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Reformoption: Flexibilisierung der Prüfungsmethodik in der Missbrauchsaufsicht?

C. Schutzlücken im geltenden Regime der Missbrauchsaufsicht? Diskussion und

II. Flexibilisierung der Prüfungssystematik?

2. Reformoption: Flexibilisierung der Prüfungsmethodik in der Missbrauchsaufsicht?

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob Wettbewerbsbehörden und Gerichten in Fallkonstellatio-nen, in denen eine Marktabgrenzung bzw. Marktmachtfeststellung nach der herkömmlichen Prü-fungsmethodik wegen der Besonderheiten digitaler Märkte besonders unsicher und schwierig ist, ein flexiblerer Umgang mit dem Missbrauchsverbot ermöglicht werden sollte. Denkbar wäre insbesonde-re, dass Wettbewerbsbehörden und Gerichte in solchen Fällen von der Notwendigkeit entbunden wären, die relevanten Märkte präzise abzugrenzen.104 Ausgangspunkt eines Missbrauchsverfahrens könnte alternativ die Identifizierung einer möglichen missbräuchlichen Verdrängungsstrategie sein, also eine Schadenstheorie („theory of harm“). Voraussetzung für einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV / §§ 18, 19 GWB wäre sodann stets die Feststellung eines durch Wettbewerb nicht hinreichend kon-trollierten Verhaltensspielraums.105 Hierfür ist zwar grundsätzlich die Identifizierung der relevanten Wettbewerbskräfte erforderlich. Insbesondere im Verhältnis zu Verbrauchern kann das Fehlen einer wettbewerblichen Kontrolle aber auch aus dem Bestehen von Informationsasymmetrien folgen.106 Aus Sicht der Verbraucher liegt der Zweck des Einsatzes von Informationsintermediären in der Sen-kung von Suchkosten. Dieser Zweck wird nur erreicht, solange Verbraucher darauf vertrauen, dass das Ranking von Suchergebnissen dem Streben nach dem „best match“ zwischen den Präferenzen des Nutzers und den im Zugriffsbereich der Algorithmus liegenden Informationen folgt. Es entspricht daher oftmals der Funktionslogik des Einsatzes von Informationsintermediären, dass Verbraucher auf eine systematische Überprüfung bzw. auf eine weitere Suche nach besserer Information verzichten.

Der Informationsintermediär kann das Vertrauen ggfs. zur Beförderung von wirtschaftlichen Eigenin-teressen nutzen, die von den Präferenzen des Nutzers abweichen, indem er die Nutzer bevorzugt zu den Produkten verbundener Unternehmen lenkt. Fehlt es den Nutzern an einem Anlass und an Mög-lichkeiten, die Qualität der Information zu überprüfen, und steht Wettbewerbern kein Mittel zur

104 Für Überlegungen in diese Richtung z.B. Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 126 f.

105 Für die Definition von Marktmacht als fehlender wettbewerblicher Verhaltenskontrolle vgl. nur BGH Urt. v.

28.4.1992, KVR 9/91 = NJW 1992, 2289, Kaufhof/Saturn; w.N. bei Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker,

§ 18 GWB Rn. 93. Für das europäische Wettbewerbsrecht grundlegend EuGH, Urt. v. 13.2.1979, Rs. C-85/76, Hoffmann-La Roche, Rn. 39 und seitdem in st. Rspr.: „Eine [marktbeherrschende] Stellung schließt […] einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder wenigstens merklich zu beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne daß ihr dies zum Schaden gereichte“ (Hervorhebung ergänzt).

106 Siehe dazu aus dem US-Antitrustrecht: Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc., 504 U.S. 451, 474 (1992); Patterson, Antitrust Law in the New Economy, 2017, S. 69: „[...] the constraint on competition may not be the inability of competitors to produce competing information, but the inability of consumers to determine whether a competitor is offering better information [...]”.

