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C. Schutzlücken im geltenden Regime der Missbrauchsaufsicht? Diskussion und

VI. Datenbezogene Missbrauchsstrategien – die kartellrechtliche Begründung von

4. Zugangsansprüche für Drittanbieter

Zugangsansprüche in „Lock-in“-Konstellationen müssen allerdings nicht auf diejenigen Akteure be-schränkt sein, die eine vorgelagerte Geschäftsbeziehung zum marktbeherrschenden oder relativ marktstarken Unternehmen haben. Es können auch Zugangsansprüche von Drittanbietern in Be-tracht kommen, die für das Angebot von Mehrwertdienstleistungen auf eine Belieferung mit Infor-mationen oder Ressourcen angewiesen sind.372

Gegenstand einer besonderen Regulierung sind die Zugangsansprüche unabhängiger Reparatur- und Wartungsdienstleister sowie Ersatzteilhersteller zu den für die Tätigkeit auf Kfz-Anschlussmärkten

369 Shapiro/Varian haben in ihrem einflussreichen Buch „Information Rules“ verschiedene Strategien des „lock-in“-Management beschrieben – siehe Shapiro/Varian, Information Rules: A Strategic Guide to the Network Economy, 1999, Kapitel 6.

370 Eine unternehmensbedingte Abhängigkeit i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB kommt in Betracht, wenn zwar am Markt generell hinreichende Ausweichmöglichkeiten bestehen, sich aber ein Unternehmen (oder eine Gruppe von Unternehmen) durch spezifische Investitionen in einer Weise an ein anderes Unternehmen gebunden hat / haben, dass Ausweichmöglichkeiten auf andere Unternehmen faktisch entfallen. Ein wichtiges Beispiel bilden die Kfz-Vertragshändler – dazu zuletzt BGH, Urt. v. 28.6.2005, KZR 26/04 = WuW/E DE-R 1621, 1623, qualitative Selektion.

371 St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 23.1.2018, KZR 48/15, Jaguar-Vertragswerkstatt II, Rn. 34; Urt. v. 26.1.2016, KZR 41/14, Jaguar-Vertragswerkstatt I, Rn. 28; Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 59.

Hinsichtlich (marginaler) Unterschiede beim Abwägungsmaßstab Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB Rn. 57.

372 Siehe aus der jüngeren Rspr. des BGH insb. BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning.

erforderlichen technischen Informationen und Fahrzeugdiagnosedaten geworden.373 Ohne einen solchen regulierten Zugang zu technischen Informationen („RMI: repair and maintenance service information“), der inzwischen auch den Zugang zu Fahrzeugdiagnosedaten über den „On-Board Di-agnostic“ (OBD) Adapter umfasst, wären die unabhängigen Reparatur- und Wartungsservicebetriebe von den Anschlussmärkten ausgeschlossen.374

Zugangsansprüche von Drittanbietern kommen insbesondere auch gem. § 20 Abs. 1 GWB in Betracht.

So hat der BGH etwa eine unternehmensbedingte Abhängigkeit eines auf das Tuning von Porsche-Fahrzeugen spezialisierten Unternehmens für Fahrzeugveredelung und -individualisierung von Por-sche – nämlich von der Belieferung mit Original-Ersatzteilen und mit neuwertigen Porsche-Fahrzeugen zum Zweck der Präsentation des eigenen Umrüstungsprogramms – bejaht und in der Verweigerung der Belieferung eine unbillige Behinderung erblickt.375 Eine unternehmensbedingte Abhängigkeit, so der BGH ausdrücklich, kommt nicht nur in Fällen in Betracht, in denen sich die Aus-richtung eines Geschäftsbetriebs auf ein anderes Unternehmen – etwa einen bestimmten Marken-hersteller – aus einer vorgelagerten Geschäftsbeziehung, etwa einer Vertragshändlerbeziehung, ergibt. Vielmehr kann eine unternehmensbedingte Abhängigkeit auch durch eine „autonome Bezugs-konzentration“ selbst geschaffen werden. Dieser Umstand ist dann allerdings im Rahmen der mit Blick auf den Belieferungs-/Zugangsanspruch entscheidenden nachfolgenden Billigkeitsprüfung zu

373 Art. 6 VO (EG) Nr. 715/2007 v. 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. 2007 L 171/1; ab dem 1.9.2020 gelten Art. 61-66 VO (EU) Nr.

2018/858 v. 30.5.2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, ABl. 2018 L 151/1. Siehe ferner Europäische Kommission, Ergänzende Leitlinien für vertikale Beschränkungen in Vereinbarungen über den Verkauf und die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen und den Vertrieb von Kraftfahrzeugersatzteilen, ABl. 2010 C 138/16, Rn. 62-68. Außerdem Art. 5 lit. b) VO (EU) Nr.

