• Keine Ergebnisse gefunden

Materielle Rechtmäßigkeit

5. Das Vorgehen mittels Verwaltungsakt

5.7 Zur Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten

5.7.3 Materielle Rechtmäßigkeit

5.7.3 Materielle Rechtmäßigkeit

Als materielle Rechtmäßigkeit bezeichnet man den Umstand, dass die Behörde den Verwaltungsakt unter Beachtung der einschlägigen Rechtsgrundlage erlas-sen hat. Es empfiehlt sich, die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit in die Prüfschritte "Tatbestand" und "Rechtsfolge" zu zergliedern.

5.6.3.1 Tatbestand

Unter dem Prüfschritt "Tatbestand" gilt es zu untersuchen, ob die tatbestandlich beschriebene Situation tatsächlich vorliegt (vgl. dazu bereits Punkt 3.1.1.1);

hierzu müssen sämtliche Tatbestandsmerkmale abgeprüft werden (denn im Re-gelfall handelt es sich um kumulative Tatbestandsmerkmale, und nur im Einzel-fall um alternative Tatbestandsmerkmale). Eine wichtige Arbeitstechnik, die bei der Tatbestands-Prüfung zur Anwendung kommt, ist die "Auslegung" (vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 6.3.3.2). Dass das Erfülltsein des Tatbestands einer Rechtsgrundlage Voraussetzung für ein behördliches Tätigwerden ist, gilt für Rechtsgrundlagen, deren Rechtsfolge zwingend ist, desgleichen aber auch für Rechtsgrundlagen, die Ermessen einräumen. Besondere Probleme treten im Zusammenhang mit der Tatbestands-Prüfung insoweit auf, wie dort "unbe-stimmte Rechtsbegriffe verwandt werden (vgl. dazu im Einzelnen noch Punkt 3.2.3.2).

Der beim Gewerbeamt tätige Usmar Unterbind (U) möchte der Unternehmerin Inken Innovativ (I) "den Spaß am Geldverdienen verderben" und eine Gewer-beuntersagungsverfügung nach § 35 Abs. 1 GewO erlassen.

§ 35 GewO

(1) 1Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässig-keit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersa-gung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erfor-derlich ist. …

Entscheidend ist, dass I Gewerbetreibende und dass sie unzuverlässig ist, des Weiteren, dass die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit oder der im Be-trieb Beschäftigten erforderlich ist. Besonders problematisch daran erscheint, dass es sich bei "Unzuverlässigkeit" um einen "unbestimmten Rechtsbegriff"

handelt.

Als die beiden Polizeibeamtinnen Volkhilde Vormach (V) und Nelda Nacheifer (N) auf einem Berliner Weihnachtsmarkt erneut Rutlieb Ruprecht (R) antreffen, der als Weihnachtsmann verkleidet fortwährend Kindern dadurch Angst ein-flößt, dass er ihnen für den Weihnachtsabend die schmerzhafteste Prügel an-droht, erwägen sie, ihm einen Platzverweis zu erteilen.

§ 29 ASOG Berlin133

1Die Ordnungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. 2Die Platzverweisung kann ferner gegen eine

133 Bzw. § 28 Abs. 1 Nr. 2 lit. b PolG BW, § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW, § 22 Abs. 1 Nr. 2 lit. a SächsPolG.

Beispiel 75

Beispiel 76

Person angeordnet werden, die den Einsatz der Polizei, der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindert.

Entscheidend ist, dass das Verhalten des R eine Gefahr für die öffentliche Si-cherheit und Ordnung darstellt.

