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Funktionsweise digitaler Plattformen und Missbrauchsanreize

C. Schutzlücken im geltenden Regime der Missbrauchsaufsicht? Diskussion und

V. Der Missbrauch von Marktmacht durch Plattformen

3. Funktionsweise digitaler Plattformen und Missbrauchsanreize

Die wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen haben eine große Zahl verschiedenartiger Plattformen hervorgebracht. So gibt es etwa Plattformen, die als Marktplatz dienen (auch „Transak-tionsplattformen“ genannt), Plattformen – regelmäßig werbefinanziert –, die auf die Informations-aufbereitung und –vermittlung ausgerichtet sind (sog. „Informationsplattformen“256; das Bundeskar-tellamt spricht von „Aufmerksamkeitsplattformen), Plattformen, die dem sozialen Austausch gewid-met sind (soziale Netzwerke, soziale Medien) und technische Plattformen wie Betriebssysteme.257 Auch die Geschäftsmodelle digitaler Plattformen sind sehr unterschiedlich: Zum Teil sind sie werbefi-nanziert, zum Teil arbeiten sie provisionsbasiert. Andere Plattformen finanzieren sich durch Nutzer-gebühren. Auch zahlreiche Mischformen sind zu finden (siehe dazu bereits oben, B.I.).

Schaut man auf die auf der Plattform tätigen Parteien, so ist die Entwicklung von B2B-Plattformen bislang insgesamt hinter den Erwartungen zurückgeblieben.258 Eine große Rolle spielen in der Praxis die Plattformen, die zwischen Unternehmen und Verbrauchern vermitteln (B2C), damit breite Spiel-räume für die Vermittlung relativ geringwertiger Transaktionen eröffnen und den Marktzugang gera-de auch für kleine und mittlerer Unternehmen und für wenig nachgefragte Güter und Dienste („long tail“) ermöglichen bzw. ausweiten. Plattformen der sog. „sharing economy“ werben damit, das Teilen langlebiger Güter (Wohnungen, Fahrzeuge etc.) zwischen Verbrauchern (C2C) zu erleichtern.

platform, users on different sides may differ in their sophistication and knowledge of the marketplace, or they may perceive different degrees of product differentiation among the platforms. Moreover, platforms may vertically integrate to different degrees on different sides. These distinctions can result in significant

differences across the sides of a platform in terms of the platform’s unilateral incentives to compete as well as its ability and incentive to engage in coordinated behavior with rival platforms.” Ebenso Justice Breyer, dissenting opinion in: U.S. Supreme Court, Ohio et al. v. American Express Co. et al. (2018), noch nicht in amtl.

Slg., abrufbar unter https://www.supremecourt.gov/opinions/17pdf/16-1454_5h26.pdf, S. 9 ff.

255 Siehe Katz/Sallet, Yale L. J. 127 (2018), 2142, 2162.

256 So Engert, AcP 218 (2018), 302, 308.

257 Zu den verschiedenartigen Plattformen siehe auch bereits B.I.

258 Siehe Engert, AcP 218 (2018), 302, 306; Evans/Schmalensee, Matchmakers: The New Economics of Multisided Platforms, 2016, S. 58 ff., 65 ff.

In vielfältiger Weise befördern Plattformen damit die private, soziale und wirtschaftliche Interaktion.

In ökonomischer Hinsicht erhöhen sie in hohem Maße die Angebotsvielfalt. Diejenigen Plattformen, die auf ein informationelles (Informationsplattformen) oder transaktionsbezogenes (Transaktions-plattformen) „Matchmaking“ ausgerichtet sind, haben dabei grundsätzlich starke Anreize, Strukturen zu schaffen, welche Transaktionskosten für alle Plattformseiten senken und diese passgenau und präferenzgerecht zusammenführen.259 Am Beispiel einer Transaktionsplattform: Ihr Ziel ist es regel-mäßig, den Marktplatz derart zu strukturieren, dass die Transaktionskosten minimiert und so das Transaktionsvolumen erhöhen wird. Mit dem Transaktionsvolumen steigen auch die Provisionsan-sprüche der Plattform. Es ist daher grundsätzlich im Eigeninteresse der Plattform, Marktplatzregeln aufzustellen und durchzusetzen, welche die Informationsasymmetrien betreffend die Qualität der angebotenen Information bzw. Leistungen senken, damit das Vertrauen der Nutzerseite in die Zuver-lässigkeit und Nutzerfreundlichkeit der Plattform erhöhen und opportunistisches Verhalten der Platt-formnutzer minimieren. Der Steigerung des Vertrauens in die über die Plattform vermittelten Trans-aktionen dienen etwa die Bewertungssysteme, die sowohl eine Bewertung von Produk-ten/Dienstleistungen als auch die Bewertung von Händlern ermöglichen.260 Digitale Informations- und Transaktionsplattformen haben damit im Ausgangspunkt Anreize, als neutrale und „ehrliche Makler“ zu agieren,261 und dementsprechend pro-kompetitive Wirkungen.

