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Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbzweitsatz

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 134-142)

4.3.3 Serialisierung der komplexen Verbalphrase

4.3.3.1 Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbzweitsatz

4.3.3.1 Mehrgliedrige Verbalkomplexe im Verbzweitsatz

Zunächst sollen Verbstellungsvarianten in mehrgliedrigen Verbalkomplexen in Verbzweitsätzen (inklusive Verbfrüherstellung) und deren Verteilung in Patockas Korpus sowie in den hier untersuchten Teilkorpora thematisiert wer-den. Zum besseren Verständnis muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Patocka in seiner Beschreibung der Klammerstrukturen zwischen „Typen“ und

„Varianten“ unterscheidet:

Unter ‚Typen‘ werden hier Kookkurrenz-Typen verstanden, also Klammerkonstruktionen aus Gliedern derselben Kategorie bzw. aus gleichartigen Kombinationen. ‚Varianten‘ sind hingegen Reihenfolgevarianten, stellungsmäßig unterschiedliche Ausprägungen inner-halb eines Typs. Sätze wie er hat arbeiten müssen und er hat müssen arbeiten repräsentie-ren daher denselben Typ, sind aber zwei verschiedene Varianten. (Patocka 1997: 243-244)372

Die verschiedenen Typen der Verbstellung in mehrgliedrigen Verbalkomplexen in Stirn- und Kernsätzen fasst der Autor zu den folgenden Gruppen zusammen:

1. Konstruktionen, die nur in einer einzigen Variante im Korpus aufscheinen und von denen Patocka annimmt, „daß es im Untersuchungsraum [= bairi-sches Dialektgebiet Österreichs, Anm. ML] tatsächlich nur eine Abfolge gibt“ (Patocka 1997: 247), es sich also um „Kookkurrenztypen mit invarian-ten Reihenfolgen“ handelt.

2. Konstruktionen, die zwar vereinzelt zu einem Typ zwei Varianten aufwei-sen, aber nur schwach belegt sind und daher „keine Variantengeographie erlauben“ (Patocka 1997: 251).

3. Konstruktionen des Typs er hat arbeiten müssen ‒ er hat müssen arbeiten in seiner dialektgeographischen Verteilung. Hier handelt es sich bei Patocka aufgrund der großen Beleganzahl um den einzigen Fall, für den „die dia-lektgeographische Verteilung im Untersuchungsraum mit einiger Genauig-keit feststellbar“ (Patocka 1997: 248) ist.

Für die vom Autor als invariant beschriebenen Kookkurrenztypen wie z.B.

a. FINauxt{s} … PTII - PTauxpI (= II-I): finites Auxiliarverb (sein) +Partizip des Voll-verbs + worden

bis hetzan (-) sin immer die jungen von (.) vom MARder gfressen gwoan. [JD 14, Z. 1532]

ʹBis jetzt sind immer die Jungen vom Marder gefressen worden.ʹ

|| 372 Dieser Begriff des „Typs“ bei Patocka kann wohl konzeptuell in Nähe der „sprachlichen Variable“ bei Ammon (1995: 61) gerückt werden, wobei sich in Patockas Arbeit keine explizite Verknüpfung der beiden Termini findet.

b.

FINauxt{h} … PTII - PTauxt{h}I (= II-I): finites Auxiliarverb (haben) + Partizip des Vollverbs + Partizip von haben

do hom_ma KORten bestellt ghob, [ED 3, Z. 413]

ʹDa haben wir Karten bestellt gehabt.ʹ

c. FINauxt … INFII - PT {bleiben, kommen u.a.}I (= II-I): finites Auxiliarverb + abhängiger Infinitiv des Vollverbs + Partizip des Vollverbs

„die Kuah is liegn bliebm“ (die Kuh ist liegen geblieben; Bsp. aus Patocka 1997:

250)

no sei_ma woll unten züafällig olle nebeneinonder zu SITzen kemm- [ED 6, Z. 1002]

