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Die Zentrumsfraktion hat im Mai dieses Jahres einstimmig auf dem Standpunkt gestanden, daß bei Annahme des Sachverständigengutachtens durch die Deutschnationale

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 48-62)

Am 16. August wurde das Londoner Protokoll unterzeichnet. Es enthielt außer dem oben bereits angeführten Abkommen zwischen der deutschen Regierung und

2. Die Zentrumsfraktion hat im Mai dieses Jahres einstimmig auf dem Standpunkt gestanden, daß bei Annahme des Sachverständigengutachtens durch die Deutschnationale

Reichstags-fraktion diese entsprechende Vertretung in der Regierung finden würde. Die erreichbaren Mitglieder des Vorstandes waren einmütig der Meinung, daß diese Stellungnahme sich nicht geändert hat, und daß demnach bei Annahme des Londoner Abkommens die Deutschnationa-le Reichstagsfraktion im Reichskabinett entsprechend vertreten sein wird."

Mit solchen Rückversicherungen wohl versehen, begaben sich die deutschnationalen Reichstags-abgeordneten zur Abstimmung über die Dawes-Gesetze. Sie verlief in der bereits geschilderten Form. Den Deutschnationalen war es gelungen, gewissermaßen als eine seelische Entlastung für sich selbst, die Reichsregierung zu bewegen, gleichzeitig mit den Dawes-Gesetzen einen amtlichen Widerruf der Kriegsschuldlüge zu veröffentlichen. Die ganze Angelegenheit hatte sich in der vorher genau festgelegten Weise abgewickelt. Marx hatte bereits vorher die Regierungsumbildung für den Oktober angekündigt, und da in allen Verhandlungen lediglich eine Regierungserweiterung nach rechts besprochen worden war, rechneten die Deutschnationalen damit, im Kabinett vier Sitze und Stimmen zu erhalten. Auf dieser Grundlage beschlossen die Deutschnationale Reichstags-fraktion und Vertretertagung am 29. und 30. September, in die Verhandlungen mit der Regie-rung einzutreten.

Allerdings ließ sich aus den Äußerungen führender Männer der Links-parteien erkennen, daß man den Deutschnationalen nicht so leichten

Kau-fes den Eintritt in die Reichsregierung gestatten werde. Es standen zuviel sozialdemokratische Inte-ressen auf dem Spiel. Wer übernahm denn die Gewähr, daß die Deutschnationalen nicht der großen internationalen Versöhnungsaktion in den Rücken fallen werden, welche die Sozialdemokratie und ihr bedeutender Vertreter Breitscheid einzuleiten im Begriffe waren, indem man Deutschlands Bei-tritt zum Völkerbund betrieb? Wer garantierte denn, daß der deutschnationale Einfluß im Reichs-kabinett sich nicht so unheilvoll entfalten würde, daß die durch die Dawes-Gesetze übernommenen wirtschaftlichen Lasten zum großen Teil auf die Schultern der Besitzlosen, der Arbeiterschaft, abgewälzt wurden? War überhaupt eine Verständigung mit dem Ausland möglich, mußte es nicht unübersehbare Schwierigkeiten geben, wenn die Deutschnationalen in der Reichsregierung saßen, sie, die eine nationale Wehr, eine Heeresmacht forderten, sie, die den Machtwillen des Reiches so oft und so rücksichtslos verkündet hatten? War nicht die Republik in Gefahr, wenn diese Deutsch-nationalen, die in sich schlossen die Monarchisten, die Geheimbünde und vaterländischen Ver-bände, die Mörder Erzbergers und Rathenaus, im Reich an verant-wortungsvoller Stelle saßen? So und ähnlich waren die Erwägungen, welche die Sozialdemokraten anstellten und denen sich auch nicht der Reichspräsident Ebert und der stark nach links neigende Reichskanzler Marx entziehen konnten.

