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eine Anleihe von 800 Millionen Goldmark, die dem doppelten Zweck dienen soll, die Sta- Sta-bilität der Währung zu sichern und notwendige Sachleistungen während der einleitenden

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 25-30)

Periode der wirtschaftlichen Wiederherstellung zu finanzieren."

Die Stabilität des deutschen Geldes ist aber auch noch vom Ausgleich des Reichshaushaltes ab-hängig. Dawes untersucht das deutsche Steuerwesen und kommt zu der Ansicht, daß hier noch viel mehr herausgeholt werden könne. Er vergleicht die Besteuerung der anderen Völker mit derjenigen des deutschen und findet, daß das deutsche Volk eine ungleich leichtere Steuerlast zu tragen habe.

Er fordert Erhöhung der Steuer für Tabak, Branntwein, Bier, Zucker, Petroleum, Kraftfahrzeuge und der Erbschaftssteuer. Auch sei es möglich, die Aufwertungssteuer bei den durch die Inflation befreiten Schuldnern zu erhöhen. Die Ausgaben für das Heer könnten auch herabgesetzt werden!

Die Mehreinnahmen würden vollkommen genügen, um den Reichshaushalt auszugleichen. Zur Überwachung des deutschen Steuersystems schlägt er die Einsetzung eines ausländischen Kommissars vor.

"Die dem deutschen Steuerzahler aufzubürdende Last sollte gerechterweise so offenkundig der von den alliierten Steuerzahlern getragenen Last gleichwertig sein, daß nach unserer Ansicht nur äußerst zwingende und erweisliche Notwendigkeiten zur Erleichterung der deutschen Steuerlast führen dürften."

In welcher Weise aber sollten die deutschen Tribute aufgebracht werden und welches waren die Sicherheiten, welche die Sachverständigen von Deutschland als Gewähr für die Erfüllung seiner Verpflichtungen verlangten? Industrie, Eisenbahn und verpfändete Reichseinnahmen. Die Regierung Cuno habe selbst am 7. Juni 1923 den alliierten und assoziierten Regierungen vorge-schlagen, Industrie, Banken, Handel, Verkehr und Landwirtschaft mit 10 Milliarden Goldmark

Obligationen zu belasten und diese Obligationen den Gläubigerstaaten als Pfand zu übergeben. Sehr maßgebende Persönlichkeiten der darauffolgenden und der jetzigen deutschen Regierung hätten die-sen Vorschlag bestätigt. Darauf beruft sich Dawes. Aber er wolle sich nur mit der Hälfte begnügen.

Die Landwirtschaft sollte von der hypothekarischen Belastung ausgenommen werden.

"Im Bewußtsein der Bedeutung der Landwirtschaft für eine Nation, die ihre Lebensmittel-versorgung nicht völlig decken kann, fühlen wir uns bei einem Vorschlage über eine der Landwirtschaft billigerweise aufzuerlegende Last zu ganz besonderer Zurückhaltung veranlaßt, obwohl wir die Augen nicht vor der Tatsache verschließen können, daß ein großer Teil der Verschuldung der Landwirtschaft zum bloßen Nennwert abgetragen worden ist, und die Eigentümer von Rechten am Grund und Boden wesentliche Gewinne auf Kosten ihrer früheren Gläubiger erzielt haben."

Mag sein, daß die Sachverständigen in ihrer Haltung auch durch die ihnen bekannte Tatsache beein-flußt wurden, daß die deutsche Landwirtschaft bei weitem am meisten durch die Einführung der Rentenmark belastet worden war.

Die Industrie aber sollte mit 5 Milliarden erststellig hypothekarisch sichergestellter Obligatio-nen haften, die jährlich mit 5 Prozent zu verzinsen und mit 1 Prozent zu tilgen sein sollten. Die Industrie habe während der Inflation ihre Vorkriegsschulden mit entwertetem Papiergeld abgetragen und sei faktisch schuldenfrei geworden. Sie habe aus dem Verfall der Währung mannigfachen Nut-zen gezogen, z. B. durch das späte Hinausschieben der Steuerzahlungen, durch Zuschüsse und Vor-schüsse der deutschen Regierung, durch die Entwertung ihres eigenen Notgeldes. - Diese Obligatio-nen sollen Verpflichtungen der einzelObligatio-nen Unternehmen darstellen und einem von der Reparations-kommission ernannten Treuhänder übergeben werden, der sie zu verwalten hat. Der Staat, also das Reich, hat die Bürgschaft für die Schuldverschreibungen zu übernehmen und ist nicht berechtigt, Steuern davon zu erheben, solange sie im Besitz von Ausländern sind. Ein Organisationskomitee ist zu bilden, das die Verschuldungsaktion durchzuführen hat.

