• Keine Ergebnisse gefunden

Durch physiologische Nage- und Kaubewegungen nutzen sich die Zähne auf natürliche Weise ab (HARRIS 1987, HOLLMANN 1997). Der wichtigste Faktor hierbei ist das Gegeneinanderreiben der Schneidezähne (SHADLE 1936, KAMPHUES 1999). Die schräge, scharfe Aufbissfläche der Incisivi schleift sich beim Nagen von selbst nach, da ausschließlich auf der Zahnvorderseite eine Schicht des sehr harten Schmelzes aufliegt und die Rückseite nur aus dem weicheren Dentin besteht (SCHWEIGART 1995). Für das Zahnwachstum und den Abrieb ist nicht der Rohfasergehalt der Ration an sich, sondern vielmehr die Struktur und Beschaffenheit der Rohfaser von entscheidender Bedeutung. Hierdurch werden Art und Dauer der Futteraufnahme bestimmt (BUCHER 1994, FEKETE und WIESEMÜLLER 1993, HOLLMANN 1997, SCHRÖDER 2000).

Zahnprobleme sind ein tierärztlich relevantes Thema bei Nagetieren, und so auch beim Chinchilla. In der Studie von CROSSLEY (2001) zeigten 35 % der untersuchten klinisch gesunden Chinchillas „Zahnabnormitäten“, insbesondere ein übermäßiges Längenwachstum. Schneidezahnveränderungen konnten bei 55 % der Tiere festgestellt werden, die aufgrund klinischer Symptome vorgestellt wurden. Ein exzessives Wachstum der Schneidezähne ist auch nach SULIK (2007) ein häufiges Problem bei den als Haus- oder Pelztier gehaltenen Chinchillas. Als mögliche Ursache zieht die Autorin eine unangemessene Ernährung in Betracht (SULIK et al.

2007), wobei nicht eindeutig hervorgeht, ob die ungenügende Abnutzung der Incisivi oder tatsächlich ein übermäßiges Zahnwachstum als Folge dessen gemeint ist. Ein Mineralstoffmangel wird bei Chinchillas in der privaten Heimtierhaltung recht häufig beschrieben. Als klinisches Symptom wird zunächst die „Entfärbung“ der Nagezähne genannt. Während die normale Färbung dunkel orange-gelb ist (BRENNER et al.

2005, OSOFSKY und VERSTRAETE 2006, SCHWEIGART 2008, SULIK et al.

2007), sehen die Zähne bei Tieren mit einem Mineralstoffmangel gelblich, zum Teil fleckig oder sogar fast weiß aus (SCHWEIGART 2008). Eine ungleichmäßige Färbung, fehlende Pigmentierung sowie strukturelle Veränderungen der Zahnsubstanz (Verdickung, Spaltenbildung, abnorme Zahnkrümmung, Rauhigkeiten der Zahnoberfläche, Rillenbildung) weisen auch nach BÖHMER (2003) auf Störungen des Mineralstoffwechsels oder chronische Entzündungen im Bereich der Zahnwurzel hin. Durch die schlechte Mineralisierung der Zähne kann es zu Zahnfehlstellungen, zum Abbrechen der Nagezähne oder auch zu Backenzahnproblemen kommen (SCHWEIGART 2008). Insbesondere sind betroffene Schneidezähne infolge der Schmelz- und Dentinhypoplasie weicher und frakturgefährdeter (BÖHMER 2003). 1957 folgerte BRYER, dass eine inadäquate Energieaufnahme zusammen mit einem Mangel an Calcium oder Vitamin D nur einen minimalen Effekt auf Wachstum und Dentition kontinuierlich wachsender Zähne hat. In neueren Studien zeigen die Ergebnisse allerdings das Gegenteil. So fanden BIELACZYC und GOLEBIEWSKA (1997) bei jungen Ratten strukturelle Zahnveränderungen, wie eine verstärkte Cementolysis und eine verringerte Mineralisation von Zement und Dentin, wenn eine calciumarme

Vitamin-D-Mangeldiät zum Einsatz kam. Bei adulten Ratten konnten Veränderungen im Mandibularknochen und an den Zähnen selbst, mit erhöhter Resorption und verminderter Zementmineralisierung, festgestellt werden (GOLEBIEWSKA und BIELACZYC 1997). MUSZCZYŃSKI et al. (2010) postulieren, dass Störungen im Mineralstoffwechsel des Zahngewebes bei Chinchillas, insbesondere Calcium und Phosphor, nicht als Ursache für übermäßiges Zahnwachstum ausgeschlossen werden können.

CROSSLEY (2001) zeigte, dass die Schädel von wildlebenden Chinchillas nur minimale Hinweise auf Zahnerkrankungen aufwiesen und die Zähne alle kurz (Backenzahnlänge im Mittel 5,9 mm) waren. Die Backenzähne von Chinchillas aus zoologischen Gärten waren durchschnittlich 6,6 mm, die von klinisch gesunden Tieren aus privaten Haltungen 7,4 mm und die von Tieren mit Zahnproblemen 10 mm lang. In Haltungssystemen gezüchtete Tiere zeigten zudem eine weite Spanne an Zahnschäden. Diese Beobachtungen ließen auch CROSSLEY folgern, dass einige Aspekte der Haltung in Gefangenschaft für das Entstehen von Zahnproblemen verantwortlich sein müssen. Er nimmt an, dass das Futter (bzw.

seine physikalische Form und Zusammensetzung) der ätiologische Hauptfaktor ist.

