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Zur Chronologie des Langerweher/Raerener Steinzeugs

6. HERKUNFT UND DATIERUNG DER WAREN

6.3. D IE SPÄTMITTELALTERLICHEN UND NEUZEITLICHEN W AREN

6.3.4. STLE1 bis STLE8

6.3.4.5. Zur Chronologie des Langerweher/Raerener Steinzeugs

abgeplatteten Boden aus, der im Material des Elsbachtals fehlt und daher nicht mit einem Formenkürzel versehen wurde815.

Gemeinsam ist allen Formen, daß der Henkel im 14. Jahrhundert steil vom Hals auf die Schulter herunter-gezogen ist. Ab dem 16. Jahrhundert ist die Führung des Henkels geschwungen und in manchen Fällen nahezu kreisrund. Zu dieser Zeit ist das Henkelprofil deutlich schmaler und zuweilen bandförmig. Für die Griffe mit Fingerdellen des Elsbachtals lassen sich keine datierten Belege aufzeigen816. Der Fundzusammenhang weist jedoch in das Spätmittelalter817. Mehrfach geriefte Henkel (hier Grifform o) wurden erst ab dem 17. Jahrhundert angebracht818. Eine weitere Entwicklung bei den Krug- und Flaschenformen ist anzuführen: Krüge des 14. Jahrhunderts besitzen einen rundlich-ovalen Bauch, der bis zum Fuß gleichmäßig herunterführt. Ab dem 15. Jahrhundert ist das Gefäßunterteil leicht eingezogen, was im 16. Jahrhundert zur Regel wird. Zu dieser Zeit ist der Bauch auch wesentlich deutlicher ausgeprägt.

Rollstempelverzierung in der Art des „römischen Zahlenmusters” zählt zu den frühen Verzierungsweisen und ist bei Krügen vom Typ 7 beliebt. In Brunssum/Schinveld bereits im 13. Jahrhundert nachzuweisen, findet sie sich auch noch im 14. Jahrhundert. Zu nennen sind Gefäße aus dem Markt von Amersfoort (drittes Viertel 14. Jahrhundert) und Leiden-Levendaal (nach 1387)819. Der Großteil der Gefäße aus den vor 1343 datierten Fundkomplexen in Maastricht ist ebenso verziert820. Bei den Maastrichter Funden fällt jedoch auf, daß sich dieses Muster ausschließlich auf Faststeinzeugkrüge der Form r40d beschränkt. Die Steinzeugkrüge sind dort stets unverziert. Auch im Elsbachtal ist das Zahlenmuster auf diese Randform beschränkt. Die Krüge der Form r40d mit römischem Zahlenmuster aus Jülich stehen dagegen vollkom-men isoliert, und an ihrer Zugehörigkeit zum historisch gesicherten Brand von 1473 muß gezweifelt wer-den821. Die zweite übliche Verzierungsweise der Langerweher/Raerener Ware besteht aus einer simplen gekerbten Leiste auf Schulter und Rand. Auch dieses Dekor läßt sich bereits in Maastricht nachweisen, spielt jedoch noch eine untergeordnete Rolle. Weitere Belege stammen aus dem Markt von Amersfoort (drittes Viertel 14. Jahrhundert) und der High Street von Southhampton (vor 1338)822. Bei dem rollstem-pelverzierten Münzschatzgefäß von Nijkerk (NL; nach 1521) scheint es sich nicht um ein Produkt aus Langerwehe, Raeren oder Frechen zu handeln823. Auf dem Gemälde Christus im Hause Simons von Dirk Bouts (1410/20-1475) ist ein mit Kerben verzierter Krug abgebildet824. In Norwich-Pottergate (Zer-störungsschicht 1507) und Mount Grace (aufgegeben 1539) scheint Rollstempelverzierung nur noch eine

815 Aus datierten Zusammenhängen läßt sich dieser Typ mehrfach nachweisen: Münzschatzgefäß von Lohmar-Wielpütz, Siegkreis mit einem terminus post quem von 1502; es ist jedoch nicht gesichert, daß es sich bei dem Gefäß um Keramik aus dem Langerweher Raum handelt (STILKE 2000, Nr. 40). — Fountains Abbey in Yorkshire, 1480-90 (COPPACK 1986, Abb. 16,53). — Bergen op Zoom, nach 1518 bis Mitte 16.