ʹDann sind wir dort unten zufällig alle nebeneinander zu sitzen gekommen [es hat sich so ergeben, dass wir nebeneinander gesessen sind.].ʹ

konnte auch in Teilkorpus JD, ED und GF keine Stellungsalternation festgestellt werden, weshalb sie hier nicht näher beschrieben werden müssen.373 Interessan-ter sind dagegen die folgenden in der Osttiroler Freizeitkommunikation zwar schwach belegten (unter 10 Belege), aber dennoch Stellungsalternation aufwei-senden Kookurrenztypen:374

a. FINmod … PTII - INFauxtI (= II-I) --- FINmod … INFauxtI - PTII (= I-II):

da soll er sich aufgehalten haben --- da soll er sich haben aufgehalten b. FIN{werden} … PTII - INFauxtI (= II-I) --- FIN{werden} … INFauxtI - PTII (= I-II):

du wirst sie angeredet haben --- du wirst sie haben angeredet

c. FIN# … INF - VZ# (entspricht Abfolge II-I) --- FIN# … VZ# - INF (I-II):375 er fängt (zu/zum) handeln an --- er fängt an (zu/zum) handeln

d. FINauxt{h} … INFII - PT {anfangen}I (= II-I) --- FINauxt{h} … PT {anfangen}I - INFII (I-II):

er hat zu weinen angefangen --- er hat angefangen zu weinen

e. FINauxt{h} … INFII - PT{wissen bzw. hören}I(= II-I) --- FINauxt{h} … PT{wissen bzw. hören}I- INFII: die hätte es Ihnen zu erzählen gewusst --- die hätte es Ihnen gewusst zu erzählen

f. FINauxt{s} … INFII - PT{Direktiva}I (= II-I) --- FINauxt{s} … PT{Direktiva}I - INFII (= I-II):376 und der ist auch wildern gegangen --- und der ist auch gegangen wildern.

g. FINauxt … INFII - PT{haben, sein, helfen, legen, lernen, sehen}I (= II-I) --- FINauxt- PT{haben, sein, helfen, legen, lernen, sehen}I - INFII (= I-II):

|| 373 Zur Beschreibung weiterer invarianter Stellungstypen vgl. Patocka (1997: 248251).

374 Die Beispiele wurden (vereinfacht) aus Patocka (1997: 251258) übernommen.

375 VZ = Verbzusatz.

376 Mit „Direktiva“ sind Verben wie gehen, laufen, fahren, kommen, rennen, springen, eilen, fliegen, gelangen u.a. gemeint. Zur Rolle der Richtungsverben in Bezug auf den Präpositions-wegfall in Jugendkommunikation vgl. Kapitel 4.4.1.

sie haben ihnen arbeiten geholfen --- sie haben ihnen geholfen arbeiten h. FINauxt- INFII- PT{heißen, sich trauen}I(= II-I) --- FINauxt … PT{heißen, sich trauen}I- INFII(= I-II):

das hast du dich (zu/zum) sagen getraut? --- das hast du dich getraut (zu/zum) sagen?

Von diesen fünf Kookkurrenztypen finden sich in den Teilkorpora JD und ED Abfolgevarianten für die Typen 2d-h. Für den Typ 2 d liegen ausschließlich Be-lege für die I-II-Serialisierung vor:

– 2 d: FINauxt{h} … PT {anfangen}I - INFII (I-II):

und hon ongfongen zu plean [JD 14, Z. 15]

'Und habe angefangen zu weinen.'

<<lachend> i hob so ongfongen zu LOchen>; [JD 14, Z. 364]

'Ich habe so angefangen zu lachen.'

der [name] hot schun wieder ungheb PLÄRren- [JD 6-2, 234]

'Der [Name] hat schon wieder angefangen weinen.' wieso hot der ungheb zu PLÄRren; [JD 6-2, Z. 239]

'Wieso hat der angefangen zu weinen.'

Für Typ 2 e liegt nur ein einziger Beleg in Korpus ED vor, und zwar in Abfolge II-I mit Ausklammerung des Temporaladverbs:

– 2 e: FINauxt{h} … INFII - PT{wissen bzw. hören}I (II-I):

du hosch di REden gheat nochan; [ED 2, Z. 4689]

'Du hast dich reden gehört dann.'

