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Kapitel: Locarnofolgen, Handelsverträge, Polnische Willkür

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 104-128)

Am 16. August wurde das Londoner Protokoll unterzeichnet. Es enthielt außer dem oben bereits angeführten Abkommen zwischen der deutschen Regierung und

6. Kapitel: Locarnofolgen, Handelsverträge, Polnische Willkür

Die große, grundlegende Bedeutung des Vertragswerkes von Locarno brachte es mit sich, daß seine Erörterung in der deutschen Reichsregie-rung und im deutschen Volke nicht vorüberging, ohne ihre Spuren zu

hinterlassen. Aus unserer Betrachtung im vorigen Kapitel ergab es sich schon, daß besonders die Deutschnationalen, die noch vorwiegend die Träger des starken nationalpolitischen Prinzips wa-ren, einen Gewissenskonflikt in dem Augenblicke erleben mußten, als es galt, sich bindend für oder gegen die Verträge zu erklären. Die Verträge von Locarno waren wie kein anderes Ereignis bisher der klare Ausdruck für den seit Kriegsende vollkommen veränderten Charakter der europäischen Politik. Hier konnte man nicht den Maßstab nationaler Machtpolitik anlegen wie an die Gescheh-nisse vor 1914. Dieser Wandel in der politischen Beurteilung trat in Locarno wesentlich schärfer und unmittelbarer hervor als im Dawes-Plan, der notwendigerweise aufs engste mit der durch den Weltkrieg geschaffenen Machtverteilung zusammenhing und dadurch viel deutlicher im ursächli-chen Zusammenhang mit der früheren politisursächli-chen Entwicklung stand. Noch maßen die Deutschna-tionalen mit einem Maßstab, der auf die Machtpolitik der Vorkriegszeit berechnet war. Sechs Jahre hindurch, während welcher Zeit sie in der Opposition standen, maßen sie die Ereignisse der euro-päischen Politik nur an Vorkriegswerten, und so kam es, daß ihr Urteil fast stets auf unzureichend

Zusammenfassender Rückblick

Deutschnationale Kritik an Locarno

und schwächlich lautete. Die Kritik ruhte aber mehr im Gefühl als in der Vernunft, eine Tatsache, die zu Widersprüchen führen mußte in einer großen Sechsmillionenpartei, sobald sie vor die schwe-re Entscheidung gestellt wurde, als Regierungspartei ein bindendes Urteil über ein politisches Ereignis abzugeben. Da zeigte sich denn bei der Behandlung der Locarnoverträge, was bereits bei der Beratung über die Dawes-Gesetze eingetreten war, daß zwar diejenigen Vertreter der Deutsch-nationalen Partei, welche unmittelbar in den Gang der großen Politik verwickelt waren - 1924 war dies die Reichstagsfraktion, 1925 waren es die drei deutschnationalen Reichsminister -, zwar den Willen hatten, in der Regierung mitzuarbeiten, daß aber diesem Willen aus den Massen der Wäh-lerschaft im Lande großer Widerstand entgegengesetzt wurde. Dieser Widerstand, der dem Gefühl, nicht der Vernunft entsprang, war so stark im Herbst 1925, daß die drei deutschnatio-nalen Reichsminister im Oktober 1925 von ihrer eigenen Partei gestürzt wurden! Denn in Wahrheit handelte es sich um nichts anderes.

Gewiß waren die deutschnationalen Minister mit dem Ergebnis von Locarno nicht vollkommen einverstanden. Sie konnten es nicht sein. Sie empfanden es mit Unwillen, daß die deutschen Dele-gierten Luther und Stresemann die Konferenzbeschlüsse durch ihren Namenszug unter der Klausel

