• Keine Ergebnisse gefunden

Öffentliches Recht und Zivilrecht

2. Verwaltungsrecht und Verwaltung

2.1 Begriff und Bedeutung des Verwaltungsrechts

2.1.2 Öffentliches Recht und Zivilrecht

Die Unterscheidung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht erklärt nun allerdings noch nicht, wie das Verwaltungsrecht von den anderen beiden großen Gebieten "Strafrecht" und "Zivilrecht" abgegrenzt werden kann; denn auch Straf- und Zivilrecht gehören ja nicht dem Verfassungsrecht an, sind vielmehr, wie das Verwaltungsrecht auch, nur ausgeübte Staatsgewalt in legislativer Aus-prägung, kurz: einfaches Recht (vgl. dazu im Einzelnen bereits 2.1.1).

Maßgeblich für eine Abgrenzung ist die gemeinhin bekannte und gebrauchte Definition für das Öffentliche Recht, derzufolge dieses die Rechtsbeziehung zwischen dem Staat als solchem einerseits und den Rechtsunterworfenen ande-Normenbeispiel

rerseits regelt, es mithin den Staat als solchen berechtigt oder verpflichtet (h. M., sog. "modifizierte Subjektstheorie" bzw. "Sonderrechtstheorie"). Die Betonung legt dabei auf "den Staat als solchen"; allein die Tatsache, dass eine Vorschrift (auch) die Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und Rechtsunter-worfenen regelt, macht sie folglich noch nicht zur verwaltungsrechtlichen. Zur Verdeutlichung denke man einmal daran, dass eine Gebietskörperschaft, etwa ein Bundesland oder ein Landkreis, einem Rechtsunterworfenen eine bewegli-che Sabewegli-che verkauft, z. B. einen ausgedienten Polizeiwagen. Das hat zur Folge, dass das betreffende Bundesland bzw. der betreffende Landkreis nunmehr nach

§ 433 Abs. 1 BGB verpflichtet wird, dem betreffenden Rechtsunterworfenen die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Hingegen ist der betreffende Rechtsunterworfene seinerseits nach § 433 Abs. 2 BGB ver-pflichtet, den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzu-nehmen. Für den angeführten Fall regelt § 433 BGB also ganz zweifelsohne die Rechtsbeziehung zwischen Staat und Rechtsunterworfenen; gleichwohl handelt es sich bei § 433 BGB deswegen nicht um eine öffentlich-rechtliche, um eine verwaltungsrechtliche Vorschrift. Kennzeichnend für eine öffentlich-rechtliche, für eine verwaltungsrechtliche Vorschrift ist vielmehr, dass sie "den Staat als solchen" berechtigt oder verpflichtet, dass ihm also insbesondere im Vergleich zu Rechtsunterworfenen Sonderrechte eingeräumt bzw. Sonderpflichten aufer-legt werden, d. h. Rechte bzw. Pflichten, die exklusiv ihm zustehen bzw. exklu-siv ihn treffen. Das trifft z. B. auf den bereits erwähnten § 35 GewO zu; der Erlass einer gewerberechtlichen Untersagungsverfügung wird hier exklusiv dem Gewerbeamt und damit dem Staat gestattet.

Mithilfe der modifizierten Subjektstheorie lassen sich Straf- und Zivilrecht zu-treffend ins bundesdeutsche Rechtssystem einordnen: Das Strafrecht gehört bei Lichte betrachtet dem öffentlichen Recht an; es ist freilich kein Teil des Verwal-tungsrechts, sondern ein eigener, gleichsam gleichberechtigt neben dem Ver-waltungsrecht stehender Teil des öffentlichen Rechts. Dagegen hebt sich das Zivilrecht vom öffentlichen Recht ab, bildet also einen zweiten großen Komplex des einfachen Rechts. Somit lässt sich das System des bundesdeutschen Rechts nach unterschiedlichen Gesichtspunkten wie folgt einteilen: Einerseits bilden Verfassungs-, das Verwaltungs- und das Strafrecht gemeinsam das Öffentliche Recht; hinzuzufügen gilt es genauigkeitshalber, dass es sich beim Verwaltungs- und Strafrecht um "einfaches öffentliches Recht" handelt. Diese Gemeinsam-keit, nämlich dass sie einfaches Recht sind, teilen sich andererseits wiederum das Verwaltungs-, das Straf- und das Zivilrecht.

