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Die Zarentreue des baltischen Mels

Im Dokument die Esten und die estnische Zrage I (Seite 85-88)

L Die öeutfthe obere filoflfe in ihren Beziehungen zur Kultur

Z. Estland ohne Zachschulen

V. vor Möel und seine Politik

7. Die Zarentreue des baltischen Mels

(Es wird zur Zeit in Deutschland sehr viel des Guten über den baltischen Adel geschrieben, und seine Lobredner unterlassen es nicht, hervorzuheben, wie dieser Adel stets ganz besonders zarentreu ge-wesen, und daß er dem russischen Reiche eine endlose Reihe bewähr-ter Staatsbeambewähr-ter und der Dynastie Romanow eine gleiche Zahl treuester Diener gegeben habe. Das ist auch wirklich keine Über­

treibung, das ist Wahrheit, mehr noch, es ist das etwas ganz natür-liches. Der Zarismus war die verkörperte Reaktion und er konnte sich nur aus solche Klassen und Schichten stützen, die ebenso reaktionär waren. Nun gab es aber in Rußland keine Klasse, die noch reaktio­

närer gewesen wäre, als der baltisch-deutsche Adel es war und ist. — Wenn also dieser Adel der russischen Reaktion so voll (Eifer diente, so diente er zugleich seiner eigenen Sache. (Er wußte sehr wohl, daß der Sturz des Zarismus seinen eigenen Fall bedeuten würde. Den Zarismus schützen, hieß seine eigene Stellung vertei­

digen. Daher kam es auch, daß sich viele Bomben und Revolver­

läufe der politischen Terroristen gerade auf jene treuen Diener des Zaren richteten. (Eine Reihe der schlimmsten Gouverneure, polizev Hauptleute, Gendarmerieobersten und sonstiger Kreaturen der Re­

aktion war aus der Mitte des baltischen Adels ernannt. Man b r a u c h t s i c h n u r d e r N a m e n v o n p l e h t v e , v o n W a h l , v o n der Launitz, von Münich etc. zu erinnern. Und andere Namen sehen uns aus den Greueln der Gegenrevolution (1906—07) e n t g e g e n : v o n R e n n e n k a m p f , v o n S i v e r s , v o n B ö c k -mann, von Bröderich etc. Sie taten sich als energische Re-volutionstöter schmachvoll hervor und machten sich um den faulenden Zarismus verdient. Während der Gegenrevolution war die ganze Iunkersippschaft auf den Beinen, um Leute, die sich in der revolu­

tionären Bewegung irgendwie betätigt Hattert, aufzustöbern und ein­

zusaugen. Die sogenannten „Strafexpeditionen" durchstreiften unter tätiger Mithilfe des Adels und der Geistlichkeit das ganze baltische Gebiet. Mit Begeisterung wurde in der deutsch-baltischen presse

über die Heldentaten berichtet, die die Tochter eines Pfarrers in der Auffchnüffelung von lettischen Revolutionären verrichtet hatte. Jene Kreise warteten den Sjrafexpeditionen mit fertigen proskrixtions-listen aus, aus Grund welcher die lokalen Exekutionen vorgenommen wurden. Ganze Landgemeinden wurden zusammengetrieben, in Ge­

genwart von Frauen und Kindern wurden die gräßlichsten körxer-lichen Züchtigungen an Ehegatten, Vätern und Brüdern vollzogen

— zum Gaudium der anwesenden Adelssippe. Nach der Exekution zwang man die gezüchtigten Bauern noch, den adeligen Offizieren die Stiefel zu füffen!

Es brach der fürchterliche Krieg aus. Deutschland war nun der Feind Rußlands, und um die Kriegsbegeisterung hoch lodern zu lassen, brauchte man in Rußland eine Deutschenhetze. Die russische nationalistische Wühlpresse von der Art der „Nowoje Wrernja" wit­

terte bei den baltischen Deutschen verräterische Sympathien sür Deutschland und klagte sie deren öffentlich an. Die (Snadenfonne des Zaren hatte sich von dem baltischen Adel abgewendet. Darüber war der Adel mit Recht empört, und feine Vertreter benutzten jede Ge­

legenheit, um die Zarentreue des Adels immer noch laut zu be­

tonen.