Typ 2 f kommt in Teilkorpus ED mit 5 Belegen nur in II-I-Abfolge vor, in Teilkor-pus JD findet sich neben acht Belegen für die II-I-Serialisierung dagegen auch ein Beleg für die umgekehrte Abfolge:

– 2 f: FINauxt{s} … INFII - PT{Direktiva}I (= II-I):

KUPferreahrl bin i kaafen gongen. [ED 5, Z. 965]

'Kupferrohre bin ich kaufen gegangen.' non bin i SCHLOG riahren gong, [JD 2, Z. 1237]

'Dann bin ich Schlagobers rühren gegangen.' FINauxt{s} … PT{Direktiva}I - INFII (= I-II):

sei ma olbn in winter Ihen gfoahn zun [name] ä:h (.) !FLEISCH!kassemmel kaafen; [JD 7, Z.

57]

'Wir sind immer im Winter hinein gefahren zum [Fleischer] Fleischkäsesemmel kaufen.' Für Serialisierungstyp 2 g finden sich in Teilkorpus ED zwei Belege mit II-I- und ein Beleg mit Abfolge, in Teilkorpus JD je zwei Belege mit II-I- und I-II-Serialisierung. Nachfolgend sind je Teilkorpus und Variante zwei Beispiele angeführt:

– 2 g: FINauxt … INFII - PT{haben, sein, helfen, legen, lernen, sehen}I (= II-I) : hie und do a tog waar SCHON zun giahn gewesen; [ED 4, Z. 1775]

'Hie und da ein Tag wäre schon zu(m) gehen gewesen [man hätte gehen können].' i hob se sunscht nie wos ESsen gsegn. [JD 18, Z. 167]

'Ich habe sie sonst nie etwas essen gesehen.' FINauxt- PT{haben, sein, helfen, legen, lernen, sehen}I - INFII (= I-II):

bin i woll gewesen nochan FOAHN- [ED 4, Z. 171]

'Bin ich schon gewesen dann fahren.'

i hon se hetz amol beim de EM gsechen sitzen; [JD 8, Z. 406]

'Ich habe sie neulich beim Drogeriemarkt gesehen sitzen.'

Für den Serialisierungstyp 2 h schließlich finden sich in Teilkorpus ED und Teilkorpus JD je ein Beleg, und zwar jeweils für die Nonstandard-Abfolge I-II:

– 2 h: FINauxt … PT{heißen, sich trauen}I- INFII(= I-II):

i hätt ma EH nicht getraut zu sogen; [ED 6, Z. 140]

'Ich hätte mich eh nichts getraut zu sagen.'

i_b mi nit bei da ondern nit getraut HUPfen; [JD 3, Z. 1480]

'Ich habe mich bei der anderen nicht getraut hüpfen.'

Ähnlich wie in den Aufnahmen, die Patocka untersucht hat, finden sich auch in Teilkorpus JD und ED insgesamt zu wenige Belege für die eben genannten Kookkurrenztypen377, als dass ein quantitativer Vergleich zwischen den jugend-lichen und den erwachsenen Sprechern sinnvoll wäre.

Anders jedoch ist die Situation bei der Serialisierung der infiniten Prädi-katsteile in der rechten Satzklammer mit Beteiligung von Modalverben378. Diese oben unter Punkt 3 genannten Varianten des Typs er hat arbeiten müssen ‒ er hat müssen arbeiten kommen auch in den von Patocka untersuchten Aufnah-men des Phonogrammarchivs so häufig vor, dass der Autor Aussagen über die Variantengeographie im bairischen Dialektraum Österreichs tätigen kann.379 In

||

377 Teilkorpus GF zeigt keinerlei Belege für eine Variation in der Abfolge der Prädikatsteile im Verbalkomplex - weder mit noch ohne Beteiligung von Modalverben.

