen sind'

wenn_s eh lei SIE gwesen is- [JD 13, Z. 900]

'wenn es eh nur sie gewesen ist'

– 3e: SUB … FINauxt{s}I - PT{sein}II (= I-II): dass er müde ist gewesen

|| 402 Für Kookkurrenztypen, die auch in der Osttiroler Freizeitkommunikation belegt sind, werden Beispiele aus Teilkorpus JD und ED angeführt. Beispiele aus Patocka (1997) werden vereinfacht in Standardschreibung wiedergegeben.

GF ED JD

Serialisierung Verbalkomplex

im NS: Standardvarianten 99,37% 75,56% 86,11%

Serialisierung Verbalkomplex

im NS: Nonstandardvarianten 0,63% 24,44% 13,89%

im NS: Nonstandardvarianten 0,63% 24,44% 13,89%

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 142-156)