Nach der Subordinationstheorie kommt es für die Einordnung einer Vorschrift als öffentlich-rechtliche oder als zivilrechtliche demgegenüber darauf an, ob sie zwischen dem Staat und den Rechtsunterworfenen ein "Subordinationsverhält-nis" begründet; ist dem so, soll es sich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift handeln, sonstigenfalls um eine zivilrechtliche. Bedenken erhoben werden ge-gen die Subordinationstheorie gemeinhin vor allem unter Hinweis auf die

Fol-Verwaltungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht

Subordinationstheo-rie; Interessentheorie

gen, die ihre Beachtung hätte. Namentlich müssten dann auch diverse Vor-schriften des BGB als öffentlich-rechtliche angesehen werden; z. B. besteht zwischen Eltern und Kindern angesichts des elterlichen Erziehungsrechts des

§ 1626 Abs. 2 BGB ein Subordinationsverhältnis. Die genannte Vorschrift des-wegen als öffentlich-rechtliche anzusehen kann mangels Beteiligung des Staates am Subordinationsverhältnis indessen nicht richtig sein. Umgekehrt gehen etwa die Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG mitnichten von einem Subordinations-verhältnis zwischen Staat und Rechtsunterworfenen aus; sie deswegen für Zivil-recht zu nehmen, erscheint angesichts der Voraussetzung, dass von einem öf-fentlich-rechtlichen Vertrag nur dann die Rede ist, wenn ein "Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet" wird, gleichwohl fehlsam.

Die Interessentheorie hebt zur Abgrenzung zwischen Öffentlichem Recht und Zivilrecht auf den Zweck der betreffenden Vorschrift ab: Vorschriften, die dem Allgemeininteresse dienen, sollen öffentlich-rechtliche sein, und Vorschriften, die dem Einzelinteresse Rechtsunterworfener dienen, zivilrechtliche. Bemängelt werden wiederum die Folgen, die eine Anwendung dieses Leitsatzes hätte. So müsste man einerseits diverse Vorschriften des BGB, etwa § 556 d BGB, ggf.

als Öffentliches Recht ansehen; andererseits wären z. B. die Grundrechte bzw.

die staatshaftungsrechtlichen Vorschriften der Landespolizeigesetze, weil sie im Einzelinteresse bestehen, dem Zivilrecht zuzuschlagen. Sieht man vom Rege-lungszweck einmal ab und nimmt den Regelungsgehalt in den Blick, erscheint das nicht stimmig. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von Vorschriften gar nicht entweder dem Allgemein- oder dem Individualinteresse, sondern sowohl dem Allgemein- als auch dem Individualinteresse zu dienen bestimmt ist; man denke nur einmal an die in den Landesbauordnungen enthaltenen Vorschriften zu ein-zuhaltenden Abstandsflächen. Nach der Interessentheorie wäre eine eindeuti-ge Zuordnung dieser Vorschriften entweder zum Öffentlichen Recht oder aber zum Zivilrecht – und einer solchen bedarf es, denn sowohl öffentlich- als auch zivilrechtliche Vorschriften kann es nicht geben – nicht möglich. Und auch solcherlei Vorschriften pauschal entweder für Öffentliches Recht oder für Zivil-recht zu erachten, wirkte zumindest befremdlich. Gleichwohl werden Subordi-nations- und Interessentheorie gemeinhin weniger als "gegenläufige", sondern eher als "ergänzende" Überlegungen zur Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht herangezogen; denn gänzlich unzutreffende Gedankenan-sätze enthalten diese Theorien sicher nicht.

Hinzugefügt sei diesen Ausführungen, dass es selten einmal notwendig sein wird, auf die angeführten Theorien zurückzugreifen, um eine Vorschrift als öffentlich-rechtliche oder als zivilrechtliche einzuordnen. Für die meisten Vor-schriften steht dies nämlich fest und es erschiene merkwürdig, dies zu proble-matisieren. Ob eine Vorschrift als öffentlich-rechtliche oder als zivilrechtliche anzusehen ist, erhellt zumeist bereits mit Blick darauf, welchem Gesetzeswerk sie entstammt. So gehören die in öffentlich-rechtlichen Gesetzeswerken des Allgemeinen Verfahrensrechts (VwVfG) sowie des Fachrechts (BImSchG, Ge-wO, Landesbauordnungen, Landespolizei- bzw. Landesordnungsgesetze etc.)

