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Estland unter deutschem Terror

Im Dokument die Esten und die estnische Zrage I (Seite 165-169)

L Allgemeiner Aberbltck

4. Estland unter deutschem Terror

Nach authentischen mündlichen und schriftlichen Nachrichten wütet in dem von deutschen Truppen besetzten (Estland ein unerhör­

ter Terror. Auf den nicht zu überwindenden passiven Widerstand der (Esten, welche den baltischen Baronen und der Militärgewalt jegliche Mitarbeit verweigern, haben die deutschen Militärbehörden mit Massenverhaftungen geantwortet. So sind in Reval Mitte Au­

gust folgende personen verhastet worden: Der estnische General pö­

ber, die Offiziere lvildenau und Tönson, der Redakteur Berendsen und der Präsident des estnischen Consetl National, vereidigter Rechts­

anwalt G. Strandmann. Alle diese personen sind ohne allen Grund und sogar ohne eine formelle Beschuldigung verhaftet worden. Am 20. August sind in Reval die aktiven Organisatoren der estnischen kooperativen vereine paabo, Riaassen und Namstng verhaftet wor­

den. Sie begaben sich in die polizei, um zu erfahren, warum die Türen des Jentralbüreaus der kooperativen vereine von den mili-tärischen Behörden versiegelt worden sind und wurden daselbst so-fort verhaftet. Zu derselben Zeit sind unter anderen in Cartu (Dor­

pat) verhaftet worden: der Direktor des Departements der Sanitäts­

verwaltung von (Estland, Dr. med. Ronik, die Frau des Ackerbau­

ministers Raamot und fein Sohn, ein Realschüler. Die Militärge­

walt stellte als Bedingung für die Befreiung der Frau Raamot, daß sie den Aufenthaltsort ihres Mannes angebe. Als Frau Raamot sich weigerte, auf diesen Handel einzugehen, wurde sie am 2*. Au­

gust mit ihrem Sohn und Dr. Konif nach Reval überführt.

In Rakvere (ZDefenberg) hat man unter anderen verhaftet: die Advokaten Rutti und Waldmann; weiter palgi, Saarepara, pajus, Tiiwas, Vater und Sohn; die fünf letzteren alles friedliche und von

allen gekannte Bürger und Raufleute. Einige Tage später sind in Reval der Lx-Redakteur der deutschen Zeitung Revals, „Tallinna päevaleht (ausgegeben in estnischer Sprache), Kider verhaftet wor­

den, weil er seine Mitarbeit, die ihm unter der schrankenlosen deut-schert Zensur nicht mehr möglich schien, verweigerte ... (Line Reihe estnischer Persönlichkeiten hat sich nur durch die Flucht der ver-Haftung entziehen können.

Unter Arbeitern und Bauern sind Massenverhaftungen vorge-nommen worden, und hunderte von ihnen sind nach Rurland und Litauen übergeführt. Rein Tag vergeht, wo man in estnischen Städten nicht Gruppen von (Esten in Handschellen oder zu zweien aneinander gekettet, geführt von deutschen Soldaten, vorbeiziehen sieht. Gewöhnlich werden sie nicht vor Gericht gestellt, und wenn es dennoch geschieht, so ist es nur eine reine Komödie.

Man hat z. B. am 3. August 7 personen, die in Rakvere (Ge­

senberg) verhaftet worden sind, vor Gericht gestellt, wobei als Dol­

metscher ein baltischer Baron figurierte. Nach den ersten Sätzen der Angeklagten erklärte dieser Baron, daß er nicht verstehe, was die Angeklagten in der estnischen Sprache aussagten, und dieselben waren gezwungen, sich in ihren (Erklärungen der deutschen Sprache, die sie sehr schlecht beherrschten, zu bedienen. Während der Aus­

sagen der Angeklagten machten sich die „Richter" ununterbrochen über die grammatikalischen Fehler derselben lustig, und schließlich wurden trotz vollständiger Abwesenheit jeglicher Schuld alle Ange­

klagten auf die bloße Aussage eines Provokateurs hin zu *5 Iah-ren Zuchthaus verurteilt, außer pajus, der „nur" *o Jahre Zucht­

haus erhielt. Aus dieselbe Art und Weise ist 0. Strandmann zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Die Behandlung der (Eingekerkerten ist unerhört. K. päts, der estnische Premierminister und Saar, landwirtschaftlicher Instruktor, sind im Gouvernement Minsk in einer elenden (Erdhütte eingesperrt.

