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Formale Beschreibung

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4.2.2 Relativ(satz)konstruktionen

4.2.2.1 Formale Beschreibung

genden finalen prosodischen Elemente vorzufinden sind, sondern der Intonati-onsbogen (durch Ansteigen des Tonhöhenverlaufs) über das Relativelement hinaus aufrechterhalten wird. Um die prosodische Integriertheit dieses relativen Anschlusses mit Verbzweitstellung zu betonen, spricht Gärtner deshalb von

„integrated verb second“ (Gärtner 2001: 98).

Worin sich Relativsätze mit Verbzweitstellung von jenen mit Verbletztstel-lung syntaktisch, semantisch und prosodisch unterscheiden, und welche Rela-tivelemente in den hier zu untersuchenden Teilkorpora JD, ED und GF vorkom-men, wird in nachfolgendem Kapitel 4.2.2.1. näher ausgeführt. Dies gilt wiederum als Grundlage für die darauffolgende Frequenzanalyse (vgl. Kapitel 4.2.2.2.), in der der Frage nach einer möglicherweise bestehenden Jugendspezi-fik nachgegangen wird.

4.2.2.1 Formale Beschreibung

In den Standardgrammatiken des Gegenwartsdeutschen werden in der Regel folgende Typen von Relativ(satz)konstruktionen unterschieden (vgl. Eisenberg 2006: 268):252 Die drei Hauptgruppen von Relativsätzen bilden restriktive, (nicht-restriktive) appositive sowie weiterführende Relativsätze. „Erstere schränken die Extension des Referenzgegenstandes ein, während Letztere ihn beschreiben, ohne ihn einzuschränken.“ (Birkner 2008: 25). Aus diesem Grund werden appositive Relativsätze auch als explikative – ihren Bezugsreferenten näher charakterisierende – Relativsätze bezeichnet, während restriktive Rela-tivsätze nicht der weiterführenden Beschreibung, sondern der Spezifizierung und Identifizierung der Bezugsgröße dienen. Dies wird anhand folgender Bei-spielsätze (nach Eisenberg 2006: 271) deutlich:

Beispiel 76: Wir schließen einen Vertrag, dem alle trauen.

Beispiel 77: Seine Eltern, die (übrigens) wohlhabende Leute sind, ließen ihn verkommen.

Der Relativsatz in Bsp. (76) schränkt die Extension des Bezugsnomens Vertrag auf eine bestimmte Teilmenge von Verträgen ein (nämlich die vertrauenswürdi-gen). Der Relativsatz in Bsp. (77) liefert dagegen – ähnlich einer Parenthese – eine zusätzliche Beschreibung zum Bezugsnomen, dessen semantische Extensi-on davExtensi-on aber unberührt bleibt. Das Relativelement wird dabei im Kasus vom Verb des Relativsatzes, im Genus und Numerus vom Bezugsnomen bestimmt.

|| 252 Einen umfassenden Überblick zur Behandlung von Relativsätzen in den Gegenwarts-grammatiken bieten Pittner (2007) und Birkner (2008: 1366).

Dieses syntaktische Verhältnis zwischen Bezugsgröße und Relativsatz veran-schaulicht Eisenberg in folgender Darstellung:

Abb. 17: Relativelement als „grammatisches Gelenk“ (Eisenberg 2006: 269)

Das Bezugselement des übergeordneten Satzes kann in restriktiven und apposi-tiven Relativsätzen neben dem Relativpronomen der/die/das etc. auch durch welch- aufgenommen werden.253 Auch mit wer und was eingeleitete Nebensätze können zu den Relativsätzen gezählt werden, sie gehen dem Bezugsnomen allerdings in der Regel voraus (z.B. „Wer zuerst kommt, (der) gewinnt.“ (Eisen-berg 2006: 274)). Die beiden Relativelemente wer und was werden in der Fachli-teratur mit weiterführenden und freien Relativsätzen in Verbindung gebracht.254 Weiterführende Relativsätze werden dadurch charakterisiert, dass sie nicht auf eine Nominal- bzw. Pronominalphrase als Bezugsgröße referieren, sondern sich auf den gesamten Satz, der ihnen vorausgeht, beziehen (z.B.: Sie moderierte eine Talkshow, was alle überraschte.). Darüber hinaus wird was – aus norm-grammatischer Perspektive – in folgenden Fällen verwendet (vgl. Duden „Rich-tiges und gutes Deutsch“ 2011: 784785):