Jahrhundert (VANDENBULCKE/GROENEWEG 1988, Abb. 8-9). — St. Lucienkloster in Amsterdam, vor 1578 (BAART u. a. 1977, Kat.-Nr. 489). — Hinzu kommen mehrere niederländische Münzschatzgefäße:

Aartswoud, nach 1512 (SARFATIJ 1979, Nr. 20); Gerven, nach 1515 (SARFATIJ 1979, Nr. 21); Nijkerk, nach 1521 (SARFATIJ 1979, Nr. 22); Feerwerd, nach 1527 (SARFATIJ 1979, Nr. 24b) und Leeuwarden, nach 1539 (SARFATIJ 1979, Nr. 26). — Aus Siegburg und Frechen ist der Boden bei datierten Pullen ab der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts überliefert: REINEKING VON BOCK 1986, Nr. 179 (Jahreszahl 1566); Nr. 323 (Jahreszahl 1596/97); Nr. 326 (Jahreszahl 1599); Nr. 327 (Jahreszahl 1607). — Ein Bartmannkrug mit der Jahreszahl 1563 (RECH 1991, Abb. 9). Aus der Duisburger Stadtgrabung nennt Gaimster Gefäße bereits aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (GAIMSTER 1994, Abb. 7).

816 Vgl. HURST 1977, Abb. 4.

817 FR116 St. 3.

818 Sie sind vorwiegend auf Baaren und größere Krüge beschränkt: zwei zwischen 1661 und 1663 datierte Raerener Krüge aus der Herberge De Drye Mooren in Breda (HUPPERTZ 1995, 14-17). — Vgl. eine Baare aus einem kurz nach 1731 gesunkenen Schiff bei Texel (KLEIJ 1995, Abb. 13). — Vgl. auch Töpfereimaterial des 17. Jahrhunderts in Altenrath (FRANCKE 1999, Kat.-Nr. 22.55.67.87).

819 Amersfoort: VAN DE VENNE/SNIEDER 1994, Nr. A179; Leiden: SUURMOND-VAN LEEUWEN 1982, Abb.

auf S. 96.

820 HUPPERETZ/NIJHOF 1995A; HUPPERETZ/NIJHOF 1995B. 821 SIEGMUND 1994, Abb. 14,26.

822 Zu Amersfoort: VAN DE VENNE/SNIEDER 1994, Nr. A24. — Zu Southhampton: PLATT/COLEMAN-SMITH 1975, Abb. 193,1127; Abb. 194,1144.

823 SARFATIJ 1979, Nr. 22.

824 Um 1470/80 entstanden: REINEKING VON BOCK 1986, Taf. 5.

untergeordnete Rolle gespielt zu haben825. Bei den reichen Funden aus Burg Kessel (16. Jahrhundert), Acton Court (1535) und Bergen op Zoom (nach 1518 bis Mitte 16. Jahrhundert) fehlt diese Zier völlig826. Daher kann angenommen werden, daß Rollstempelverzierung auf Krügen im frühen 16. Jahrhundert be-reits nicht mehr in Gebrauch war oder nur noch in Einzelfällen aufkam. Zickzack-Muster sind eher selten und auf das 14/15. Jahrhundert beschränkt827.

Von chronologischer Bedeutung ist auch die Riefung der Krug- und Flaschenformen: die Gefäße von Mount Grace (aufgegeben 1539), Fountains Abbey in Yorkshire (1480-90) und Norwich, Pottergate (Zer-störungschicht 1507) sind im Gegensatz zu den Typen des 14./15. Jahrhunderts nur noch leicht gerieft828. Die Riefung beschränkt sich dazu vorwiegend auf das Gefäßunterteil. Auf Burg Kessel (zerstört 1579), Acton Court (1535) und in Bergen op Zoom (nach 1518 bis Mitte 16. Jahrhundert) lassen sich bereits vereinzelt vollkommen glatte Formen nachweisen829. Vorratsgefäße, Töpfe und manche Flaschen des 16.

