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Bedarf es neuer Konzepte zur Erfassung von „Datenmacht“ bzw. „Datenabhängigkeit“?

C. Schutzlücken im geltenden Regime der Missbrauchsaufsicht? Diskussion und

IV. Fallgruppenspezifische Absenkung der Eingriffsschwelle in der Missbrauchsaufsicht

4. Bedarf es neuer Konzepte zur Erfassung von „Datenmacht“ bzw. „Datenabhängigkeit“?

a) Die Berücksichtigung des Datenzugriffs in Art. 102 AEUV / §§ 18, 19 GWB

Zu den Besonderheiten der digitalen Ökonomie zählt die herausgehobene wirtschaftliche Bedeutung von Daten (s.o., B.I.). Dass die Kontrolle über Daten zu Marktmacht führen oder beitragen kann, ist unbestritten. Der deutsche Gesetzgeber hat dies mit der 9. GWB-Novelle für einen Teilbereich bereits ausdrücklich anerkannt. In § 18 Abs. 3a GWB heißt es nunmehr:

„Insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken sind bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens auch zu berücksichtigen: … Nr. 4: sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“.

Stärkung der Informationsasymmetrien und damit einer Zunahme der wettbewerblich nicht kontrollierten Verhaltensspielräume.

Marktmacht kann etwa entstehen, wenn eine bestimmte Art von Daten eine wesentliche kritische Inputressource für das Angebot von Gütern und Dienstleistungen ist, die anderweitig nicht zugäng-lich oder substituierbar ist, sodass hieraus Wettbewerbsvorteile und Marktzutrittsschranken entste-hen. Digitale Plattformen können auf Dienstemärkten Marktmacht erlangen, wenn aus einer Kombi-nation der Akkumulation von Daten mit direkten und indirekten Netzwerkeffekten schwer einholbare Vorteile entstehen, bspw. bzgl. der Qualität von Suchmaschinen. Zu berücksichtigen sind dabei Ska-len- und Verbundvorteile, die aus der Aggregation von Daten entstehen und ggfs. erst so die Gewin-nung bestimmter Erkenntnissen ermöglichen.

Die Fallpraxis zu § 18 Abs. 3a ist noch gering. Vorteile beim Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten i.S.v. § 18 Abs. 3a Nr. 4 GWB spielten aber eine tragende Rolle bei der Feststellung der marktbeherr-schenden Stellung im Missbrauchsverfahren gegen CTS Eventim.221 Im noch laufenden Facebook-Verfahren kommt dem „überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“ jedenfalls nach der vorläufigen Einschätzung des Bundeskartellamts Bedeutung bei der Beurteilung von Facebooks marktbeherrschender Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke zu.222 Die datenbezogenen Vor-teile bei der Produktgestaltung und -monetarisierung begründen nach Ansicht des Bundeskartellamts Markteintrittsbarrieren für Unternehmen, die keinen Zugang zu vergleichbaren Datensammlungen haben.223

Obwohl der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten nur in § 18 Abs. 3a GWB als Marktmacht-Kriterium genannt wird, ist dessen Bedeutung nicht auf mehrseitige Märkte und Netzwerke begrenzt.

§ 18 Abs. 3a GWB schließt die Berücksichtigung des Zugangs zu wettbewerbsrelevanten Daten als

221 BKartA, Beschl. v. 4.12.2017, B6-132/14-2, CTS Eventim: CTS verfüge wegen des unternehmenseigenen, hoch frequentierten Online-Shops über herausgehobene Möglichkeiten zur Erhebung umfangreicher Kundendatensätze, die für Zwecke der Marktanalyse und der individualisierten Kundenansprache (Targeted Advertising) genutzt werden könnten (Rn. 195). Hierdurch könne CTS den Veranstalterkunden glaubhaft eine bessere Bewerbung ihrer Veranstaltung anbieten als die konkurrierenden Ticketsysteme, deren eigene Onlineshops nur erheblich geringer frequentiert werden (Rn. 197). Ferner würden sich Verbundvorteile dadurch ergeben, dass die mit CTS konzernverbundenen Eventveranstalter durch die Datenbestände eine bessere Prognose über die Nachfrage nach bestimmten Veranstaltungen anstellen könnten – was wiederum die Qualität des Veranstaltungsangebots auf der CTS-Plattform aus Kundensicht erhöht (Rn. 199). Die Wettbewerbsvorteile aus dem verbesserten Datenzugang seien schließlich besonders ausgeprägt, da die von CTS erhobenen Kundendaten nicht durch konkurrierende Ticketsystemdienstleister duplizierbar seien – insbesondere deshalb, weil CTS (anders als seine Wettbewerber) keinen Export der Kundendaten durch die Veranstalterkunden ermöglichen (Rn. 200).

