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Zur Gesetzes- / Rechtsbindung der Verwaltung

3. Rechtsstaatliche Rahmenbedingungen der Verwaltungstätigkeit

3.1 Das Rechtsstaatsprinzip; Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG

3.1.1 Zur Gesetzes- / Rechtsbindung der Verwaltung

Besonders in den Blick genommen werden soll in den folgenden Überlegungen nachvollziehbarerweise die Gesetzmäßigkeit von Verwaltung, genauer: von Verwaltungstätigkeit. Formuliert wird in Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG dazu, dass die Verwaltung " … an Gesetz und Recht gebunden … " ist. Was das im Ein-zelnen bedeutet, wird nicht auf den ersten Blick klar.

Zweifelhaft erscheint bereits, was mit "Gesetz und Recht" gemeint sein könnte.

Das ist im Detail äußerst streitig; Einigkeit besteht nur insofern, als "Gesetz"

und "Recht" nicht das Verfassungsrecht erfassen soll. Über alles Weitere lässt sich diskutieren: So erhält der Regelungsgehalt des Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG, je nach dem, ob man "Gesetz" mit "formellem Gesetz" oder aber mit "materiel-lem Gesetz" gleichsetzt, eine eher demokratietheoretische (Ausrichtung der Verwaltungstätigkeit am im formellen Gesetz sich niederschlagenden Willen des Volkes) oder eine eher rechtsstaatstheoretische (Ausrichtung der Verwal-tungstätigkeit an der im materiellen Gesetz liegenden allgemeinen Regel und damit Sicherstellung formaler Gerechtigkeit) Dimension. Insofern wird ganz überwiegend dafür gehalten, dass Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG die Verwaltung sowohl ans formelle wie auch ans materielle Gesetz binden will. Nicht von vornherein klar ist des Weiteren, weswegen der Verfassungsgeber neben dem

"Gesetz" auch das "Recht" anführt. Einerseits könnte er mit "Gesetz" lediglich

"formelle Gesetze" oder das gesamte "gesetzte Recht", also auch materielle Gesetze, oder aber das gesamte "positive Recht" im Auge gehabt haben, wozu auch das Gewohnheitsrecht zählt. Je nach dem, wofür man hier hält, werden

35 Dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland ein materieller Rechtsstaat ist, sind an-dere Vorschriften verantwortlich, insbesonan-dere Art. 1 - 19 GG, Art 101 - 104 GG.

Verfassungsstaat, Rechtsstaat

Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Gesetz und Recht

durch den Begriff "Recht" dann entweder die materiellen Gesetze, das Gewohnheitsrecht oder nur noch überpositives Recht erfasst. All diese Auffas-sungsdifferenzen können hier nicht näher nachvollzogen oder gar geklärt wer-den; festgehalten soll daher nur, dass die Verwaltung unstreitig an alle formel-len und materielformel-len Gesetzes sowie ans Gewohnheitsrecht gebunden ist.

Von entscheidender Bedeutung ist schließlich, was der Verfassungsgeber mit

"Gebundenheit" der Verwaltung gemeint hat:

3.1.1.1.Vorrang des Gesetzes

Nach ganz einhelliger Auffassung statuiert Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG damit jedenfalls den gemeinhin sog. "Vorrang des Gesetzes". Gemeint ist damit nichts anderes, als dass die Behörden bei ihrer Verwaltungstätigkeit die Vorgaben der geltenden, einschlägigen Gesetze zu beachten haben. Der Begriff erklärt sich also damit, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen einem Gesetz und einer Verwaltungsmaßnahme ersteres den Vorrang vor der Letzteren hat. Mit anderen Worten ausgedrückt: Das Vorgehen der Behörde muss sowohl tatbestandlich als auch der Rechtsfolge nach den geltenden Gesetzen entsprechen. Was den Tat-bestand anbetrifft, so darf dieser weder zu extensiv noch zu restriktiv gedeutet werden (vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 5.6.3.1). Ja und es dürfen auch nicht weniger36, nicht mehr Rechtsfolgen und es dürfen schon gar nicht andere Rechtsfolgen gesetzt werden (vgl. dazu im Einzelnen noch 5.6.3.2).

