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Kapitel: Wiederherstellung der Reichseinheit im Westen, Innere Krisen, Neue Wahlen, Das deutsche Parteileben

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 40-48)

Am 16. August wurde das Londoner Protokoll unterzeichnet. Es enthielt außer dem oben bereits angeführten Abkommen zwischen der deutschen Regierung und

3. Kapitel: Wiederherstellung der Reichseinheit im Westen, Innere Krisen, Neue Wahlen, Das deutsche Parteileben

Nachdem das Londoner Abkommen unterzeichnet und der Dawes-Plan von Deutschland angenommen worden war, war die Aufmerksamkeit der Welt völlig darauf gerichtet, ob die in London getroffenen Vereinbarungen von

beiden Seiten gewissenhaft erfüllt wurden. In der Tat trat dann auch an Rhein und Ruhr alsbald einige Entspannung und Erleichterung ein, die beruhigend wirkten und die Sorge um die Durch-führung des Dawes-Planes in den Hintergrund treten ließen.

Unverzüglich trat am 2. September die durch das Londoner Protokoll berufene Konferenz in Kob-lenz zusammen, die aus Bevollmächtigten der deutschen Regierung und der Interalliierten Rhein-landkommission bestand, und begann, alle wirtschaftlichen und politischen Fragen der Räumung zu verhandeln. Am gleichen Tage traf der Sechserausschuß mit der Micum ein Abkommen, wonach sich der Ruhrbergbau zur Fortsetzung der Lieferung von Kohle und Nebenprodukten verpflichtete, allerdings im Rahmen des vom Wiederherstellungsausschuß festgesetzten Programms. Dieses Ab-kommen war notwendig, denn es leitete die Micum-Vertrage, die bisher einen speziell belgisch-französischen Charakter trugen, hinüber in die allgemeinen Reparationsverpflichtungen Deutschlands, soweit sie auf Grund der Neuregelung Sachlieferungen betrafen. Das Abkommen hatte nur eine kurze Lebensdauer von vier Wochen, denn am 1. Oktober stellte die Micum ihre Tä-tigkeit ein. Trotzdem wurden die Kohlenlieferungen noch vier Wochen lang fortgesetzt. Am 28. Ok-tober 1924 nachts 12 Uhr wurden die Micum-Lieferungen auf der ganzen Linie eingestellt. Am 4. September war bereits der Oberpräsident der Rheinprovinz, Dr. Fuchs, nach Koblenz zurück-gekehrt.

Die Interalliierte Rheinlandkommission hatte eine gewaltige Arbeit zu leisten, um dem deutschen Rhein- und Ruhrgebiet all seine wirtschaftlichen und politischen Rechte wiederzugeben, die ihm seit dem 11. Januar 1923 geraubt worden waren. Zunächst wurde die Erhebung des Zolles an der Ostgrenze des besetzten Gebietes beseitigt, die unnatürliche widerrechtliche und willkürliche Zollgrenze zwischen dem besetzten und unbesetzten Deutschland, jene schwere, auf das deutsche Wirtschaftsleben fast tödlich wirkende feindselige Maßnahme verschwand. Auch dem bisher behin-derten Personenverkehr zwischen den okkupierten und den übrigen Teilen des Reiches wurde seine Freiheit wiedergegeben. Automobile durften wieder verkehren. Dann kam eine Amnestie-Verordnung (16. September), welche etwa den Wortlaut des Artikels 7 im Londoner Abkommen hatte. Allen Personen, welche politische Straftaten verübt hatten, wurde Straffreiheit gewährt. Dies galt für diejenigen, welche gegen die Anordnungen der Reichsregierung französische und belgische Dienste genommen hatten - und deren gab es genug - oder gar als Separatisten gegen die Einheit