Sie hungern buchstäblich und es ist ihnen auch nicht möglich, sich zu waschen. Dr. Konik ist in Reval in einer dunklen Mansarde einge­

sperrt, 0. Strandmann in einer alten Kaserne, welche von den Deut-schen zeitweilig als Pferdestall benutzt worden ist.

Die Haussuchungen werden immer häufiger und häufiger. Man macht sie überall und bei allen mehr oder weniger bekannten (Esten.

Man konfisziert selbst Bücher, welche vollkommen literarischen

In-Halts find (so z. B. in Tartu (Dorpat) in der Buchhandlung des

„poftimees").

Alle estnischen politischen Parteien sind aufgehoben und alle vereine und Versammlungen verboten, selbst die allerunschuldigsten.

Selbst um Gottesdienste abzuhalten müssen spezielle Erlaubnisse ein-geholt werden.

Sofort nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurde das Erscheinen der estnischen Zeitungen verboten; später hat man nur einzelnen Blättern die Erlaubnis, wieder zu erscheinen, erteilt, doch nur unter der »beständigen Kontrolle von 5 Zensoren bei jedem Blatt.

Nicht genug davon, man zwingt sie die von militärischer Seite ein­

gesandten Artikel abzudrucken, ohne daß sie die Quelle angeben dürfen.

Die Esten sind fast vollständig der Bewegungsmöglichkeit be-raubt; sogar aus einem Dorfe ins andere dürfen sie sich ohne Er­

laubnis nicht begeben, vom Auslände sind sie vollständig abge­

sperrt; pässe nach Finnland oder Rußland erhalten nur baltische Deutsche und aus besondern Gründen bevorzugte personen.

Die Requisitionen sind unerhört. Die ganze diesjährige (Ernte ist von den militärischen Behörden beschlagnahmt. Falls die Bau­

ern die verlangte Menge Getreide nicht besitzen, sind sie gezwungen, Getreide zuzukaufen oder es auf irgend eine andere Weise, zu ver­

schaffen, um die Militärgewalt zu befriedigen. In der Gemeinde Woltrveti (pernauscher Kreis) z. B. Hattert die Bauern nichts mehr abzugeben. Das genügte, um die ganze Gemeinde in Belagerungs­

zustand zu erklären, Woltweti wurde vom übrigen Estland abge­

schnitten und niemand weiß, was da zur Zeit geschieht.

Gemeinden werden oft beträchtliche Geldstrafen auferlegt: z. B.

in Iögewa (Dorpater Kreis), wo \2 Landwirte *200 Rubel zahlen mußten, weil sie nicht genug Milch liefern konnten.

In den Eifenbahnzügen nimmt man den Reifenden ihr kleines Handgepäck ab, wenn dasselbe Lebensmittel enthält. Auf der Sta­

tion Tapa (Taps) hat sich eine Kriegerwitwe, Mutter von 5 Kin­

dern, welcher die deutschen Soldaten * pud (*6 Kilo) Mehl abge­

nommen hatten, das sie ihren Kindern für ihr letztes Geld (80 Ru­

bel) hatte kaufen können, aus Verzweiflung unter den Zug gewor­

fen, da sie nicht mehr wußte, wie sie ihre Kinder ernähren sollte.

