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Die politische Rechtlosigkeit Ües estnischen Volkes

Im Dokument die Esten und die estnische Zrage I (Seite 40-44)

II. Das estnische Volk

3. Die politische Rechtlosigkeit Ües estnischen Volkes

Der baltische Adel hat den Esten und Letten nicht nur alle ma­

teriellen Güter abgenommen, sondern auch die Aneignung der ide­

ellen Güter ihnen unmöglich gemacht. (Und das wird jetzt „deut­

sche Art" genannt!) Nur das nackte Leben wurde ihnen belaf-sen, damit der Adel sie als Arbeitstiere ausbeuten konnte. Obgleich die „Bauernbefreiung" die Leibeigenen zu „freien Staatsbürgern"

machen sollte, war von staatsbürgerlichen Rechten nichts zu mer­

ken. Nach wie vor blieben Estland, Livland, Rurland und die Insel Gsel reine Adelsrepubliken und nur der Adel hatte politische Rechte.

Die Ritterschaften jeder Provinz hatten ihre eigenen Landtage. Sitz und Stimme auf diesen Landtagen hatten nur die „Häupter" der immatrikulierten Adelsgeschlechter, und in einigen wenigen Spe­

zialfragen wurden auch die nichtadeligen Rittergutsbesitzer zu den Beratungen zugelassen. Alle Landesangelegenheiten wurden auf diesen Landtagen von den Gutsherren beschlossen und von den Be-amten der Ritterschaften durchgeführt. Die übrigen Einwohner des Landes Hattert nichts drein zu reden....

Die Deutschen der Städte haben sich nie dagegen gestemmt. Sie sind immer die willfährigen Mitläufer der Adelspolitik gewesen.

Sie konnten sich allerdings in den Städten schadlos halten, Da sie ja hier ebenso machtvollkommen waren, wie der Adel in den Ange-legenheiten des ganzen Landes.

Bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück waren die ritterschaftlichen Landtage auch zuständig, über die Lan­

despolizei, Gerichtswesen, Schulen etc. Bestimmungen zu treffen.

*887 setzte die ruffische Regierung mit der planmäßigen Russisizie-rung des Landes ein. Sie befetzte die Polizei mit russischen Be­

amten, ebenso die Gerichte und die Schulen. Somit wurden diese Institutionen dem Adel entzogen. Ungeachtet dessen berief die Re­

gierung zahlreiche Abelsfproffen als Polizeioffiziere in den Dienst.

In dieser Weise hatte die Regierung auch schon früher die poli­

tische Macht des Adels beschnitten. Allmählich waren die Adels-rexubliken zu gewöhnlichen russischen Gouvernements geworden, die administrativ von russischen Beamten verwaltet wurden. Doch blieb die innere Organisation insoweit unverändert, als die soge­

nannte „Semstwo" -verfaffung auf das Baltikum nicht ausgedehnt wurde. Obwohl die (Esten und die Letten die Semstwo-Verfaffung herbei wünschten, blieb die ritterfchastliche provinzialverfassung bis in die letzte Zeit in Kraft. Selbst das baltische privatrecht blieb unangetastet.

Welche Sympathien die russische Gewalt den Interessen des Adels entgegenbrachte, beweist klar und deutlich die Tatsache, wie der Adel im Wahlgesetz zu der Reichsduma begünstigt wurde. Der Adel Estlands entsandte ebenso viele Abgeordnete in die Duma wie das Volk! Im Reichsrat war übrigens nur der Adel vertreten, das Volk hatte dort gar keine Vertretung. Wenn also die russische Regierung die baltischen Adelsrepubliken auch in der Folge in ge-wohnliche russische Gouvernements verwandelt hatte, so waren dem Adel doch alle Privilegien belassen worden, auf welche gestützt er die im Lande allein maßgebende Klasse verblieb. Namentlich blieb aber seine ökonomische Suprematie so gut wie ganz unangetastet.