378 Berücksichtigt wurden sowohl in Patockas als auch in der hier vorliegenden Analyse die Modalverben dürfen, können, müssen, sollen, wollen sowie mögen (dialektal in zwei Bedeutun-gen: ˈwollenˈ und ˈkönnenˈ) und brauchen (dialektal vorwiegend ohne Infinitivpartikel zu reali-siert). Obwohl lassen ebenfalls modalverbähnlich verwendet werden kann (z.B. Das Auto lässt sich noch reparieren.), wurde es hier ausgeklammert, da sich bei diesem Verb in den Teilkorpo-ra ED und JD keinerlei Abfolgevariation zeigt. Zu diesem Schluss kommt auch Patocka (1997:

257) in Bezug auf die von ihm untersuchten Tonbandaufnahmen.

379 Dass die Modalverben die größte Variationsbreite und auch höchste Tokenfrequnez auf-weisen, hält auch Schallert (2014a: 275) in Bezug auf seine Daten (Fragebögen mit

seiner zweigliedrigen Grundform kann dieser Typ nach Patocka (1997: 259) wie folgt formalisiert werden:380

a. FINauxt{h} … INFII - EINFmod/PTmodI (= II-I) --- FINauxt{h} … EINFmod/PTmodI - INFII (=

I-II): finites Auxiliarverb + Ersatzinfinitiv bzw. Partizip eines Modalverbs381 + Infinitiv eines Vollverbs

II-I: do häsch lei SCHAUgen miassen. [JD 4, Z. 557f.]

'Da hättest du nur schauen müssen.' I-II: i hob jo so miassen LOchen; [ED 3, Z. 1711]

'Ich habe ja so müssen lachen.'

Einen weiteren zweigliedrigen Abfolge-Typ bildet folgende Form mit dem fini-ten Verb im Futur:

b. FINauxt{w} … INFII - INFmodI (= II-I): finites Auxiliarverb im Futur + Infinitiv des Vollverbs + Infinitiv eines Modalverbs

i wea lei GIAHN miassn; [JD 24, Z. 71]

'Ich werde wohl gehen müssen.'

||

täts-Urteilen und transkribierte Aufnahmen aus dem Tonarchiv der Mundarten Vorarlbergs) fest.

380 Die veranschaulichenden Beispiele für die Punkte 3 a-e entstammen großteils den Teil-korpora JD und ED, lediglich bei jenen Subtypen, für die in den Osttiroler Korpora keine Belege enthalten sind, werden die Beispiele aus Patocka (1997: 259) angeführt.

381 Die Modalverbform kann im Südbairischen sowohl als Ersatzinfinitiv als auch als Partizip realisiert werden. So finden sich in den Teilkorpora JD und ED wiederholt Beispiele wie: sem hom ma jo MÜLLsommeln gemiasst; [JD 20, Z. 489] (Damals haben wir ja Müllsammeln ge-musst.); i hätt amol gewellt noch PORtugal zoichen; [JD 4, Z. 636] (Ich hätte einmal gewollt nach Portugal ziehen.); den hätt mar_aa gemeg AUnehm [ED 6, Z. 947] (Den hätten wir auch gemocht aufnehmen - mögen idB. ˈkönnenˈ). Patocka (1997: 264) vermutet einen „Zusammen-hang zwischen dem Auftreten von PTmod und der Stellungsvariante I-II“ insofern, als die Parti-zip-Form nur an jenen Orten belegt ist, in denen die I-II-Abfolge dominiert. Dass sich in den beiden Osttiroler Teilkorpora JD und ED, die I-II-Abfolgen aufweisen, ebenfalls Belege mit Partizip II des Modalverbs finden, bestätigt diese Annahme. Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die Partizipform bei Modalverben nicht in Kombination mit der II-I-Abfolge belegt wäre, vgl. z.B.: des hätt se ma woll FRIArer sogen gekinnt; [JD 2, Z. 91] (Das hätte sie mir aber früher sagen gekonnt.). Interessant ist in diesem Zusammenhang der Blick auf Ergebnisse zum Ersatzinfinitiv-Gebrauch in den alemannischen Dialekten in Österreich (vlg. Schallert 2014a; 2014b): Schallert (vgl. 2014a: 271272) hält fest, dass in manchen Teilen der südbairischen Region anstatt des Ersatzinfinitivs Partizipformen, teilweise auch ohne ge-Präfix, vorkommen (z.B. miasst vs. gemusst vs. müssen; vgl. auch Patocka 1997: 260). Dies stehe im Kontrast zu den Verhältnissen im alemannischsprachigen Teil Österreichs: „Interestingly, only in Alemannic are there clear signs of a substitute infinitive, whereas Bavarian seems to disfavor this construction altogether“ (Schallert 2014a: 273).