461/2010 v. 27.5.2010 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor, ABl. 2010 L 129/52. Hierzu Ellger, in: Immenga/Mestmäcker, VO 461/2010, Allgemeines Rn. 38 ff.; Art. 5 Rn. 26; Wegner, BB 2010, 1803 u. 1867; Becker/Simon, in: MüKo-WettbR, Art. 5 GVO Nr.

461/2010; für eine Evaluation dieses regulierten Zugangs siehe Europäische Kommission, Study on the Operation of the System of Access to Vehicle Repair and Maintenance Information. Final Report, 2014, abrufbar unter https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/c2c172a5-3f49-4644-b5bb-c508d7532e4a.

374 In Bezug auf den Zugang zu Daten im vernetzten Auto ist unbestritten, dass der Zugang zu Daten, die notwendig für die bisherigen Reparatur- und Wartungsdienstleistungen sind, auch in Zukunft von den Automobilherstellern zur Verfügung gestellt werden. Allerdings würden unabhängige Servicebetriebe gerne einen breiteren Datenzugang haben, um auch neue innovative Leistungen anbieten zu können, bspw. in Bezug auf „remote diagnostics“ und „predictive maintenance“, während die Automobilhersteller diesen Datenzugang möglichst eng begrenzen möchten, vgl. Specht/Kerber, Datenrechte – Eine rechts- und sozialwissenschaftliche Analyse im Vergleich Deutschland – USA, 2018, abrufbar unter

http://www.abida.de/sites/default/files/ABIDA_Gutachten_Datenrechte.pdf, S. 181ff.

375 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning.

berücksichtigen.376 Die Behinderung des Anspruchstellers liegt in der Nichtbelieferung bzw. Zugangs-verweigerung. Über die Unbilligkeit der Behinderung ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden, die unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielset-zung des GWB zu erfolgen hat. Ausgangspunkt ist das Recht des Normadressaten, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaft-lich sinnvoll hält,377 ferner der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, einen Wettbewerber zu ei-genem Schaden zu fördern.378 Ein in der Interessenabwägung wesentlicher Gesichtspunkt ist daher die Frage, in welchem Maße eine Belieferungspflicht die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Normadressaten berührt.379 Mit zunehmender Abhängigkeit der Marktgegenseite sind steigende Ansprüche an die Schutzwürdigkeit der Belange des Normadressaten zu stellen.380 Wohnt der Belie-ferungsverweigerung des Normadressaten die Tendenz inne, einen nachgelagerten Markt für sich zu monopolisieren, so liegt ein Belieferungsanspruch nahe.381 Auf Seiten des Anspruchstellers hat das Interesse erhebliches Gewicht, eine eigene wertschöpfende Leistung angemessen am Markt präsen-tieren zu können.382 Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Wertschöpfung erheblich ist (Rn. 67).

Wendet man diese Grundsätze auf mögliche Ansprüche von Drittanbietern auf Zugang zu Daten an, die exklusiv unter der Kontrolle etwa eines Maschinenherstellers stehen, so scheinen solche Ansprü-che – je nach den konkreten Marktgegebenheiten – durchaus aussichtsreich: Je nach den Umständen kommt eine marktbeherrschende Stellung des Anspruchsgegners auf einem relevanten Datenmarkt oder – im Fall einer selbstgewählten Spezialisierung eines Drittanbieters auf bestimmte Mehrwert-dienste – eine unternehmensbedingte Abhängigkeit in Betracht. Werden die relevanten Daten ne-benbei und ohne besondere Investitionen des Anspruchsgegners erzeugt, so fällt dessen Interesse an einer Zugangsverweigerung im Rahmen einer Interessenabwägung deutlich geringer ins Gewicht.

Dem Zugangsinteresse hingegen kommt umso höheres Gewicht zu, je substanzieller die mit den Da-ten beabsichtigte eigene Wertschöpfung ist und je stärker der Anspruchsteller auf den Zugang zu Daten angewiesen ist. Ein Zugangsanspruch wird demgegenüber nicht in Betracht kommen, wenn die beabsichtigte Wertschöpfung auch auf der Grundlage eines Datenzugangs über den Nutzer des Pro-dukts möglich ist.383 Ein Zugangsanspruch kann ferner ausgeschlossen sein, wenn der Zugriff auf

376 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 54; Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn. 38.

377 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 59.

378 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 66 m.w.N.

379 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 64.

380 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 59 m.w.N.

381 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 65.

382 BGH, Urt. v. 6.10.2015, KZR 87/13, Porsche-Tuning, Rn. 66.

383 EuG, Urteil v. 14.9.2017, Rs. T-751/15, Contact Software.

ternehmerische Nutzungsdaten Geschäftsgeheimnisse berührt oder wenn wettbewerbssensible Da-ten übermittelt werden. Im letztgenannDa-ten Fall stünde einem Zugangsanspruch Art. 101 Abs. 1 AEUV entgegen.

5. Schutzlücken und Reformoptionen