Am 1. Oktober 1924 wurden die Verhandlungen zwischen der Deutschnationalen Reichstagsfraktion und dem Reichskanzler Marx wieder aufgenommen. Marx hatte von vornherein nicht den

Willen und die Absicht, die Deutschnationalen an der Reichsregierung teilnehmen zu lassen, und er wandte die verschiedensten Mittel an, um die Umbildung zu verhindern. Zur allgemeinen Über-raschung erklärte er jetzt, daß er beabsichtige, die Regierung gleichzeitig durch Deutschnationale und Sozialdemokraten zu erweitern; er berief sich dabei auf den Gedanken der Volksgemein-schaft. Bei allen bisherigen Verhandlungen war nie davon die Rede gewesen, daß auch Sozialdemo-kraten in die Regierung aufgenommen werden sollten. Praktisch wäre auch nach der ganzen Lage der Dinge eine solche Regierung, in der Deutschnationale und Sozialdemokraten saßen, gar nicht arbeitsfähig gewesen. Die Deutschnationalen empfanden diesen neuen Plan von Marx als einen Sozialdemokratische

Ansichten

Verhandlungen der Deutschnationalen wegen Regierungseintritt

lächerlichen und plumpen Versuch, die Regierungsumbildung durch Aufnahme ihrer Mitglieder zu vereiteln. Die Sozialdemokraten zwar erklärten aus taktischen Gründen, um die Lage zu verwirren, sie seien prinzipiell geneigt, mit den Deutschnationalen die Regierung zu erweitern. Es ist aber nicht anzunehmen, daß diese Erklärung innerer Wahrhaftigkeit entsprang. Denn gerade die Sozial-demokratie hatte ein großes Interesse, die Deutschnationalen aus der Reichsregierung fernzuhalten.

Nichtsdestoweniger waren die Deutschnationalen bereit, auch auf der neuen Grundlage weiter-zuverhandeln. Nun freilich, wo man erkannte, daß der Reichskanzler beabsichtigte, zwei wie Feuer und Wasser entgegengesetzte Prinzipien in der Regierung zu vereinigen, stellten die Deutschnatio-nalen gewisse Bedingungen. Sie verlangten, daß alle Parteien sich zu folgenden Zielen bekennen sollten: christliche Jugenderziehung und christliche Kultur als Grundlage des Staatslebens, unter Ablehnung des die Volksgemeinschaft verneinenden Klassenkampfes und unter Sicherung der Koa-litionsfreiheit, die Bekämpfung jedes den Arbeitsfrieden bedrohenden Terrors und die Förderung der Arbeitsgemeinschaft bei voller Wahrung der sozialen und politischen Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, und schließlich Anerkennung und weitere amtliche Verfolgung der Verhandlungen über die Kriegsschuld an der Hand der Regierungserklärung vom 29. August über die Nichtschuld Deutschlands am Kriege.

Der Reichskanzler hatte seinerseits am 7. Oktober Richtlinien für die Politik der neuen Regie-rung bekanntgegeben. Hierin hieß es:

"Die Richtung der Außenpolitik wird in erster Linie durch die Londoner Abmachungen be-stimmt. Die auf Grund derselben erlassenen Reichstagsgesetze sind loyal auszuführen, eben-so wie wir die loyale Durchführung des Abkommens von unseren Vertragsgegnern erwarten.

Die Regierung wird es sich angelegen sein lassen, die Auswirkung der übernommenen Ver-pflichtungen aufs sorgfältigste zu überwachen und die sich als notwendig erweisenden Ab-änderungen zu erreichen. Die Aufnahme in den Völkerbund (siehe später) soll entsprechend der im deutschen Memorandum niedergelegten Auffassung erstrebt werden."

Die Deutschnationalen nahmen diese Richtlinien nicht ohne jeden Vorbehalt an, denn sie bedeuteten in der Auslegung des Reichskanzlers nur die unveränderte Fortsetzung der bisherigen auswärtigen Politik, an der ja die Deutschnationalen gerade äußerst scharfe Kritik geübt hatten. Aber sie erkann-ten sie als geeignete Grundlage zu weiteren Verhandlungen an.