Französischer Abbau im Westen

des Reiches aufgetreten waren, aber auch für die, welche den französischen Behörden und Militär-stellen Widerstand entgegengesetzt hatten und dafür bestraft oder ausgewiesen waren. Am 20. Okto-ber hob die Kommission 35 Sonderverordnungen auf. Die beschlagnahmten Einkünfte aus Zoll und Forsten wurden freigegeben, die Kohlensteuer fiel, das Recht der Besatzungsmächte, Gelder, Material, Waren, Bergwerke, Güter aller Art mit Beschlag zu belegen, wurde zurückgezo-gen, die Zollgrenze im Osten wurde offiziell aufgehoben durch Beseitigung der entsprechenden Sonderverordnung. In der Nacht vom 15. zum 16. November 12 Uhr hatte die französisch-belgi-sche Eisenbahnregie ihr Ende erreicht und die Eisenbahnen des besetzten Gebietes wurden der Deutschen Reichsbahngesellschaft übergeben. Am 4. Dezember gab die Rheinlandkommission einen Erlaß heraus, welche den Einwohnern Erleichterung bringen und das Willkürregiment der belgisch-französischen Besatzungstruppen einschränken sollte. Es wurde hierin versprochen, daß deutsche Gesetze und Vorschriften in Zukunft in fast allen Fällen gleichzeitig in den besetzten Gebieten wie auch im übrigen Deutschland in Kraft treten sollten. Auch sollten in Zukunft Perso-nen, gegen welche Ausweisungsbefehle vorliegen, von dem Grund der Maßregel unterrichtet und angehört werden. Das Einspruchsrecht der Kommission aus Gründen der Sicherheit der verbünde-ten Heere gegen Anstellung deutscher Beamter werde nur dann ausgeübt, wenn die betreffenden Beamten über die Gründe des Einspruchs unterrichtet worden seien und Gelegenheit sich zu ver-teidigen hätten. Dasselbe Recht werde bei Entlassungen zugestanden. Urteilssprüche auf Gefängnis-strafen würden in Zukunft außerhalb Deutschlands nur dann gefällt und verhängt, wenn eine beson-dere Botschaft der Interalliierten Kommission vorliege. Schließlich sollten in möglichst entgegen-kommender Weise berücksichtigt werden Eingaben, worin Genehmigung für das Aushängen von Fahnen, besonders bei Veranstaltungen religiöser und nationaler Vereine, bei sportlichen und anderen Festlichkeiten nachgesucht wurde. Am 18. Januar 1925 endlich wurde die Verordnung aufgehoben, wonach auch nichtpolitische Versammlungen anmeldepflichtig waren.

Den Verordnungen der Interalliierten Rheinlandkommission in Koblenz entsprachen die Maßnah-men der Franzosen. Bereits Mitte September schlugen sie gegen 1100 schwebende Verfahren nieder und setzten 330 Straf- und Untersuchungsgefangene in Freiheit. Den General Degoutte in Düssel-dorf, den Oberkommandierenden des Ruhrgebietes, plagte das böse Gewissen. Er schaffte am 5. September die Gebühren für Waffenscheine ab und setzte seinen Erlaß außer Kraft, wonach es den deutschen Behörden untersagt war, ohne vorherige Genehmigung der Besatzungsbehörden eine Strafverfolgung gegen Personen einzuleiten, welche politischer Verbrechen beschuldigt wurden.

Der General konnte nicht mehr, das war das Ergebnis von London, den deutschen Gerichten in den Arm fallen. Einige Tage später beseitigte er, rückwirkend vom 1. September, die Einziehung der Kohlensteuer und den Tarif für die Kohlenunterprodukte. Dann verfügte er auf Grund des Amne-stieartikels im Londoner Abkommen die Einstellung aller politischen Gerichtsverfahren, welche die Besatzungstruppen gegen Deutsche anhängig gemacht hatten. Bereits Verurteilten wurde die Strafe erlassen, jedoch vor dem 30. August 1924 bezahlte Geldstrafen wurden nicht zurückerstattet. Die deutsche Gerichtsbarkeit wurde durch Degoutte voll wiederhergestellt. Auch die besonderen Dienst-stellen zur Verwaltung der Forsten, Zölle und des Alkoholmonopols wurden aufgelöst, nur die Eisenbahnregie durfte nach Degouttes Anordnungen weiterhin ihre Tarife anwenden.