– wenn es sich beim Bezugswort um ein substantiviertes Adjektiv (oder Parti-zip) handelt, das allgemeine, unbestimmte oder abstrakte Entitäten be-zeichnet (das Einzige, was…)

|| 253 Eisenberg (vgl. 2006: 272) weist auf die gegenüber der eingeschränkten Gebrauchskontex-te von welcher hin, die bewirken, dass letzteres deutlich seltener gebraucht wird. Dies trifft wohl insbesondere auf die gesprochene Sprache zu. So ist etwa im Duden „Richtiges und gutes Deutsch“ (2011: 782) vermerkt: „Das Relativpronomen welcher, welche, welches, Plural welche wird in der gesprochenen Sprache kaum gebraucht.“

254 Weiterführende und freie Relativsätze werden nicht in allen Grammatiken des Gegen-wartsdeutschen zu den Relativ(satz)konstruktionen gezählt. Eine genaue Aufschlüsselung diesbezüglich findet sich in Birkner (2008: 1531).

einen Vertrag, dem alle trauen {Sg} {MASK} {Mask, Sg, Dat} {NOM|DAT}

N N N N V

S NGr

– wenn es sich beim Bezugswort um einen substantivierten Superlativ han-delt (das Schönste, was…)

– wenn es sich beim Bezugswort um ein Indefinitpronomen oder ein Zahlwort handelt (Alles/Nichts/Manches/Vieles, was…)

Neben was können weiterführende Relativsätze auch durch wo durchgeführt werden, allerdings beschränkt auf lokale und temporale Verwendungszusam-menhänge (vgl. Eisenberg 2006: 277). Die Autor/-innen des Duden „Richtiges und gutes Deutsch“ (2011: 789) halten dementsprechend fest:

Auch der weiterführende Anschluss mit dem lokalen Relativadverb wo gilt als stan-dardsprachlich korrekt, wenn es sich um einen räumlichen (oder auch um einen zeitli-chen) Bezug handelt: Ich komme eben aus der Stadt, wo ich Zeuge eines Unfalls war.

Wie für weiterführende so gilt auch für freie Relativsätze, dass sie sich nicht auf ein spezifisches Bezugsnomen beziehen. Während erstere den gesamten Satz als Bezugselement aufweisen, sind letztere – eingeleitet durch Pronomen wie wer, wen, was, wem – gänzlich ohne Bezugsgröße realisiert, z.B. „Wem er ver-traut, hilft er auch.“ (Eisenberg 2006: 275).255 Weil freie Relativsätze aufgrund ihrer Formidentität mit Fragepronomina nur schwer von indirekten Fragesätzen abzugrenzen sind (z.B. Ich frage mich, wer morgen mitfährt.), nehmen sie in der Fachliteratur eine Sonderstellung ein.256

So beziehen sich etwa auch Zifonun et al. (1997) nur auf die drei Haupt-gruppen von Relativsätzen (restriktiv, appositiv, weiterführend), wenn sie deren Funktion als

Reorientierung auf einen zuvor verbalisierten Redegegenstand zum Zweck der operativen Einbettung einer Proposition, die an der Klarstellung des Gegenstands Anteil hat (restrik-tiver Relativsatz), über ihn Zusatzinformation bringt (apposi(restrik-tiver Relativsatz) oder die Vorgänger-position thematisch fortführt (weiterführender Relativsatz)

|| 255 Im Deutschen werden Relativsätze meistens adnominal realisiert, nach Lehmann (1984:

4445) bilden sie als Satelliten Modifikationen zu ihrem Nukleus, dem Bezugsnominal. Wird ein Relativsatz – wie es bei freien Relativsätzen der Fall ist – ohne Bezugsnominal realisiert, kommt Lehmanns Unterscheidung zwischen dem semantischen und dem syntaktischen Nuk-leus zum Tragen (vgl. Lehmann 1984: 45). Während jede Relativsatzkonstruktion einen seman-tischen Nukleus aufweist, ist der syntaktische Nukleus bei freien Relativsätzen nicht gegeben (vgl. dazu auch ausführlicher Birkner 2008: 2627).

