3. Systematische Variantenanalyse
3.1. Wortbildungsvarianten mit verschiedenen Suffixen
Die meisten variablen Lexeme, bei denen es sich um Suffixvarianten handelt, kommen bei Substantiven und Adjektiven vor, vereinzelt auch in anderen Wortarten.
3.1.1. Substantive
(a) -ѥ in Kombination mit einem weiteren Suffix:
-ѥ (-ье) und -ьствѥ: Eine laut SJS in den ältesten Dmm. seltener belegte Variante fin-det sich in PsDem im Paar веле ‒ вельствѥ für gr. μεγαλωσύνη. PsDem enthält in beiden Fällen веліъе (144.6: веліъе PsDemSPB – вельстве GVL, вельствꙗ D, 150.2), das nach SJS in dieser Bedeutung noch neben den Psaltern in den Evangelien, EuchSin und Supr vorliegt.
Dagegen findet sich вельствѥ in einer Vielzahl von Dmm., darunter auch in S (150.2: веліъю PsDemB ‒ велесътвію SPGDVL).
-ѥ und -нѥ treten in PsDemSP in zwei Kollektiva auf: смоковіе PsDem – смокъвнье SP – смокві BGD – сⸯмоковⸯнце VL (104.33). Als Kollektivum belegt SJS nur eine Form in SP (Stichwort: смокъвнѥ), während смоковѥ von PsDem nicht vorkommt. Gemäß SJS häufiger ist das in PsDem vorkommende:
-ѥ und -енѥ / -ьнѥ, mit deren Hilfe das Paar беꙁаконѥ ‒ беꙁаконенѥ für gr. ἀνομία gebildet wird; beide Varianten sind relativ regelmäßig verteilt. In beiden Fällen handelt es sich um Ausdrücke mit der Wurzel беꙁакон- (30x), wobei PsSin großteils und P an 21 Stellen ein Le-xem mit dem Suffix -енѥ / -ьнѥ (беꙁаконенье, беꙁаконне) zeigt, während in anderen Psalterien inklusive des PsDem stets eine Variante mit dem Suffix -ѥ (беꙁаконе) vorkommt. PsSin enthält беꙁаконе an vier Stellen, und nur in P kommt auch беꙁаконене vor (5.5, 35.3, 37.19, 102.10).
Nach SJS alternieren die beiden Varianten, doch ist беꙁаконѥ wesentlich häufiger und in allen Arten von Dmm. (Evangelien, Apostel, Psalter, Euchologien, Prophetologien usw.) zu belegen, während беꙁаконене auf Psalter beschränkt ist und sonst nur je einmal in Mar und Supr auftritt.
-ѥ und -ство in der Variante невѣдѣнѣ PsDemPBGDVL (24.7) für ἀγνοία, das nach SJS viele Dmm. enthalten, während невѣꙁьство nur in S (24.7) und vereinzelt in den Aposteln vor-kommt.
(b) -ость in Kombination mit einem weiteren Suffix:
-ьда; -ость; -ота oder -о dienen als Suffixe in den Äquivalenten правьда, правость und правота für gr. εὐθύτης. Die Variabilität ist u.a. bedingt durch den Kontext sowie Bedeutungs-nuancen. Die Verteilung ist interessant: на правъдѣ PsDemSD – на правотѣ PBGVL (25.12);
правъдꙑ PsDem – правотꙑ SPBGD – право VL (74.3); правъдѫ PsDemPBGDVL – правость S (110.8); weiters правотꙑ PsDemSPB – правдѫ GD – правосⸯть VL (36.37); правостъ PsDem SGL – правдѫ PBDV (66.5). Laut SJS sind правость und правьда im vorliegenden Sinne wesentlich weiter verbreitet als правота, das in den bisher erfassten Psaltern nur dreimal und in PsDem einmal belegt ist. Einen ähnlichen Unterschied beobachten wir auch bei gr. ἀληθῶς: правъдѫ PsDemPB-DVL – право SG (57.2).
-ость und -н in den Ausdrücken für gr. ἐλεημοσύνη, wovon in PGVL млость, in PsDemSB das nach SJS weniger frequentierte млостьнѫ (23.5) auftritt, das ansonsten in den Evangelien, im Psalter und Prophetologion vorkommt.
(c) Phonologisch abweichende Endungen:
фараоса PsDemS – фараонъ PBGDVL (134.9). Nach SJS ist die Form фараонъ in allen Genres aksl. Dmm. reichlich belegt, während фараосъ recht spezifisch ist und beschränkt auf PsSin (jetzt auch PsDem), Supr und Prophetologien.