Die Lebensmittel aus Estland werden in der Nacht in die Waggons eingeladen und nach Deutschland expediert, während Estland unter Hunger leidet. Die Stadt Tartu (Dorpat) und pärnu (pernau) ist

3* 23. einige Monate vollständig ohne Brot gewesen. Die Ration ist aus *00 Gramm Brot und 7 Gramm Fleisch täglich normiert, aber auch dieses Wenige ist sehr ost nicht zu erhalten. Die unentbehr-lichsten Gegenstände, wie Seife, petroleum, Licht usw. fehlen voll-ständig.

Sehr oft nehmen die deutschen Soldaten der Bevölkerung pferde und Vieh weg, ohne etwas zu zahlen, oder geben phantastische Quit­

tungen, die ungültig sind.

Die Fabriken sind geschlossen, da die Rohstoffe und sogar die Maschinen nach Deutschland transportiert sind. Bei der Ankunft der Deutschen waren z. B. in Reval noch gegen 23,000 Arbeiter, ge­

genwärtig beträgt ihre Zahl kaum noch 3000. Die entlassenen Ar­

beiter erhalten keine Unterstützung und sind in unbeschreiblichem Llend, besonders da das Leben von Tag zu Tag teurer wird.

Die militärischen Behörden benutzen diese Not und transpor­

tieren sie unter verführerischen Versprechen nach Deutschland oder anderswohin, wo sie streikende Arbeiter ersetzen sollen. Auf diese Art hat man 400 Arbeiter aus Narva und ungefähr 80 aus Reval expediert; jedoch kehrte die größere Zahl zurück, nachdem sie auf der Fahrt den wahren Zweck der Militärgewalt erfahren hatte.

Die Schulen sind germanisiert und müssen nach dem preußischen Schulgesetz arbeiten. In den Volksschulen sind *0 Stunden deutsch,

4 Stunden Katechismus, 4 Stunden Arithmetik und nur eine Stunde Geographie, Geschichte usw. In einigen Distrikten ist die estnische Sprache gar nicht zugelassen, da sie irrt preußischen Schulgesetz von

*90* und *908 nicht vorgesehen sei. In den Mittelschulen ist die deutsche Sprache als Unterrichtssprache eingesetzt, dadurch ist die unermeßliche Mehrheit der Zöglinge außer Stand gesetzt, ihre Ar­

beit fortzusetzen, da sie die deutsche Sprache nicht versteht. Die pri­

vaten estnischen Schulen haben noch nicht die Konzession erhalten.

Die Schulinspektoren sind alle Deutsche: für die Volksschulen ört­

liche deutsche pastoren, für die Mittelschulen Offiziere der deutschen Armee. Die Offiziere erklären frei heraus, daß die Mittelschulen nicht für das Volk da feien, daß die estnifche Intelligenz beseitigt und dieselbe Situation hergestellt werden müsse, wie sie vor 30 Iah­

ren bestand. Die Volksuniversität in Reval wurde als eine unnütze Institution geschlossen, obgleich sie durch private Gaben gegründet und erhalten wurde.

Dieser Terror ist derart furchtbar, daß sogar die deutschen SoU baten Protest erheben und sich weigern, die Order zu erfüllen. Die bei diesem Anlaß verhafteten Soldaten und Matrosen zählen in Re-val nach Hunderten. In den Straßen sieht man immer häufiger Gruppen von 50, mitunter *oo entwaffneten Soldaten oder Ma-trosen, die ins Gefängnis geführt werden. Die Matrosen dürfen nicht von ihren Schiffen ans Land kommen; der Hafen Revals wird von einem starken Kommando bewacht, sogar Maschinengewehre sind aufgestellt. (Es mehren sich die Resolutionen der Soldaten, die verlangen, nach Hause zurückzukehren, die Verteidigung (Estlands den estnischen Soldaten zu überlassen, die politischen Gefangenen zu be­

freien und dem Lande die von der Bevölkerung so sehr erwünschte vollkommene Selbständigkeit zu gewähren.

5. Rekapitulation und Anklage gegen die üeutsthe

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