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Schließlich erwarte Deutschland, gemäß Artikel 22, an dem kolonialen Mandatssystem teilzuneh- teilzuneh-men

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 78-97)

Am 16. August wurde das Londoner Protokoll unterzeichnet. Es enthielt außer dem oben bereits angeführten Abkommen zwischen der deutschen Regierung und

4. Schließlich erwarte Deutschland, gemäß Artikel 22, an dem kolonialen Mandatssystem teilzuneh- teilzuneh-men

Die deutsche Regierung erklärte, sie verzichte auf jede Absicht, besondere Begünstigungen zu ver-langen, jedoch die aufgestellten vier Forderungen müssen gewissermaßen als Voraussetzung für Deutschlands Eintritt in den Völkerbund erfüllt werden.

Aber weder Frankreich noch England hatten an einem deutschen Beitritt zum Völkerbund ohne Artikel 16 ein Interesse. England beantwortete die deutsche Note am 7. Oktober. Es bestän-den zwar keine Schwierigkeiten, daß Deutschland im Völkerbundsrat einen Sitz erhalte, aber über die Bedingungen des deutschen Eintritts hätte nur der Völkerbundsrat, aber nicht die einzelnen Mitglieder zu entscheiden. Belgien versicherte zwei Wochen später, es werde keine Einwendungen gegen einen ständigen Ratssitz Deutschlands erheben, aber die übrigen Fragen gehörten zur Kom-petenz des Völkerbundes. Auch Schweden, das am 24. Oktober antwortete, machte dem Deutschen Reiche nicht den ständigen Ratssitz streitig, doch sei es unvereinbar mit der Bundessatzung und ihren Grundsätzen, daß Deutschland hinsichtlich des Artikels 16 Vorbehalte mache. Bei der Anwen-dung dieses Artikels sei es allerdings durchaus möglich, auf Deutschlands besondere Verhältnisse und Rüstungsbeschränkung Rücksicht zu nehmen.

Im Grunde waren die Antworten unbefriedigend. Es war aber Deutschlands Pflicht, unbedingt die Frage der Beteiligung an kriegerischen Zwangsmaßnahmen des Völkerbundes zu klären, und so wandte sich die Reichsregierung dieserhalb am 18. Dezember unmittelbar an den Völkerbund.

Die Regierungen verlangten, hieß es in der Note, der deutsche Antrag auf Zulassung zum Völker-bunde müsse ohne Vorbehalte und Einschränkungen gestellt werden; Deutschland aber, ein militä-risch vollkommen ohnmächtiger Staat inmitten schwer bewaffneter Nachbarn, unterbreite jetzt das Problem dem Völkerbunde selbst mit der Bitte um Lösung.

Inzwischen erklärte die deutsche Regierung Anfang Januar im Reichstage folgendes:

"Die Frage der Stellung Deutschlands zum Völkerbunde ist niedergelegt in den Memoran-den, die die frühere Reichsregierung an die im Völkerbund vertretenen Mächte gerichtet hat, und in dem Schreiben, das an das Sekretariat des Völkerbundes Genf ergangen ist. Sie wird auch den in der Erklärung des Reichskabinetts vom 29. August 1924 beschrittenen Weg weiter verfolgen und für die Befreiung Deutschlands von dem unberechtigten Vorwurf der alleinigen Schuld am Kriege eintreten. Die Reichsregierung verfolgt mit Aufmerksamkeit die Entwicklung des Völkerbundsgedankens und die Durchführung der ihm zugrundeliegen-den Anschauungen, muß aber auch ihrerseits an zugrundeliegen-den Voraussetzungen festhalten, die von der bisherigen Reichsregierung für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund aufgestellt sind.

Erörterungen über Artikel 16

Im Zusammenhang mit der Völkerbundsfrage, wie auch unabhängig davon, wird die Reichs-regierung in Übereinstimmung mit den früheren wiederholten Erklärungen deutscher Reichsregierungen die Bemühungen fortsetzen, Deutschland von dem ungerechtfertigten Vorwurf des Versailler Vertrages über seine Schuld am Kriege zu befreien."

