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Relativchronologischer Vergleich zwischen Siegburg und Südlimburg

6. HERKUNFT UND DATIERUNG DER WAREN

6.2. D IE HOCHMITTELALTERLICHEN W AREN

6.2.17. Bemerkungen zur Chronologie des Hochmittelalters

6.2.17.1. Relativchronologischer Vergleich zwischen Siegburg und Südlimburg

Mehrfach wurde versucht, die Stratigraphien von Siegburg und Brunssum/Schinveld zu korrelieren432. Die Ergebnisse weichen jedoch erstaunlicherweise – trotz großer Materialmengen – deutlich voneinander ab. Verschiedene Gründe für diese Divergenzen lassen sich vermuten, die im folgenden zusammengestellt werden sollen:

a) die Keramikprodukte von Siegburg und Brunssum/Schinveld sind zu unterschiedlich, um sie mitein-ander zu vergleichen;

b) die definierten Perioden der zu vergleichenden Töpfereizentren liegen zeitversetzt;

c) die Stratigraphie einer Töpfereigrabung bzw. die archäologische Trennung der Schichten ist nicht kongruent mit den unterschiedlichen Wandlungen in der Keramikmode;

d) die Merkmale bzw. Typen und ihre inhaltliche Gewichtung, die ein jeder Keramikbearbeiter zur Syn-chronisation auswählt, sind unterschiedlich;

e) der Töpfereiabfall ist mit Siedlungsmaterial vermischt.

Manche dieser Gründe mögen banal klingen, doch die Summe dieser Einschränkungen macht deutlich, wie schwierig eine Synchronisation ganzer Produktpaletten ist. Im vorliegenden Fall scheint der

„Schwachpunkt" bei den Arbeiten zur Siegburger Produktion zu liegen, da nicht deutlich ist, inwiefern die Periodisierung von Siegburg auch den stratigraphischen Gegebenheiten der Grabung entspricht. Die Typen sind von Beckmann vorwiegend warenorientiert sortiert. Eine Kontrolle der Periodisierung Beckmanns anhand der Stratigraphie kann ohne den Befundkatalog jedoch nicht vollzogen werden. Auch eine Quantifizierung des Materials in den einzelnen von Beckmann gebildeten Perioden ist nicht vorhanden. Diese ist aber unabdingbar, um abzuschätzen, welcher Typ in welcher Periode häufig produziert wurde und welcher Typ nur vereinzelt auftaucht. Gefäße, die sich nur selten im Töpfereiabfall finden, können verlagert sein oder auch aus dem Haushalt des Töpfereibetriebes stammen und möglicherweise gar nicht in Siegburg selbst hergestellt worden sein433.

429 Zu Rouen: BARTON 1965, 73 ff. — Zu Andenne: BORREMANS/LASSANCE 1956, 18;

BORREMANS/WARGINAIRE 1966, 20; BORREMANS 1968. — Zu Huy: GIERTZ 1996. — Zu Wierde:

LAUWERIJS/PETIT 1967. — Zu Mozet: DUNHAUT u. a.1995. — Zu Paffrath: LUNG 1956a, 363 ff. — Zu Brüggen/Elmpt: RECH 1982, 167. — Zu Südlimburg: BRUIJN 1963, 390 f.; 410; 418; 438; BRUIJN 1964, 135.

— Vgl. auch die Karte der Produktionsstätten bei LÜDTKE 1985a, 54 ff. u. 57 Abb. 21. Nach J. Frechens mineralogischen Untersuchung am Fundmaterial aus Hannover wurde grün glasierte Keramik auch im Vorgebirge hergestellt: FRECHEN in PLATH 1958, Tabelle auf S. 30 Lfd. Nr. 17.

430 Mehrere Fundorte aus Dänemark, Schweden und Norwegen nennt Madsen (MADSEN 1991, 432 f.;

MADSEN 1986). Daß nicht alle glasierten Waren als Importe in den Norden zu betiteln sind, zeigen auch lokale Produkte glasierter Waren (MADSEN 1986, 78; CHRISTENSEN u. a.1994).

431 Vgl. die Saugflasche, die als Reliquengefäß Nr. II in der Pfarrkirche St. Lamberti in Oberhundem, Gem.

Kirchundem, Krs. Olpe gefunden wurde. Das Siegel, mit dem das Gefäß verschlossen war, setzt Lobbedey in das erste Drittel des 15. Jahrhunderts (LOBBEDEY 1983, Abb. 188). Aus historisch vor 1343 datierten Komplexen in Maastricht (HUPPERETZ/NIJHOF 1995b, 111 f.) und in das dritte Viertel des 13.