5.6.3.2. Rechtsfolge

Sind alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, darf gleichwohl nur eine durch die Rechtsgrundlage vorgesehene Rechtsfolge gesetzt werden (vgl. dazu bereits Punkt 3.1.1.1). Die richtige Rechtsfolge zu ermitteln, kann für die Behörde in zweierlei Hinsicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein: Erstens können sich auch auf Rechtsfolgenseite unbestimmte Rechtsbegriffe finden – wenngleich freilich seltener als auf Tatbestandsseite –; man denke nur einmal an Formulierungen wie etwa "hinreichende Maßnahmen" o. ä. Zweitens kann es sein, dass die einschlägige Rechtsgrundlage Ermessen einräumt (vgl. dazu im Einzelnen bereits Punkt 3.2.3.3).

Handelt es sich um eine zwingende Rechtsgrundlage, so muss die vorgesehene Rechtsfolge gesetzt werden; ein unter Rekurs auf eine zwingende Rechtsgrund-lage erlassener Verwaltungsakt ist also nur dann rechtmäßig, wenn er sich als diese Rechtsfolge darstellt (und nicht als ein "Weniger", "Mehr" oder "Ande-res", vgl. dazu bereits Punkt 3.1.1.1).

Wie Beispiel 75.

§ 35 GewO

(1) 1Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässig-keit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersa-gung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erfor-derlich ist. …

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vor, so muss der Gewerbebetrieb – zumindest teilweise – untersagt werden (Untersa-gungsverfügung).

Handelt es sich hingegen um eine Ermessens-Rechtsgrundlage, so kann die vorgesehene Rechtsfolge gesetzt werden; es wird ein sog. Ermessensspielraum eröffnet (vgl. dazu im Einzelnen bereits Punkt 3.2.3.3). Der Verwaltungsakt ist also nur dann rechtmäßig, wenn er innerhalb des Ermessensspielraums liegt (= alle Verwaltungsakte, die ermessensfehlerfrei sind, in Bezug auf die sich also kein Ermessensnichtgebrauch / -fehlgebrauch und auch keine

Ermessensüber-Rechtsfolge

Zwingende Rechts-grundlage

Beispiel 77

Ermessens-Rechtsgrundlage

schreitung feststellen lässt, und zwar weder was das Entschließungs- noch was das Auswahlermessen angeht; vgl. dazu im Einzelnen bereits Punkt 3.2.3.3).

Wie Beispiel 76.

§ 29 ASOG Berlin134

1Die Ordnungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. 2Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Polizei, der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindert.

Die Entscheidung der V und der N muss Ausdruck einer fehlerfreien Ausübung des Entschließungs- und des Auswahlermessens sein.

Für Soll-Rechtsgrundlagen schließlich gilt, dass die Rechtsfolge regelmäßig, d. h. in den allermeisten Sachverhalten zu setzen ist; etwas anderes gilt nur im Falle des Vorliegens von atypischen Sachverhalten (sog. "intendiertes Ermes-sen", vgl. dazu im Einzelnen bereits Punkt 3.2.3.3).

Der Deutsche Deutbald Deutschmann (D) sagt der Russin Ruslana Russ (R), um ihr die Flucht aus ärmlichen Verhältnissen zu ermöglichen, zu, sie "für 1 Jahr zu heiraten", um sie dergestalt in den Genuss der deutschen Staatsangehörigkeit zu bringen.

§ 9 StAG

(1) Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 8 eingebürgert werden, wenn

1. sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben oder ein Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach Maßgabe von § 12 vorliegt und

2. gewährleistet ist, daß sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, es sei denn, daß sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4) und keinen Ausnahmegrund nach § 10 Abs. 6 erfüllen.

Der typische Fall einer "Ehe" liegt hier nicht vor, da D mit R eine Scheinehe eingegangen ist.

S. Detterbeck, Öffentliches Recht, § 24, S. 310 - 349.

H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9, S. 200 - 248, § 10, § 11 und § 12.

134 Bzw. § 28 Abs. 1 Nr. 2 lit. b PolG BW, § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW, § 22 Abs. 1 Nr. 2 lit. a SächsPolG.

Beispiel 78

Soll-Rechtsgrundlage

Beispiel 79