Übrigens hatte Degouttes Stunde bald geschlagen. Am 11. Oktober wur-de er vom französischen Ministerrat abberufen und durch General Guillaumat im Oberbefehl der Rheinarmee ersetzt. Am gleichen Tage

rief die Rheinlandkommission den separatistenfreundlichen Kreisdelegierten Vermeil aus Bingen ab. Frankreichs Niederlage im Ruhrkampf und Separatistenaufstand forderte die ersten Opfer, dem bald weitere folgten. Denn schon vier Wochen später, am 15. November, setzte die Rheinlandkom-mission ihre beiden Delegierten in Speyer und Mainz, die Generale de Metz und Denvignes, ab.

Und abermals nach zwei Monaten, am 15. Januar 1925, verließ General Mordaq Wiesbaden, Gene-ral Nollin übernahm an seiner Stelle das Kommando über das 30. Korps der Rheinarmee. So büßten die Generale und Delegierten, welche die abenteuerliche Politik der Separatisten unterstützt hatten, ihre einflußreichen Stellungen ein. Die Idee des einigen Deutschen Reiches hatte gesiegt über den Wechsel französischer

Generale

französischen Zerstörungswillen. Auch das war durch die Londoner Konferenz zum Ausdruck gekommen.

Auf Grund der Verhandlungen auf der Technischen Konferenz in Düsseldorf wurden vom 1. Ok-tober ab die Rheinschiffahrt, die Häfen und Umschlagplätze freigegeben. Auch die Micum schloß an diesem Tage ihre Büros in Düsseldorf. Ende des Monats erhielt die Gelsenkirchener Bergwerks-aktiengesellschaft ihre von der Regie betriebenen Kohlenzechen zurück. Die Eisenbahnwerkstätte Darmstadt wurde Mitte November der Reichsbahn zurückgegeben.

So wurden Schritt für Schritt der Bevölkerung ihre staatlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Rechte wiedergegeben, die durch Rechtsbruch und schrankenlose Willkür fast zwei Jahre lang be-seitigt waren. Die Ordnung kehrte wieder zurück; wenn natürlich auch die Rheinlandkommission

"zum Schutze der Besatzungstruppen" manches Recht weiterhin für sich beanspruchte, das von den Einwohnern drückend empfunden wurde, so trat dennoch ein Zustand ein, der gegenüber den ver-flossenen sechs Jahren einen Willen zur Annäherung und zum Frieden erkennen ließ. Zwar verstan-den es die Franzosen nach wie vor, durch Gewalttaten, Schikanen und Grausamkeiten jene Deut-schen zu peinigen, deren sie habhaft wurden. Aber gegen alle einzelnen Auswirkungen dieser vom Haß vergifteten Gemüter konnten die höheren Stellen der alliierten Kommission nicht erfolgreich vorgehen.

Die Befürchtungen, die man wegen der militärischen Räumung des Ruhrge-bietes in Deutschland hegte, erfüllten sich zu allgemeiner Befriedigung nicht.

Man hatte zwar im Reichstag dem Außenminister Stresemann vorgeworfen, er

bringe keine rechtlichen Unterlagen und Garantien dafür mit, daß Herriot sein Versprechen in bezug auf die Räumung einhalten werde. Herriot aber, dem es lediglich nach dem französischen Ruhr-bankerott um einen anständigen Rückzug zu tun war - es war eine Angelegenheit des prestige und der gloire -, hielt Wort, schon mit Rücksicht darauf, daß er sich dem mächtigeren England und Amerika gegenüber zur Räumung verpflichtet hatte.

Bereits am 18. August 1924 räumten die französischen Soldaten Offenburg und Appenweier.

Am 12. September zogen sie sich aus den Landkreisen Bochum und Gelsenkirchen zurück; vier Tage später gaben sie Oberhausen und den Limburger Flaschenhals frei. Am 20. September

Englische Truppen ziehen in Wiesbaden ein. Photo Scherl.