Von wesentlich tieferer Bedeutung waren die Bestimmungen, die über die deutsche Eisenbahn getroffen wurden. Zunächst wurde verlangt, daß ihr Betrieb vollkommen von der Reichsverwaltung getrennt wurde. Es sollte eine besondere Aktiengesellschaft gegründet werden, welche den Betrieb der Reichsbahn übernahm. Dies war bereits am 15. Februar 1924 geschehen. Seit diesem Tage war die Reichsbahn kein Reichsunternehmen mehr, sondern ein Privatbetrieb. Diese Umwandlung war die erste Folge des Besuches der Sachverständigen in Berlin. Das Vorgehen deckte sich übrigens mit ähnlichen Vorschlägen deutscher Industrieller, die diese im Herbst 1921 der Regierung Wirth als Voraussetzung für eine Anleihe machten. Der Dawes-Plan bestimmte weiter, daß die Gesellschaft durch einen Verwaltungsrat von wenigstens 18 Mitgliedern, die sämtlich erfahrene Geschäfts-leute oder Eisenbahnsachverständige sind, verwaltet werde. Die Hälfte von ihnen soll durch die deutsche Regierung, die andere Hälfte durch einen noch zu benennenden Kommissar ernannt wer-den. Unter diesen letzteren können 5 Deutsche sein, so daß also im ganzen 14 Deutsche im Verwal-tungsrat sitzen. Der Kommissar soll durch Mehrheitsbeschluß der ausländischen VerwalVerwal-tungsrats- Verwaltungsrats-mitglieder ernannt werden. Ein dementsprechendes Gesetz ist erst der Reparationskommission zur Genehmigung vorzulegen, ehe es dem Reichstag vorliegt.

Der gesamte Besitz der Reichsbahngesellschaft wird auf 26 Milliarden geschätzt; davon sollen 11 Milliarden mit erststelligen Hypotheken belastet und einem zu ernennenden Treuhänder über-geben werden. Die Gesellschaft soll außerdem von der Regierung berechtigt werden, nach eigenem Entschlüsse ihre Tarife zu ändern. - Die Gläubigerstaaten beabsichtigten, auf diese Weise die Haupt-lebensader der deutschen Industrie und des deutschen Lebens in ihre Gewalt zu bringen. Sie stellten fest, daß die deutschen Eisenbahntarife im Vergleich zu anderen Ländern über Gebühr niedrig seien, daß die deutschen Fahrpreise dritter Klasse für den Kilometer immer noch nur die Hälfte des ent-sprechenden Fahrpreises in England oder den Vereinigten Staaten betragen. Eine Steigerung um 36 Prozent sei angemessen. Auch sei sehr viel Luxus getrieben worden. Die herrlichen Verwaltungs-gebäude seien geradezu ein Ausdruck von Größenwahn. Ein Eisenbahnkommissar müsse ernannt

werden, um in Deutschlands Interesse auf Sparsamkeit zu achten. Geradezu ein Blitz des Hasses schlägt durch die stark mit Sachlichkeit gepanzerten Ausführungen, sobald man auf die niedrigen Güter- und Ausfuhrtarife zu sprechen kommt:

"Es ist klar, daß die alliierten Nationen ein Recht haben, zu verlangen, daß die Reineinnah-men der deutschen Reichsbahn nicht gekürzt werden, um der deutschen Industrie einen un-angemessenen Vorteil auf überseeischen Märkten zu verschaffen."

Man gedachte, die Reichsbahn also auch zu benutzen im Kampfe gegen den deutschen Außen-handel.