Anwendungsrele-vanz

enthalten Vorschriften nahezu ausnahmslos dem öffentlichen Recht an. Dem-gemäß sind die in den zivilrechtlichen Gesetzeswerken (BGB, HGB, GmbHG, AktG usw.) enthaltenen Vorschriften in der Regel auch zivilrechtliche. Unter Abhebung auf das Gesetzeswerk lässt sich also relativ schnell feststellen, ob eine "Streitigkeit" eine öffentlich-rechtliche oder eine zivilrechtliche ist, ob also der Verwaltungsrechtsweg oder der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist (vgl.

dazu im Einzelnen noch Punkt 7.1.2).

Die zuständige Behörde erlässt gegen die Heilemann-GmbH (H-GmbH), die eine Privatkrankenanstalt ohne Gewerbeerlaubnis betreibt, eine Untersagungs-verfügung, gestützt auf § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO.

§ 15 GewO

(2) 1Wird ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Bewilligung (Zulassung) erforderlich ist, ohne diese Zulassung betrieben, so kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden. …

§ 30 GewO

(1) 1Unternehmer von Privatkranken- und Privatentbindungsanstalten sowie von Privatnervenkliniken bedürfen einer Konzession der zuständigen Behörde.

2Die Konzession ist nur dann zu versagen, wenn

1. Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Unternehmers in Beziehung auf die Leitung oder Verwaltung der Anstalt oder Klinik dartun,

Durch § 15 Abs. 2 GewO wird der Staat als solcher (nicht: wie jedermann) be-rechtigt, eine Untersagung auszusprechen; bzw.: eine Untersagung auszuspre-chen ist ein dem Staat zukommendes Sonderrecht (modifizierte Subjektstheo-rie). Hiernach ist § 15 Abs. 2 GewO eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Dies bedarf angesichts des Umstandes, dass die Vorschrift der GewO entstammt, die wiederum Teil des klassischen Polizei- und Ordnungsrechts ist, eigentlich keiner näheren Begründung.

Nachdem die zuständige Behörde der H-GmbH (Beispiel 1) die Gewerbeer-laubnis erteilt hat, hebt sie diese wieder auf. Die H-GmbH, die auf das Fortbe-stehen der Gewerbeerlaubnis schutzwürdig vertraut hat, beansprucht nunmehr eine Entschädigung nach § 48 Abs. 3 VwVfG.

Der Staat wird hier als solcher (nicht: wie jedermann) verpflichtet, den Vermö-gensnachteil auszugleichen; bzw.: den VermöVermö-gensnachteil auszugleichen ist eine dem Staat zukommende Sonderpflicht (modifizierten Subjektstheorie).

Damit ist § 48 Abs. 3 VwVfG eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Dies bedarf angesichts ihrer Verortung im VwVfG eigentlich keiner näheren Begründung.

Beispiel 1

Beispiel 2

Die finanzschwache Gemeinde Pleitenhagen (P) veräußert durch notariell beur-kundeten Kaufvertrag mehrere Grundstücke an Arnulf Aufkauf (A), um kurz-fristig an Geld zu gelangen.

§ 311 b BGB

(1) 1Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedarf der notariellen Be-urkundung. …

§ 433 BGB

(1) 1Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen.

2Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.

(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.

Der Staat wird durch § 433 Abs. 2 BGB nicht als solcher, sondern wie jeder andere (Rechtsunterworfene) auch berechtigt, im Falle eines wirksamen Ver-tragsschlusses den Kaufpreis zu verlangen; das Recht, den Kaufpreis zu verlan-gen ist also kein Sonderrecht des Staates. Und der Staat wird nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB auch nicht als solcher, sondern wie jeder andere (Rechtsunterwor-fene) verpflichtet, das Grundstück zu übereignen; diese Pflicht ist keine staatli-che Sonderpflicht. Damit ist § 433 BGB eine zivilrechtlistaatli-che Vorschrift. Das folgt aber bereits eindeutig aus ihrer Verortung im BGB.