Verfügung, die Verbraucher wirksam zu warnen, so entfällt die wettbewerbliche Disziplinierung der Informationsbereitstellung.107 Befinden sich eine hinreichende Zahl von Verbrauchern in eben dieser Situation und sind Drittunternehmen auf den „Verkehr“ angewiesen, der über den Informationsin-termediär zu ihnen gelangt, so kann daraus eine Verdrängungswirkung resultieren, die nicht auf Leis-tungswettbewerb beruht. Die marktbeherrschende Stellung – nämlich die durch die fehlende wett-bewerbliche Kontrolle des eigenen Verhaltens vermittelte Möglichkeit, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern bzw. die Bedingungen, unter de-nen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder merklich zu beeinflussen108 – könn-te in diesem Fall ohne den Eingangsfilkönn-ter der Marktabgrenzung ermitkönn-telt werden und würde aus dem Zusammentreffen einer empirisch feststellbaren relevanten Lenkungsfunktion im Markt und nach-gewiesenen Informationsasymmetrien folgen. Das Vorliegen eines im Wettbewerb nicht kontrollier-ten unilateralen Verhalkontrollier-tens, verbunden mit der hierdurch veranlasskontrollier-ten, nicht auf Leistungswettbe-werb beruhenden Verdrängung würde den Rückschluss auf eine Marktstellung erlauben, die dem Schutzzweck des Wettbewerbsrechts zufolge vom Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschen-den Stellung erfasst wermarktbeherrschen-den soll.

a) Praxis und Diskussion im US Antitrustrecht und in der ökonomischen Literatur Auf der Grundlage des vom europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht verschiedenen US-Antitrustrechts, namentlich des Sec. 2 Sherman Act, haben US-amerikanische Gerichte in einer be-grenzten Anzahl von Fällen vom Verhalten eines Unternehmens, verbunden mit dem Nachweis anti-kompetitiver Auswirkungen, auf das Vorliegen hinreichender Marktmacht zurückgeschlossen.109 Im

107 Patterson, Antitrust Law in the New Economy, 2017, S. 69.

108 EuGH, Urt. v. 13.2.1979, Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche, Rn. 38 f.: Die marktbeherrschende Stellung bezeichnet die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, „die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber unabhängig zu verhalten. Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder merklich zu

beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne dass es ihr zum Schaden gereicht“.

109 FTC v. Ind. Fed’n of Dentists (IFD), 476 U.S. 447, 460-461 (1986): „Since the purpose of the inquiries into market definition and market power is to determine whether an arrangement has the potential for genuine adverse effect on competition, ‘proof of actual detrimental effect, such as a reduction of output’ can obviate the need for an inquiry into market power, which is but a ‘surrogate for detrimental effect’”; United States v.

Microsoft Corp., 253 F.3d 34, 51 (D.C. Cir. 2001); Rebel Oil Co. v. Atl. Richfield Co., 51 F.3d 1421, 1434 (9th Cir.

1995). Eine Marktabgrenzung wurde teilweise explizit nur im Rahmen einer sog. „Quick look analysis“ für verzichtbar gehalten: Agnew v. NCAA, 683 F.3d 328, 336 (7th Cir. 2012). Vgl. ferner die umfangreiche Rechtsprechungsanalyse bei Crane, Notre Dame L. Rev. 90 (2014), 31, 43 ff. Zur Bedeutung der

Marktabgrenzung auf Informationsmärkten siehe Patterson, Antitrust Law in the New Economy, 2017, S. 62 ff.

amerikanischen Schrifttum ist diese Vorgehensweise allerdings auch wiederholt nachdrücklich kriti-siert worden.110

In der ökonomischen Literatur wird das Erfordernis, stets eingangs den relevanten Markt abzugren-zen, hingegen immer öfter kritisch hinterfragt. So ist die OECD in ihrem Roundtable zum Thema

„Rethinking the Use of Traditional Antitrust Enforcement Tools in Multi-sided Markets” zu dem Be-fund gelangt:

„Market definition is often unnecessary and can be counterproductive”.111

Und weiter:

“It may therefore be the case that the complexities of applying the hypothetical mo-nopolist test are insurmountable, while the alternatives are undesirable. The first best solution in such cases would be to leave the market undefined where possible.