братръ – братъ: In SJS ist als Mehrheitsform братъ belegt, братръ findet sich in Mar, den Freisinger Denkmälern, Cloz und in Psaltern. In PsDem kommt братръ fünfmal vor, viermal auch
in S (49.20, 68.9, 121.8, 151.1 vs. братъ 34.14), an zwei Stellen findet sich братъ PsDemBG – братръ SP (48.8, 21.23).
(d) Übersetzungsäquivalenz und variable Lexeme благословлѥнѥ – благословещвлѥнѥ (благословещенѥ, благословественье), ѹстьна – ѹста und пѣснь – пѣнѥ:
Die Variabilität der Deverbative für gr. εὐλογία beruht auf der Ableitung aus den unterschiedli-chen Verbbasen благословт und благословествт (благословестт) mithilfe des Suffixes -енѥ (-еньѥ). PsDem hat an drei variablen Stellen (20.4, 23.5, 108.17) das erwartete Mehrheitslexem благословлене (3.9 благославене!) bzw. благнію (108.17), das sowohl in den Psalterien als auch (laut SJS) in anderen Dmm. vorkommt, während S блгословещвенье (3.9) neben благословественъе (23.5) bzw. блгщенью (108.17) aufweist.
ѹстьна und ѹста, die aksl. Äquivalente für die gr. Lexeme χείλη und στόμα, gehören zur selben Wurzel und bezeichnen auch sehr ähnliche Entitäten, weshalb die beiden Wörter in vielen Kontexten austauschbar sind. In den untersuchten Hss. entspricht ihre Verwendung den Mehr-heitsbelegen im SJS, entweder ohne Varianten ѹста für στόμα (62.6, 62.12, 65.14, 108.2, 118.43, 118.103, 140.3) und ѹстьна für χείλη (62.6, 65.14) oder mit Varianten. In PsDem gibt es rela-tiv selten eine Abweichung von der erwähnten Verteilung, lediglich einmal ist ѹстьна für gr.
στόμα belegt: ꙋстенъ PsDemG – ѹстъ SPBVL, lac.D (18.15). Im Allgemeinen finden wir mehr Varianten für das gr. χείλη, aber PsDem hat nur in zwei Fällen ѹста: ꙋстахъ PsDem, ѹстѣхъ PBGDL – ѹстьнахъ SV (58.8); ꙋстъ PsDemSPBD, ѹсты G – ѹстⸯнⸯ VL (58.13). In allen an-deren Fällen enthält PsDem, meist gemeinsam mit SPB, ѹстьна: ꙋстънахъ PsDemSGV – ꙋстнѹ PBD – ѹстехъ V (44.3); ꙋстънама PsDemSPGDVL – ѹстꙑ B (105.33); ꙋстенъ PsDemSP – ѹстъ BGDVL (119.2); ꙋстенъ PsDemSGDVL – ѹстъ PB (139.10); ꙋстънахъ PsDemSPBD, ѹстⸯн VL – ꙋстѣх G (140.3). An drei Stellen zeigt PsDem für χείλη eine bedeutungsmäßig exaktere Variante als S: 20.3 ꙋстенъ PsDemVL – ѹстнѹ P – ѹстъ SBG, lac.D (20.3); ꙋстънам PsDemPBGV – ѹстнама L – ѹстꙑ своімі S, lac.D (21.8); ꙋстънамъ PsDem PBGDVL – ѹстомъ S (39.10).
пѣнѥ und пѣснь sind von derselben Wurzel durch verschiedene Suffixe gebildet als Äquiva-lente für gr. ὕμνος und ᾠδή. Gemäß SJS ist die Verteilung der beiden Entsprechungen nicht genau definierbar. An variablen Stellen in PsDem entspricht in den meisten Hss. пѣснъ PsDemSPBGVL – пѣне D für ᾠδή (41.9) und пѣнііхъ (zu пѣне) PsDemSPDVL – пѣснь BG für ὕμνος (99.4), aber einmal abweichend пѣснъ PsDem – пѣнъе SPBGDVL für ὕμνος (39.4).
3.1.2. Substantive und Adjektive in Alternation
Für ein gr. Adjektiv (ἁμαρτωλός, δίκαιος, πλησίος) im substantivierten Gebrauch oder ein Substantiv (ὁ ἄγγελος, ἡ ἀντιλογία) im possessiven Genitiv erscheint im aksl. Text alternativ das entsprechende Substantiv und Adjektiv:
ἁμαρτωλός, ὁ ἁμαρτωλός – nach ŘSI überwiegt in den Psaltern die Übersetzung durch das Substantiv грѣшьнкъ; wenn es als грѣшьнъ adjektivisch übersetzt wird, ist es selten invaria-bel (12x), andere Stellen sind variainvaria-bel mit einem Substantiv (16x). PsDem hat an den variablen Stellen in der Regel ein Substantiv (33.22, 36.21, 36.32, 72.3) und entspricht hier meist S (36.21, 36.32, 72.3). An drei variablen Stellen hat PsDem auch ein Adjektiv: грѣшънъ PsDemSPDVL – грѣшнкъ BG (3.8); грѣшънꙑ PsDemPBD – грѣшънкъ SGVL (36.12); грѣшънꙑхъ Ps-DemPBGDL – грѣшьнкъ SV (36.17).