"ne varietur" als für Deutschland bindend anerkannt hatten. Das war ursprünglich nicht der Wille der deutschnationalen Minister gewesen und entsprach nicht den Vereinbarungen innerhalb der Re-gierung. Die beiden Kabinettsmitglieder sollten nur zu unverbindlichen Besprechungen nach Locar-no gehen. Gewiß, die Forderungen der deutschen Note vom Juli waren nicht erfüllt worden. Mit dem Verzicht auf deutsches Land im Westen konnte man sich nicht einverstanden erklären; auch genügte nicht die Auslegung des Artikels 16 der Völkerbundsakte. Desgleichen war nicht der Widerruf der Lüge von der deutschen Schuld erreicht worden, und die Rückwirkungen der Lo-carnoverträge auf die besetzten Gebiete waren nicht durch schriftliche Verpflichtung Englands und Frankreichs gesichert worden. Es herrschte bei den Deutschnationalen ein Gefühl des Mißtrauens und der Unsicherheit vor, das nach ihrer ganzen Auffassung und Einstellung eine gewisse Berechti-gung hatte. Sollten aber alle diese Bedenken so schwerwiegender Art sein, daß man um ihretwillen die Locarnoverträge in ihrer Gesamtheit ablehnen mußte? Daß man um dieser Ablehnung willen unter Umständen die schwer erkämpfte Teilnahme an der Reichsregierung aufgeben mußte? Da eben mußte Vernunft gegen Gefühl abgewogen werden. Reichsinnenminister Schiele erklärte bei ei-nem Ministerrate am 19. Oktober, er könne schon jetzt sagen, daß er mit lautem "Ja" antworten wer-de, wenn es sich um die allgemeine Billigung der Arbeit der Delegation im Sinne der Richtlinien des Kabinetts handele. Auf die Meinung des Ministers Schiele kam es aber nicht an, sondern auf das zustimmende Urteil der letzten, maßgebenden Instanz, der Partei und ihrer Reichstagsfraktion.

Das ist nun einmal das Schicksal der Parteiminister in parlamentarisch regierten Ländern, daß sie nicht nach eigener Überzeugung und politischer Einsicht handeln dürfen, sondern nur die Beauf-tragten ihrer Partei sind.

Am 22. Oktober faßte das Reichskabinett unter dem Vorsitz des Reichspräsidenten von Hinden-burg folgenden Beschluß:

"Das Reichskabinett hat den Bericht der deutschen Delegierten über die Ministerzusam-menkunft von Locarno entgegengenommen und beschlossen, das auf der Grundlage der deutschen Note vom 20. Juli 1925 in Locarno eingeleitete Vertragswerk zu einem Abschluß zu bringen, der den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes gerecht wird. Die Reichs-regierung geht dabei von der durch die feierliche Erklärung der Außenminister Englands, Frankreichs und Belgiens begründeten festen Erwartung aus, daß die logische Auswirkung des Werkes von Locarno, besonders in den Rheinlandfragen, sich alsbald verwirkliche."

Auch dieser Beschluß wurde einstimmig gefaßt, die deutschnationalen Minister waren einverstan-den.

Tags darauf versammelten sich die Vorsitzenden der Deutschnationalen Landesverbände in Berlin, und sie lehnten in der absoluten Mehrheit, gestützt auf die Beschlüsse der Partei in den einzelnen Teilen des Reiches, das Vertragswerk kategorisch ab. Dies war eine Überraschung, die

allgemei-nes Aufsehen erregte; hatte doch die Reichstagsfraktion sich kurz zuvor (am 21. Oktober) dahin geäußert, die weiteren Ergebnisse in bezug auf Rückwirkungen und auf die von ihr angeregten Rückfragen über einzelne Punkte des Vertrages von Locarno abzuwarten und danach erst endgültig sich zu entscheiden. Allerdings war von der Fraktion erklärt worden, daß "in dem Ergebnis der Ver-handlungen von Locarno nicht die Erfüllung der Forderungen zu sehen sei, die den Lebensnotwen-digkeiten des deutschen Volkes gerecht werden" und daß die "Fraktion schon jetzt erkläre, sie werde keinem Vertrage zustimmen, der den deutschen Lebensnotwendigkeiten nicht gerecht werde und insbesondere einen Verzicht auf deutsches Land und Volk nicht ausschließe". Immerhin war dies doch noch keine apodiktische Ablehnung, sondern mehr ein aufschiebendes Abwarten, welches freilich Zeit kostete. Jetzt aber hatte, ehe diese Klärungen von oben her vorgenommen wurden, die Gesamtheit oder wenigstens die überwiegende Mehrheit der Sechsmillionenpartei durch ihre Lan-desverbandsvorsitzenden das Urteil von unten her formuliert und dahin abgegeben, daß die Verträge zu verwerfen seien. Das war eine kurze, scharfe Formel.