Schließlich sollte auch das Reich eine Reihe von Einnahmen verpfänden aus den Erträgen der Zölle und Abgaben auf Branntwein, Bier, Tabak und Zucker. Die deutschen Dienststellen sollten ver-pflichtet sein, diese Einnahmen an einen von der Reparationskommission zu ernennenden Kommis-sar abzuführen, der sie zum Ausgleich für eventuelle Fehlbeträge im Zinsendienst der Industrie, der Eisenbahn und der direkten Reichsverpflichtungen verwenden soll. Das Reich sollte nämlich ver-pflichtet sein, aus seinen Einnahmen jährlich einen bestimmten Teil der Reparationsverpflichtungen dem Reparationsagenten zu überweisen. Diese Verpflichtungen der Reichsregierung sollten betra-gen im ersten Jahre 800 Millionen, vom fünften Jahre ab 1250 Millionen, wozu dann noch vom sechsten Jahre an die Einkünfte aus dem Wohlstandsindex kommen sollten.

War das Normaljahr erreicht, dann sah die Verteilung der deutschen Tributverpflichtungen also folgendermaßen aus: Die Industrie brachte aus ihren Obligationszinsen 250 Millionen und 50 Mil-lionen Tilgung auf, die Reichsbahn führte an Zinsen und Beförderungssteuer ab 950 MilMil-lionen, und die Reichsregierung zahlte die zweite volle Hälfte in Höhe von 1250 Millionen Goldmark. Es war ein klug ausgedachtes System, das nur drei Hauptschuldner kannte, aber das gesamte Volk von 60 Millionen traf! Keine Endtermine und keine Endsummen für die Zahlungen des Reiches werden genannt.

Um den Plan auszuführen, wurden außer dem bereits genannten Reparationskomitee mit dem Repa-rationsagenten an der Spitze verschiedene Kontrollorgane in der Reichsbank und in der Reichsbahn sowie zur Beaufsichtigung der Steuern eingesetzt. So soll sich die allgemeine Kontrolle in die Ein-zelkontrolle differenzieren. Die Einsetzung dieser Kontrollorgane bedeuteten einen tiefen Eingriff in die deutsche Staatshoheit, wie man ihn noch nie erlebt hatte. Sollte aber festgestellt werden, daß die deutsche Regierung und ihre Behörden die Erfüllung der auferlegten Verpflichtungen bös-willig verweigern, dann sollte das Recht der alliierten Regierungen zu Sanktionen nicht durch die Vorschläge des Planes berührt werden. Zu den großen Vorteilen des Planes gehörte es, daß die Ver-teilung der Tributsummen und die Umwandlung in fremde Währungen nicht mehr wie bisher die Sache Deutschlands, sondern die Aufgabe des Reparationsagenten sein sollte.

Über allen Vorschlägen, die die Sachverständigen machen, wie sie sagen, auch zum Heile Deutsch-lands, steht der Satz, den sie selbst in folgende Worte kleiden: "Wir haben uns der Tatsache nicht verschlossen, daß der Wiederaufbau Deutschlands nicht Selbstzweck ist. Er ist nur ein Teil des größeren Problems des Wiederaufbaus Europas." Nur in gedrängter Kürze ist hier der Inhalt des Dawes-Gutachtens wiedergegeben, aber man erkennt schon hieraus, welchen drakonischen Charak-ter die Vorschläge hatten. Sie griffen nicht nur in das deutsche Wirtschaftsleben ein, nein, sie beugten tief auch das Selbstbewußtsein einer albeugten, angesehenen Kulturnation.

-Am gleichen Tage, dem 9. April, überreichte auch der MacKenna-Ausschuß der Reparationskom-mission sein Gutachten über die deutsche Kapitalflucht ins Ausland. Er war zu dem Ergebnis ge-kommen, daß der gesamte deutsche Besitz im Ausland nicht mehr als sieben bis acht Milliarden betrage. Der Umlauf ausländischen Papiergeldes in Deutschland Ende 1923 wurde auf 1⅕ Milliarde geschätzt.

-Am 11. April übersandte der Wiedergutmachungsausschuß die Gutachten, nachdem er sie gebil-ligt hatte, an die deutsche Regierung und empfahl ihr die Annahme. Bereits fünf Tage später ant-wortete Deutschland, man sehe in diesen Gutachten eine praktische Grundlage für die schnelle

Lösung des Reparationsproblems. Deshalb sei die deutsche Regierung bereit, ihre Mitarbeit an den Plänen der Sachverständigen zuzuführen.