So knüpfte die neue Regierung des Dr. Luther folgerichtig an die Tendenzen der vergangenen Re-gierung des Dr. Marx an. Es war eine breite Plattform, auf welcher Stresemann diese Richtung der Außenpolitik zu verwirklichen suchte. Sie erstreckte sich von den Deutschnationalen, welche an der Regierung teilnahmen, bis zu den Sozialdemokraten, die in der Opposition verharrten. Deutschland war wirklich einmal in seinen größten Teilen einig in dem Willen, seine Geltung in der Welt zurück-zuerobern, wenn man freilich dabei auch von verschiedenen Voraussetzungen ausging.

Die Antwort des Völkerbundes ließ lange auf sich warten. Endlich, am 14. März 1925, traf sie ein.

Die Aufnahmebedingungen enthalte Artikel 1 der Völkerbundssatzung. Außerdem habe Deutsch-land von selbst erklärt, es verzichte auf alle Begünstigungen; jeder Vorbehalt aber in Hinsicht des Artikels 16 sei geeignet, "die Grundlagen des Völkerbundes zu sabotieren". Diese Mitteilung war eine glatte Ablehnung des deutschen Vorbehaltes. Trotzdem hielten die Regierungsparteien nach wie vor daran fest, daß Deutschland, um sich Geltung zu verschaffen, dem Bunde der Nationen beitreten müsse. Auch die Deutschnationalen traten dafür ein, aber sie betonten entschieden, daß das Reich von den Verpflichtungen des Artikels 16 befreit werden müsse.

Diese, einer deutschen Initiative entsprungene Entwicklung wurde Anfang 1925 plötzlich jäh durchkreuzt von starken Strömungen der französischen und englischen Politik. Die Kölner Zone war, wie wir wissen, am 10. Januar 1925 nicht geräumt worden, trotzdem dies nach dem Ver-sailler Vertrag hätte geschehen müssen. Die Alliierten begründeten ihr Vorgehen mit der durchaus unhaltbaren Behauptung, Deutschland sei den Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrages nicht nachgekommen. Auf den deutschen Protest hiergegen antwortete Herriot am 28. Januar mit einer Rede, welche die wahren Triebkräfte enthüllte. Zahlreiche "Zeitfreiwillige" seien ausgebildet worden, so daß die Reichswehr über starke Reserven verfüge; auch habe eine große Anzahl von Studenten militärische Ausbildungskurse durchgemacht; der Große Generalstab sei wieder errichtet worden, und die deutsche Polizei bilde eine gut organisierte militärische Streitmacht. Auch seien viel Material und Waffen gefunden worden. Wesentlich wichtiger aber war, daß Herriot betonte, Frankreich habe in Versailles der zeitlich beschränkten Besetzung des Rheinlands nur unter der Voraussetzung zugestimmt, daß es durch einen Garantievertrag mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten noch weitere Sicherheit gegen einen deutschen Angriff erhalte.

Frankreich hatte hier eine Frage aufgerollt, die man sechs Jahre lang vergeblich zu lösen versucht hatte und die jetzt, als die erste Besat-zungsperiode abgelaufen war, kategorisch nach Lösung verlangte:

Die Frage nach seiner Sicherheit. Zum Verständnis dieser hochbedeutsamen Angelegenheit ist es noch einmal notwendig, sich zusammenhängend in kurzen Zügen die Entwicklung der Sicher-heitsfrage auf alliierter und deutscher Seite zu vergegenwärtigen. Das

erste Stadium der französischen "Sicherheitsbestrebungen" reicht vom 26.

November 1918 bis zum 28. Juni 1919 und hatte kein anderes Ziel als die Lostrennung des linken Rheinufers vom Reiche. Die verschiedensten

Pläne militärischer, politischer und wirtschaftlicher Art tauchten auf, scheiterten aber am englisch-amerikanischen Widerstande. Lloyd George und Wilson machten lediglich das Angebot, Frankreich unverzüglich Hilfe zu leisten, falls es von Deutschland angegriffen werde. Es wurde ein Vertrag entworfen, wonach die anderen Vertragsmächte "Frankreich im Fall jedweder nicht herausgeforder-ten, von Deutschland gegen dasselbe gerichteten Angriffshandlung sofort zu Hilfe kommen sollten".

Die Unterzeichnung dieses Vertrages wurde von der Unterzeichnung des Versailler Vertrages abhän-gig gemacht. Da dieser aber nicht von Amerika unterzeichnet wurde, trat auch der Bündnisvertrag nicht in Kraft. Immerhin hatte Frankreich wesentliche Erfolge zu verbuchen: Besetzung der Rhein-lande bis zur Dauer von 15 Jahren, Entwaffnung Deutschlands und Militärkontrolle, Zurückschie-ben der deutschen Militärgrenze bis 50 Kilometer östlich des Rheins.