222 BKartA, vgl. Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamts v. 19.12.2017, abrufbar unter

https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Diskussions_Hintergrundpapier/Hintergrundpa pier_Facebook.html?nn=3591568, S. 4.

223 BKartA, vgl. Hintergrundinformationen zum Facebook-Verfahren des Bundeskartellamts v. 19.12.2017, (Fn.

222), S. 4.

Kriterium für die Würdigung der Marktstellung auf Nicht-Plattformmärkten in keiner Weise aus. Bei der Prüfung, ob eine marktbeherrschende Stellung – d.h. eine von Wettbewerb nicht kontrollierte Machtposition – vorliegt, kann und muss die Bedeutung eines exklusiven bzw. bevorzugten Datenzu-gangs bereits nach geltendem Recht auch außerhalb mehrseitiger Märkte und Netzwerke berücksich-tigt werden.224

Ob der ausschließliche oder privilegierte Zugriff bestimmter Unternehmen auf bestimmte Daten (z.B.

Maschinen-, Produkt- oder Dienste-Nutzungsdaten) oder auch der schiere Umfang des Datenzugriffs durch bestimmte Unternehmen (z.B. Google, Facebook, Amazon) nach Maßgabe dieses Kriteriums allein oder im Zusammenspiel mit anderen Faktoren eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt kann nur im Einzelfall ermittelt werden. Das Bundeskartellamt hat in Kooperation mit der französischen Autorité de la Concurrence datenbezogene Kriterien zusammengefasst, die bei der Ermittlung von Marktmacht eine Rolle spielen.225 Maßgeblich sind die konkreten Marktgegebenhei-ten auf dem relevanMarktgegebenhei-ten Markt, die Bedeutung, die dem DaMarktgegebenhei-tenzugang im jeweiligen Kontext zu-kommt, die Substitute, die mit Blick auf die Tätigkeit auf dem fraglichen Markt zur Verfügung stehen, und die Zugangsmöglichkeiten zu den erforderlichen Daten oder Substituten.226

Eine Würdigung, ob und in welchem Umfang der Zugang zu Daten die Marktstellung beeinflusst, muss unter anderem die Wettbewerbsvorteile berücksichtigen, die ein Unternehmen aus einem nach Art und/oder Umfang privilegierten Datenzugriff auf einem oder verschiedenen Märkten ziehen kann (siehe dazu auch unten, „konglomerate Macht“). So kann in bestimmten Kontexten der Umfang des Zugriffs auf Daten und/oder die Art des Zugriffs (z.B. Zugriff auf Echtzeitdaten) entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit sein. Beispiele hierfür können Dienstleistungen auf Logistikmärkten sein, bei denen der Umfang des Echtzeit-Zugriffs auf Standortdaten für die Qualität der Dienstleistung so ent-scheidend ist, dass aus Zugriffsvorteilen eine marktbeherrschende Stellung folgen kann; oder

224 Den Maßstab bildet bis heute die in Hoffmann-La Roche formulierte Definition der marktbeherrschenden Stellung als der wirtschaftlichen Machtstellung eines Unternehmens, „die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber unabhängig zu verhalten. Eine solche Stellung schließt im Gegensatz zu einem Monopol oder einem Quasi-Monopol einen gewissen Wettbewerb nicht aus, versetzt aber die begünstigte Firma in die Lage, die Bedingungen, unter denen sich dieser Wettbewerb entwickeln kann, zu bestimmen oder merklich zu

beeinflussen, jedenfalls aber weitgehend in ihrem Verhalten hierauf keine Rücksicht nehmen zu müssen, ohne dass es ihr zum Schaden gereicht“, EuGH, Urt. v. 13.2.1979, Rs. 85/76, Hoffmann-La Roche, Rn. 38 f.