Das Dawes-Gutachten erregte nach seinem Bekanntwerden ungeheueres Aufsehen in der ganzen Welt. Die Ansichten darüber waren geteilt, je nachdem man die Vorschläge vom politisch-sittlichen oder vom wirtschaftlichen Standpunkte aus

betrachtete. Es war ganz selbstverständlich, daß der Plan in den Kreisen der Finanz- und Handels-welt der Vereinigten Staaten volle Billigung fand. Präsidenten von Banken und Handelskammern priesen ihn als hervorragend und versprachen sich von ihm den besten Erfolg. Der amerikanische Botschafter Houghton in Berlin erklärte, die Annahme des Sachverständigenplanes sei der Schlüs-sel zum wirtschaftlichen Wohlergehen Europas während der nächsten hundert Jahre. Staatssekretär Hughes sah im Dawes-Plan kein Ideal, denn Ideale gäbe es nicht. Aber er sei die erste Notwendig-keit; werde er abgelehnt, dann werde ein unendliches Chaos entstehen, werde er aber durchgeführt, so werde dies sicher zum Wohle Frankreichs und der anderen Völker sein.

Das amerikanische Volk, das weniger unmittelbar unter dem Eindruck der Sorgen um die französi-schen und englifranzösi-schen Kriegsschulden stand, urteilte freier. Das Financial and Commercial Chro-nicle schrieb, der Dawes-Plan müsse eine internationale Massenverwaltung genannt werden. Die deutsche Regierung und das deutsche Volk sollten beide übernommen und verwaltet werden in der-selben Art, wie ein Geschäft, das notleidend geworden sei, vom Gericht in die Hände von Massen-verwaltern übergeben werde. Es werde dem deutschen Volke eine ausländische Kontrolle aufge-zwungen, wie sie niemals zuvor irgendwo bestanden habe. S. Miles Bouton wies darauf hin, daß England von seiner Schuld an Amerika in Höhe von 20 Milliarden Goldmark fünf Jahre überhaupt keine Abzahlungen leisten konnte und nun über die untragbare Last stöhne, jährlich 680 Millionen Mark zahlen zu sollen. Frankreich könne von seiner 16-Milliarden-Schuld keinen Pfennig zahlen, nicht einmal 94 Millionen Goldmark Zinsen könne es aufbringen. Von Deutschland aber verlange man das Sechsundzwanzigfache. Berger, der einzige Sozialist im Repräsentantenhause, erklärte, der Dawes-Bericht beweise aufs neue, daß Amerikas Teilnahme am Weltkriege von der Hochfinanz diktiert worden sei und daß dieser Krieg heute noch von der Hochfinanz fortgesetzt werde. Der Dawes-Plan bilde den teuflischsten Plan, einer Nation den letzten Blutstropfen auszupressen, der jemals in der Weltgeschichte ausgeheckt worden sei. Man müsse erwarten, daß die deutsche Regierung das Gutachten ablehne, weil die deutsche Nation nicht fortbestehen könne, wenn sie diesen Plan annehme.