Gleichwohl können Anreize für missbräuchliche Strategien entstehen. Plattformen können einerseits ein Interesse daran haben, Wettbewerb anderer Plattformen abzuwehren – ggfs. auch mithilfe anti-kompetitiver Abschottungsstrategien. Der Sonderfall der Strategien zur Herbeiführung eines „Tip-ping“ wurde bereits diskutiert (siehe C.IV.1.). Auch bereits marktbeherrschende Plattformen können aber ein Interesse haben, zu Exklusivitätsstrategien / Strategien zur Behinderung von Mulithoming oder „Switching“ zu greifen. Es handelt sich hierbei um bekannte Fallgruppen missbräuchlichen Ver-haltens, die nach geltendem Recht gut erfasst werden können. Sie sollen im Folgenden daher nicht im Mittelpunkt stehen.

Zum anderen kommen Verhaltensweisen in Betracht, mit denen die auf einem Markt bestehende Marktmacht auf angrenzende Märkte erstreckt werden soll. Eine etablierte Fallgruppe des „leverage

259 Ausführlich hierzu, und unter Hinweis auf die insoweit relevanten Unterschiede zwischen Transaktions- und Informationsplattformen, siehe Engert, AcP 218 (2018), 302, 307 ff., insb. 308.

260 Siehe dazu ausführlich Engert, AcP 218 (2018), 302, 349 ff.

261 Hervorgehoben bei Engert, AcP 218 (2018), 302, 309.

of monopoly power“ betrifft Kopplungsstrategien.262 Als missbrauchsanfällig gelten insbesondere vertikal integrierte Plattformen, also Plattformen, die als „Marktplatzanbieter“ auftreten, aber zu-gleich selbst als Anbieter auf dem Markt tätig sind. Verfügt eine solche Plattform als Marktplatzan-bieter über eine marktbeherrschende Stellung, ist also in ihrem Verhalten durch Wettbewerb nicht mehr hinreichend diszipliniert, so kann sie über die Möglichkeit und über Anreize verfügen, die In-formationsvorteile, Ressourcen (z.B. Daten) und Lenkungsmöglichkeiten, über die sie als Plattform verfügt, zur Ausdehnung der Machtposition auf angrenzende Märkte auszunutzen („leverage of mo-nopoly power“). Beispiele hierfür können die bevorzugte Anzeige eigener Angebote im Ranking263 oder die Nutzung des umfassenden Zugriffs auf Daten der auf der Plattform tätigen Unternehmen sein, um der eigenen Retail-Tochter in besonders gewinnträchtigen Marktsegmenten Vorteile zu verschaffen. Die Anreize zur Schlechterstellung von Konkurrenzangeboten sind in dem Umfang be-schränkt, in dem solche Praktiken die Attraktivität der Plattform für die Plattformnutzer beeinträchti-gen – bei B2C-Plattformen insbesondere die Attraktivität für die Verbraucher. Nicht immer muss die Plattform infolge einer Selbstbevorzugung aber mit einer erheblichen Abwanderung der Verbraucher rechnen, zumal wenn die Selbstbevorzugung ein nur sporadisch auftretendes Verhalten und für Nut-zer schwer zu erkennen ist.

Über seine weite Generalklausel kann das kartellrechtliche Missbrauchsverbot grundsätzlich eine große Bandbreite an unternehmerischen Verhaltensweisen mit Marktverschlusswirkung erfassen.

Die Veränderungen unternehmerischer Strategien, wie sie mit der Digitalisierung zum Teil einherge-hen, haben aber in einigen Bereichen erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen.

Im Zentrum der Diskussion stehen die Verhaltenspflichten vertikal integrierter Plattformen (V.4.). In der Folge des Google-Shopping-Beschlusses der EU-Kommission wird die Existenz und ggfs. Reichwei-te eines allgemeinen Selbstbegünstigungsverbots diskutiert (V.4.a)). Zu fragen ist, ob die ubiquitären Informationsasymmetrien von Verbrauchern im Verhältnis zu Informationsintermediären ein eigenes Regelbeispiel des Missbrauchs rechtfertigen können (V.4.b)). In der Literatur sind neue Varianten von Verlustpreisstrategien als Formen des „leverage of monopoly power“ diskutiert worden (V.4.c)).

Schließlich kann bei Transaktionsplattformen der Zugriff der Plattform auf Daten von Anbietern prob-lematisch sein, die zu der eigenen Retail-Tochter im Wettbewerb stehen (V.4.d)). Hier kann zugleich

262 Europäische Kommission, Entscheidung v. 18.7.2018, Case AT.40099, noch nicht veröffentlicht, Google Android. Vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung v. 18.7.2018, abrufbar unter

http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4581_de.htm.

263 Siehe z.B. Europäische Kommission, Entscheidung v. 27.6.2017, Case AT.39740, bekannt gegeben unter Az.

C(2017) 4444, Google Shopping. Siehe auch Monopolkommission, Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitale Märkte, Sondergutachten 68, 2015, Rn. 391-395.

eine enge Verbindung zu sog. „walled garden“-Strategien bestehen, mit denen versucht wird, Nutzer der Plattform auch für die Nutzung möglichst vieler weiterer Dienste zu gewinnen (V.4.e)).

Als neue Form einer Marktabschottungsstrategie soll der frühzeitige systematische Aufkauf von Start-Ups mit zukünftigem Bedrohungspotential diskutiert werden (V.5.)

4. Verhaltenspflichten von Plattformen mit kartellrechtlich relevanter