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Das öffentlich-rechtliche Verwalten

4. Handlungsformen der Verwaltung

4.1 Das öffentlich-rechtliche Verwalten

Greifen die Behörden auf Instrumente des öffentlichen Rechts zurück, so han-delt es sich stets um Verwaltungstätigkeit im formellen Sinne (während durch die Behörden hier meistens, jedoch nicht zwingend öffentliche Aufgaben erfüllt werden, es sich also meistens, jedoch nicht zwingend auch um eine Verwal-tungstätigkeit im materiellen Sinne handelt). Dabei stehen den Behörden solche öffentlich-rechtlichen Instrumente zur Verfügung, die unter Gebrauchmachung von hoheitlicher Gewalt ergehen (hoheitliche Akte), und solche, die auf eine Gebrauchmachung von hoheitlicher Gewalt verzichten (nicht-hoheitliche Akte).

4.1.1 Hoheitliche Akte

Hoheitliche Akte wiederum können einerseits Rechtsakte bzw. regelnde Akte, andererseits schlicht-hoheitliche Akte sein.

4.1.1.1 Rechtsakte bzw. regelnde Akte

Zu den Rechtsakten bzw. regelnden Akten gehören insbesondere das materielle Gesetz (vgl. dazu im Einzelnen bereits den Studienbrief zum Verfassungsrecht sowie Punkt 2.1.1) und der Verwaltungsakt (vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 5). Die Gemeinsamkeit von materiellen Gesetzen und Verwaltungsakten ist folglich, dass beiden Regelungscharakter zukommt; gleichwohl besteht auch ein ganz entscheidender Unterschied: Materielle Gesetze sind allgemeine Regelun-gen (abstrakt-Regelun-generell) Verwaltungsakte dageRegelun-gen EinzelfallregelunRegelun-gen (das sind in der Regel individuelle, aber auch abstrakt-individuelle oder konkret-generelle Regeln, vgl. dazu sogleich S. 53).

Angesichts des nicht konsequenten Durchhaltens des Prinzips der Gewaltentei-lung im Grundgesetz ist es möglich, dass Gesetzgebungsbefugnisse auf Behör-den delegiert werBehör-den. So können nach Art. 80 Abs. 1 GG73 die Bundesregie-rung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen; die Polizei- bzw. Ordnungsgesetze enthalten Ermächtigungen an die Polizei- bzw. Ordnungsbehörden, "Polizeiver-ordnungen" bzw. "ordnungsbehördliche Ver"Polizeiver-ordnungen" zu erlassen usw.

Ein den Behörden nach § 35 VwVfG74 durchweg zur Verfügung stehendes und üblicherweise vielfach zum Einsatz kommendes Instrument ist der Verwal-tungsakt.

In G (Beispiel 23) ergeht eine Polizeiverordnung, in der festgelegt wird, dass alle Grundstückseigentümer auf dem Gehweg vor ihrem Grundstück zu streuen haben, sofern sich witterungsbedingt Glätte bildet.

§ 9 SächsPolG75

(1) Die allgemeinen Polizeibehörden können zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz polizeiliche Gebote oder Verbote erlassen, die für eine un-bestimmte Anzahl von Fällen an eine unun-bestimmte Anzahl von Personen gerich-tet sind (Polizeiverordnungen).

(2) Die Vorschriften dieses Gesetzes über Polizeiverordnungen sind auch dann anzuwenden, wenn ein anderes Gesetz ausdrücklich zum Erlass von Polizeiver-ordnungen ermächtigt.

G erlässt mit der Polizeiverordnung ein materielles Gesetz; die Polizeiverord-nung ist an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtet, nämlich an alle jetzt und in Zukunft im Gemeindegebiet ansässigen Grundstückeigentümer (= generell) und betrifft eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten, nämlich alle "witterungsbedingen Glättefälle" (= abstrakt).