[...]”.112

In der antitrustrechtlichen Praxis haben sich die von Ökonomen vorgeschlagenen Methoden zur un-mittelbaren Messung von Markt- bzw. Preissetzungsmacht, bspw. anhand des Lerner-Indexes, aller-dings bislang nicht durchgesetzt.113 Ein wesentlicher Grund dafür sind der hohe Informationsbedarf bzw. die hohen Informationsbeschaffungskosten. Der Lerner-Index setzt die Kenntnis von Grenzkos-ten oder wenigsGrenzkos-tens variablen KosGrenzkos-ten auf Produktebene voraus. Informationen in dieser Granularität liegen oftmals noch nicht einmal den Unternehmen selbst vor. Auf Ebene von gesamten Unterneh-men114oder selbst auf Ebene zusammengefasster Warengruppen kann der Lerner-Index jedoch schnell an Aussagekraft verlieren. Zugleich sagt auch der Lerner-Index in Isolation wenig aus, solange nicht die Kostenstruktur insgesamt berücksichtigt wird. In kapitalintensiven und daher fix- und ge-meinkostenlastigen Branchen können durchaus bei einzelnen Produkten oder Dienstleistungen hohe Margen und somit hohe Lerner-Indizes beobachtbar sein, die ggf. jedoch notwendig sind, damit Un-ternehmen in diesen Branchen verlustfrei arbeiten und somit nachhaltig wirtschaften können. Hohe

110 Für Kritik siehe u.a. Crane, Notre Dame L. Rev. 90 (2014), 31.

111 Pike, Rethinking the Use of Traditional Antitrust Enforcement Tools in Multi-sided Markets, OECD, DAF/COMP/WD(2017)55, S. 6.

112 Pike, Rethinking the Use of Traditional Antitrust Enforcement Tools in Multi-sided Markets, OECD, DAF/COMP/WD(2017)55, S. 8.

113 Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, 5. Aufl. 2016, § 6.2b.

114 Bei den allermeisten Unternehmen handelt es sich um Multiprodukt-Unternehmen, die viele Produkte auf vielen Märkten anbieten. Äußerst selten werden aber produktspezifisch oder marktspezifisch Gewinnmargen ausgewiesen.

Margen und Deckungsbeiträge sind dann nicht mit übernormalen Profiten verbunden. Eine Intensi-vierung des Wettbewerbs wäre in solchen Branchen nicht nachhaltig möglich.

b) Flexibilisierung der Prüfungsmethodik im europäischen Wettbewerbsrecht?

Einer flexibleren Handhabung der etablierten Prüfungssystematik bei Art. 102 AEUV steht zunächst die Rechtsprechung von EuG und EuGH entgegen, der zufolge eine Marktabgrenzung und eine daran anknüpfende Marktmachtfeststellung zwingende Voraussetzung einer Anwendung des Missbrauchs-verbots sind.115 Eine gesetzgeberische Korrektur dieser im EU-Primärrecht verankerten Rechtslage erscheint ausgeschlossen. Denkbar ist allerdings, dass die Unionsgerichte in geeigneten Fallkonstella-tionen bereit sind, die bisherige Rechtsprechung zu modifizieren.

Eine solche Modifikation wird nicht hinfällig durch die bereits jetzt bestehende Möglichkeit, die Prü-fung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV unter Gesichtspunkten eines effizienten „case manage-ment“ mit der Prüfung eines nicht leistungswettbewerblichen Verhaltens mit (erheblicher) Verdrän-gungswirkung zu beginnen. Denn diese etwa vom englischen High Court in der Sache Google Street-map116 gewählte Vorgehensweise erlaubt die Umgehung der Probleme der Marktabgrenzung nur in solchen Fällen, in denen ein Missbrauch im Ergebnis aus von der marktbeherrschenden Stellung un-abhängigen Gründen ausgeschlossen ist.

Welche Relevanz eine weitergehende Modifizierung der Prüfungssystematik hätte, hängt einerseits von der Einschätzung der praktischen Schwierigkeiten bei der Marktabgrenzung in einschlägigen Fallkonstellationen und von dem Gewicht ab, welches man der damit verbundenen Rechtsunsicher-heit beimisst. Auf der anderen Seite ist zu fragen, wie groß die Gewinne in der Effektivität der Rechtsdurchsetzung und der Rechtssicherheit sind, die mit einer Flexibilisierung der Prüfungsmetho-dik zu erzielen wären.