Jahrhunderts sind dagegen noch deutlich und flächig gerieft830. Die auf spätmittelalterlicher Keramik vor-kommende Riefung geht demnach ab dem 16. Jahrhundert immer mehr zurück831.

Beim Langerweher Steinzeug aus dem Elsbachtal macht sich eine deutliche Zweiteilung bemerkbar: Stein-zeug mit violetter Engobe (Variante STLE1a) steht einer Gattung mit braun-grauer Glasur (STLE1b) gegenüber. Diese rein technologische Unterscheidung besitzt zudem chronologische Relevanz. Die Va-riante STLE1a steht noch dem 14. Jahrhundert nahe832. Die Variante STLE1b tritt erst mit dem 15. Jahr-hundert deutlich hervor. Frühe Nachweise der jüngeren Technik finden sich bei Funden aus dem Markt von Amersfoort (drittes Viertel 14. Jahrhundert) und Amsterdam-Olofspoort (hist. 1390 bis vor 1425)833. Die Fundzusammensetzung im Elsbachtal läßt vermuten, daß die Variante STLE1b bereits in der 2.

Hälfte des 14. Jahrhunderts aufkommt. Inwiefern dies Allgemeingültigkeit besitzt, muß durch weitere Bearbeitungen keramischen Fundstoffes gesichert werden. Auf die Unterscheidung von violett-braun engobiertem Steinzeug und grau-braun glasierter Ware wies bereits J. G. Hurst hin und verband die erste Variante mit Langerweher Produkten, die zweite hingegen mit Raerener Steinzeug834. Nach dieser Unterscheidung kommt „Raerener Steinzeug” erst im 15. Jahrhundert in England auf835. Hier muß jedoch gefragt werden, ob nicht lediglich ein technologischer Wandel zu braun-grau glasierten Waren einen neuen Handelsstrom vorspiegelt836.

Neben den bisher zur Datierung verwendeten absolut fixierten Gefäßen und Gefäßgruppen müssen hier auch geschlossene Fundkomplexe ohne externe Datierungs-Anhaltspunkte behandelt werden. Im folgen-den werfolgen-den zwei Töpfereikomplexe angesprochen, die sich durch reiches Fundmaterial auszeichnen und durch entsprechende Veröffentlichungen typologisch gut zu bewerten sind: aus der Bausubstanz eines Töpferofens der Hausbuschgasse in Langerwehe wurden mehrere Gefäße geborgen, die einen

825 Zu Norwich: auf zwei Gefäßen; EVANS/CARTER 1985, Abb. 22,97-98. — Zu Mount Grace: auf einem Gefäß; ROEBUCK/COPPACK 1987, Abb. auf S. 19 Nr. 17.

826 Zu Burg Kessel: CLEVIS/THIJSSEN 1989. — Zu Acton Court: VINCE/BELL 1990, Abb. 3. — Zu Bergen op Zoom: VANDENBULCKE/GROENEWEG 1988.

827 Leiden-Levendaal: SUURMOND-VAN LEEUWEN 1982, Abb. auf S. 96. — Münzschatzgefäß von Hoensbroek: SARFATIJ 1979, Nr. 16 — ein Gefäß mit Zickzack-Muster ist aus Brunssum/Schinveld Periode V bekannt: BRUIJN 1962/63, Abb. 87,1.

828 Zu Mount Grace: ROEBUCK/COPPACK 1987, Abb. auf S. 19. — Zu Norwich: EVANS/CARTER 1985, Abb.

13-22. — Zu Yorkshire: COPPACK 1986, Abb. 16,52; 17,65.

829 Zu Burg Kessel: CLEVIS/THIJSSEN 1989, Nr. 37. — Zu Acton Court: VINCE/BELL 1990, Abb. 3,240. — Zu Bergen op Zoom: VANDENBULCKE/GROENEWEG 1988, Abb. 10,82.

830 SCHWARZ 1937, Abb. 5 und 7.

831 Hier macht sich wahrscheinlich der Einfluß der reich dekorierten und glattwandigen Renaissancekeramik bemerkbar.

832 Auf diese Unterscheidung machte mich B. Päffgen freundlicherweise aufmerksam.

833 Zu Amersfoort: VAN DE VENNE/SNIEDER 1994, Nr. A23 und Nr. A24. — Zu Amsterdam: BAART u. a.

1977, Nr. 453-454.