Nun blieb der Fraktion nichts weiter übrig, wenn sie nicht Unsicherheit und Spannung in die Partei tragen wollte, als der Auffassung des Landes-verbandsvorsitzenden beizutreten. Sie versammelte sich am 25. Oktober zum zweiten Male und lehnte nach kurzer Beratung die Locarnoverträge

ab. Die Fraktion hatte der Stimmung ihrer Wähler Rechnung getragen und diktierte ihren Ministern ihre Ansicht. Darauf schieden schweren Herzens die Reichsminister Schiele, von Schlieben und Neuhaus aus der Regierung aus. Dieses Opfer war vollkommen zwecklos und entbehrte insofern jedes vernünftigen Grundes. Die Locarnoverträge wurden dann ohne Mitwirkung der Deutschnatio-nalen angenommen, ohne daß diese die Erwartung hegen durften, durch ihren Schritt ihre Position zu verbessern. Das verbleibende Rumpfkabinett beschloß nämlich am nächsten Tage:

"Das Reichskabinett betrachtet es als eine selbstverständliche Pflicht, auf dem in Locarno begonnenen Wege fortzuschreiten, um dem Reichstag rechtzeitig vor dem 1. Dezember, dem Tage, der für die Unterzeichnung des in Locarno paraphierten Vertrages vorgesehen ist, ein Gesamtergebnis für die Beschlußfassung unterbreiten zu können. Aus diesen Erwägungen erachtet es das Reichskabinett für geboten, von einer Demission abzusehen und die Reichsgeschäfte weiterzuführen."

-In diesen Ereignissen liegt eine gewisse Tragik. Eine große Partei, die zur Mitwirkung an Deutsch-lands Schicksal berufen war, wurde des Zwiespaltes von Gefühl und Vernunft in ihrer Mitte nicht Herr. In den Massen war noch die Erinnerung an alte Größe und damit auch der Wille zur Opposition zu stark, um der gemäßigten, nüchtern-vernünftigen Überlegung ihrer Staatsmänner folgen zu können. Gewiß trugen die deutschnationalen Minister schließlich dem Empfinden der Wählermassen Rechnung, dennoch aber hielten sie es persönlich mit Recht für wertvoller, die vor neun Monaten schwer erkämpfte Beteiligung an der Reichsregierung nicht so leichten Kaufes wie-der zu opfern. - Dafür hatte man im Lande selbst kein Verständnis, und so kam es, daß die Minister durch ihre eigene Partei gestürzt wurden, ohne daß damit auch nur der geringste Vorteil für Deutschland erreicht worden wäre. Der Parlamentarismus war allgewaltig. Ihm unterlag nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch jede andere Partei. Gegen die Disziplin des unpersön-lichen Willens konnte nicht angekämpft werden.

Übrigens gab es innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei eine starke, aber dennoch nicht maßgebende Strömung, wel-che die Schritte der Fraktion und der Minister durchaus

nicht billigte. Eine Reihe hochangesehener deutschnationaler Persönlichkeiten trat am 11. Novem-ber mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, worin sie das Verhalten der Partei tadelte. Männer wie Werner v. Alvensleben, Graf Claus Bismarck, Freiherr von Cramm, Graf Ernst Eickstedt, Fürst zu Fürstenberg, Graf Geßler, Fürst Kraft zu Hohenlohe, Graf Lubbert von Westphalen und andere Standesherren, auch Wirtschaftsführer, wie der Großgrundbesitzer Wentzel-Teutschenthal, der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, Kommerzienrat Dr. Paul Reusch, und der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Gutehoffnungshütte, Karl Daniel in Düsseldorf, hatten das Manifest

unterzeich-Rücktritt der deutschnationalen

Minister

Deutschnationale Meinungsverschiedenheiten

net, das im Wortlaut folgendermaßen lautete:

"Wir sehen in dem Bestreben der deutschen Reichsregierung den Versuch, das Zusam-menwirken Deutschlands mit den andern europäischen Mächten auf der Grundlage der Gleichberechtigung sicherzustellen. Gegenüber der Politik, die Poincaré gegen Deutschland betrieben hat, den fortwährenden Sanktionsdrohungen, dem Einmarsch in das Ruhrgebiet und der Bedrückung des Rheinlandes, ist es von grundlegender Bedeutung, wenn die innere Entwicklung in Deutschland, namentlich aber die Freiheit und Unabhängigkeit des Rhein-landes, vor willkürlichen Angriffen sichergestellt wird. Diesen leitenden Gesichtspunkt der Reichsregierung sollten alle Parteien ohne Unterschied ihrer innerpolitischen Einstellung vertreten. Wir müssen den zerrütteten Wohlstand Deutschlands wieder aufbauen in der Ära eines dauernden Friedens. Wir können uns nicht vom Ausland abschließen, sondern wir müssen namentlich die deutsche Wirtschaft im Verein mit dem Ausland wieder zu Kräften bringen, um dem deutschen Volke Arbeitsgelegenheit und den vermögenslos gewordenen deutschen Erwerbsschichten Existenz und die Wiedererringung ihrer früheren Stellung zu ermöglichen. Wir erachten es mit der Reichsregierung als selbstverständlich, daß ein wirk-lich dauernder Friedensstand sich auswirken muß in friedwirk-lichen Verhältnissen im Rheinland und in einer Änderung des dortigen Regimes, in dem Aufhören jener Zustände, die den Begriff der Freiheit illusorisch gemacht haben.

Die Reichsregierung hat eine Entscheidung der Parteien bis zur Stunde nicht gefordert.

Sie hat selbst darauf hingewiesen, daß sie diese Entscheidung erst treffen könne, wenn sie in der Lage sei, die Rückwirkung auf das Rheinland zu überblicken. Gegenüber dieser Klar-stellung ist es uns unverständlich, daß die Deutschnationale Volkspartei, ehe der gesamte Tatbestand überhaupt zur Beurteilung reif ist, gegen Locarno Stellung genommen hat und aus dem Kabinett ausgeschieden ist. Dieses Ausscheiden einer großen Partei, hinter der viele Millionen deutscher Wähler stehen, ist angetan, uns außenpolitisch schwer zu schädigen und innerpolitisch eine Bewegung anzubahnen, die nicht im Sinne staatserhaltender Parteien liegen kann. Wir brauchen gegenüber den schweren Verhältnissen, unter denen die gesamte Wirtschaft leidet, eine starke bürgerliche Regierung. Wir haben das Zustandekommen dieser Regierung begrüßt. Wir haben ihre bisherige Arbeit mit Zustimmung verfolgt. Wir hoffen, dauernd konsolidierte Verhältnisse auf dieser Grundlage im Reich und in Preußen schaffen zu können. Durch die Schwächung der Regierung ist ihre außenpolitische Situation gefähr-det, die innerpolitische Situation aber in eine Richtung getrieben, die von keinem konserva-tiv denkenden Mann gebilligt werden kann.

Wir halten uns daher für verpflichtet, vor der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, daß es die Pflicht aller staatserhaltenden Kräfte in Deutschland ist, die Regierung bei ihrem schweren Werk zu unterstützen, und wir fordern alle unabhängigen Persönlichkeiten auf, unbeschadet ihrer Zugehörigkeit zur Deutschnationalen Volkspartei, dies zu tun und nicht an die Stelle der Führung des Reichs durch Persönlichkeiten Mehrheitsbeschlüsse von Partei-instanzen zu stellen. Wir halten uns vor dem Vaterland für verpflichtet, diese unsere Anschauung durch unsere Unterschrift zu bekunden."

Dies Dokument bewies, welche Hoffnungen vieler einsichtiger Deutscher durch den voreiligen Beschluß der Deutschnationalen Reichstagsfraktion zerstört worden waren.

-Wir wenden uns nun dem Streit um die Entwaffnung und die Räu-mung der Kölner Zone zu.

Artikel 429 Ziffer 1 des Versailler Vertrages setzte folgendes fest:

"Wenn die Bedingungen des gegenwärtigen Friedens durch Deutschland getreulich er-füllt werden, so soll die im Artikel 428 vorgesehene Besetzung nach und nach in folgender Weise eingeschränkt werden: nach Ablauf von fünf Jahren werden geräumt: der Brücken-kopf von Köln und die Gebiete, die nördlich einer Linie liegen, die dem Laufe der Roer

Entwaffnungsstreit 1925

(östlicher Nebenfluß der Maas) folgt, dann der Eisenbahnlinie Jülich Düren Euskirchen -Rheinbach, ferner der Route von Rheinbach nach Sinzig, die den Rhein beim Einfluß der Ahr trifft, wobei die vorhin genannten Straßen, Eisenbahnen und Orte außerhalb der besagten Räumungszone bleiben."