Frankreichs Sicherheitsbestrebungen

Entwicklung der Sicherheitsfrage

Das zweite Stadium französischer Sicherheitspolitik fällt in die Zeit vom Dezember 1921 bis zum Juli 1922. Das Ministerium Briand nahm die Beziehungen zu London in dieser Frage wieder auf;

Lloyd George kam nach Cannes und überreichte dort am 11. Januar 1922 einen neuen Bündnisver-tragsentwurf. Hiernach wollte sich Großbritannien für die Dauer von zehn Jahren verpflichten, sich "im Falle eines unmittelbaren, nicht herausgeforderten deutschen Angriffs auf französisches Gebiet sofort mit seinen See-, Land- und Luftstreitkräften an Frankreichs Seite zu stellen". Dann trat Poincaré mit maßlosen Forderungen auf. Er verlangte Gegenseitigkeit der Hilfeleistung, Militärkonvention, dreißigjährige Dauer, Garantie für Polen. Dafür aber zeigte England kein Verständnis, und, nachdem sich die Verhandlungen bis zum Juli 1922 hingezogen hatten, wurden sie von Poincaré abgebrochen, indem er erklärte, daß Frankreich an den englischen Vorschlägen "kein unbedingtes Interesse" habe.

Während des dritten Stadiums ging die Initiative von Deutschland und England aus. Der Reichskanzler Cuno machte im Dezember 1922 ein Angebot, das den Zweck hatte, Poincarés Eroberungspolitik zu paralysieren. Im Mai 1923 machte Cuno ein zweites Angebot zum Abschluß eines Rheinpaktes auf schiedsgerichtlicher Grundlage. Voraussetzung für die Verhandlung sollte die Ruhrräumung und die Wiederherstellung des Status quo ante sein. Kurz darnach unternahm London den Versuch, Sicherheitsverhandlungen in Gang zu bringen, unter der Voraussetzung, daß gleich-zeitig die Reparationsfrage behandelt würde. Auch Stresemann machte am 2. September 1923 einen Vorschlag, der dem französischen Sicherheitsbedürfnis am Rhein entgegenkam. Doch alle Versuche waren ergebnislos. Der hartnäckige Poincaré suchte das Problem auf seine Weise zu lösen, mit Hilfe der Separatisten.

Poincaré kam nämlich auf die ursprünglichen Pläne Frankreichs vom Jahre 1918/19 zurück, welche eine vollkommene Trennung der Rheinlande vom Reiche bezweckten. Er glaubte jetzt, wo er unge-hemmt von englischen Einflüssen auf eigene Faust Politik machte, am ehesten dieses Ziel zu errei-chen. Dabei stützte er sich auf die separatistische Bewegung. Dieses vierte Stadium füllte die zwei-te Hälfzwei-te des Jahres 1923 aus und endezwei-te, wie wir sahen, mit dem vollkommenen Zusammenbruch der französischen Politik.

Ein fünftes Stadium füllte das Jahr 1924 aus. Am 2. Februar dieses Jahres griff der Temps einen Gedanken des englischen Generals Spears auf, den er am 7. März 1923 in den Times veröffent-licht hatte und der die nach Artikel 42-44 des Versailler Vertrages festgesetzte Entmilitarisierung des Rheinlandes in "Neutralisierung" und "Internationalisierung" unter Aufsicht des Völkerbundes um-gewandelt wissen wollte. Der Temps verlangte also von der elsässischen bis zur holländischen Grenze eine "lebendige Friedensgarantie" durch "eine völlig entmilitarisierte Bevölkerung, die durch internationale Vereinbarungen geschützt und entschlossen sei, auf ihrem Boden keinen Krieg und keine Kriegsvorbereitung zu gestatten". Dies so neutralisierte Rheinland könne dem Schutze des Völkerbundes unterstellt werden.