Vermehrung dieser Rechte. Die Staatsgewalt hat die Adelsrechte nur verkürzt, um ihre eigene Macht dadurch zu festigen, indem sie die deutschen Beamten, Richter und Lehrer durch russische Büro-traten ersetzte. Das Volk blieb nach wie vor entrechtet und wurde von den zaristischen Bürokraten in jeder Hinsicht im Interesse des Adels regiert.

In ihren reaktionären Zielen und Praktiken fand die russische Regierung in dem baltischen Adel stets eine innige Stütze. Allein sobald diese Regierung auch nur Miene machte, die feudalen Rechte und Vorrechte zugunsten des estnischen Volkes ein wenig zu be­

schränken, dann war der Adel aus die russische Regierung nicht mehr gut zu sprechen. Mit Argusaugen hat er über feine Interessen gemacht. Nicht nur sollte die Suprematie des Adels im Lande auf­

recht erhalten bleiben, sondern auch der deutsch-baltische Charakter dieser Suprematie sollte unangetastet bleiben.

Nun hatte aber Rußland den plan gefaßt, die baltischen Provin­

zen gründlich zu russisizieren, ihre Einwohner in Russen zu ver­

wandeln, um dadurch den Besitz dieser Lande ein für alle mal zu sichern. Die preußische polenpolitik diente den Russen als Muster.

Es ist unnütz, zu betonen, daß diese Entnationalisierung hier wie dort falsch war und ist! Obgleich die deutschen Oberklassen stets als richtige „praktische Materialisten" handelten und die nationa-len Ideale gerne preisgaben, wenn die wirtschaftlichen und politi-sehen Interessen dadurch gewannen, so zeigten sich bei solchen Maß­

nahmen der Regierungsgewalt doch auch Zeichen einer gewissen Un­

zufriedenheit. In solchen Zeiten ritt man in Deutschland gerne Lärmattacken und forderte die deutsche Macht auf, das Land zu be­

setzen. Gleichzeitig verstanden die führenden perfonen ihre Zaren-treue unbescholten zu bewahren. Und im Lande selbst söhnte man sich bald wieder aus. Der Adel wußte den Schutz der reaktionären Regierungsgemalt stets hoch zu schätzen. So auch in den neunziger Iahren, als die Ruffifikation etmas einzulenken begann; die Adels­

sprossen maren bald und gerne bereit, in der russifizierten poltzei Stellungen anzunehmen und nach russischen Anordnungen, aber mit echt junkerlicher Roheit die Knute zu schmingen.

lvie skrupellos in Deutschland zugunsten der „unterdrückten Deutschbalten" agitiert und um Sympathien gemorben mürbe, be-meist die Tatsache schlagend, daß man in Berlin und in ganz Deutsch­

land 1906 die Deutschen in den Baltischen Provinzen als „Unter-drückte" und „vergewaltigte" bejammerte, sogar protestversamm-lungen einberief, während der deutsch-baltische Adel mit Hilfe der zaristischen „Strafexpeditionen" Orgien der Rache feierte und mit Hilfe der Kriegsfeldgerichte unter den der revolutionären Gesinnung verdächtigen durch zahllose Hinrichtungen aufräumen ließ. Dreist ließen sich diese Henkersknechte damals als unschuldige Opfer der Revolution feiern, während sie proskri^tionslisten der „verdächti-gen" anfertigten und im Blutrausch der Rache schwelgten. Können Tatsachen ärger entstellt werden?

Zu diesen Vorgängen sagte A u g u st Bebel am M- Februar 1906 irrt Reichstage:

„Entrüstet und tief beschämt wendet sich das deutsche Volk von den Vertretern des Deutschtums in Rußland ab. Der deutsche Adel und seine Politik ist bei allen Völkern Rußlands gleichermaßen ver-haßt, denn/dieser Adel organisiert die schlimmste Unterdrückung, er hemmt dön Fortschritt Rußlands. Nicht deutsche Kulturarbeit ver­

richtet dieser Adel, sondern die traurige Henkerarbeit, und nicht nur jetzt, sondern das tat er immer."