Räumung des Ruhrgebietes

verließen sie Flammersfeld, Neustadt a. d. Wied, Püderbach und Münderbach. Vier Wochen später wurden Mannheim, Limburg, Eschhofen, der Rheinhafen in Karlsruhe von den Franzo-sen, Wesel und Emmerich von den Belgiern aufgegeben. Die deutschen Zollbeamten nahmen wie-der ihren Dienst auf. Am folgenden Tage (22. Oktober) sahen die Einwohner von Dortmund, Voh-winkel und Remscheid die Franzosen abziehen. Am 6. November wurden Werden und Wülfrath, am 17. Honnef und Königswinter frei. Nach einer Unterbrechung von fast einem Vierteljahr wurde am 27. Januar 1925 die belgische Besatzung von Dorsten auf Gladbeck zurückgenommen. Der in Mannheim und Karlsruhe noch stehende Kontrollposten der Interalliierten Schiffahrtskommission wurde am 9. Mai auf das westliche Rheinufer nach Ludwigshafen und Maximiliansau zurückgezo-gen. Am 20. Juli schließlich war das gesamte Besetzungsgebiet der Belgier und Franzosen in der Provinz Westfalen frei, und bis zum 31. Juli räumten die Franzosen den Rest des seit dem 11. Januar 1923 besetzten Ruhrgebiets. Am 25. August wurde die letzte Etappe von der Beset-zung befreit: die Franzosen verließen Düsseldorf und Duisburg, die Belgier Hamborn.

So endete das furchtbare und blutige Abenteuer Poincarés, das vor der Geschichte den Stempel des Wahnsinns und des Herostratentums trägt. Napoleon hielt sechs Jahre lang Preußen bis an die Memel unter seiner eisernen Faust, Poincaré, der es ihm gleichtun wollte, war nicht imstande, auch nur drei Jahre das Ruhrgebiet zu halten. Er gab vor, Reparationspfänder zu beschlagnahmen, in Wahrheit wollte er der Diktator von Deutschlands Zerstörung werden! Napoleon ging heroisch zu-grunde, Poincaré scheiterte kläglich. Der Gesamtwert der französischen Beute während der Ruhr-besetzung betrug vom 11. Januar 1923 bis zum 31. August 1924: 972 Millionen Mark, von denen 184 Millionen durch die Besetzungsaktion selbst verschlungen worden waren. Beschlagnahmungen, Geldstrafen und Requirierungen erbrachten 45,5 Millionen, Naturalleistungen 436, bare Einnahmen 490 Millionen (Kohlensteuer 129, Zölle 163, Lizenzbewilligungen 101, Forsten 27, Eisenbahnen 67 und Paßgelder 3 Millionen).

Ein Jubel der Begeisterung ging durch das Volk an der Ruhr, als der letzte Franzose das Ge-biet verlassen hatte. Die Luft der Freiheit wehte wieder, und die Drangsal hatte ein Ende. Es war ein Kampf geführt worden, 30 Monate hindurch, ein stiller Kampf, aber ein um so schwererer gegen Feinde und Verräter, da er mit ungleichen Waffen ausgefochten wurde. Die beste Kriegsausrüstung stand den Eindringlingen zur Verfügung, aber sie war wesenlos und unzureichend, denn die be-drängten Deutschen panzerten sich mit einem harten Gemüt. Jetzt war der Kampf vorüber, und das deutsche Volk hatte gesiegt. Am 18. September 1925 fand in Essen eine große vaterländische Kundgebung statt, zu der Tausende und aber Tausende strömten. Der preußische Innenminister Severing hielt eine Rede, dann trat der greise Reichspräsident Hindenburg ans Rednerpult. Seine schlichten, warmen, vaterländischen Worte über die Not und Befreiung der Ruhr riefen einen Rausch der Begeisterung hervor. Noch am gleichen Abend besuchte der Reichspräsident Duisburg und Düsseldorf. In der harten Zeit monatelanger Leiden war der Glaube an Deutschland besonders

Aufhebung der französischen Sperre an der Ludwigshafener Rheinbrücke.