Nachdem im sächsischen G (Beispiel 23), in dem es keine Polizeiverordnung gibt, eines Wintertages bereits mehrere Personen infolge der witterungsbeding-ten Glätte auf dem Gehweg vor dem Grundstück der Einharde Einerlei (E) ge-stürzt sind, weist der Polizeivollzugsbeamte Randwig Reizbar (R) sie an, umge-hend zu streuen.

73 Bzw. Art. 61 Abs. 1 Verf BW Art. 64 Abs. 1 BerlVerf; Art. 70 Verf NRW;

Art. 75 Abs. 1 SächsVerf.

74 Bzw. § 35 LVwVfG BW; § 1 Abs. 1 BerlVwVfG i. V. mit § 35 VwVfG; § 35 LVwVfG NRW; § 1 Satz 1 SächsVwVfG i. V. mit § 35 VwVfG.

75 Vgl. § 10 PolG BW; §§ 55 ff. ASOG Berlin; § 27 OBG NRW.

Materielle Gesetze

Verwaltungsakte

Beispiel 32

Beispiel 33

§ 3 SächsPolG76

(1) Die Polizei kann innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Ge-fahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit die Befug-nisse der Polizei nicht besonders geregelt sind.

§ 1 SächsVwVfG

1Für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden des Freistaa-tes Sachsen und der seiner Aufsicht unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253), zuletzt geändert durch Artikel 7

§ 3 des Gesetzes vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002), in seiner jeweils geltenden Fassung entsprechend, soweit nicht etwas anderes bestimmt wird. …

R geht hierdurch vermittels Verwaltungsakt vor; vgl. 1 Satz 1 SächsVwVfG i. V. mit § 35 VwVfG; denn die Regelung ist nur an E gerichtet (individuell) und betrifft nur einen "Glättefall" (= konkret).

Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer allgemeinen Regelung und einer Ein-zelfallregelung u. U. nicht ganz unproblematisch. Wie bereits mehrfach ange-sprochen (vgl. dazu S. 3, S. 35 und S. 52), gelten als "allgemeine Regelungen"

solche mit "abstrakt-generellem" und als "Einzelfallregelungen" solche mit

"individuell-konkretem" Erklärungsgehalt. Verwiesen sei für jene, gleichsam

"klassischen" Regelungs-Erklärungsgehalte nochmals auf die vorstehenden Beispiele 32 und 33. Denkbar sind indessen zudem "abstrakt-individuelle" wie auch "konkret-generelle" Regelungen: So ließe sich, um einmal an ebenjene Beispiele anzuknüpfen, vorstellen, dass einem bestimmten Grundstückseigen-tümer aufgegeben wird, auf dem Gehweg vor seinem Grundstück bei witte-rungsbedingter Glätte stets zu streuen; nach ganz h. M. sind solche abstrakt-individuellen Regelungen als Einzelfallregelungen und damit als Verwaltungs-akt zu qualifizieren (sog. "Dauerverfügung"). Möglich erscheint schließlich, dass eines Wintertages allen Grundstückseigentümern zu streuen aufgegeben wird; die Einordnung derartiger, konkret-genereller Regelungen ist streitig. Die wohl h. M. geht hier von Einzelfallregelungen und damit von Verwaltungsakten aus (u. U. können diese als Allgemeinverfügungen i. S. des § 35 Satz 2 VwVfG einzuordnen sein; vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 5.1.2).

4.1.1.2. Schlicht-hoheitliche Akte

Gewissermaßen das Gegenstück zu Rechtsakten bzw. regelnden Akten bilden

"schlicht-hoheitliche" Akte. Durch das in diesem verbreiteten Begriff enthaltene

76 Bzw. § 3 PolG BW, § 17 Abs. 1 ASOG Berlin, § 8 Abs. 1 PolG NRW (in Anlehnung an § 8 MEPolG).

Abgrenzungsschwie-rigkeiten

Schlicht-hoheitliche, nicht regelnde Akte

"schlicht" soll angedeutet werden, dass es sich um Verwaltungsmaßmaßnahmen handelt, die keine Regelung enthalten. Nicht selten werden solche Verwal-tungsmaßnahmen auch als "Realakte" bezeichnet, womit freilich keine begriff-liche Abgrenzung zu "schlichtem Verwaltungshandeln" (vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 4.1.2.2) gewährleistet wird.