Am 10. Januar 1925 hätte also die Kölner Zone geräumt werden müssen, jedoch die Botschafter-konferenz ließ die Räumung nicht durchführen, da die Interalliierte Militärkontrollkommission ihr berichtet hatte, Deutschland habe die ihm auferlegten Entwaffnungsbestimmungen nicht restlos erfüllt. Der Widerspruch, den die Regierung Marx hiergegen erhob, blieb unbeachtet. Die West-mächte betrachteten den Streit um die Räumung Kölns als ein willkommenes Mittel, um auf das Deutsche Reich einen Druck sowohl in der Entwaffnungsfrage wie auch in der Politik der Sicherheit ausüben zu können. Sie verknüpften die beiden Angelegenheiten aufs engste, indem sie sich sagten, Deutschland, das ein großes Interesse an der Erhaltung des Rheinlandes bewies, werde alle ihre Wünsche erfüllen, um möglichst schnell die Bevölkerung der Kölner Zone von der frem-den Besatzung zu befreien. Man warf frem-den Deutschen vor, sie hätten entgegen Artikel 160 frem-den Gro-ßen Generalstab der Armee in anderer Form wiederhergestellt, sie hätten in Verletzung des Arti-kels 174 Freiwillige auf kurze Zeit eingestellt und ausgebildet, sie hätten die in Artikel 168 gefor-derte Umstellung der Fabriken für Herstellung von Kriegsmaterial bei weitem noch nicht durch-geführt, sie besäßen trotz der Artikel 164 bis 169 überzählige Bestände jeder Art militärischer Ausrüstung, auch seien bedeutende unerlaubte Vorräte an Kriegsmaterial entdeckt worden, die Umorganisation der staatlichen Polizei sei noch nicht begonnen worden, obwohl diese durch Artikel 162 und die Konferenz von Boulogne vom 19. Juni 1920 gefordert worden sei, desgleichen seien gegen Artikel 211 von der deutschen Regierung bei weitem noch nicht alle gesetzgeberi-schen und Verwaltungsmaßnahmen getroffen worden.

Die Beanstandungen der Botschafterkonferenz waren sehr allgemeiner Art. Die Militärkontroll-kommission überreichte ihren Spezialbericht am 25. Januar, und endlich, nach fünf Monaten, am 5.

Juni 1925, wurde die deutsche Regierung im besonderen über die Forderungen der interalli-ierten Mächte unterrichtet. Es handelte sich im großen ganzen um unbedeutende Einzelheiten, die in keiner Weise das Ergebnis der tatsächlichen Entwaffnung Deutschlands beeinträchtigten, sondern klar bewiesen, daß die Westmächte Köln als politisches Druckmittel gegenüber Deutschland benutzten, was ja Herriot geradezu ausgesprochen hatte.

Die Note der Botschafterkonferenz vom 5. Juni stellte folgendes fest:

vollständig erfüllt seien von den Entwaffnungsartikeln 159-180 des Ver-sailler Vertrages folgende: 160 Abs. 1; 163; 165; 172; 173; 175; 180 Abs.

1. Nur teilweise erfüllt seien 160 Abs. 2; 161; 169; 171; 176; 178; 179

und 211. Dagegen habe Deutschland noch nichts getan, um folgende Artikel zu erfüllen: 160 Abs. 3;

162; 164; 166-168; 170; 174; 177. Die Schutzpolizei sollte von 180 000 auf 150 000 Mann verringert werden. Die Unterbringung gewisser Teile der staatlichen Polizei in Kasernen sollte in einigen großen Städten gestattet sein. In Fabriken, Depots und Werkstätten sollte weitere Abrü-stung und Materialzerstörung vorgenommen werden. Die jetzige Stellung des Chefs der Heeres-leitung sollte in die alte Stellung als Chef des Stabes des Reichswehrministeriums zurückverwan-delt werden. Der Große Generalstab sollte aufgelöst werden sowie auch die Abteilung des Reichs-wehrministeriums, die sich mit der Beförderung von Offizieren im Ruhestande befasse.