WEIJS et al. (1989) konnten beim Kaninchen zeigen, dass die physikalische Struktur des Futters sowohl einen Einfluss auf die Kauaktivität als auch den Zahnabrieb hat.

Die Darreichung eines der Nahrung wildlebender Chinchillas nahe kommenden Futters könnte die Häufigkeit des Auftretens von Zahnerkrankungen bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren signifikant reduzieren (CROSSLEY 2001).

CROSSLEY macht auch die kontinuierlich optimale Nährstoffzusammensetzung, die eine maximale Zahnmineralisierung ermöglichen soll, für eine geringere Zahnabnutzung verantwortlich (Folge eines Zuviel des Guten?).

Nach BRENNER et al. (2005) können Zahnerkrankungen bei Chinchillas Haltungsbedingungen und der Genetik zugeschrieben werden. Der relative Beitrag beider Faktoren ist noch nicht hinreichend erforscht. Die Autorin formuliert, dass viele Chinchillahalter ihren Tieren kein adäquates Futter bereitstellen, um eine

angemessene Zahnlänge und einen geeigneten Zahnschluss zu erhalten. Ein weiterer Punkt sei, dass die Effektivität und Sicherheit von Kauspielzeugen und anderen Nagesubstraten bislang nicht geprüft worden sei. Die Autorin berichtet aus ihrer langjährigen Zuchterfahrung, dass Nagematerialien dazu beitragen können, eine angemessene Zahnlänge zu erhalten (BRENNER et al. 2005). Es stellt sich grundsätzlich die Frage, über welche Mechanismen die Futteraufnahme die Wachstumsrate der Incisivi beeinflussen kann. WOLF und KAMPHUES (1996) ermittelten minimale Längenzunahmen (die geringsten Differenzen zwischen Wachstum und Abrieb) an den oberen Incisivi von Kaninchen und Chinchilla bei ausschließlichem Angebot von Grundfutter (Heu, Möhren), an den unteren Schneidezähnen bei Fütterung von Kraftfutter (pelletiertes Alleinfutter sowie Mischfutter auf der Basis nativer Komponenten). Die Ergebnisse von BUCHER (1994) legen zu Grunde, dass es beim Zwergkaninchen signifikante Einflüsse der Fütterung auf Wachstum und Abrieb der Schneidezähne gibt. So ist in erster Linie nicht die Härte des Futters (wie von FOX und KOMICH 1970, SPANNBRUCKER et al. 1977 sowie BÖHMER und KÖSTLIN 1988 angenommen), sondern die Art und Dauer der Futteraufnahme und die Intensität des Kauens für Zahnwachstum und -abrieb entscheidend. Es gilt zu klären, welche Einflüsse ein Angebot von Nagematerial auf die Zahnlängenentwicklung hat. In der Heimtierhaltung findet man beispielsweise weit verbreitet ein Angebot von Ytong-Steinen (Porenbeton). Nach BUCHER handelt es sich hierbei jedoch um sehr weiches Material, welches beim Benagen zerfällt und den Abrieb der Schneidezähne nicht forciert. Außerdem muss beachtet werden, dass hierbei eventuell zusätzlich Calcium aufgenommen wird, woraus sich klinische Probleme (z.B. Urolithiasis), zumindest bei Kaninchen und Meerschweinchen, ergeben können (KAMPHUES et al. 1986).

HARCOURT-BROWN (1996, 1997) stellte bei Kaninchen einen Zusammenhang zwischen einer defizitären Versorgung mit Mineralstoffen und Vitaminen und dem Auftreten von Zahnerkrankungen fest. In ihren Untersuchungen stellten die Pellets den am häufigsten verschmähten Nahrungsbestandteil der Kaninchen dar. Da diese Kaninchen kein Grünfutter erhielten, schloss sie daraus auf einen direkten

Zusammenhang zwischen mangelhafter Ernährung und Zahn- und Kiefererkrankungen. In den Pellets ist im Regelfall der Hauptanteil an Vitaminen und Mineralstoffen, insbesondere an Vitamin D und Calcium, des Mischfutters enthalten, so dass Kaninchen, welche die Pellets verweigern, nur defizitär mit den genannten Stoffen versorgt werden. Nach HARCOURT-BROWN verschlechtert sich die Zahnqualität infolge dessen, so dass es zu verschiedenen Erkrankungen im Zahn- und Kieferbereich kommt (HARCOURT-BROWN 1996, 1997a und 1997b).