256 Detailliertere Informationen zu dieser Abgrenzungsproblematik finden sich u.a. in Leh-mann (1984: 45), Eisenberg (2006: 274) und Birkner (2008: 17).

zusammenfassen. Neben der/die/das257 und welch- (auch in Kombination mit Präpositionen, z.B. in der, durch welche etc.) sind auch wer, was, wo (siehe oben) sowie Präpositional-adverbien wie worauf, worüber, womit etc. als Relativele-mente in Gebrauch und aus standardnormativer Perspektive grammatisch kor-rekt.

Damit sind in kurzen Zügen die Möglichkeiten der Relativsatzbildung in der Standardvarietät (bzw. den Standardvarietäten) skizziert. Neben diesen norm-grammatisch anerkannten Typen von Relativsätzen (mit Verbletztstellung) gibt es weitere Möglichkeiten des relativen Anschlusses. Häufig diskutiert wird etwa der Norm- und syntaktische Status von Relativ(satz)konstruktionen mit Verb-zweitstellung.258 Anhand des bekannten Beispiels aus Gärtner (2001, 103) soll dieser Typ des relativen Anschlusses veranschaulicht werden:

Beispiel 78:

(a) Das Blatt hat eine Seite (/), die ganz schwarz ist.

(b) Das Blatt hat eine Seite (/), die ist ganz schwarz.

(c) Das Blatt hat eine Seite (\). Die ist ganz schwarz.

Beispiel (78a) zeigt einen normgrammatisch erwartbaren Relativsatz, wie er uns in geschriebener Sprache normalerweise begegnet – mit einem Relativprono-men, das in Numerus und Genus mit dem Bezugsnomen übereinstimmt und seinen Kasus vom Verb, das in finiter Position steht, bezieht. (78c) zeigt eine Sequenz mit zwei voneinander syntaktisch unabhängigen Hauptsätzen, was durch die fallende Intonation (\) angedeutet wird. Der Status von Beispielen wie jenem in (78b) wird dagegen in der Forschung immer wieder diskutiert: Maurer (1926: 176) und Baumgärtner (1959: 96) bezeichnen sie etwa trotz der Verbzweit-stellung als Relativsätze; Sandig (1973: 4142) hält fest, dass man Konstruktionen wie diese nicht als Relativsätze fassen könne, wenn auch festzuhalten sei, dass der zweite Satz in einer Betonungskurve mit dem ersten artikuliert werde und

„die Bedeutung des zweiten Satzes, der jeweils ein Syntagma des ersten ein-schränkt,“ (Sandig 1973: 42) für eine Nähe zum restriktiven Relativsatz mit Ver-bletztstellung spreche. Auch Gärtner (2001: 99) spricht diese semantische In-tegriertheit an und argumentiert dafür, Relativ(satz)konstruktionen mit Verbzweitstellung (RV2) nicht aus syntaktischer, wohl aber aus semantischer Perspektive als Relativsätze zu bezeichnen. Auch Ravetto (2007: 243) greift die

|| 257 Als eigener Subtyp des Relativsatzes mit der/die/das wird in einigen Arbeiten (vgl. z.B.

Birkner 2008: Kap. 8.2 und 8.3.; Webelhuth 2011: 159) der Cleft-Relativsatz ausgewiesen (z.B.

„Es ist Petra, die den Vorschlag machte.“ (Webelhuth 2011: 159)).

258 Einen Forschungsüberblick dazu bietet Birkner (2008: 197199).

semantischen Gemeinsamkeiten zwischen Relativ(satz)konstruktionen mit Verbletzt- und jenen mit Verbzweitstellung auf. Sie hält fest, dass beide sich in Bezug auf ihr Antezedens sowohl restriktiv als auch appositiv verhalten kön-nen, wobei auch in gesprochener Sprache bei restriktiver Verwendung eher Verbletztstellung anzutreffen sei. Prinzipiell sei beiden Realisierungstypen (der/die/das mit Verbletzt- oder Verbzweitstellung) gemeinsam, dass das d-Pronomen anaphorisch an eine Konstituente des vorangehenden Satzes an-knüpfe und den Kasus durch das Verb bzw. eine Präposition des von ihm einge-leiteten Satzes erhalte (vgl. Ravetto 2007: 241). Ravetto weist aber auch auf ei-nen weiteren Unterschied (neben der Verbstellung) zwischen den beiden Realisierungstypen hin. Zentral ist ihr zufolge, dass RV2 „auf die Position nach der rechten Satzklammer festgelegt sind“ (244), also nicht im Vor- oder Mittel-feld auftreten können. Diese topologische Restriktion259 kann gut anhand des oben angeführten Beispiels veranschaulicht werden:

Beispiel 79:

(a) Eine Seite, die ganz schwarz ist, hat das Blatt.