225 Autorité de la Concurrence/BKartA, Competition Law and Data, 2016, abrufbar unter

https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Big%20Data%20Papier.pdf?__blob=p ublicationFile&v=2.

226 Ausführlich zu möglichen Substitutionsbeziehungen: Schweitzer/Peitz, NJW 2018, 275, 275 f.

dukt- oder Dienstleistungsmärkte, in denen die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend vom Einsatz Künstlicher Intelligenz – insb. vom Einsatz von Techniken des „machine learning“ – abhängt, wofür der Zugriff auf sehr umfangreiche Datensätze erforderlich ist.

Die Bestandsaufnahme zeigt, dass der wettbewerblichen Bedeutung von Daten im Rahmen der §§

18, 19 GWB227 bereits jetzt vollumfänglich Rechnung getragen werden kann. Rein klarstellend wäre es gleichwohl denkbar, den Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten auch in die Liste der für die Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens nach § 18 Abs. 3 GWB relevanten Kriterien aufzu-nehmen. Eine immer weitere „Aufladung“ der Liste von marktmachtrelevanten Faktoren in § 18 Abs.

3 GWB läuft allerdings Gefahr, dass deren grunsätzliche Offenheit in der praktischen Anwendung zurücktritt und im Ergebnis zu wenig Augenmerk auf nicht aufgeführte Kriterien gelegt wird. Würde man den § 18 Abs. 3 GWB etwa um das Kriterium des Zugangs zu wettbewerbsrelevanten Daten er-gänzen, so wäre es naheliegend, ebenso den „innovationsgetriebenen Wettbewerbsdruck“ zu über-nehmen. Zu fragen wäre dann aber auch, ob neben dem Datenzugang nicht auch die Datenanalyse-Kompetenz als relevanter Faktor bei der Ermittlung der Markstellung aufzuführen wäre – oder ob aus der fehlenden Nennung der Schluss zu ziehen ist, dass vorrangig dem Datenzugang Bedeutung bei-gemessen werden soll. Derartige Probleme in der Auslegung des § 18 Abs. 3 GWB werden vermie-den, wenn keine – ohnehin nur klarstellenden – Änderungen vorgenommen werden.

b) „Datenmacht“ und „Datenabhängigkeit“ in § 20 GWB aa) § 20 Abs. 3 GWB

Begründet die Kontrolle über bestimmte Datensets keine marktbeherrschende Stellung, so kann sie gleichwohl „überlegene Marktmacht“ i.S.d. § 20 Abs. 3 GWB begründen. Der Wortlaut des § 20 Abs.

3 S. 1 GWB erlaubt eine Berücksichtigung der Kontrolle über Daten bzw. des Zugangs zu Daten bei der Ermittlung „überlegener Marktmacht“ ohne Weiteres. Ferner sind im Rahmen des § 20 Abs. 3 GWB bei der Ermittlung überlegener Marktmacht die Faktoren des § 18 Abs. 1, Abs. 3 sowie Abs. 3a heranzuziehen.228 Bedeutung können bspw. Faktoren wie die Sortimentsbreite eines Unterneh-mens229 oder Konzernverflechtungen haben, wenn diese einem Unternehmen besondere Wettbe-werbsvorteile verschaffen,230 etwa einen besseren Zugang zu Beschaffungs- oder Absatzmärkten. Der überlegene Zugriff auf wettbewerbsrelevante Datensets oder besonders große Mengen an Daten

227 Gleiches gilt im Übrigen auch für die Anwendung von Art. 102 AEUV.

228 Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 Rn. 108-110.

229 BGH, Beschl. v. 12.11.2002, KVR 5/02, Wal*Mart, Rn. 17 (juris).

230 Z.B. über die Möglichkeit, besonders attraktive Warenkörbe zu schaffen oder aber bestimmte Zweige der Konzerntätigkeit längerfristig querzusubventionieren.

kann zu derartigen Wettbewerbsvorteilen führen (siehe auch C.IV.5.). Für Unternehmen mit überle-gener Marktmacht gilt das in § 20 Abs. 3 S. 1 GWB normierte Behinderungsverbot.