Auch in England herrschte keine einheitliche Auffassung. Am 23. Juni erklärte MacDonald im Unterhause, man habe das Gefühl, daß gewisse, Deutschland durch den Sachverständigenbericht auferlegte Verpflichtungen so ziemlich außerhalb der ihm im Vertrage von Versailles auferlegten Verpflichtungen ständen. Die Westminster Gazette meinte, Deutschland müsse sich eine erniedri-gende Überwachung seiner Angelegenheiten gefallen lassen. New Statesman, ein Blatt, das MacDonalds Richtung nahestand, sah in den Sachverständigenberichten die Grundlage für alle zukünftigen Erörterungen über das Reparationsproblem. Der Plan sei zweifellos ausführbar, und Deutschland könne ihn schwerlich verwerfen, ohne sich endgültig in den Augen der Welt ins Unrecht zu setzen. Die Deutschland aufgegebene Last sei leichter als die, welche von den Eng-ländern getragen werden müsse. Allerdings müsse Frankreich das Ruhrgebiet räumen. Deutschland müsse seine Zukunft in seinen eigenen Händen wissen und nicht bei "jenen Poilus, die im Auftrage Poincarés die Ruhrindustrie ruiniert haben". Spectator, das Organ der konservativ-intellektuellen Kreise, hob hervor, "wie merklich die Reinlichkeit der Experten von der Hysterie der letzten vier Jahre abweicht". Economist bezeichnete den Plan als den besten, besser als den des Bonar Law und besser als den Londoner Plan von 1921. Die Meinung der Welt würde es keinem Staatsmann verzeihen, sei er Brite, Franzose oder Deutscher, wenn er nicht sein Äußerstes an Autorität und gutem Willen einsetzte, um an der Brücke zu bauen, über die die Sachverständigen Europa endlich zum Frieden, zur Sicherheit und zur Beruhigung führen wollen. Die Kontrollmaßnahmen wurden als bescheiden bezeichnet. Die deutschfeindlichen Times sprachen von einer "neuen Hoffnung".

Urteile über den Dawesplan:

Vereinigte Staaten, England, Frankreich und Neutrale

Das Gutachten stelle neue und praktische Vorschläge zur Lösung der höchst verwickelten Nach-kriegsprobleme dar. Besonders zwei Punkte seien bemerkenswert: einmal, daß die jährlichen Repa-rationszahlungen tragbar seien, dann, daß durch das ganze Gutachten hindurch die Ruhrbesetzung vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ausdrücklich verworfen werde. Die internationale Kontrolle sei in keiner Weise drückend.

Dem liberalen George Glasgow kam es in der Contemporary Review vor allem auf die Klärung der politischen Fragen an. Dem Sachverständigenbericht an sich kam nur eine zweite Rolle zu.

Wiedergewinnung des englischen Einflusses in der europäischen Festlandspolitik über den franzö-sisch-belgischen Block erschien dem Glasgow als die größere Sorge. "Die Arbeit der Sachverstän-digen war der am wenigsten wichtige Teil des Problems, wenn auch die Tatsache der amerikani-schen Mitwirkung, so unoffiziell sie war, die Wirkung eines zusätzlich moraliamerikani-schen Gewichts für das Argument einer vernünftigen Lösung gehabt hat." Die "Union of Democratic Control"

bezeichnete in den Foreign Affairs den Dawes-Plan als moralisch schlecht, weil er sich auf die Alleinschuld Deutschlands am Weltkrieg gründe, als politisch unklug, weil die unerhörten Tribut-erpressungen den Geist des Friedens und der Verständigung nicht hochkommen lassen, und als wirtschaftlich verderblich, weil die Durchführung unmöglich sei. C. E. Wright im Evening Stan-dard nannte das Gutachten einen unerhörten Griff an Deutschlands Gurgel. Deutschland werde zu einer Reparationskolonie gemacht, die Deutschen würden durch die Annahme Untertanen anderer Nationen. Was Versailles ostentativ vermieden habe, hätten die Sachverständigen, die "nur Ban-kiers" gewesen seien, zustande gebracht: die Eroberung Deutschlands. Die finanzielle Aufsicht, der die Türkei durch die Ottomanische Schuldenkommission unterstellt wurde, sei nichts im Vergleich mit dem Zwange, dem Deutschland jetzt unterworfen werde. Noch niemals sei eine Maschinerie von so raffiniert ausgeklügelter und so schrecklicher Kraft angewandt worden, um ein ganzes Volk auszuquetschen. Noch niemals sei etwas Derartiges einer Nation von fremder Macht aufgezwungen worden.