(b) *Eine Seite, die ist ganz schwarz, hat das Blatt.

Wie bei den weil-Konstruktionen mit Verbzweitstellung, so ist auch bei den Relativkonstruktionen mit Verbzweitstellung die prosodische Realisierung ein zentrales Kriterium in der Statusbestimmung der betreffenden Beispiele. In Bezug auf die Relativsätze ist hier mit Antomo/Steinbach (2010: 10) festzuhal-ten, dass sie „prosodisch integriert sein müssen“. Während weil-Konstruktionen mit Verbzweitstellung syntaktisch und prosodisch desintegriert sein können, sind Relativsätze mit Verbzweitstellung „wie die entsprechenden VL-Sätze in-tonatorisch in ihren Matrixsatz integriert. Sie bilden mit diesem zusammen eine Fokus-Hintergrund-Gliederung […] und werden ohne prosodische Pause ange-schlossen.“ (Antomo/Steinbach 2010: 9).260 Kennzeichnend ist für die abhängi-gen RV2 darüber hinaus, dass sie zusammen mit ihrem Bezugssatz eine

infor-|| 259 Aufgrund dieses topologischen Unterschieds und der unterschiedlichen Stellung des finiten Verbs zieht Ravetto (2007) es vor, die betreffenden Belege nicht als Relativsätze (mit Verbzweitstellung), sondern als d-V2-Sätze zu bezeichnen.

260 In Bezug auf die entsprechenden Relativsätze mit Verbletztstellung ist jedoch festzuhal-ten, dass dieses Merkmal der gleichbleibenden Intonation nicht auf appositive Relativsätze zutrifft. So schreiben etwa Zifonun et al. (1997: 63): „Restriktive RS [Anm. ML: Relativsätze]

werden in der Regel mit progredienter Intonation und ohne merkliche Pause an das Nukleus-nomen angeschlossen, dagegen ist vor und ggf. nach appositiven RS ein deutlicher Intonati-onsbruch, meist in Form einer kurzen Pause […] zu erkennen. Appositive RS konstituieren im Gegensatz zu restriktiven eine eigene Akzentdomäne.“

mationsstrukturelle Einheit bilden. Im Gegensatz zu Relativsätzen mit Verbletzt- können Relativsätze mit Verbzweitstellung daher auch nur auf Bezugssätze mit indefiniten Nominalphrasen folgen (vgl. Antomo/Steinbach 2010: 6). Anto-mo/Steinbach nennen in Bezug auf diese informationsstrukturelle Beschrän-kung folgendes Beispiel:

Beispiel 80:

#Lisa schaut sich die/alle Sendungen an, in denen macht Dieter Bohlen mit. (Anto-mo/Steinbach 2010: 6)

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass den semantisch-pragmatischen und intonatorischen Gemeinsamkeiten zwischen abhängigen Relativanschlüssen mit Verbletzt- und jenen mit Verbzweitstellung syntaktisch-topologische und informationsstrukturelle Unterschiede gegenüberstehen, weshalb RV2 auch als „hybrid between hypotaxes and parataxis“ (Gärtner 2001:

139) bezeichnet werden. Birkner (2006: 233) bringt die Frage, ob es sich bei ihnen „um subordinative, hypotaktische Relativsätze oder um koordinative, parataktische Hauptsätze“ handelt, wie folgt auf den Punkt:

Ersterem widerspricht die Verbstellung und Zweiterem der enge semantisch-pragmatische Bezug, der zwischen den beiden Syntagmen besteht. Letztlich entscheidet auch die termi-nologische Tradition oder Grammatikkonzeption darüber, ob man die beschriebenen Phänomene als abhängige Hauptsätze fasst. (Birkner 2006: 233)