Wie bereits oben (C.III.3.) ausgeführt, kann in Fällen, in denen Behinderungsstrategien von Unter-nehmen mit überlegener Marktmacht im Verhältnis zu innovativen kleineren Wettbewerbern zu beurteilen sind, eine breitere Anwendung des § 20 Abs. 3 GWB gerechtfertigt sein, die sich von den hohen, über die Behinderungswirkung hinausgehenden Nachweisanforderungen der Hitlisten-Rechtsprechung des BGH löst.

bb) § 20 Abs. 1 GWB – „Datenabhängigkeit“?

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Kontrolle über wettbewerbsrelevante Daten für sich genommen nach geltendem Recht zu relativer Marktmacht i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB führen kann.

Nicht zweifelhaft ist, dass eine anderweitig begründete relative Marktmacht auch zu einer besonde-ren „Daten-Abhängigkeit“ fühbesonde-ren kann. Dies folgt bereits aus der oft engen Verknüpfung von Produk-ten/Diensten und Daten in der digitalen Ökonomie. So kann nicht zuletzt in IoT- und Aftermarket-Kontexten eine unternehmensbedingte Abhängigkeit bestehen, wenn und weil das abhängige Unter-nehmen in der Vergangenheit spezifisch in die Geschäftsbeziehung mit dem nunmehr "marktstarken"

Unternehmen investiert hat und deshalb nach dieser "transaktionsspezifischen Investition" über geringere und eventuell unzumutbare Ausweichmöglichkeiten verfügt („Lock-in“).231 Wird einem in dieser Weise abhängigen Unternehmen in informationell integrierten Wertschöpfungsketten (bspw.

Hersteller von Komponenten) der Zugang zu bestimmten (für das Unternehmen wertvollen) Daten verwehrt, so kann hierin eine unbillige Behinderung liegen. Auch kann ein Anbieter bei bestehender

„relativer Nachfragemacht“ einer Plattform – etwa dann, wenn ein Händler für einen Großteil seines Absatzes von der Präsenz auf einer großen Transaktionsplattform abhängig ist und zumutbare Aus-weichmöglichkeiten fehlen (s.o., C.IV.3.a).bb) – in der Verweigerung des Zugriffs auf Daten, die sich auf die eigenen Transaktionen des Händlers und auf dessen Kunden beziehen, eine unbillige Behin-derung liegen.

Lässt sich – in dieser oder anderer Weise – eine Abhängigkeit begründen, so kann über § 20 Abs. 1 GWB aber nicht nur die unbillige Verweigerung des Datenzugangs erfasst werden. Eine unbillige Be-hinderung kann unter Umständen auch aus der Verwendung von Daten, die unter Mitwirkung des

231 Der Umstand, dass das Unternehmen sich ggfs. freiwillig in die Abhängigkeitsposition begeben hat, ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Siehe dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB Rn.

38. Anders Loewenheim, in: LMRKM, § 20 GWB Rn. 19: Berücksichtigung im Rahmen der Zumutbarkeit von Ausweichmöglichkeiten.

abhängigen Unternehmens generiert wurden, für andere wettbewerbliche Zwecken folgen (näher dazu s.u., V.4.d.). Je nach Fallkonstellation kann demgemäß eine bestimmte Datenverwendung ver-boten werden oder die Gewährung von Zugang zu bestimmten Daten gever-boten sein.

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich die Abhängigkeit von Unternehmen von einem anderen Unternehmen allein aus der Abhängigkeit von einem Datenzugriff ergeben kann. Zu unterscheiden sind hier Konstellationen, in denen ein Unternehmen Datenzugriff begehrt, das bereits in einer Verti-kalbeziehung zu einem potenziell „relativ marktmächtigen“ Unternehmen steht, und Konstellationen, in denen Drittanbieter ohne vorherige Geschäftsbeziehung Datenzugriff begehren.

Bei der Frage nach der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 GWB in solchen Konstellationen besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Ermittlung einer Abhängigkeit und der Feststellung einer unbilli-gen Behinderung durch Verweigerung des Datenzugriffs. Diese Fraunbilli-gen werden unter C.VI. im Zu-sammenhang erörtert.

5. Lässt sich „konglomerate Macht“ nach geltendem Recht angemessen