Photo Scherl.

Franzosen auf der Düsseldorfer Rheinbrücke.

Photo Scherl.

stark und fest geworden.

Allerdings wurde die Zufriedenheit über die Räumung des Ruhrgebietes durch ein Ereignis gestört, das wieder einmal in rücksichtsloser Weise Deutschlands

Schwäche enthüllte. Am 10. Januar 1925 sollte nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages die nördliche Besatzungszone des Rheinlandes, Köln, geräumt werden. Zu Weihnachten 1924 trat in Paris die Botschafterkonferenz zusammen. Die Sachverständigen der Interalliierten Militärkon-trollkommission wurden hinzugezogen. Sie hatten ihren Bericht über das Ergebnis der letzten Ge-neralinspektion noch nicht abgefaßt. Aber sie erhoben schwere Anklagen gegen Deutschland, und ihre Worte waren nichts weiter als eine Wiederholung des ewigen Klageliedes, das seit Jahren ge-sungen wurde und behauptete, Deutschland habe keineswegs die Abrüstungsverpflichtungen des Versailler Vertrages und die fünf Forderungen vom 29. September 1922 erfüllt. Die bis jetzt getrof-fenen Maßnahmen seien unzulänglich, und die Polizei in ihrer gegenwärtigen Organisation sei nichts anderes als eine heimliche Armee. So und ähnlich lauteten die Vorwürfe. Dies war natürlich für die Botschafterkonferenz Grund genug, ihre Sicherheiten in der Hand zu behalten und die Köl-ner Zone nicht eher zu räumen, als bis die Militärkontrollkommission berichtete, Deutschland sei seinen Verpflichtungen nachgekommen. Von Paris aus erging also folgender Beschluß:

"Die Botschafterkonferenz stellt mit Einstimmigkeit der verbündeten Regierungen fest, daß die Kölner Zone am 10. Januar nicht geräumt wird, und hat das Vorgehen festgesetzt, wodurch dieser Beschluß zu Deutschlands Kenntnis gebracht werden soll."

Wie immer in solchen Fällen, war es ganz zwecklos, daß die deutsche Regierung protestierte und zu beweisen versuchte, sie habe sämtliche Abrüstungsverpflichtungen erfüllt. Durch das Rheinland aber wogte eine Welle des Unmutes und Zornes: das also seien die Verträge, das sei Treu und Glau-ben, die skrupellos von den Gegnern verletzt werden dürften; wenn aber Deutschland einmal bei bestem Willen nicht imstande sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen, dann griffe man sofort zu Sanktionen. Ohne Unterschied der Partei und des Standes wurde das Vorgehen der Alliier-ten scharf und laut verurteilt. Große KörperschafAlliier-ten, GewerkschafAlliier-ten, Handelskammern, Land-wirtschaftskammer und die Stadtverordneten von Köln erhoben Einspruch. Die für den 10. Januar geplanten großen Protestkundgebungen und Einspruchserklärungen der öffentlich-rechtlichen Kör-perschaften des gesamten besetzten Gebietes mußten unterbleiben, weil sie von der Rheinlandkom-mission verboten wurden. Der Kölner Oberbürgermeister Adenauer beklagte sich, daß das deutsche Volk im unbesetzten Deutschland viel zu sehr seine eigenen Interessen und den Parteihader im Auge habe, statt dem besetzten Gebiete die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm gebühre. - Unberührt von diesem Unwillen, blieben die Engländer noch ein ganzes Jahr in Köln.

Noch eine andere Angelegenheit erregte die Gemüter. Im Dezember 1924 war ein Gerücht laut geworden, wonach Herriot geäußert haben sollte, er verzichte auf das Saargebiet, wenn ihm die Stadt Saarlouis und sieben Gemeinden abgetreten wurden. Große Erregung bemächtigte sich der Saarbevölkerung. Sie war empört über das Schachergeschäft, das man angeblich mit ihr vor-hatte. Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember, schrieben die Stadtverordneten von Saarlouis drei Briefe, einen an den Deutschen Reichskanzler Marx, einen zweiten an den Völkerbund und einen dritten an Herriot. Beim Reichskanzler erhob die treudeutsche Bevölkerung schärfsten Einspruch gegen den beabsichtigten Tauschhandel.