Osteodystrophische Veränderungen von Kiefer und Zähnen teilte HARCOURT-BROWN beim Kaninchen in fünf Stadien ein. Nach einem gesunden, unauffälligen Zahnbild (Grad eins) folgt im zweiten Grad bei einem subklinisch erkrankten Tier zunächst eine horizontale Rillenbildung an den Oberkieferincisivi, eine leichte Knochenschwellung des ventralen Mandibularrandes und teilweise Dacryocystitis. Im dritten Grad der Erkrankung kommt es zu Veränderungen der „Zahnkronen“ mit Kanten- und Spitzenbildung, die Schleimhautverletzungen hervorrufen. In diesem Stadium spricht HARCOURT-BROWN auch von einer Verfärbung der deutlich anormalen Schneidezähne. Im vierten Stadium fallen starke Verformungen vieler Zähne mit röntgenologisch auffälligen Veränderungen im Alveolarbereich und teils sistierendem Zahnwachstum auf. Das fünfte Stadium der Erkrankung ist durch eine generalisierte Osteomyelitis der Kieferknochen charakterisiert. Durch das Vorstoßen der Zähne in den Ober- bzw. Unterkieferknochen kann es zur Abszessbildung kommen.

In der Literatur wird zusammenfassend folglich die Möglichkeit diskutiert, dass Zahn- und Kiefererkrankungen durch eine mangelhafte Versorgung an Mineralstoffen (insbesondere Calcium und Phosphor sowie deren Verhältnis zueinander) und Vitaminen (v.a. Vitamin D) hervorgerufen bzw. forciert werden können. WIGGS und LOBPRISE (1997) gehen davon aus, dass Meerschweinchen, Chinchillas und Degus aufgrund der lebenslang wachsenden Schneide- und Backenzähne von vergleichbaren bzw. gleichen Erkrankungen betroffen sind. Nach WENZEL et al.

(1980, zit. nach GLÖCKNER 2002) sind Chinchillas von Zahnfehlstellungen der Schneidezähne seltener betroffen als Kaninchen, zeigen jedoch im Vergleich zu

diesen eine deutlich höhere Rate an Kiefer- und Gebissanomalien. BONUCCI et al.

(1994) unterstützten mit ihrer Studie an jungen Ratten, dass ein Ca-Mangel (durch zu geringe Aufnahme mit dem Futter) eine Hypomineralisierung des Zahnschmelzes provoziert, die jedoch bei folgender bedarfsdeckender Ca-Aufnahme korrigiert werden kann.

2001 fanden HARCOURT-BROWN und BAKER in einer Studie bei Heimtierkaninchen mit fortgeschrittenen Zahnerkrankungen erniedrigte Ca- und erhöhte Parathormonkonzentrationen im Blutserum, wobei aus dieser Studie nicht hervorgeht, ob die Veränderungen im Blutbild aus einer reduzierten Futteraufnahme resultierten.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Zusammensetzung des Speichels systemisch, v.a. in Korrelation zur Blutserumzusammensetzung, beeinflusst werden kann (SHANNON und PRIGMORE 1959). Überdies deuteten BUTTNER und MUHLER (1958) an, dass der Ca- und Phosphatgehalt im Speichel über die Nahrung beeinflusst werden kann. Wiederum kann eine Veränderung des CO3:PO4 -Verhältnisses im Speichel zu korrelierenden Veränderungen in der Zusammensetzung der exponierten Zahnoberfläche führen. Auch SOBEL (1960) bestätigte durch Versuche an Ratten (Substitution von löslichem PO4 zur Ration), dass die Zahnzusammensetzung sowohl durch die Zusammensetzung des Speichels als auch durch die Blutserumzusammensetzung beeinflusst werden kann.

SOTO (1993) geht noch auf weitere Zusammenhänge ein. So würden die Pflanzenteile, die von Chinchillas natürlicherweise in der Wildnis aufgenommen werden, auf Grund ihrer groben und rauen Struktur die Zahnabnutzung fördern.

Zudem würde der Zahnabrieb bei wildlebenden Chinchillas durch winzige Quarzpartikel gesteigert, welche die aufgenommenen Pflanzenteile verschmutzen (Silikate als Kontaminationen, eventuell auch als Futterbestandteile, d.h.

Inhaltsstoffe).

Eigene Untersuchungen

A Material und Methodik

1 Versuchsziel

Ziel der vorliegenden Untersuchungen war es, eine nähere Charakterisierung des Haushaltes von Chinchillas unter den Bedingungen einer unterschiedlichen Ca-Zufuhr vorzunehmen sowie den Einfluss unterschiedlicher Ca-Gehalte im Futter und verschiedener Nagematerialien auf ausgewählte Parameter an den Schneidezähnen zu prüfen.

Folgende Parameter wurden dabei erfasst:

• Futter- und Wasseraufnahme, Akzeptanz von Nagematerial

• Körpermasseentwicklung

• Verdaulichkeit der Rationen

• Kot- und Harnparameter (insbesondere Calcium, Phosphor)

• Wachstum und Abrieb der Schneidezähne sowie deren Schmelzpigmentierung

• Blutparameter (Calcium, Phosphor)

• Chemische Zusammensetzung der Incisivi sowie Zahnmasse und Zahnmaße

Alle Versuche wurden vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) unter dem Aktenzeichen 33.9-42502-04-09/1701 am 10.07.2009 genehmigt.

2 Versuchstiere