Nachdem die jähzornige E (Beispiel 33) vor Ärger über die Weisung des R den Außenspiegel des WMB ihres Nachbarn Farfried Fies (F) abbrechen will, fällt R ihr derb in den Arm.

§ 3 SächsPolG77

(1) Die Polizei kann innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Ge-fahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit die Befug-nisse der Polizei nicht besonders geregelt sind.

Das Vorgehen des R ist ein unter Inanspruchnahme hoheitlicher vorgenomme-ner schlicht-hoheitlicher Akt bzw. Realakt,78 der ebenfalls zulässig ist, und zwar nach § 3 Abs. 1 SächsPolG.

4.1.2 Nicht-hoheitliche Akte ("Gleichordnungsverhältnis") Auch bei nicht-hoheitlichem Vorgehen (vgl. zum Begriff bereits Punkt 4.1) sind Rechtsakte bzw. regelnde Akte zu unterscheiden.

4.1.2.1. Rechtsakte bzw. regelnde Akte

Als geläufiges "regelndes Instrument" der Behörden – bei dem sie aber auf den Gebrauch ihrer Hoheitsgewalt verzichten – ist der öffentlich-rechtliche Vertrag anzuführen; vgl. die §§ 54 ff. VwVfG. Der Sache nach sind sowohl Verwal-tungsakt als auch öffentlich-rechtlicher Vertrag nichts anderes als Einzelfallre-gelungen; der Unterschied liegt allein in der Art und Weise ihres Zustande-kommens: Während der Verwaltungsakt sich als kraft hoheitlicher Gewalt ein-seitig auferlegte Einzelfallregelung erweist, stellt sich der öffentlich-rechtliche Vertrag als im gegenseitigen Einvernehmen entwickelte Einzelfallregelung dar.

Die Behörde begeben sich also auf die Gleichordnungsebene.

Die Polizeibehörde79 in G einigt sich mit den Eigentümern der am Knochenberg gelegenen Steil-Straße, da es hier aufgrund der nach Osten gerichteten Hangla-ge erfahrungsHangla-gemäß besonders oft plötzlich zu überfrierender Nässe kommt,

77 Bzw. § 3 PolG BW, § 17 Abs. 1 ASOG Berlin, § 8 Abs. 1 PolG NRW (in Anlehnung an § 8 MEPolG).

78 Nach heute h. M. ergeht hier regelmäßig kein konkludenter Verwaltungsakt in Gestalt einer Duldungsverfügung.

79 In Berlin und NRW: "Ordnungsbehörde".

Beispiel 34

Nicht-hoheitliche Akte

Rechtsakte; regelnde Akte

Beispiel 35

schriftlich darauf, dass jene in solchen Fällen den Gehweg vor ihrem Grund-stück streuen.

Die Polizeibehörde G schließt hier mit den Eigentümern einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. der §§ 54 ff. VwVfG NRW

4.1.2.2. Schlichtes Verwaltungshandeln

Von schlichtem Verwaltungshandeln schließlich ist die Rede überall dort, wo die Behörden sowohl nicht-regelnd als auch ohne Gebrauchmachung von Ho-heitsgewalt agieren.

Die Polizeibehörde G warnt per Stadtfunk die Fußgänger, heute die Knoch-straße zu benutzen, dies zum großen Ärgernis des Botmar Bockwurst (B), der ebendort einen Imbiss betreibt.

Es handelt sich um schlichtes Verwaltungshandeln.