B a r o n v o n F o e l f e r f a m , d e r V e r t r e t e r d e s l i v l ä n d i s c h e n Adels in der russischen Duma erklärte am 8. August *9*4 im Na­

men der baltischen Deutschen: „Die dem Zarenhause treu ergebenen Deutschen in den baltischen Provinzen sind stets kampsbereit für den Thron und das Vaterland. Nicht nur werden wir die Kriegskredite restlos bewilligen, fondern wir sind bereit, wie unsere Vorsahren es stets gewesen sind, auch unser Gut und Blut für Rußlands Einheit und Größe zu opfern."

Der livländische Landmarschall und Vertreter des livländischen Adels im Reichsrat, Baron pilar von pilchau, gab im Reichsrat am gleichen Tage folgende Erklärung ab:

„Es dürfte auch in den baltischen Provinzen wie in polen dazu kommen, dem eindringenden Feinde Widerstand leisten zu müssen.

Wir sind dazu wie im verlaufe der verflossenen zwei Jahrhunderte, auch jetzt fest, entschlossen, uns unwandelbar an Rußland zu halten.

Alle unsere Gedanken, Gefühle, Empfindungen und unsere besten Wünsche sind jetzt und stets bei unfern siegreichen Truppen und bei dem gekrönten Führer unseres Heeres."

Am 5. August x 915 sagte derselbe Herr von derselben Stelle:

„Ich kann meine Ausführungen, die ich vor Jahresfrist von derselben Tribüne aus machte, nur wiederholen: Unsere Gedanken, unsere (Empfindungen und unsere besten Wünsche konzentrieren sich aus die siegreichen Heere Rußlands und auf ihre gekrönten Führer...

Die Überlieferungen unserer vorfahren, die Rußland in Treue ge­

dient haben, sind uns heilig und unvergeßlich. Mit der gleichen Treue und mit dem gleichen (Eifer wollen auch wir und unsere Nach­

kommen dem Reiche und dem gottbegnadeten Zarenhause dienen."

Niemand zweifelt daran, daß es diesem Adel mit der ^Zaren-treue bitter ernst war. Und wer wollte auch daran etwas aussetzen, daß der Adel feinen Sympathien nun eine andere Richtung gibt?

(Es war doch nur der reaktionäre Zarismus, der die Interessen des Adels schützen konnte und wollte. Da nun der Zarismus gefallen ist, gehen Rußland und die gekrönte Familie des Zaren den Adel nichts mehr an. (Ehemals war das Baltikum ein „untrennbarer Teil" von Rußland. Jetzt sagt der Adel ebenso überzeugt, daß das Baltikum nur unter der Krone Greußens gedeihen kann! In Deutsch-land spricht man von der Junkerherrschaft in preufjen. Diese Junker­

herrschaft macht dem baltischen Adel die Trennung von Rußland so überaus leicht und läßt alle pathetischen Treueschwüre vergessen, selbst wenn sie jungen Datums sind. Rußland geht offenbar einer demo­

kratischen (Entwicklung entgegen; dort hat der Adel keine Zukunft mehr. Unter dem Schutze der preußischen Krone und mit Hilfe des preußischen Junkertums hofft der baltische Adel seine reaktionäre Macht nochmals neu ausrichten zu können.

In der patriotischen presse Deutschlands findet man jetzt oft auch Schilderungen, die der Zarentreue direkt entgegengesetzt sind.

Man liest da, wieso die baltischen Deutschen bereits seit vierzig Iah­

ren diesen Augenblick mit bebendem Herzen herbeigesehnt und erhofft hatten, den Augenblick der (Erlösung durch das deutsche Militär, der

jetzt endlich eingetreten fei.

Wußte der so zarentreue Adel nichts von diesen heißen Wün-schert?

Wer das glaubte! Aber die braven Deutschen machen dem Adel daraus keinen Vorwurf: Der Adel fei zu dieser Treulüge gezwungen gewefen, fagt Herr (E. Heitmann, der „Sozialdemokrat"!...

Ich denke aber, daß der Adel auch jetzt so schlau wie immer war, zwei politische (Eisen im Feuer zu halten.

Immerhin muß man jetzt sagen, daß die 'Leute um die „Nowoje lvremja" so Unrecht nicht hatten, wenn sie die baltischen Deutschen des Landesverrates beschuldigten.

(Gbige Zeilen wurden in der Zeit niedergeschrieben, als der baltisch-deutsche Adel und seine alldeutschen Freunde so siegessicher am Bau eines baltischen Herzogtums unter der Krone der Hohen»

zollern arbeiteten.)

Im Dokument die Esten und die estnische Zrage I (Seite 85-88)