Für die hier durchzuführende Frequenzanalyse ist letztlich weniger die Be-schreibungskategorie (Integrated Verb second, d-V2-Sätze, Relativsatz mit V2) als vielmehr die Tatsache, dass Relativ(satz)konstruktionen mit der/die/das sowohl in Verbletzt- als auch in (prosodisch integrierter) Verbzweitstellung realisiert sein können, zentral. Gemeinsam mit den anderen Möglichkeiten der Relativkonstruktionen wird daher auch diese Realisierungsvariante in der Fre-quenzanalyse zu berücksichtigen sein. Die prosodisch integrierten Rela-tiv(satz)konstruktionen mit Verbzweitstellung sind dabei abzugrenzen von prosodisch eigenständigen Hauptsätzen, in denen das Antezedens in einer kore-ferenten Proform fortgeführt wird. Dies ist etwa in folgendem Beispiel der Fall:

Beispiel 81: ED 3, Z. 3011ff.: „Schmuck“

3011 Mar: → weil do sein jo so FRAUen unterwegs, 3012 (--) de äh (-) mochen so SCHMUCK,

3013 (-) damit se (-) für sich wos (.) a GELD hom;

'Weil da sind ja so Frauen unterwegs. Die machen so Schmuck. Damit sie für sich was ein Geld haben.'

Z. 3011 und Z. 3012 verfügen jeweils über einen eigenen Fokusakzent. Der Into-nations-bogen in beiden Intonationsphrasen ist leicht steigend, wobei die Pause nach Abschluss von Z. 3011 zusätzlich grenzanzeigend wirkt. Belege wie jener in Beispiel (81) werden daher nicht als RV2 gewertet.

Unter den Relativanschlüssen gibt es – wie eingangs bereits angesprochen wurde – in den deutschen Dialekten noch weitere Realisierungsvarianten. Für das Bairische261 hält Fleischer (2005) folgende Relativsatztypen fest:262

– durch der, die, das eingeleitete Relativsätze: der Mann, der dort drüben steht – durch der, die, das + was eingeleitete Relativsätze: der Mann, der was dort

drüben steht

– durch was eingeleitete restriktive Relativsätze: der Mann, was dort drüben steht

– durch dass eingeleitete R.: der Mann, dass dort drüben steht

Neben der auch in der Standardvarietät weit verbreiteten Variante mit der/die/das sind demnach in den hier im Fokus stehenden Osttiroler Teilkorpo-ra JD und ED auch mit einem zweiten Element kombinierte Relativelemente (der/die/das + was) sowie unflektierte Relativelemente (was, dass) zu erwarten, wenngleich Fleischer in Bezug auf dass als Relativelement festhält, dass er „aus dem binnendeutschen Gebiet keine Quelle finden“ konnte, sondern lediglich im Pennsylvania-Deutschen vereinzelte Belege vorweisen kann. Mayertha-ler/Mayerthaler (1990: 392) verorten den relativen Anschluss mit dass in Ba-silekten in Oberbayern, Salzburg und Oberkärnten.263 Es kann an dieser Stelle vorgegriffen werden: In der Osttiroler Freizeitkommunikation finden sich keine Belege für Relativanschlüsse, die durch dass eingeleitet werden. Die Ausfüh-rungen von Mayerthaler/Mayerthaler zu „Aspects of Bavarian Syntax“ (1990) sollen an dieser Stelle jedoch weiterverfolgt werden: Die Autoren sehen neben

|| 261 Fleischer (2005) führt eine kontrastive Studie zur Sprachvariation bei Relativsätzen in 14 verschiedenen Varietäten des Deutschen durch. Neben vier oberdeutschen berücksichtigt er auch vier niederdeutsche und drei mitteldeutsche Varietäten sowie zwei Außensprachinseln und das Jiddische.

262 Jede dieser Nonstandard-Varianten wird mit Verbletztstellung realisiert. Der Gebrauch des Relativelements wird jeweils anhand eines konstruierten Beispiels (der Mann, ___ dort drüben steht) veranschaulicht.

263 Als Beispiel nennen Mayerthaler/Mayerthaler (1990: 392) folgende Äußerung: „Fir de Zeit, daß’d me gliabt host, bedank i me schean.“.

dem zweiteiligen Relativelement der/die/das + was eine weitere Variante, näm-lich der/die/das + wo, als typisch für die gegenwärtigen bairischen Dialekte an:

„In contemporary Bavarian the relative pronoun normally has two elements […].