In einer Besprechung am 10. Oktober mit dem Reichskanzler machten die deutschnationalen Vertre-ter geltend, daß jetzt nicht mehr die Aufstellung der Richtlinien, sondern eine Einigung über den Inhalt der Regierungserklärung erforderlich sei. Sie sprachen den Wunsch aus, daß ein Teil ihrer Bedingungen vom 8. Oktober berücksichtigt werden sollte. Ferner erklärten sie, die übrigen Punkte der Richtlinien seien zwar in ihrer Fassung für sie keineswegs befriedigend, man werde aber darü-ber hinwegkommen können und keinen Anstoß daran nehmen. Am Schlusse dieser Besprechung, an der außer dem Reichskanzler auch der Außenminister Stresemann teilnahm, wurde dann im Kom-promißwege folgendes Ergebnis festgestellt, das durch die amtliche Wolff-Korrespondenz veröf-fentlicht wurde: "Die deutschnationalen Vertreter teilten ihre Auffassung zu den einzelnen Punkten der ihnen am Dienstag vorgelegten Richtlinien mit und erkannten sie als geeignete Grundlage für die weiteren Verhandlungen über die Regierungsbildung an." Die Deutschnationalen waren durch ihre Energie tatsächlich einen bedeutenden Schritt vorwärtsgekommen, und die Minister erkannten an, daß das Verhandlungsergebnis ausreiche, um mit Aussicht auf Erfolg über die Regierungs-erweiterung nach rechts verhandeln zu können.

Es hatte den Anschein, als sollten die Bemühungen des Grafen Westarp, jenes impulsiven, ent-schlossenen und tatkräftigen Mannes, der von deutschnationaler Seite die Verhandlungen führte, von Erfolg gekrönt sein. Schritt für Schritt drang dieser Mann vorwärts, kämpfend für das Recht und die Macht seiner Partei.

Plötzlich jedoch erhob sich ein neuer, unerwarteter Widerstand von anderer

Seite. Der Reichskanzler Marx hatte Stellung um Stellung an den Grafen Fortgang der Verhandlungen

Westarp verloren; dennoch aber hoffte er, den Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung noch im letzten Augenblick verhindern zu können. Dabei kam ihm seine Fraktion zu Hilfe, in welcher der linke Flügel die Oberhand gewonnen hatte. Diese hatte bereits am Abend des 14. Oktober folgenden Beschluß gefaßt:

"Nachdem die Beibehaltung der gegenwärtigen Regierung, die das Zentrum einmütig ge-wünscht hatte, abgelehnt worden ist, erklärt die Zentrumsfraktion ihre Bereitschaft, einer Regierungserweiterung nach rechts auf dem Boden der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien zuzustimmen, falls die Demokraten auch in der Regierung bleiben."

Die Demokraten lehnten dies aber am 15. Oktober ab. Tags darauf stellte demnach die Zentrums-fraktion fest, daß der Versuch, die Regierung in tragfähiger Form nach rechts zu erweitern, geschei-tert sei. Der Reichskanzler wurde ersucht, "kein Mittel unversucht zu lassen und im äußersten Not-fall an das politische Urteil des Volkes zu appellieren, um eine tragfähige Regierung zu schaffen";

man spielte also wieder, wie zwei Monate vorher, mit dem Lieblingsgedanken der Reichstagsauf-lösung. Nun teilte Marx den Führern der Regierungsparteien mit, daß auf Grund des Beschlusses der Zentrumsfraktion weitere Verhandlungen in der Frage der Regierungserweiterung aussichtslos seien, und er diese daher abgebrochen habe. Dennoch nahm er sie am 17. Oktober inoffiziell im Namen und Auftrag des Kabinetts ohne unmittelbare Hinzuziehung der Fraktionen mit scheinbarer Bereitwilligkeit wieder auf, unter der Bedingung, daß die Demokraten in der Regierung ver-bleiben sollten. Er eröffnete dem Grafen Westarp, daß die Erweiterung der Regierung nach rechts unter allen Umständen von der Vorfrage abhängig gemacht werden müsse, ob die Demokrati-sche Fraktion das Verbleiben des Reichswehrministers Geßler im Kabinett billigen und wohl-wollende Neutralität beobachten werde. Es war der letzte, aber entscheidende Trumpf, den Marx gegen die Deutschnationalen ausspielte, indem er gleichzeitig mit ihnen über die Verteilung der Ministersitze verhandelte.