Der bereits mehrfach beispielhaft angeführte § 35 GewO lautet:

§ 35 GewO

(1) 1Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässig-keit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersa-gung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erfor-derlich ist. …

Bei der GewO handelt es sich um ein formelles wie auch materielles Gesetz, dem nach Art. 20 Abs. 3, 2. GG Vorrang zukommt. Das zuständige Gewerbe-amt hat hiernach einerseits den Tatbestand zu beachten. Das bedeutet, dass von der Anwendung der Vorschrift weder eine bestimmte Gruppe von Gewerbetrei-benden ausgenommen37 noch der Anwendungsbereich auf FreiberuflerInnen, ArbeitnehmerInnen ausgedehnt38 werden darf etc. Gleichermaßen Beachtung

36 Das gilt jedenfalls für sog. "zwingende Vorschriften"; vgl. dazu und zu Ermessens-vorschriften im Einzelnen noch Punkt 3.2.3.3.

37 Dieses Tatbestandsverständnis wäre zu restriktiv.

38 Dieses Tatbestandsverständnis wäre zu extensiv.

Gebundenheit

Vorrang des Geset-zes

Beispiel 10

finden muss die gesetzliche Rechtsfolge; d. h. die zuständige Behörde darf im Falle des Vorliegens des Tatbestands weder nur eine "Ermahnung" ausspre-chen39 noch darf sie unzuverlässigen Gewerbetreibenden die "Ausübung jegli-cher selbstständigen" oder gar "jeder beruflichen Tätigkeit" untersagen40 und sie darf unzuverlässige Gewerbetreibende erst recht nicht in Gewahrsam nehmen41 usw.

3.1.1.2. Vorbehalt des Gesetzes

Desgleichen verankert in Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG ist nach h. M.42 der sog.

"Vorbehalt des Gesetzes". Was damit gemeint ist, erhellt im Grunde bereits aus dem Begriff: Die Entscheidung darüber, ob und falls ja, welche Verwaltungstä-tigkeit stattzufinden hat, ist dem Gesetzgeber "vorbehalten". Soweit der Vorbe-halt des Gesetzes reicht, dürfen die Behörden also nur insoweit tätig werden, wie sie nach dem geltenden, einschlägigen Recht dazu ermächtigt sind.

Stellen Sie sich vor, § 35 GewO wird gestrichen:

§ 35 GewO

(1) 1Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässig-keit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersa-gung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erfor-derlich ist. …

Die Behörden dürften dann gegen unzuverlässige Gewerbetreibende nicht mit-tels Erlass einer Untersagungsverfügung vorgehen.

Ein besonderes Problem, das im Zusammenhang mit dem Vorbehalt des Geset-zes auftritt, ist die Frage nach seiner Reichweite. Denkbar wäre einerseits, den Vorbehalt des Gesetzes als ein für den Rechtsstaat typisches Prinzip zu erachten und daher seine absolute Geltung zu befürworten (so die Lehre vom "Totalvor-behalt des Gesetzes"). Würde die Verwaltungstätigkeit einem Totalvor"Totalvor-behalt unterliegen, bedeutete das freilich, dass die Behörden gleichsam "zu jedem Handgriff" gesetzlich ermächtigt werden müssten. Deswegen, d. h. mit dem Argument, die Behörden würden dadurch in ihrer Verwaltungstätigkeit nicht nur behindert, sondern nachgerade "gelähmt", lehnt man einen Totalvorbehalt

39 Das wäre ein Zuwenig an Rechtsfolgen.

40 Das wäre ein Zuviel an Rechtsfolgen.

41 Das wären andere Rechtsfolgen

42 Nach a. A. folgt der Vorbehalt des Gesetzes nicht aus Art. 20 Abs. 3, 2. Alt. GG, sondern aus einer "Gesamtschau der Vorschriften des Grundgesetzes". Da auch hier-nach die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes jedenfalls nicht in Zweifel gezogen wird, können diese Auffassungsdifferenzen beiseite bleiben.

Vorbehalt des Ge-setzes

Beispiel 11

Reichweite, Wesent-lichkeitstheorie

des Gesetzes hierzulande ganz überwiegend ab.43 Vorstellbar erscheint anderer-seits auch, den Vorbehalt des Gesetzes gleichsam als Schutzprinzip anzusehen;

hiernach wäre seine Reichweite auf die Eingriffsverwaltung begrenzt. Nach h.

M., insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, gilt Folgendes: Die Eingriffsverwaltung steht uneingeschränkt unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Für die Leistungsverwaltung und sonstige Verwaltung44 hingegen ist zu differenzieren. Bzgl. wesentlicher Regelungsgegenstände gilt ein Vorbe-halt des Gesetzes, im Übrigen nicht (sog. "Wesentlichkeitstheorie"). So plausi-bel dies auf den ersten Blick scheinen will; bei näherem Hinsehen fällt auf, dass der Begriff "wesentlich" sich ohne Rückgriff auf weitere Kriterien schwerlich derart weit präzisieren lässt, wie es für eine dogmatische Arbeit vonnöten wäre.

Das Bundesverfassungsgericht hält sich, offenbar bewusster- und gewollterma-ßen, zurück und liefert keine genauere Definition, jedenfalls keine, die hinrei-chend allgemein und damit über den gerade behandelten Fall hinaus brauchbar wäre. Die Rede ist vielfach nur von Regelungsgegenständen, die "grundrechts-relevant oder sonstwie wesentlich" sind o. ä. Verkomplizierend hinzukommt, dass das Bundesverfassungsgericht nach der Wesentlichkeitstheorie keine Ent-weder-Oder-Kategorisierung vornimmt. Feststeht vielmehr nur, dass hinsicht-lich "unwesenthinsicht-licher Regelungsgegenstände" kein Vorbehalt des Gesetzes gilt.

Daneben treten nun aber nicht etwa einfach "wesentliche Regelungsgegenstän-de", die unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen; sondern es gilt:

Je wesentlicher die Verwaltungstätigkeit ist, desto höhere Anforderungen gelten an das notwendige Gesetz, bzgl. Parlamentsbeteiligung, bzgl. Regelungsdichte und bzgl. Bestimmtheit usw. Danach stehen ganz besonders wesentliche Rege-lungsgegenstände derart unter dem Vorbehalt des Gesetzes, dass es eines for-mellen wie auch materiellen Gesetzes mit hoher Regelungsdichte und Be-stimmtheit bedarf. Für weniger wesentliche Regelungsgegenstände genügt dann ggf., dass in einem formellen Gesetz eine weniger ins Detail gehende Regelung getroffen wird, dass die Regelung der Einzelheiten auf einen Verordnungsgeber delegiert wird und damit in einem nur materiellen Gesetz erfolgt, oder dass lediglich eine parlamentarische Entscheidung (Bereitstellung von Subventions-mitteln im Haushaltsplan) getroffen wird, ohne dass überhaupt ein materielles Gesetz ergeht usw. Die Wesentlichkeitstheorie anzuwenden heißt also nicht, lediglich festzustellen, ob ein Regelungsgegenstand unwesentlich oder wesent-lich ist, um im Falle einer Wesentwesent-lichkeit den Schluss zu ziehen, es bedürfe eines Gesetzes; vielmehr muss darüber hinaus noch festgestellt werden, wie wesentlich ein Regelungsgegenstand ist, um mit Blick hierauf abzuschätzen, welchen Maßes an gesetzlicher Regelung es bedarf. Mangels griffiger Definiti-onen bzw. Kriterien ist das keine leichte Aufgabe. Die Wesentlichkeit eines

43 Im Unterschied dazu gilt der Totalvorbehalt des Gesetzes z. B. in Österreich.

44 Nicht immer stellt sich Verwaltungstätigkeit für den Rechtsunterworfenen entweder als Eingriff oder als Leistung dar; ebenso gut kann Verwaltungstätigkeit aus der Per-spektive des Rechtsunterworfenen weder Eingriff noch Leistung, sondern gleichsam

"neutrales Verhalten" sein.

Regelungsgegenstandes und die Intensität der notwendigen gesetzlichen Rege-lung steigen mithin direkt proportional, aber "stufenlos" an.

Die Bereitstellung von Subventionen für das Handwerk wird im Haushaltsplan der Höhe nach vorgesehen und festgestellt.

Je nachdem, wie grundrechtsrelevant diese Regelung ist, genügt bereits diese

"parlamentarische Entscheidung" der Bereitstellung im Haushaltsplan (es bedarf also keines Subventionsgesetzes in sowohl formeller und materieller Hinsicht).