erschtens amol wean_s des ZOHlen miassen, [ED 3, Z. 1097]

'Erstens einmal werden sie das zahlen müssen.' FINauxt{w} … INFmodI - INFII (= I-II):

de wean se onständig kennen (-) äh STROfen. [ED 3, Z. 1064]

'Die werden sie anständig können strafen.'

do wead woll die geMEINde miassen no herholten. [ED 4, Z. 1011]

'Da wird wohl die Gemeinde müssen dann herhalten.'

Daneben beschreibt Patocka noch dreigliedrige Verbalkomplexe mit Abfolgeva-rianten, die auf diese Grundform mit der Abfolge der Verbalteile II-I bzw. I-II zurückgeführt werden können:382

c. FINauxt{h} … EINFmod/PTmodI - INFIII - INFII (= I-III-II ≈ I-II): finites Auxiliarverb + Ersatzinfinitiv bzw. Partizip eines Modalverbs + zwei Infinitive von Vollver-ben

i hob ma sofort miassen a ce DE kaafen gehen; [ED 3, Z. 619]

'Ich habe mir sofort müssen eine CD kaufen gehen.'

d. FINauxt{h} … EINFmod/PTmodI - PTIII - INFauxpII (= I-III-II ≈ I-II): finites Auxiliarverb + Ersatzinfinitiv bzw. Partizip eines Modalverbs + Infinitiv des Vollverbs+

Passivauxiliar werden

nochdem hot des Goan miaßt gwoschen weadn (vgl. Patocka 1997: 260) 'Nachher hat das Garn gemusst gewaschen werden.'

FINauxt{h} … PTIII - EINFmodI- INFauxpII (= III-I-II ≈ I-II):

er hot gschlogen miassn weadn; (vgl. Patocka 1997: 260) 'Er hat geschlagen müssen werden.'

e. FINauxt{h} … PTIII - INF{sein}II - EINF/PTmodI (= III-II-I ≈ II-I): finites Auxiliarverb + Partizip eines Vollverbs + Infinitiv von sein + Ersatzinfinitiv oder Partizip eines Modalvers

es hot glei gegossen sein miassen (vgl. Patocka 1997: 260) 'Es hat gleich gegossen sein müssen.'

FINauxt{h} … EINF/PTmodI - PTIII - INF{sein}II (= I-III-II ≈ I-II):

bis zun Pedastog hot miaßt ausbroucht sein (vgl. Patocka 1997: 260) 'Bis zum Peterstag hat gemußt ausgebracht sein.'

Diese verschiedenen Subtypen des Belegtyps 3 a zusammengefasst scheinen insgesamt 250 Sätze des Typs er hat arbeiten müssen / müssen arbeiten in

|| 382 Das Zurückführen dreigliedriger auf strukturell verwandte zweigliedrige Verbalkomplexe wird mit dem Zeichen ≈ markiert.

Patockas Korpus auf. Die Verbreitung dieser Varianten veranschaulicht Abbil-dung 27:

Abb. 27: Karte zur Variantengeographie der Modalverbkomplexe in V1- und V2-Sätzen (Patocka 2000a: 252)