Jahrhunderts münzdatierten Schichten des Marktes in Amersfoort (VAN DE VENNE/SNIEDER 1994, 89-91) liegt ebenfalls glasierte Ware dieser Art vor.

432 FRIEDRICH 1988; HEEGE 1992; FRIEDRICH 1998.

433 HÄHNEL 1987, 12.

Gerade an dem letzten Punkt setzt eine der Siegburg betreffenden Problematiken ein. Für die Periode 1 nennt Beckmann mehrere Gefäße, die noch in Pingsdorfer Manier bemalt sind, neben bereits unbemalten Exemplaren. Es scheint daher, daß hier die Endphase der Pingsdorfer Mode bzw. der Beginn der

„gerieften Ware” erfaßt ist. Die Zahl der Funde ist jedoch gering (der Zahl der abgebildeten Gefäße nach zu urteilen). Dieser Phase entsprechen die bemalten kugeligen Becher Brunssum/Schinveld Periode Ia und II434. Auch unbemalte und geriefte kugelige Becher („Urnenbecher”) sind in der Siegburger Periode 1 zu nennen; die Massenproduktion scheint aber in den folgenden Perioden 2 und 3 zu liegen. Gleichartige Formen finden sich in Brunssum/Schinveld Ia bis III435. Eine Parallelisierung von Brunssum/Schinveld Ia und II mit der Periode 1 von Siegburg (so FRIEDRICH 1998) scheint sich zumindest teilweise auf eine frühe Siegburger S i e d l u n g s periode zu beziehen. Bei dem Versuch, die Urnenbecher dem Gefäßkörper nach typologisch weiter aufzuteilen und die einzelnen Varianten (rund oder schlank) beider Töpfereien miteinander zu vergleichen, verläßt man bereits den sicheren Boden.

Eine deutlich ausgeschiedene Form des Scherbenhügelensembles ist der Krug mit „dreifach geripptem Rand” (Beckmann Form V1436; ähnlich Elsbachtal Form r39b), den Beckmann ebenfalls in die Periode 1 setzt. Vergleichbare Formen wurden in Brunssum/Schinveld in den Perioden II bis III hergestellt437. Die Formen aus Brunssum/Schinveld und Siegburg lassen sich zwar nicht bis ins Detail miteinander verglei-chen, ein einheitlicher Grundtenor liegt jedoch sowohl dem dreifach gerippten Rand vom Typ Siegburg und als auch dem Blockrand aus Brunssum/Schinveld zugrunde, der eine teilweise Synchronisierung von Brunssum/Schinveld Periode II-III mit Siegburg Periode 1 vermuten läßt438. Dies hat zur Folge, daß ent-weder die Periode 1 von Siegburg in einen frühen Abschnitt mit Pingsdorfer Ware und in einen jüngeren Abschnitt mit Krügen mit „dreifach geripptem Rand” gegliedert werden sollte oder daß andererseits – E.

Hähnel folgend – diese Krüge in die folgende Periode 2 nach Beckmann zu datieren seien (Hähnel Peri-ode II)439.

Eine vollständige Synchronisierung der Stufen Brunssum/Schinveld II/III mit Siegburg 1 vollzieht dage-gen Heege (HEEGE 1992), was dazu führt, daß er die Periode IV von Brunssum/Schinveld mit Siegburg 2 gleichsetzen muß. Dem widersprechen jedoch zwei nicht unbedeutende Gefäßtypen: die schlanken, hohen Urnenbecher mit Dornrand (Kragenrand) und die konischen Becher (Abbildung 2). Beide Typen treten ab Siegburg 2 und Brunssum/Schinveld III auf und zeigen, daß diese Perioden zum Teil gleichzeitig sind440. Den Vergleich von Siegburg 2 mit Brunssum/Schinveld IV begründet Heege damit, daß mit Beginn von Brunssum/Schinveld IV schlagartig Dornrand, unterrandständige gekehlte Henkel, typische Zahlenmuster-Rollstempelverzierungen und rote Engobierung auftreten. Die einzelnen Komponenten wie Dornränder und rote Engobe lassen sich jedoch in Periode III, römisches Zahlenmuster bereits in Periode II nachweisen441. Es sind zudem deutliche Unterschiede des Warenspektrums zwischen Siegburg 2 und Brunssum/Schinveld IV, die eine Verknüpfung in Frage stellen: bei den Krügen mit Dornrand und Rollstempelverzierung, die Beckmann für die Periode 2 anführt, handelt es sich durchweg um „Irdenware“442, dagegen stehen die Produkte der Periode IV von Brunssum/Schinveld an der Schwelle zu echtem Steinzeug (Faststeinzeug).