"Was wir in schwerer Stunde trotz des Druckes der Militärdiktatur unserm Vaterlande freimütig gelobt haben - Treue bis zum Tode -, ist heute so wahr wie damals. Wir waren gute Deutsche, wir sind gute Deutsche und wir wollen gute Deutsche bleiben."

Beim Völkerbunde ersuchte man darum, er möchte dafür sorgen, daß das Selbstbestimmungsrecht geachtet würde. Saarlouis könne nur dann an Frankreich abgetreten werden, wenn eine ordnungs-mäßig durchgeführte Volksabstimmung sich dafür entscheide. Dem französischen Ministerpräsiden-ten schließlich wurde erklärt, daß die Einwohner der deutschen Grenzstadt Saarlouis nicht daran dächten, französisch zu werden. Dies würde für sie das größte seelische und wirtschaftliche Unglück sein.

Kölner Zone und Saargebiet

"Als gute Deutsche bekämpfen wir jedes Bestreben, uns von Deutschland loszureißen, weil wir unlösbar verknüpft sind mit unserer deutschen Heimat, und weil eine Lostrennung wie ein Dolchstich, wie eine Erdrosselung auf das Wirtschaftsleben wirken müßte. Jeden Versuch der Trennung müßten wir als eine in unser deutsches Haus geworfene Brandfackel betrachten, die Mann, Weib und Kind mit ihrem Herzblut ersticken würden."

Herriots Antwort traf umgehend ein. In einem Brief an den Präsidenten des Saargebiets, Rault, ersuchte er diesen, unverzüglich und ganz kategorisch zu erklären, daß Frankreich keineswegs das Angebot gemacht habe, auf seine Anrechte an das Saargebiet zu verzichten, wenn ihm die Stadt Saarlouis und sieben andere Gemeinden abgetreten würden. Rault möchte der Stadtver-ordnetenversammlung von Saarlouis sein Erstaunen darüber ausdrücken, daß Männer, die sich Frie-densfreunde und Anhänger einer Aussöhnungspolitik nennen, so leichtfertig eine Nachricht hätten aufnehmen können, die ebenso falsch wie trügerisch sei. Das geschah denn auch, und die Gemüter in Saarlouis waren wieder beruhigt, wenigstens äußerlich, während sie im stillen argwöhnisch und wachsam waren, daß sich nicht die Franzosen zu Herren ihrer Seelen machten.

-Das Jahr 1925 hatte für die Rheinländer eine besondere Bedeutung. Ein Jahr-tausend war verflossen, seitdem das rheinische Gebiet zum Deutschen Reiche gehörte. Als König Heinrich I. aus dem sächsischen Hause den schwachen,