Klar blickende Menschen erkannten sofort das äußerst Bedenkliche in dieser Formulierung der Sicherheitsfrage für Deutschland. Der Charakter des Problems war nicht mehr ausgesprochen deutsch-französisch, er war durch Verbindung mit dem Völkerbund universal-europäisch gestempelt worden. Das Rheinland betrachtete man nicht mehr als einen Teil Deutschlands, dessen Bevöl-kerung unter fremder Militärbesetzung schmachtete, sondern als eine allen europäischen Mächten gemeinsame Angelegenheit, als ein Unterpfand des europäischen Friedens schlechthin. Das kam auch in dem Brief zum Ausdruck, den der englische Premierminister MacDonald am 21. Feb-ruar 1924 an Poincaré schrieb:

"Während Frankreich an Sicherheit nur insoweit denkt, als sie den Schutz gegenüber Deutschland allein gewährt, legt das britische Reich diesem Worte eine viel weitergehende Bedeutung bei. Was wir wünschen, ist Sicherheit vor den Kriegen. Nach meiner Auffassung ist das Sicherheitsproblem kein rein französisches Problem, es ist ein europäisches Problem, das auch England und Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei, Ungarn und Südsla-wien, Rußland und Rumänien, Italien und Griechenland berührt. Es ist sehr leicht möglich,

daß in den kommenden zehn Jahren die Menschheit die allgemeine Abrüstung und die Ausbreitung der schiedsrichterlichen Verfahren über die Welt erlebt. In der Zwischenzeit muß unsere Aufgabe darin bestehen, das Vertrauen herzustellen. Ob dieses Ziel teilweise erreicht werden kann durch regionale Entmilitarisierungs- und Neutralisierungsmaßnahmen, durch die Schaffung neutralisierter Gebietsstreifen zwischen gewissen Staaten unter gegen-seitiger oder gar kollektiver Garantie und Überwachung oder aber auch durch irgendein anderes Mittel, das ist eine Frage, die sorgfältig im einzelnen erwogen werden muß."

Man geht nicht fehl, wenn man, wie Graf Montgelas das tut, bei MacDonald annimmt, er habe dabei an neutralisierte Gebiete unter voller Parität, das heißt an militärisch gleichwertige Gebiete beiderseits der betreffenden Grenze und unter der Voraussetzung gleichmäßiger Abrüstung auf beiden Seiten gedacht.

Frankreichs Drängen nach "Sicherheit" an seiner Ostgrenze blieb eine konstante Größe seiner Außenpolitik dem alliierten England gegenüber, und Herriot folgte in der Beziehung durchaus seinem Vorgänger Poincaré. Als am 21. und 22. Juni 1924 die beiden Premierminister MacDonald und Herriot in Chequers

zusam-mentrafen, wurde auch die Sicherheitsfrage besprochen, und die Staatsmänner kamen überein, in Genf "einen moralischen Pakt zum Zwecke fortgesetzter Zusammenarbeit zu schließen".

Über die Form dieses "moralischen Paktes" schien doch allerdings keine Einigung erzielt werden zu können. Gab es doch in England eine Strömung, welche einer einseitigen Begünstigung Frankreichs gegenüber Deutschland nicht geneigt war. Der Liberale Asquith erklärte am 14. Juli im Unterhaus:

Jede Versicherung und jede Garantie, die die englische Regierung für die Sicherheit Frankreichs mit diesem eingegangen sei, dürfe keine separate Maßnahme, sondern müsse ein Teil eines Allgemein-vertrages unter den Auspizien des Völkerbundes sein. Die Frankreich angebotene Sicherung müsse zu denselben Bedingungen auch Deutschland angeboten werden, und es sei offensichtlich, daß Deutschland zum Völkerbunde zugelassen werden müsse und daß seine Vertreter im Völkerbunds-rate einen Sitz erhalten müßten. Es müsse eine allgemeine europäische Sicherheit gegen jede Macht geschaffen werden, die mit Gewalt gegen die Abmachungen des Völkerbundes vorgehe. Dies sei die einzig praktische Form, in der wirksame Sicherungen geschaffen würden. - Die englischen Libera-len waren also unparteiisch genug, um an dem Gedanken festzuhalten, den MacDonald in seinem Briefe vom 21. Februar niedergelegt hatte, nämlich die rheinische Sicherheitszone durch einen gleichen Gebietsstreifen auf französischem Boden zu ergänzen.

Die englischen und französischen Ansichten von der rheinischen Sicherheit waren also grundsätz-lich verschieden, ja geradezu entgegengesetzt. Frankreich ging vom Prinzip der Einseitigkeit aus, indem es betonte, es müsse gegen das rauflustige Deutschland geschützt werden, das zwar entwaff-net sei, dem man aber nicht trauen könne. Die Franzosen wollten also gewissermaßen erst in der Zukunft möglicherweise erwartete Zustände den Sicherheitsverhandlungen als bereits gegebene Tatsachen zugrunde legen. Die Engländer urteilten nüchterner. Sie gingen vom Grundsatz der Gegenseitigkeit aus, indem sie dem entwaffneten Deutschland gegenüber dem militärisch starken Frankreich ebenfalls den Anspruch auf eine gleichgeartete französische Sicherheitszone zuerkann-ten.