Der Kanzler machte den Vorschlag, den Posten des Vizekanzlers und Innenministers nicht zu tren-nen, dafür aber den Deutschnationalen vier Sitze einschließlich des Ernährungsministeriums zur Verfügung zu stellen, wobei er den Wunsch aussprach, daß Graf Kanitz das Ernährungsministerium behielte. Marx rechnete also den Grafen Kanitz der Deutschnationalen Partei an, trotzdem dieser ihr nicht angehörte. Den Deutschnationalen wurde eingeräumt: Vizekanzler und Innenminister verbun-den, Wirtschafts-, Verkehrs- und Ernährungsminister. Die Fraktion beschloß, vier Kandidaten vor-zuschlagen, unter denen sich Graf Kanitz nicht befand. Am folgenden Tage antwortete der Reichs-kanzler, das Kabinett und der Reichspräsident bestünden darauf, daß Graf Kanitz Ernährungs-minister bliebe, die Deutschnationalen könnten also nun nur drei Sitze erhalten. Am 20. Oktober beschlossen diese dann, gegen den Grafen Kanitz nicht Einspruch zu erheben, aber auf vier Sitzen zu bestehen, indem, wie ursprünglich vorgeschlagen worden war, Vizekanzler und Innenminister getrennt wurden.

Inzwischen waren die Deutschnationalen und Demokraten vom Reichskanzler in ultimativer Form aufgefordert worden, sich bis zum 20. Oktober nachmittags 5 Uhr zu äußern, ob sie zu gemeinsamer Teilnahme an der Reichsregierung gewillt seien. Die Deutschnationalen enthielten sich jeder positi-ven Antwort.

Dagegen lief von der Demokratischen Fraktion eine Antwort ein, die mit 16 gegen 6 Stimmen beschlossen war und folgendermaßen lautete:

"Die Demokratische Fraktion hat wiederholt erklärt, daß nicht der geringste Grund für die Herbeiführung einer Regierungskrisis vorgelegen hat. Wenn der Herr Reichskanzler sich entschlösse, unbekümmert um die schwankende Haltung einzelner Fraktionen mit dem jetzi-gen Kabinett vor den Reichstag zu treten, so würde dieses Kabinett vor dem Reichstage ein glattes Vertrauensvotum erhalten. Die schwere außenpolitische Gefahr, die mit der Einbezie-hung der Deutschnationalen in das Kabinett bei ihrer unsicheren außenpolitischen Haltung verbunden ist, hat die Demokratische Fraktion wiederholt zu dem Beschluß veranlaßt, eine einseitige Verbreiterung des Kabinetts nach rechts nicht mit ihrer Verantwortung zu decken.

Die geplante Zusammensetzung des neuen Kabinetts, in das auch Deutschnationale berufen werden sollen, die sich dem Dawes-Gutachten gegenüber ablehnend verhalten haben, kann die Demokratische Fraktion in ihrer Haltung nur bestärken. Daß die Fraktion, die dafür ein-tritt, das jetzige Kabinett in seiner Gesamtheit zu erhalten, ihre Zustimmung dazu gäbe, ein Mitglied ihrer Fraktion in einem ohne sie neugebildeten Kabinett zu belassen, und daß sie durch einen derartigen halben Beschluß unklare Verantwortlichkeiten schaffe, ist ein Verlan-gen, dem die Fraktion nicht entsprechen kann."

Damit waren die Würfel gefallen, sämtliche Verhandlungen über

Ein-beziehung der Deutschnationalen in die Reichsregierung mußten als endgültig gescheitert be-trachtet werden. Es blieb nun nichts anderes übrig, als den Reichstag aufzulösen. Der Reichs-präsident verfügte die Auflösung, da "parlamentarische Schwierigkeiten die Beibehaltung der ge-genwärtigen Reichsregierung und gleichzeitig die Bildung einer neuen Regierung auf der Grundla-ge der bisher befolgten Innen- und Außenpolitik unmöglich mache". Die GeGrundla-gensätze zwischen den beiden großen Parteien rechts und links waren zu stark, als daß ihre Vereinigung in einer Regierung ohne Krisis erfolgen konnte. Das Eintreten der gewaltigen Rechtspartei, die bisher in teilweise sehr scharfer Opposition abseits gestanden hatte, in die aktive Politik ging nicht ohne Erschütterung ab.

Die derzeitigen Machthaber befanden sich noch zu sehr im Banne der Vorstellung, daß die Existenz der Republik innen- und außenpolitisch gefährdet sei, wenn eine starke, als monarchisch bekannte Partei ohne ein entsprechendes demokratisches Gegengewicht an der Reichsregierung beteiligt sei.

Es war letzten Endes die Fraktion des Reichskanzlers, die mit seinem Willen und Zutun die Berufung der Deutschnationalen vereitelt hatte. Als letzten Ausweg rief die Regierung nun das Urteil des Volkes an: das deutsche Volk mußte einen neuen Reichstag wählen.