834 HURST 1977, 221 f.

835 DAVEY/RUTTER 1977, 21; ROEBUCK/COPPACK 1987, 18.

836 W. Giertz wies in einem unpubliziertem Töpfereiabfallkomplex aus Raeren-Born ebendiese frühe Variante mit violetter Engobe nach.

geschlossenen Fund bilden837. Auffällig ist das Fehlen jeglicher Rollstempelverzierung, die zum Zeitpunkt der Nutzung des Ofens wohl nicht mehr üblich war. Das Formenspektrum besteht aus späten Wellenfüßen der Form b6 und b9, abgeplatteten Standflächen von Pullen (Typ 12), profilierten Standfüße der Form b18, Grapenfüßen der Form b10, Trichterhalsgefäßen (Typ 5), unverdickten Randformen r41 (besonders r41c) und den Dornrandformen r40f und r40b838. Sämtliche genannten Formen, die aus dem Ofen geborgen wurden, datieren die Anlage in das 16. Jahrhundert. Dem entspricht auch ein flaschenartiges Gefäß aus dem Töpferofen, das einem Langerweher Gefäß mit Applikationen des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts ähnelt839. Außergewöhnlich sind Bodenformen aus dem Ofen, die typologisch eine Frühform der profilierten Standfüße b18 bilden. Nach dem Abdrehen des Gefäßes von der Töpferscheibe wurde hier ein Standboden angeknetet840. Als Einzelfund der Grabung in Langerwehe ist ein profilierter Standfuß (b18) mit „getigerter” Glasur anzuführen; Glasur und Form weisen in den Köln-Frechener Raum. Dies und das Vorkommen früher, angekneteter Standböden läßt die Vermutung aufkommen, daß es sich bei dem profilierten Fuß um ein Vorbild bzw. Import aus Köln-Frechen handelt, welches die Töpfer aus Langerwehe mit dem angekneteten Fuß nachzuahmen versuchten. Hinzu kommt auch, daß alle Gefäße mit Wellenfuß gerieft, die mit angeknetetem Standboden jedoch – wie die Köln-Frechener Vorbilder – glatt sind. Wellen- bzw. Krallenfüße sind in Langerwehe und Raeren wesentlich länger im Repertoire als in Köln/Frechen. Dies zeigen die Funde aus Portsmouth: das Raerener Steinzeug ist in den Schichten nach 1565 ausschließlich mit dem Krallenfuß (b6) vertreten, dagegen liegt das Köln/Frechener Steinzeug nur mit profilierten Standfüßen (b18) vor841. Dieselbe Beobachtung kann auch in Bergen op Zoom (nach 1518 bis Mitte 16. Jahrhundert) und Acton Court (1535) gemacht werden842. Dies trifft aber lediglich auf das Gebrauchsgeschirr zu, da die auflagenverzierten Raerener Gefäße des 16.

Jahrhunderts stets mit dem „modernen” Standfuß versehen sind. Abfallgruben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Töpfereiabfall verfüllt sind, wurden 1965 in der Aachener Franzstraße angeschnitten843. Vergesellschaftet fanden sich dort Krüge der Typen 9, 10 und 11. In Einzelfällen waren die Gefäße (Typ 11) mit Rollstempelverzierung versehen844. Zudem wurden auch Trichterhalsbecher gefunden, deren Rand jedoch nicht weit auslädt. Diese Gefäße bilden daher eine Frühform des Typs 5.

Die Füße aller abgebildeten Gefäße sind in der Form b3 ausgebildet. Das Fundmaterial kann in die 2.

Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden. Zu diesem Zeitpunkt wurden Krüge vom Typ 9 des 15.

Jahrhunderts zusammen mit Frühformen von Gefäßen, die für das 16. Jahrhundert typisch sind (Typ 10-11 und frühe Trichterhalsbecher vom Typ 5), hergestellt. Das Vorkommen des Wellenfußes (Form b3) mag hier vielleicht als Aachener Besonderheit zu werten sein, denn die Langerweher Töpfer fertigten zu diesem Zeitpunkt bereits den Boden b5.