Nun gab es allerdings in England eine Gruppe von Leuten, die mehr der französischen Auffassung als derjenigen der englischen Politiker zuneigten, das waren die Militärs. Sie sahen in Frankreich und Belgien lediglich das Glacis für Großbritannien, welches geschützt und gesichert werden muß-te. Der Einfluß der militärischen Gruppe läßt sich, wie wir sehen werden, bis ins Frühjahr 1925 verfolgen. Es war vor allem General Spears, der, im Gegensatz zu MacDonaldschen Ideen, im Som-mer 1924 sein Projekt einseitig gegen die deutschen Rheinlande ausarbeitete: das entmilitarisierte deutsche Gebiet sollte einer Völkerbundskommission unterstellt werden und zur Kontrolle sollten fünf kriegsstarke "Völkerbundsbataillone", jedes von einer anderen Nationalität, in die Städte Speyer, Mainz, Koblenz, Köln und Ruhrort gelegt werden. So sollten mehr als 40 000 Quadratkilo-meter deutschen Gebietes neutralisiert werden, während Frankreich nur einen schmalen, 10

Kilome- Englisch-französische

Gegensätze

ter breiten Streifen zwischen Lauterbach und Luxemburg, insgesamt etwa 1500 Quadratkilometer entmilitarisieren, aber nicht internationalisieren sollte.

Es standen sich also zwei Ansichten gegenüber, die scheinbar nicht ver-einigt werden konnten, und die Politiker wandten sich mit ihren Sorgen an den Völkerbund, von dem sie eine unparteiische Lösung des

Prob-lems erhofften, so wie seinerzeit in der oberschlesischen Frage. Mitte August begann man in Genf mit der Behandlung der Sicherheitsfrage. Sie beschäftigte den Völkerbund weniger speziell in be-zug auf das Rheinland, als vielmehr ganz allgemein zur Vermeidung von Kriegen. Die Verhandlun-gen fanden ihren Niederschlag im "Genfer Protokoll" (Protocol pour le Règlement pacifique des Différences internationaux) vom 2. Oktober 1924. Die 21 Artikel des Genfer Protokolls bestimmten folgendes: Die Staaten verpflichten sich, in keinem Falle zum Kriege zu schreiten, sondern sie ver-pflichten sich obligatorisch, die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes anzuerkennen. Der Verlauf eines Schiedsverfahrens beim Rat und bei der Versammlung des Völker-bundes wird festgelegt. Auch Angriffsdrohungen sollen fortfallen. Um eine Verletzung des Proto-kolls zu vermeiden, wird die Bildung entmilitarisierter Zonen empfohlen zwischen einander angrenzenden Staaten, "die beiderseits ihre Zustimmung dazu geben". "Die kraft gewisser Verträge und Übereinkommen schon bestehenden entmilitarisierten Zonen oder solche, die in Zukunft zwi-schen in gleicher Weise übereinstimmenden Staaten eingesetzt werden, können Gegenstand einer zeitweisen oder dauernden Kontrolle sein, welche der Rat auf das Verlangen und auf Kosten eines oder mehrerer Grenzstaaten organisiert." Die Verletzung des Statuts einer entmilitarisierten Zone ist gleichbedeutend mit Kriegseröffnung. Gegen den Angreifer werden die Signatarstaaten des Proto-kolls unverzüglich zu Sanktionen schreiten. Schließlich verpflichten sich die Signatarstaaten zur Teilnahme an einer internationalen Konferenz für die Herabsetzung der Rüstungen. - Drei Punkte fallen bei dem Genfer Protokoll sofort ins Auge: Ersetzung des Krieges durch obligatorische Anrufung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes oder Herbeiführung eines Schiedsurteils, die Befürwortung entmilitarisierter Zonen und die Ankündigung der Abrüstung. Besonders die beiden ersten Punkte waren unschwer auf den besonderen Fall des Rheinlandes zu übertragen. Allerdings erhielt das Genfer Protokoll keinen allgemeinen praktischen Wert, denn bezeichnenderweise ver-weigerte die Mehrzahl der Völkerbundsmitglieder ihre Unterschrift. Enthielt es doch durch die Be-stimmung, daß es nicht in Kraft treten solle, bevor die Abrüstung erfolgt sei, einen Zwang zur Ein-berufung der Abrüstungskonferenz, den die Regierungen nicht übernehmen wollten. Jedoch seine Grundzüge und Richtlinien beeinflußten im folgenden Jahre maßgebend die zwischen Deutschland und den Westmächten laufenden Verhandlungen über die Sicherheit am Rhein.