Bestimmten Verbänden, "Stahlhelm" und "Jungdeutschem Orden", sollte verboten werden, sich mit militärischen Dingen zu befassen oder eine Verbindung mit dem Reichswehrministerium oder einer andern militärischen Behörde zu unterhalten. Bevor Deutschland diese Forcierungen nicht erfüllt habe, könne es nicht die Räumung der Kölner Zone gemäß Artikel 429 Absatz 1 verlangen.

Deutschland sah davon ab, durch eine Antwort die unfruchtbare Diskussion über dieses Thema zu verlängern. Die Westmächte gingen auf den Vorschlag ein, den die deutschen Minister in Locar-no machten, durch persönliche Verhandlungen die Streitpunkte zu klären. General von Pawels vom Reichswehrministerium wurde beauftragt, mit der Kontrollkommission und der Botschafter-konferenz zu verhandeln. Er führte einen zähen Kampf gegen die französischen Forderungen und

Notenwechsel, Verhandlungen und Entspannung

für die Durchsetzung der deutschen Notwendigkeiten. Besonders beharrlich bestanden die Alliierten auf ihrer Forderung, daß die Polizei ihres militärischen Charakters entkleidet und Verbände jeder Art verhindert werden sollten, sich mit militärischen Dingen zu befassen und Verbindun-gen mit der Reichswehr zu unterhalten. Andererseits lehnte Deutschland die Umwandlung des Großen Generalstabes wegen "moralischer Schwierigkeiten" ab und erreichte, daß die schweren Geschütze der Festung Königsberg bewegliche Lafetten erhielten, denn man könne sie aus techni-schen Gründen nicht entbehren. Eine Kürzung der Vollmachten des Generals von Seeckt wurde von deutscher Seite zugesagt; bezüglich der Polizei aber erklärten die Deutschen, die gegenwärtige Organisation sei unentbehrlich; angesichts etwaiger kommunistischer Unruhen brauche man junge Mannschaften, und aus diesem Grunde würden die Verpflichtungen nur auf zwölf Jahre festgesetzt.

Schließlich kam ein Kompromiß zustande, der ein teilweises Nachgeben beider Seiten in den zur Verhandlung stehenden Fragen zur Folge hatte. Die deutsche Regierung verpflichtete sich, noch gewisse Forderungen zu erfüllen.

Mitte November waren die Verhandlungen beendet. Briand teilte der deutschen Regierung mit, die in der Botschafterkonferenz vertretenen alliierten Regierungen hätten beschlossen, "unter diesen Umständen und ohne abzuwarten, daß diese Durchführung ganz beendet ist", zur Räumung der ersten rheinischen Besatzungszone, der sogenannten Kölner Zone, zu schreiten. Am 31. Januar 1926, spätestens am 20. Februar, sollten alle Truppen aus diesem Gebiete zurückgezogen sein.

"Indem sie so den Beginn der Räumung mit der Unterzeichnung der Verträge von Locarno zusammenfallen läßt, bekundet die Botschafterkonferenz das Vertrauen der in ihr vertretenen Regierungen, daß diese Unterzeichnung eine neue Periode in ihren Beziehungen zu Deutschland einleiten wird."

Auch die Kontrollkommission, deren Stärke schon jetzt erheblich vermindert werden könne, werde vollständig zurückgezogen werden, sobald sie die von ihr noch zu erfüllende Aufgabe habe in die Wege leiten können. Briand mußte von den chauvinistischen Kreisen Frankreichs schwere Angriffe aushalten, daß er sich nur mit einer scheinbaren Nachgiebigkeit Deutschlands begnügt habe. Dies

Auch die Kontrollkommission, deren Stärke schon jetzt erheblich vermindert werden könne, werde vollständig zurückgezogen werden, sobald sie die von ihr noch zu erfüllende Aufgabe habe in die Wege leiten können. Briand mußte von den chauvinistischen Kreisen Frankreichs schwere Angriffe aushalten, daß er sich nur mit einer scheinbaren Nachgiebigkeit Deutschlands begnügt habe. Dies

Im Dokument Geschichte unserer Zeit (Seite 104-128)