It consists of a relative pronoun that agrees with the coreferential non-phrase as in normative German and, additionally, a relative clause marker, which in the west is wo, and in the east was.“ (Mayerthaler/Mayerthaler 1990: 392). Demnach müsste in Osttirol als eher westlich gelegenem Teil des bairischen Dialektraums tendenziell häufiger die Realisierungsvariante der wo (der Mann, der wo dort drüben steht) als jene mit der was (der Mann, der was dort drüben steht) anzu-treffen sein.264 Auch hier ist jedoch festzuhalten: In der Osttiroler Freizeitkom-munikation findet sich kein Beleg für eine Relativkonstruktion, die mit der/die/das + wo eingeleitet wird. Dafür aber können Beispiele für ein Rela-tivelement gefunden werden, das von Fleischer (2005) als typisch für westmit-teldeutsche Dialekte (v.a. Mosel- und Ostfränkisch) eingestuft wird, nämlich den durch wo eingeleiteten Relativsatz (der Mann, wo dort drüben steht). Der Gebrauch von wo als Relativelement geht dabei über die für die Standardspra-che anerkannten lokalen und temporalen Gebrauchskontexte hinaus (siehe weiter oben) und wird auch in semantisch restriktiver Funktion verwendet.

Dass sich hier einige Differenzen zwischen den in der dialektologischen Fachliteratur beschriebenen, vermeintlich für bairische Dialekte typischen Rela-tivelementen und den in realem Sprachmaterial tatsächlich vorfindlichen Bele-gen ergeben, liegt wohl an den zugrundelieBele-genden Quellen der eben angespro-chenen Arbeiten. Fleischers Ausführungen etwa basieren nicht auf authentischem Sprachmaterial, sondern auf Beispielen aus Dialektgrammati-ken. Er begründet dies (mit Verweis auf Patocka 2000b) mit dem zu seltenen Vorkommen von Relativ(satz)konstruktionen in mündlicher Kommunikation, die eine lückenlose Typologie dialektaler Relativelemente unmöglich mache.

Die nachfolgende Frequenzanalyse und Beschreibung der Gebrauchskontexte der in den Osttiroler Freundesgesprächen vorkommenden Relativsatzkonstruk-tionen ist daher nicht nur in Bezug auf möglicherweise altersgebundene Ten-denzen einzelner Relativsatztypen, sondern auch als Überprüfung von dialekto-logisch festgelegten Realisierungsvarianten hinsichtlich ihres tatsächlichen Gebrauchs unter (Süd-)Bairischsprecher/-innen von Belang.

|| 264 Das Vorkommen dieser zweiteiligen Relativelemente (ebenso wie des Relativsatzes mit dass) führen Mayerthaler/Mayerthaler auf den Einfluss romanischer Sprachen auf das Bairi-sche zurück, da hier ebenfalls zweiteilige Relativelemente vorkommen. Diese Annahme ist jedoch umstritten; zu einer kritischen Auseinandersetzung vgl. Knoerrich (2002: 156157).

4.2.2.2 Frequenzanalyse

Den oben skizzierten Möglichkeiten der Relativsatzbildung in der Standardvari-etät und in bairischen Dialekten entsprechend kann eine Auflistung der folgen-den, in den Teilkorpora JD, ED und GF belegten Realisierungsvarianten, zu-sammengefasst werden:

der/die/das + Verbspäter- bzw. Verbletztstellung:

Beispiel 82: i hoff dass du irgndwonn_amol a MÄdl kriegsch des di SO behondelt wie du behondelt GHEASCH. [JD 13, Z. 355]

'Ich hoffe, dass du irgendwann einmal ein Mädchen bekommst, das dich so behandelt, wie du behandelt gehörst.'

der/die/das + Verbfrüher- bzw. Verbzweitstellung:

Beispiel 83: i hob amol oan gsegen der hot sich auf_n gonzen körper so dings (---) leoPARden (.) tattoos mochen glossen; [JD 8, Z. 1242]

'Ich hab einmal einen gesehen, der hat sich auf dem ganzen Körper so dings Leopardentattoos machen lassen.'

der/die/das + was + Verbspäter- bzw. Verbletztstellung:

Beispiel 84: und des is de frau de wos do GONgen is; [JD 3, Z. 145] 'Und das ist die Frau, die was da gegangen ist.'

was + Verbspäter- bzw. Verbletztstellung (dialektal265):

Beispiel 85: da [name] is (---) vielleicht von DE (.) vier monat wos ma KURS ghob hom (.) anaholb monat !HEGSCH!tens kemmen. [JD 13, Z. 1046]

'Der [Name] ist vielleicht von den vier Monaten, was [in denen] wir den Kurs gehabt haben, eineinhalb Monate höchstens gekommen.'

was + Verbletztstellung (standardkonform):

Beispiel 86: de hom olls lei Ihenghaut wos se GFUNden <<lachend> hom>- [JD 8, Z. 951f.]

'Die haben alles nur hineingeworfen, was sie gefunden haben.'

|| 265 Als dialektale Realisierung von Relativsatzkonstruktionen mit was + Verbletztstellung werden jene Äußerungen in den untersuchten Gesprächen eingestuft, die den gegenwärtigen Standardgrammatiken entsprechend (vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.2.1.) nicht als stan-dardkonform eingestuft werden. Mit der Ausweisung als dialektal soll nicht angedeutet wer-den, dass es sich dabei um ein Dialektmerkmal oder gar um eine auf das Bairische beschränkte Realisierungsvariante handelt.

wer + Verbletztstellung:

Beispiel 87: wer bis hetzan no nit ZÄHNTputzen konn den_sein die zähnt EH schon obgfault;

[JD 2, Z. 1f.]

'Wer bis jetzt noch nicht Zähneputzen kann, dem sind die Zähne eh schon abgefault.'

wo + Verbletztstellung (dialektal266):

Beispiel 88: [der hot] wohrscheinlich so a klopapierrolle wo er die hundertEUroscheine ober-reißt. [JD 17, Z. 1219f.]

'Der hat wahrscheinlich so eine Klopapierrolle, wo [von der] er die Hundert-Euro-Scheine herunterreißt.'

wo + Präposition + Verbletztstellung:

Beispiel 89: ein bestimmtes reizelement worauf die leute fliegen. [GF 054 A, Z. 1280]

Wie bereits in Bezug auf weil-Konstruktionen beschrieben wurde (vgl. Kapitel 4.2.1.1.), so sind auch unter den Relativ(satz)konstruktionen nicht alle Belege einem der beiden Pole Verbletztstellung bzw. Verbzweitstellung267 zuzuordnen.

Neben Äußerungen mit Verbspäterstellung finden sich unter den Relativsatz-konstruktionen auch Belege mit ambiger Verbstellung. Dafür sollen nachfol-gend zwei Beispiele ((90) und (91)) angeführt werden. Als ambig gelten dabei Konstruktionen, deren Verbstellung nicht eindeutig festgelegt werden kann, z.B.:

– in Anakoluthen, weil das Verb nicht realisiert ist:

Beispiel 90: JD 2, Z. 268f.: „Männchen“

268 Lis: die MANgalen wos-

|| 266 Mit der Einordnung als dialektale Realisierungsvariante ist auch in Bezug auf die Relativ-satzkonstruktionen mit wo vorerst lediglich auf ihre Einschätzung als Nonstandard-Varianten in den Gegenwartsgrammatiken (vgl. Kapitel 4.2.2.1.) verwiesen (vgl. die vorhergehende Fuß-note).

267 Da in den Teilkorpora JD, ED und GF keine Relativsatzkonstruktionen mit Verbfrüher- und relativ wenige Verbspäterstellung belegt sind, wird – um die Übersichtlichkeit zu gewährleis-ten – in den nachfolgenden Tabellen und Grafiken auf eine gesonderte Auflistung von Verb-späterstellung verzichtet. Es soll aber zumindest angemerkt werden, dass in Teilkorpus JD je eine Relativsatzkonstruktion mit der was + Verbspäterstellung und was + Verbspäterstellung und in Teilkorpus ED je eine Relativsatzkonstruktion mit der was, was und wo mit Verbspäter-stellung belegt ist. In Teilkorpus GF finden sich insgesamt 27 Belege mit VerbspäterVerbspäter-stellung, bei allen Beispielen handelt es sich um Relativsätze mit der/die/das als Relativelement.

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