Ökonomen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Marktabgrenzung mit Hilfe traditio-neller Methoden auf digitalen Märkten (insbesondere Plattformmärkten) zwar theoretisch möglich, praktisch aber kaum durchführbar ist117 (siehe dazu bereits oben, C.II.1.). Aus ökonomischer

115 Siehe EuG, Urteil v. 14.9.2017, Rs. T-751/15, Contact Software, Rn. 76 ff.

116 UK High Court of Justice, Streetmap.EU Limited v. Google, [2016] EWHC 253 (Ch), Rn. 41-43; vgl. hierzu Ibanez Colomo, Streetmap v Google: lessons for pending Article 102 TFEU cases (including Google itself), abrufbar unter https://chillingcompetition.com/2016/02/17/streetmap-v-google-lessons-for-pending-article-102-tfeu-cases-including-google-itself/; Monti, Fordham Int’l LJ. 40 (2017), 1443, 1463-1465;

Murphy/Christoforou et al., WuW 2016, 293.

117 Dewenter/Rösch/Terschüren, NZKart 2014, 387; Dewenter, Marktabgrenzung in der digitalen Wirtschaft, in:

FIW, Jahrbuch 2014/2015 – Referate und Beiträge der FIW-Veranstaltungen, 2016, S. 197 ff.;

tive besteht eine erhebliche Gefahr, dass Substitutions- und damit Wettbewerbsbeziehungen falsch eingeschätzt werden, wenn die Marktabgrenzung durch eine Überprüfung der Ähnlichkeit verschie-dener Plattform in Bezug auf ihre Eigenschaften und Funktionalitäten durchgeführt wird oder durch einen Vergleich von Geschäftsmodellen erfolgt. Der Zweck der Marktabgrenzung, Wettbewerbskräfte zu identifizieren, kann auf der Grundlage traditioneller Prüfungsmethoden in schwierigen Digitalfäl-len leicht verfehlt werden.

In der wettbewerbsbehördlichen Praxis hingegen wird, soweit ersichtlich, kein erheblicher Flexibili-sierungsbedarf gesehen. Faktisch geht die behördliche Missbrauchsprüfung bereits heute von der Identifizierung möglicher missbräuchlicher Unternehmensstrategien („theories of harm“) aus. In der Abgrenzung des relevanten Marktes – und damit der maßgeblichen Wettbewerbskräfte – wird so-dann aber eine wichtige Plausibilitätskontrolle der eingangs aufgestellten Marktverschluss- oder Ver-drängungshypothesen gesehen. Was die Methodik der Marktabgrenzung betrifft, so erkennen die Unionsgerichte erhebliche Spielräume an.118 Die Intensität der gerichtlichen Kontrolle der Marktab-grenzung hängt de facto von der Plausibilität der vermeintlich missbräuchlichen Unternehmensstra-tegie und der Überzeugungskraft des präsentierten Nachweises einer tatsächlichen oder wahrschein-lichen Verdrängung ab. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Missbrauchsaufsicht faktisch bereits jetzt eine erhebliche Flexibilität innewohnt – und dass gerade bei schwierigen Fällen der Marktabgrenzung erhebliche behördliche Spielräume bestehen.

Als Argument für eine Marktabgrenzung und Feststellung der Marktbeherrschung wird ferner ange-führt, dass hiermit zugleich die Grundlage für eine „besondere Verantwortung“ des Unternehmens gelegt ist. In der Anwendung der Missbrauchsaufsicht befindet man sich sodann im Bereich der Ge-fahrenabwehr. Eine tatsächliche Verdrängungswirkung muss nicht nachgewiesen werden.

Haucap/Stühmeier, Competition and Antitrust in Internet Markets, in: Bauer/Latzer (Hrsg.) Handbook on the Economics of the Internet, 2016, S. 183 ff.; Hamelmann/Haucap, ORDO 67 (2016), 269.

118 Siehe EuG, Urt. v. 14.1.2017, Rs. T-699/14, Topps Europe, Rn. 82: „In the present case, as regards, first of all, the applicant’s argument that the Commission ought to have carried out an SSNIP test, it must be found that although that type of economic test is indeed a recognised method for defining the market at issue, it is not the only method available to the Commission. It may also take into account other tools for the purposes of defining the relevant market, such as market studies or an assessment of consumers’ and other competitors’ points of view. The SSNIP test may also prove unsuitable in certain cases, for example in the presence of the ‘cellophane fallacy’, that is, the situation where the undertaking concerned already holds a virtual monopoly and the market prices are already at a supra-competitive level, or where there are free goods or goods the cost of which is not borne by those determining the demand. It is also apparent from point 25 of the Commission notice on the definition of relevant market for the purposes of Community competition law (OJ 1997 C 372, p. 5) that the definition of the relevant market does not require the Commission to follow a rigid hierarchy of different sources of information or types of evidence. The Commission did not, therefore, commit a manifest error of assessment in basing its conclusions on the relevant market on its assessment of the evidence gathered without having recourse to an SSNIP test.”