Hier zeigt sich, dass die normgrammatisch erwartbare Abfolge II-I

nur in einem relativ kleinen Areal, und zwar im westlichen Teil des Landes Niederöster-reich, in ganz OberösterNiederöster-reich, im steirischen Ennstal, in Salzburg mit Ausnahme des Lungaues, weiters in den südmittelbairschen bzw. alemannisch beeinflußten Teilen Ti-rols“ (Patocka 1997: 263)

gilt. Im Rest Österreichs (ausgenommen Vorarlberg) war zum Erhebungszeit-raum neben der II-I-Abfolge auch die I-II-Serialisierung bei den Sprecher/-innen im Gebrauch, wobei laut Patocka festzustellen ist, dass sich das Schwanken zwischen den beiden Abfolgevarianten im südbairischen Süden Österreichs (u.a. auch in Osttirol) zugunsten der I-II-Abfolge stabilisiere (vgl. Patocka 1997:

263). Dies lässt sich anhand der insgesamt 73 Belege aus Teilkorpus JD und ED nicht zur Gänze bestätigen: Hier liegt zwar mit 29 (II-I-Abfolge) zu 44 (I-II-Abfolge) Belegen eine Dominanz der Nonstandard-Serialisierung vor, es kann aber für keines der in der Auswertung berücksichtigten Modalverben eine aus-schließliche I-II-Realisierung festgestellt werden.383

Mehr noch als die variantengeographische Verteilung ist für die vorliegende Untersuchung der Vergleich zwischen den zwei Altersgruppen relevant. Die

|| 383 Insgesamt am häufigsten unter den Modalverben und gleichzeitig auch am häufigsten in I-II-Abfolge kommt müssen vor, nämlich 36 Mal (darunter 24 Belege in I-II-Abfolge).

kontrastierende Analyse der beiden Altersgruppen JD und ED zeigt, dass die Häufigkeit der I-II-Abfolge in Hauptsätzen mit Modalverbkomplex intergenera-tionell stark variiert: Während sich in den Gesprächen der erwachsenen Osttiro-ler Proband/-innen 36 Belege (von insgesamt 51 Belegen) mit dialektaOsttiro-ler I-II-Abfolge finden, zeigt sich bei den Jugendlichen ein nahezu umgekehrtes Ver-hältnis von rund 64% standardkonformer zu rund 36% nicht-standardkonformer Serialisierung des Verbalkomplexes (vgl. Tabelle 35).

Tab. 35: Serialisierung in Hauptsatzkonstruktionen mit Modalverbkomplex (absolute und relative Häufigkeiten)

Korpus VK-Serialisierung II-I im HS:

VauxFIN - INF - VmodINF

VK-Serialisierung I-II im HS:

VauxFIN - VmodINF - INF

gesamt

ED 15/29,41% 36/70,59% 51/100%

JD 14/63,64% 8/36,36% 22/100%

GF 23/100% 0/0% 23/100%

Abb. 28: Serialisierung in Hauptsatzkonstruktionen mit Modalverbkomplex (relative Häufigkeiten)

GF ED JD

Serialisierung Verbalkomplex

im HS: Standardvarianten 100% 29,41% 63,64%

Serialisierung Verbalkomplex

im HS: Nonstandardvarianten 0% 70,59% 36,36%

0%

20%

40%

60%

80%

100%

120%

Häufigket in Prozent

Serialisierung im Modalverbkomplex - Hauptsätze

Abbildung 28 veranschaulicht die Frequenzunterschiede der Abfolgetypen II-I und I-II auf alle erfassten Belege mit Modalverbkomplex.384 Erwartungsgemäß sind in Teilkorpus GF, das aus standardnahen Gesprächen besteht, in Hauptsät-zen mit Modalverbkomplex keine Belege für die standardferne I-II-Abfolge zu finden. In Teilkorpus JD überwiegt deutlich die standardnahe Realisierung, während die erwachsenen Dialektsprecher/-innen deutlich häufiger als die jungen Osttiroler/-innen ihre Äußerungen in der dialektalen I-II-Abfolge reali-sieren.

Es stellt sich nun die Frage, ob sich dieser intergenerationelle Unterschied auch im Bereich der mehrgliedrigen Verbalkomplexe im Verbletztsatz bestätigt.

Dem soll im folgenden Unterkapitel nachgegangen werden.

Im Dokument 4.1 Selektion der Analysebereiche (Seite 134-142)