434 Zu Siegburg: BECKMANN 1975, Taf. 65,4-7. — Zu Brunssum/Schinveld: BRUIJN 1959, Abb. 17; Abb. 33;

BRUIJN 1960/61, Abb. 32,1.3-7; BRUIJN 1962/63, Abb. 23; Abb. 46,7.11.

435 Zu Siegburg: BECKMANN 1975, Taf. 65,8-12; Taf. 66-68: Taf. 69,1-6. — Zu Brunssum/Schinveld: BRUIJN 1959, Abb. 33; Abb. 37; BRUIJN 1960/61, Abb. 40,7-8; BRUIJN 1962/63, Abb. 23,5; Abb. 46,1-4.6.12; Abb.

65,3-5.7; Abb. 77.

436 BECKMANN 1975, Taf. 15-18.

437 Zu Siegburg: BECKMANN 1975, Taf. 15-17. — Zu Brunssum/Schinveld: BRUIJN 1959, Abb. 29; Abb. 36;

BRUIJN 1962/63, Abb. 43,1.4.

438 Auch Elsa Hähnel sieht deutliche Bezüge der dreifach gerippten Ränder zum Maasraum und sogar zur Andenne-Töpferei (HÄHNEL 1987, 17).

439 HÄHNEL 1987, 14.

440 Zu den Urnenbechern mit Dornrand aus Siegburg vgl.: BECKMANN 1975, Taf. 68,14; 69,1-6; aus Brunssum/Schinveld: BRUIJN 1959, Abb. 37; BRUIJN 1960/61, Abb. 40,3-6.12.14; BRUIJN 1962/63, Abb.

77,2-4.14. — Zu den konischen Bechern aus Siegburg vgl.: BECKMANN 1975, Taf. 80-82; aus Brunssum/Schinveld: BRUIJN 1959, Abb. 37; BRUIJN 1960/61, Abb. 40,13; BRUIJN 1962/63, Abb. 76.

441 Zu Dornrändern vgl. BRUIJN 1962-63, 409 Abb. 54,1; S. 410 Abb. 55,3. — Die Engobierung in Siegburg läßt sich im übrigen auch erst ab der Periode 4 nachweisen: BECKMANN 1975; vgl. auch HÄHNEL 1987, 21.

— Zum römischen Zahlenmuster vgl.: BRUIJN 1962-63, 398 Abb. 43,5.

442 BECKMANN 1975, 91 f.; 91 Abb. 13.15; Taf. 30,1.

Eine Parallelisierung der Periode 2 von Siegburg mit der Periode IV von Brunssum/Schinveld mag angesichts der Funde nicht gelingen443. Unproblematisch erscheint dagegen der typologische und warenbezogene Vergleich von Brunssum/Schinveld IV mit Siegburg 3.

Auch die absolute Chronologie der beiden ersten Siegburger Perioden ist nicht unumstritten. Den Über-gang von Periode 1 zu 2 setzt Beckmann um 1200 an444. Andreas Heege dagegen zieht die Grenze um 1240: neben den bereits von Alders445 angeführten Funden mit Krügen der Periode 1 von Köln St.

Severin (1237), Burg Wilnsdorf (Ldkr. Siegen-Wittgenstein; zerstört 1233), Ter Wijc te Beverwijk (nach 1248) und der Abtei van Postel in 's-Hertogenbosch (vor 1248) zieht er insbesondere Funde aus der Phase IIIa des Lübecker Johannisklosters heran, in der Krugformen mit dreifach geripptem Rand (Periode 1) mit Dornrändern (Periode 2-3) vergesellschaftet sind446. Diese Funde werden historisch und dendrochronolo-gisch in das zweite Drittel des 13. Jahrhunderts datiert. Weitere Fundkomplexe sind hier anzuschließen:

Aus dem Kanonissenstift Neuss wurde ein Grubeninventar geborgen, das vorwiegend Krüge mit Dorn-rand, aber auch ein Fragment mit dreifach geripptem Rand beinhaltet. Die historische Datierung nach um 1250 zeigt, daß beide Typen in der Mitte des 13. Jahrhunderts noch in Benutzung waren447. Auf dem Alten Markt in Duisburg fanden sich dreifach gerippte Ränder noch in der Schicht 5 (terminus post quem 1268)448. Scherben dieser Form sind in der Bergbausiedlung Altenberg über das 13. Jahrhundert verteilt und nehmen sogar in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts zu449. Aus den Baugruben der Sakristei des Kölner Domes (Baubeginn nach 1248, geweiht 1277) sind Ränder dieses Typs übliches Fundgut450. Be-sonders spät sind historisch vor 1281 datierte Funde aus Utrecht zu nennen, wo Proto- und Faststein-zeugkrüge mit dreifach geripptem Rand als auch Krüge mit Dornrand und unverdicktem Rand zusammen gefunden wurden451. Krüge mit geripptem Rand sind demnach noch über die Jahrhundertmitte hinaus in Gebrauch gewesen. Die genannten datierten Belege ausnahmslos als verlagerte Altstücke zu interpretieren, ist mit Sicherheit abwegig.