Die Franzosen waren nicht mit dem Gutachten einverstanden; die Tatsache, daß sie um den Preis der Annahme des Dawes-Planes die Ruhr räumen mußten, war ihnen im höchsten Grade un-sympathisch. Dumont-Wilden schrieb deshalb in der Revue Bleue, der Bericht der Sachverständi-gen sei weit davon entfernt, Frankreich völlig zu befriediSachverständi-gen; indem er den Strafcharakter des sailler Vertrages erkenne, bestätige er einen moralischen Erfolg Deutschlands. Der Vertrag von Ver-sailles sei ein Strafvertrag; er setze die anerkannte Schuld Deutschlands voraus; er sei kein Abkom-men zwischen Kriegführenden zur Beendigung ihres Streites, sondern ein von den Großmächten der zivilisierten Welt ausgesprochenes Urteil über eine von ihnen, die schuldig war, die Gesetze der Zivilisation verletzt zu haben. Die "nationale" Lösung des Reparationsproblems erschien für Dumont die idealste und gerechteste. Frankreich zürnte den Sachverständigen, daß sie ihm die Freiheit des Handelns gegen Deutschland nahmen. Auch in L'Europe Nouvelle bedauerte man, daß die Durchführung des Planes für die Zukunft die Möglichkeit interalliierter Streitigkeiten nicht aus-schließe. Frankreichs Prestige stand auf dem Spiel, und deswegen wurden hier die Sachverständi-genberichte nicht mit Beifall aufgenommen.

Der schwedische Volkswirtschaftler Professor Cassel meinte im Svenska Dagbladet, der Dawes-Plan an sich sei keine Lösung der Reparationsfrage, wohl aber ein Rahmen, innerhalb dessen die Alliierten sich allmählich selber einer Lösung näherarbeiten und die wirkliche Begrenzung der Möglichkeiten ihrer Forderungen kennenlernen könnten. Trotz ziemlicher Schwierigkeiten, die der Plan in sich berge, verlange die Lage Europas die schleunige Durchführung des Gutachtens, dessen Hauptvorzüge seien, daß die Sorge um den Eingang der Reparationszahlungen und deren Übertra-gung in die Währung der Alliierten nicht mehr Sache des Schuldners, sondern die des Gläubigers sei.

-Eine Schweizer Stimme, die Züricher Post, bezweifelte die Möglichkeit, daß die Forderungen des Gutachtens durch die deutsche Wirtschaft erfüllt werden könnten. Von einer Gegenseitigkeit, wie sie der Frankfurter Friede der französischen Volkswirtschaft gewährt habe, sei keine Rede. Für Deutschland bedeute die Unterzeichnung des Dawes-Planes unter Umständen ein Eingehen von

Verbindlichkeiten, für die man keine Deckung habe und wahrscheinlich nie haben werde. Allerdings teile die deutsche Regierung leider nicht diesen Pessimismus.

Am schroffsten jedoch platzten die Meinungsgegensätze in Deutschland auf-einander. Der fanatische Parteihader dieses Volkes war es im Grunde, aus dem die ehemaligen Feinde sich das Recht anmaßten, sich in die inneren Angelegen-heiten der Deutschen zu mischen. Weit über den Vertrag von Versailles

hinaus-gehend, hatten Deutsche bewußt und unbewußt daran mitgeholfen, daß es den Alliierten gelang, Verhältnisse in Deutschland zu schaffen, wie sie durch den Westfälischen Frieden geschaffen worden waren. Der Kelch der Schmach und des Leides sollte bis zur Neige geleert werden, aber nur den wenigsten Deutschen kam dies zum Bewußtsein. Die große Masse hatte sich mit dem Heloten-schicksal der Sklaverei abgefunden, sie fragte nicht mehr: Mit welchem Rechte verurteilt ihr uns überhaupt zum Zahlen? Sie fragte nur noch: Welche Vorteile können wir uns damit erkaufen, wenn wir den Plan annehmen? Unbedingt abgelehnt wurde die Annahme von den Deutschvölkischen und Kommunisten. Diese beiden Flügelparteien bewilligten nicht einen Federstrich des Dawes-Planes, die Deutschvölkischen aus Gründen der nationalen Ehre und der nationalen Freiheit, die Kommunisten, weil sie empört waren, daß die deutsche Arbeiterschaft Frondienste für den Entente-kapitalismus leisten sollte. Auch die größte Rechtspartei, die Deutschnationale Volkspartei, lehnte das Gutachten grundsätzlich ab, und zwar aus fünf Gründen:

1. Weil es durch seine Begründung von der "moralischen Verpflichtung Deutschlands zu

1. Weil es durch seine Begründung von der "moralischen Verpflichtung Deutschlands zu

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 25-30)