westfränkischen Herrscher Karl den Einfältigen 923 bei Soissons geschlagen hatte, beschloß das Herzogtum Lothringen, sich dem tatkräftigen deutschen Könige anzuschließen. Die Vereinigung der Deutschen am Rhein mit ihren Stammesbrüdern war um das Jahr 925 abgeschlossen. Es war ein großes Gebiet, von etwa 100 000 Quadratkilometern, das sich dem Sachsenherrscher zuwandte. Es reichte bis an die Maas und die Schelde. Der größte Teil Belgiens und ausgedehnte Landstriche Ost-und Nordfrankreichs mit den Städten Epinal, Toul, Verdun Ost-und Cambrai gehörten dazu. Aber un-unterbrochene Kämpfe mit dem unruhigen Frankreich in den letzten vier Jahrhunderten rissen Stück um Stück von diesem Gebiete los. Der Rhein und sein Land wurden das am heißesten umstrittene Gut Europas, und sie blieben es bis auf den heutigen Tag. Aber die Einwohner der blühenden Bezir-ke mit uralter Kultur waren im innersten Herzen deutsch und lehnten alle französischen Liebeswer-bungen ab. Unter unmenschlichen Leiden und Qualen bewiesen sie ihre deutsche Treue besonders in den traurigen Jahren, welche dem unglücklichen Ende des Weltkrieges folgten. Nicht die boden-lose Tyrannei der französischen Soldateska und nicht die hochverräterischen Umtriebe der Separa-tisten vermochten ihre Gesinnung zu erschüttern. Im Gegenteil, je härter der Druck und je schwerer die Not, desto fester und freudiger wurde das Bekenntnis zu Deutschland. All die unzähligen Ver-triebenen und Verstoßenen und in unwürdigen Gefängnissen Schmachtenden legten Zeugnis ab von dem unerschrockenen Geiste jener Bevölkerung, die auch noch in der tiefsten Erniedrigung an Deutschland und seine Zukunft glaubte. So wurde spontan, gleichsam aus sich heraus, dem Gebote des Blutes, nicht nur der Stimme des Verstandes folgend, das Gedenken der tausendjährigen Zu-gehörigkeit zum Deutschen Reiche ein gewaltiges und begeistertes Treuegelöbnis für Deutsch-land, eine mutige Absage an die Eroberer und Unterdrücker, die im Lande saßen. Dem jungen Geschlecht, dessen unbewußte Kindheit noch in die Tage des Weltkrieges fiel und das, solange es denken und sich erinnern konnte, nur die übermütigen, fremden Herren im Lande wußte, ging zum

westfränkischen Herrscher Karl den Einfältigen 923 bei Soissons geschlagen hatte, beschloß das Herzogtum Lothringen, sich dem tatkräftigen deutschen Könige anzuschließen. Die Vereinigung der Deutschen am Rhein mit ihren Stammesbrüdern war um das Jahr 925 abgeschlossen. Es war ein großes Gebiet, von etwa 100 000 Quadratkilometern, das sich dem Sachsenherrscher zuwandte. Es reichte bis an die Maas und die Schelde. Der größte Teil Belgiens und ausgedehnte Landstriche Ost-und Nordfrankreichs mit den Städten Epinal, Toul, Verdun Ost-und Cambrai gehörten dazu. Aber un-unterbrochene Kämpfe mit dem unruhigen Frankreich in den letzten vier Jahrhunderten rissen Stück um Stück von diesem Gebiete los. Der Rhein und sein Land wurden das am heißesten umstrittene Gut Europas, und sie blieben es bis auf den heutigen Tag. Aber die Einwohner der blühenden Bezir-ke mit uralter Kultur waren im innersten Herzen deutsch und lehnten alle französischen Liebeswer-bungen ab. Unter unmenschlichen Leiden und Qualen bewiesen sie ihre deutsche Treue besonders in den traurigen Jahren, welche dem unglücklichen Ende des Weltkrieges folgten. Nicht die boden-lose Tyrannei der französischen Soldateska und nicht die hochverräterischen Umtriebe der Separa-tisten vermochten ihre Gesinnung zu erschüttern. Im Gegenteil, je härter der Druck und je schwerer die Not, desto fester und freudiger wurde das Bekenntnis zu Deutschland. All die unzähligen Ver-triebenen und Verstoßenen und in unwürdigen Gefängnissen Schmachtenden legten Zeugnis ab von dem unerschrockenen Geiste jener Bevölkerung, die auch noch in der tiefsten Erniedrigung an Deutschland und seine Zukunft glaubte. So wurde spontan, gleichsam aus sich heraus, dem Gebote des Blutes, nicht nur der Stimme des Verstandes folgend, das Gedenken der tausendjährigen Zu-gehörigkeit zum Deutschen Reiche ein gewaltiges und begeistertes Treuegelöbnis für Deutsch-land, eine mutige Absage an die Eroberer und Unterdrücker, die im Lande saßen. Dem jungen Geschlecht, dessen unbewußte Kindheit noch in die Tage des Weltkrieges fiel und das, solange es denken und sich erinnern konnte, nur die übermütigen, fremden Herren im Lande wußte, ging zum

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 40-48)