-Nun war im November 1924 das Kabinett MacDonald durch die Regierung Bald-win abgelöst worden, und Austen Chamberlain hatte die Leitung des Foreign

Office übernommen. Die Folge davon war, daß auch in der Außenpolitik die unter MacDonald vor-herrschenden liberalen Tendenzen vor konservativen Bestrebungen zurücktreten mußten. Die mili-tärische Richtung, zu der ja auch General Spears gehörte, gewann an Bedeutung, und es hatte den Anschein, als sollte der neue Kurs zur Wiederbelebung der Ententepolitik aus der Vorkriegszeit füh-ren. Dieser Umschwung wurde in Frankreich mit Genugtuung aufgenommen, eifrige Verhandlun-gen zwischen beiden RegierunVerhandlun-gen wurden gepfloVerhandlun-gen, und zwei Ereignisse waren die ersten Wirkun-gen: die Nichträumung der Kölner Zone am 10. Januar und die Rede Herriots am 28. Januar 1925.

Chamberlain seinerseits bekannte sich ganz offen für Frankreich und gegen Deutschland. In einer Rede zu Birmingham am 1. Februar 1925 erklärte er, daß die erste Aufgabe, die er sich gesetzt habe, die Wiederbefestigung des engen Einvernehmens und der herzlichen Beziehungen zwischen Eng-land und seinen Alliierten sei; Frankreich habe eine Sicherheit nötig gegen eine Wiederholung der Unbill, die es in den vergangenen Jahren erlitten habe. Schon am folgenden Tage meinte er noch-mals, Frankreichs Wunsch nach Garantie sei berechtigt; bevor es die nicht erhalte, werde England auch nichts tun, um die gemeinsamen Kämpfe Seite an Seite zu vergessen. Nach den Äußerungen des englischen Außenministers mußte es außer jedem Zweifel sein, daß sich zwischen England und Frankreich eine neue Verbindung anbahnte, die unter Umständen von Deutschland ein schweres

Der Völkerbund:

das Genfer Protokoll vom 2. Oktober 1924

Austen Chamberlain

Opfer fordern konnte: das Rheinland. Die Sicherheitsfrage trat in ihr sechstes Stadium.

Schon im Sommer 1924 protestierte die deutsche Regierung gegen derartige Gedanken, wie sie

General Spears propagierte. Eine Internationalisierung oder Neutralisierung des Rheinlandes würde grundsätzlich eine veränderte Rechtsstellung des Rheinlandes zum Reiche und zum Auslande bedeuten und in Wahrheit die erste Etappe zur völligen Trennung vom Reiche und zur Errichtung einer autonomen rheinischen Republik sein. Da nach französischer Auffassung die Internationalisierung oder Neutralisierung zur bestehenden Besetzung hinzutreten sollte, so wäre dies eine Erweiterung des Versailler Vertrages, die Deutschland nicht zugemutet werden könne. Auch wenn die Besatzung aufgehoben würde, wäre Frankreich ein bevorrechteter Mandatar des Völkerbundes und militärischer Beherrscher des

General Spears propagierte. Eine Internationalisierung oder Neutralisierung des Rheinlandes würde grundsätzlich eine veränderte Rechtsstellung des Rheinlandes zum Reiche und zum Auslande bedeuten und in Wahrheit die erste Etappe zur völligen Trennung vom Reiche und zur Errichtung einer autonomen rheinischen Republik sein. Da nach französischer Auffassung die Internationalisierung oder Neutralisierung zur bestehenden Besetzung hinzutreten sollte, so wäre dies eine Erweiterung des Versailler Vertrages, die Deutschland nicht zugemutet werden könne. Auch wenn die Besatzung aufgehoben würde, wäre Frankreich ein bevorrechteter Mandatar des Völkerbundes und militärischer Beherrscher des

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 78-97)