Der „vorwärts" — damals noch das Kampforgan des Prole­

tariats — charakterisierte am 8. September *907 unter dem Titel:

„„(Eine deutsch-baltische (Edelmannsbestie" das Treiben dieser Herren als den „unauslöschlichen Schandfleck in den Blättern der deutschen Geschichte". „Das Dunkel," sagt der „vor­

wärts", „in das sonst die schändlichen verbrechen der deutschen Jun­

ker Baltikums gehüllt find, ist hier zu grausamer Helle zerstreut. — Die Gegenrevolution in den baltischen Provinzen Rußlands gebiert entsetzliche (Kreuel. Deutsche Junker, die sich der ruffifchen Regierung als (Ehrenpolizisten zur Verfügung stellten, um ihren viehischen Trieben gegen die unglücklichen Letten ungehindert fröhnen zu kön­

nen, wüten wie trunkene asiatische Despoten. Sie sind trunken von Rachedurst und Blutgier. — (Eine grauenhafte Blutschuld lädt das deutsche Junkertum des Baltikums auf fein Haupt. (Eine furchtbare Saat streut es aus! wehe ihm, wenn die (Ernte kommt! Und da­

bei wagen die deutsche Ordnungspresse und der prof. Schiemaim die deutschen Junker der baltischen Provinzen als verfolgte Un­

schuldslämmer hinzustellen. Wahrlich, die feigen Meuchelmörder, die ihr wehrloses (Dpfer bestialisch martern, ehe sie morden, sind der

protection der „Kreuzzeitung", der „Deutschen Tageszeitung", der

„post" und ähnlicher Organe würdig ..

Ein Deutsch - Balte, Professor M. Rentner, urteilt sehr treffend über die Politik feiner Landsleute, in dem er darstellt, wie der baltische Adel bereit war, jede Oberhoheit anzuerkennen, die nur die Leibeigenschaft garantierte:

„Diese Seite der baltischen Geschichte ist besonders interessant.

Sie zeigt, daß die Balten, um die Leibeigenschaft zu erhalten, bereit waren, sich unter die Oberhoheit gleichviel wessen zu begeben. Und wenn Attila einverstanden wäre, ihre Privilegien zu bestätigen, wür-den sie auch ihn als ihren souveränen Herrn anerkennen"...

Ihre Mission in Rußland charakterisiert Reußner folgender­

maßen: „Massenweise begaben sich die deutschen Barone nach Ruß­

land und rissen die angesehensten und bestbezahltesten Stellen an sich.

Der Hos, die Garde, die Generalitäten, die zentrale Verwaltung, die Statthalterschaften und überhaupt administrative postert — mit einem Worte alles was man mit Hilfe von Verbindungen, Protektionen und gegenseitiger Unterstützung in einem Lande erreichen konnte, wo das Junkertum als die Stütze des Thrones galt, und die Talente des Kommandterens, rücksichtsloser Strenge und unfehlbarer (Einsicht bis zur letzten Zeit als die einzig nötigen für den Gesetzgeber, Poli­

tiker, Administrator galten. Nicht die deutsche Kultur in ihren besten Äußerungen, nicht das preußen Steins und Hardenbergs, nicht das Deutschland Schillers und Goethes brachten die Vertreter des despo­

tischen Systems, die baltischen Barone nach Rußland. Leibeigen--schaftler bis zur Verneinung ihrer eigenen Nationalität, Feinde des deutschen Bürgers und des deutschen religiösen Suchens, kamen sie nach Rußland nicht als Deutsche, sondern als die Verkörperung des habgierigen Kastengeistes und der Willkür, gleichwohl bereit zu die­

nen dem polnischen Sigismund, wie dem russischen peter, wenn nur ihr materieller (Eigennutz und ihre ständige Machtgier Schutz, An­

erkennung und ungestörte (Entfaltungsfreiheit fand."

Im Dokument die Esten und die estnische Zrage I (Seite 40-44)