Nichtsdestoweniger war das Verhalten des Reichskanzlers im höchsten Grade unaufrichtig, ja perfi-de, da es jeder zwingenden politischen Berechtigung entbehrte. Das mußte die Deutschnationalen aufs tiefste empören. Ihrer hatte sich Marx bedient, um möglichst ohne Schwierigkeiten die Annah-me des Dawes-Planes zu erreichen, und nun bediente er sich zweifelhafter Mittel, um sich ihrer zu entledigen, da sie ihm lästig waren. Die Folge dieses Verhaltens war, daß auch die Deutsche Volks-partei von Marx abrückte und sich den Deutschnationalen zuwandte.

Die Reichstagsauflösung mußte kommen. Sie war nur verzögert worden. Nichts aber wünschten die Links- und Mittelparteien sehnlicher, als durch eine Neuwahl die gefährlich angewachsene Deutschnationale Volkspartei zu zerschmettern. Ihre Hoffnungen in dieser Hinsicht hielten sie für sehr begründet, da sie dem infolge der geteilten Abstimmungen über die Dawes-Gesetze innerhalb der Partei ausgebrochenen Zwist größere Bedeutung beilegten, als ihm in Wahrheit zukam.

-Das deutsche Volk, das sonst lebhaften Anteil an solchen Dingen nahm und am Biertisch und an der Hobelbank wesentlich schneller zu einer Lösung kam als die Herren am grünen Tisch, hatte dieses Mal ein anderes Ereignis zu

beobachten, durch das es stark in Anspruch genommen und in gleicher Weise mit Trauer und mit Freude erfüllt wurde. Durch den Friedensvertrag war Deutschland verurteilt worden, ein Zeppelin-luftschiff an Amerika abzuliefern. Das Schiff wurde in Friedrichshafen am Bodensee erbaut und war bei beginnendem Herbst 1924 vollendet. Am 13. Oktober stieg es in der Morgenfrühe am Bodensee auf, um unter der Führung seines Erbauers und mutigen Lenkers, des Dr. Eckener, die Luftreise nach Amerika anzutreten. 72 Stunden flog es dem Ziele entgegen. In drei Tagen hatte es 7000 Kilometer zurückgelegt und landete wohlbehalten am 15. Oktober in Lakehurst auf amerikani-schem Boden, jubelnd begrüßt von einer nach Hunderttausenden zählenden Volksmenge.

Mit ungeheurer Spannung verfolgten die Deutschen, groß und klein, das Schicksal des Luftschiffes.

Täglich wurden mehrere Male Extrablätter ausgegeben, auf denen ein genauer Bericht der Fahrt gegeben wurde. Vor den Zeitungsgebäuden drängten sich die Massen, um die Karte zu studieren, auf welcher mit dickem roten Strich die Reise und der jeweilige Stand des Luftschiffes eingezeich-net war. Hier gab es kein Wort des Parteizwistes, die Menschen tauschten ihre Ansichten aus und waren alle einig, dem mutigen Pionier deutscher Technik Glück zu wünschen. Als die Kunde von Reichstagsauflösung

Eckeners Flug nach Amerika

der glücklichen Landung eintraf, rauschte ein Jubel durch Deutschland wie nach einer gewonnenen Schlacht. Dr. Eckener hatte eine technische Glanz-leistung vollbracht, auf die das deutsche Volk mit Recht stolz sein konnte vor allen Völkern. Der Reichspräsident Ebert telegraphierte an Eckener nach Lakehurst:

"Nach der glücklichen Ozeanfahrt begrüße ich mit dem ganzen deutschen Volke und der Regierung Sie und die tapfere Besatzung des Luftschiffes auf das herzlichste. Die Tat wird als Großtat in der Geschichte fortleben. Mö-ge Z. R. 3 auch auf seinen weiteren Fahrten

ein Künder deutschen Könnens sein, und möge er seinem Berufe, freiem, friedlichem Wett-bewerb aller Völker zu dienen, mit bestem Erfolge dienen."

Zum ersten Male in der Geschichte der Technik war es gelungen, den Ozean auf dem Luftwege zu überqueren. Allerdings wurde die Freude durch das bittere Bewußtsein getrübt, daß das Luftschiff nicht wieder zurückkehrte, sondern abgeliefert werden mußte als ein Tribut, den Deutschland aus dem verlorenen Kriege zu erstatten hatte.