Mehrere Gründe sprechen jedoch gegen eine Verlegung der Grenze in die Mitte des 13. Jahrhunderts:

zum ersten müßten die folgenden Perioden 2 und 3 zeitlich extrem verkürzt werden, und zum zweiten lassen sich Leittypen der Periode 2 wie z. B. Dornränder bereits um 1200 belegen. Aus einem Keller in der Schwanenstraße in Duisburg liegen Krugränder der Periode 1 vergesellschaftet mit Protosteinzeug-Dorn-rändern vor452. Der Verfüllung konnte Holz entnommen werden, das einen dendrodatierten terminus post quem von 1203±5 gibt. Weitere frühe Dornränder liegen aus der Schicht 6 vom „Alten Markt“

vor453. Eine Münze des Kölner Erzbischofs Philipp von Heinsberg bietet für die Schicht einen terminus post quem von 1190454. Angesichts der Duisburger Funde sollte der Beginn der Periode 2 noch an der Wende zum 13. Jahrhundert liegen. Bei dem lehmengobierten „Fasteinzeugkrug” mit Dornrand, den

443 HEEGE 1992, 28 f.; fußend auf den Ausführungen von ALDERS 1988.

444 BECKMANN 1975, 20.

445 ALDERS 1988, 310 f.

446 GLÄSER 1989, Abb. 22,4-6.

447 SOMMER 1987, 261; Taf. 72-73.

448 KRAUSE 1983b, Abb. 39,7.8.

449 Vorwiegend aus Faststeinzeug hergestellt: AUSTERMANN 1998, 41 f.

450 Kombiniert mit Dornrändern: JANSEN 1999.

451 SMIT 1987.

452 KRAUSE 1994, 153; 159 Abb. 4,9.30.32-33; S. 160 Abb. 5,37.41-42.

453 KRAUSE 1983a, 65; 153; Abb. 42,3.9.

454 KRAUSE 1994, 153. Ob es sich bei der Schicht 6 bei KRAUSE 1983a, Abb. 12 und KRAUSE 1994, Abb. 3 um ein und dieselbe Schicht handelt, ist nicht eindeutig geklärt, da Krause die Nummern der Schichten im Laufe der Jahre änderte. Jedenfalls liegen die Schichten 6 von 1983 und 6 von 1994 auf derselben Höhe (bei 26,00 m NN). Die Abbildungen der Scherben aus der nachfolgenden Schicht 5 sind auch bei allen Publikationen identisch (vgl. KRAUSE 1983a, Abb. 39 mit KRAUSE 1994, Abb. 9). Demnach kann die erwähnte Münze von 1190 sicherlich mit den abgebildeten Scherben bei KRAUSE 1983A verbunden werden.

Herrnbrodt bereits für die Periode IIIC vom Husterknupp anführt455, sollte eine sekundäre Verlagerung aus späteren Schichten jedoch nicht ausgeschlossen werden456.

Diese Diskrepanzen werden in mancher Hinsicht aufgelöst, wenn man auf einen früheren Ansatz Beckmanns zurückgreift, der 1968 die Formen mit dreifach geripptem Rand noch in eine frühe Phase seiner Periode 2 setzte457. In der Publikation von 1975 wurde dieser Ansatz offensichtlich zugunsten einer

„Warenstratigraphie” aufgegeben458. Krüge mit dreifach geripptem Rand und Krüge mit Dornrand sind nach den genannten chronologisch fixierten Fundkomplexen im 1. und 2. Drittel des 13. Jahrhunderts in Gebrauch459, doch nur der Dornrand wird in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts weiterentwickelt.

Für die Periode 2 und 3 von Siegburg bietet sich als Vergleich Brunssum/Schinveld IV an, wo die ge-nannten Urnenbecher und Krüge mit Dornrand vorliegen. Ein Teil der Periode III wird demnach der Periode 2 von Siegburg entsprechen. Auch fand sich in Brunssum/Schinveld im Zusammenhang des Töpfereiabfalls der Periode IV Siegburger Importmaterial der Periode 3 oder 4460. Erst mit der Periode V von Brunssum/Schinveld findet sich ein oberer Abschluß, der der Periode 4 von Siegburg gegenübergestellt werden kann. Einzelne Typen, wie z. B. Krüge mit abgesetztem Hals, lassen sich in beiden Töpferorten nachweisen461. Auch die Tatsache, daß sich beide Perioden durch die Produktion von Steinzeug auszeichnen, kann als Beweis aufgefaßt werden462.