Gegen eine Flexibilisierung der Prüfungssystematik bei der Missbrauchsaufsicht kann schließlich an-geführt werden, dass diese die Probleme, die herkömmlich bei der Marktabgrenzung auftreten, im Ergebnis nur an eine andere Stelle der Prüfung verschiebe. So muss zusätzlich zu einem durch Wett-bewerb nicht kontrollierten Verhalten nachgewiesen werden, dass dieses zu einer Verdrängung von Wettbewerbern geführt hat, die nicht durch Leistungswettbewerb oder andere Umweltveränderun-gen erklärt werden kann. Zu verlanUmweltveränderun-gen wäre im Zweifel eine nicht unerhebliche Verdrängungswir-kung119 – ohne dass geklärt wäre, wie hoch die Erheblichkeitsschwelle anzusiedeln ist. Eine Isolierung der Auswirkungen, die spezifisch von dem durch Wettbewerb nicht kontrollierten Verhalten ausge-hen, ist in der Praxis regelmäßig mit großen Schwierigkeiten und hohem Aufwand verbunden.

Damit sind überzeugende Argumente dafür benannt an dem Erfordernis der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung im Regelfall festzuhalten. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen eine flexiblere Handhabung der Prüfungssystematik den Nachweis eines wettbewerbsschädigen unilateralen Verhaltens erheblich erleichtern könnte, ohne dass damit wettbewerbspolitisch erhöhte Irrtumskosten verbunden wären. Zu diesen Fallkonstellationen kann insbesondere die Ausnutzung von Informationsasymmetrien durch eine marktstarke – aber nach herkömmlichen Kriterien nicht notwendig marktbeherrschende – Digitalplattform gehören, deren zentrale Funktion in der Informationsintermediation besteht und deren verzerrte Informationsprä-sentation daher erhebliche wettbewerbsverzerrende Wirkungen haben kann. Lässt sich eine unmit-telbare zeitliche Korrelation zwischen einer verzerrten Darstellung der Information und den Verdrän-gungswirkungen aufzeigen, so kann auch der Kausalitätsnachweis in solchen Fällen gelingen. Tatsäch-lich ist aber davon auszugehen, dass es sich um eine recht kleine Zahl von Fällen handeln wird, bei denen sich der Verzicht auf die vorrangige Feststellung der Normadressatenschaft im herkömmlichen Sinne als opportun erweist.

c) Ist eine Korrektur im GWB geboten?

Zu klären bleibt, ob für die Durchsetzung des deutschen Missbrauchsverbots (§§ 18, 19 GWB) in die-ser im Zweifel kleinen Anzahl geeigneter Fälle eine Korrektur im GWB sinnvoll sein könnte – etwa ein Hinweis auf die Möglichkeit, bei nachweislicher anti-kompetitiver Verdrängungswirkung die fehlende

119 Vgl. UK High Court of Justice, Streetmap.EU Limited v. Google, [2016] EWHC 253 (Ch), Rn. 92 ff.: „serious” or

„appreciable” effect – jedenfalls wenn der anti-kompetitive Effekt nicht auf dem beherrschten Markt eintritt.

Vgl. hierzu Monti, Fordham Int’l LJ. 40 (2017), 1443, 1464; Ibanez Colomo, Streetmap v Google: lessons for pending Article 102 TFEU cases (including Google itself), abrufbar unter

https://chillingcompetition.com/2016/02/17/streetmap-v-google-lessons-for-pending-article-102-tfeu-cases-including-google-itself.

wettbewerbliche Kontrolle des Verhaltens auch auf der Grundlage von nicht marktstrukturellen Fak-toren festzustellen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Fälle, in denen ein Bedarf nach Flexibili-sierung besteht, ganz überwiegend mit dem unten näher behandelten Konzept der „Intermediati-onsmacht“ erfasst werden können (s.u., C.IV.3.). Eine weitergehende Modifikation der §§ 18, 19 GWB erscheint nicht erforderlich.