-In den letzten Oktobertagen begann der leidenschaftliche und erbitterte Kampf der Parteien um die Macht im neuen Reichstag und in der neuen Regierung.

Man entfaltete, besonders auf der linken Seite, eine skrupellose, dämonische Agitation, um die Gemüter zu fanatisieren. Manifeste gingen ins Land, in denen man mit grenzenloser Rücksichts-losigkeit auf die politischen Gegner einhieb. Es ist kaum ein deutscher Wahlkampf mit einer derartig heißen Wut ausgetragen worden wie jener in den trüben Novembertagen von 1924.

Zuerst erschienen die Demokraten auf dem Plane. In ihrer Botschaft vom 21. Oktober richteten sie sich vornehmlich gegen die Deutschnationalen. Sie seien bei der Behandlung der Dawes-Gesetze unwahrhaftig und zweideutig gewesen. Aus innen- und außenpolitischen Gründen dürften sie augenblicklich nicht an die Regierung kommen. Geschehe dies dennoch, so sei es eine schwere Ge-fahr für Deutschlands Befreiung. Auch die Volkspartei habe die Politik der Mitte verlassen, indem sie für die Deutschnationalen eingetreten sei. Das Zentrum habe durch die nachgiebige Haltung seines demokratischen Flügels die jetzige Krisis verschuldet. Von der Sozialdemokratie trenne sich die Demokratische Partei durch einen starken inneren Gegensatz. Es müsse mit allen Mitteln erreicht werden, daß die beiden extremen Parteien der Deutschvölkischen und Kommunisten nicht wieder in der gleichen Stärke wie am 4. Mai im Reichstag einzögen. Ihr Verhalten mache die Volks-vertretung arbeitsunfähig. Aber die Deutsche Demokratische Partei kämpfe für die nationale Politik der Mitte, für die Erhaltung der Republik, für die Ausschaltung des Rassenhasses. - Gerade in diesen Tagen machte die Demokratische Partei ihre Krisis durch, die im Zusammenhange mit der gescheiterten Regierungsbildung stand. Der Deutsche Bauernbund, mit dem sie bisher zusammen-gearbeitet hatte, zog sich von ihr zurück, vor allem aber schieden verschiedene angesehene Persön-lichkeiten, so C. F. von Siemens und der ehemalige Minister Schiffer aus und gründeten eine neue

"politische Gruppe", die sie "Liberale Vereinigung" nannten. Diese erblickten nämlich in der Haltung der Demokratischen Partei während der Verhandlungen über den Regierungseintritt der Deutschnationalen ein Hinüberschwenken nach links, wodurch die Partei ihren Charakter als Mittel-partei verloren habe.

Die Deutschvölkischen forderten in ihrem Wahlaufruf vom 24. Oktober Befrei-ung des Volkes von den Dawes-Lasten und eine gerechte soziale AufwertBefrei-ung.

Am folgenden Tage erschien eine lange Kundgebung der Sozialdemokratie, die in maßloser Hef-tigkeit gegen die bürgerlichen Parteien wetterte. Gereizt durch das monatelange energische Drängen der Deutschnationalen zur Regierungsteilnahme peitschte die Sozialdemokratie unverhohlen Klas-Beginnender

Wahlkampf

Aufrufe der Parteien

Z. R. III landet in Lakehurst. Photo Scherl.

senhaß und Proletarierinstinkte auf. Sie schmähte den "Besitzbürgerblock", der gegen Republik, Verfassung und Demokratie gerichtet sei. Die ganze seit 1921 betriebene demokratische und soziali-stische Umstellung der deutschen Verwaltungsmaschine erscheine gefährdet, wenn die Deutschna-tionalen in die Regierung einzögen. Die Sozialdemokratie hatte Jahre hindurch in ihrer Politik

senhaß und Proletarierinstinkte auf. Sie schmähte den "Besitzbürgerblock", der gegen Republik, Verfassung und Demokratie gerichtet sei. Die ganze seit 1921 betriebene demokratische und soziali-stische Umstellung der deutschen Verwaltungsmaschine erscheine gefährdet, wenn die Deutschna-tionalen in die Regierung einzögen. Die Sozialdemokratie hatte Jahre hindurch in ihrer Politik

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 48-62)