δίκαιος, ὁ δίκαιος – nach ŘSI (Heft 9, dzt. noch unpubliziert) ist die Verwendung des Substan-tivs правьдьнкъ (ohne Varianten 4x) und des Adjektiväquivalents правьдьнъ (ohne Varianten 3x) im Psalter relativ ausgewogen. An fünf variablen Stellen zeigt S die klare Tendenz, das substanti-vierte Adjektiv zu verwenden, so auch PsDem (праведьна SPB – праведънаго PsDemGDVL 2.12, 7.10, 33.22; праведънаго PsDemSPBGDVL 36.30; праведънаго PsDemSPBGVL – праведнхь D 74.11), an zwei Stellen haben PsDemPBGDVL hingegen правьдьнъ und S правьдьнкъ (праведъніі PsDemG – праведн BDVL – праведьнц S 33.18a; праведънъіхъ PsDemGDVL
– праведьнкъ S 124.3b vs. праведъні PsDemGDVL – праведьнї SPB 124.3c), dreimal zeigen PsDem und S einheitlich правьдьнкъ: праведъніка PsDemSGL – праведнааго PBDV (36.12);
праведънікъ PsDemSVL – праведны PBGD (36.21); праведънікъ PsDemSL – праведнїх PB – праведных GDV (117.15), doch kommen auch Fälle wie правъденъ PsDemGDVL – праведънѣ B – праведьно SPG (7.11); праведъні PsDemGVL – праведніі SPBD (31.11, 32.1); пра[.]ведъні PsDemGDVL – праведьнї SPB (117.20b) vor.
πλησίος, ὁ πλησίος/ν – meist handelt es sich hier um Übersetzungen mittels des Adjektivs
скрьнь in PsDemSPB bzw. des substantivierten Adjektivs блжьн in GD (іскрънюмꙋ 34.14, іскрънѣаго 88.19, іскрънѣго 100.5), was auch den Belegen im SJS entspricht. Einzigartig ist die Übersetzung durch das Substantiv блжнкъ bzw. блжка: бліжікъ PsDemSBVL – блжнкъ PD – блжнх G (121.8). Einen gemischten Befund zeigen бліжънѧ PsDem – скрънѩѩ SPBG – скрнѫ DL – скрⸯне V (44.15).
τῶν ἀγγέλων – nach ŘSI üblich ist die Übersetzung des gr. Genitivs mit dem Substantiv ангелъ (16x belegt), während die Übersetzung durch Adjektiv, wie in PsDem, vereinzelt bleibt: аћлескъ PsDemPBGDVL – ангелъ S (77.25).
τῆς ἀντιλογίας – allein in PsDem und S ist das Adjektiv zu belegen: на водѣ прѣрѣканънѣі PsDemS – на водѣ прѣрѣканнѩ PBGDVL (105.32).
3.1.3. Adjektive
Wie unter den Substantiven ist auch hier neben verschiedenen Wurzeln die größte Variantenquel-le die Variabilität der wortbildenden Suffixe, vor alVariantenquel-lem jener, die mit den Suffixen -ьскъ und -ьнъ konkurrieren. Dieser Variantentyp kommt in den Entsprechungen für das Partizip πονηρευόμενος und die Substantive ὁ ἄγγελος, ὁ ἄνθρωπος, ἡ γῆ, τὸ ἔθνος im possessiven Genitiv vor.
-ьскъ; -ь sind die Suffixe, mit deren Hilfe im Aksl. die Adjektive ловѣьскъ und ловѣь als Äquivalente zum gr. Possessivgenitiv τῶν ἀνθρώπων gebildet werden. An variablen Stellen in Ps-Dem überwiegt, meist kongruent mit GDVL, ловѣьскъ, während in SPB ловѣь vorliegt (4.3, 8.5, 10.4, 11.9, 20.11, 44.3, 57.2, 106.15), und einmal zeigt PsDem diese Variante gemeinsam mit S: ловѣь PB – ловѣьскъ (лвѣскъіѩ PsDemSGDVL 32.13). Der Gebrauch des Adjektivs
ловѣь oder des Substantivs ist in PsDem selten: ловѣі PsDemSPB – ловѣьсц DVL, лт
G (89.3); е PsDemP – лско SBGVL, лвьское D (107.13); комъ PsDemBD – льскымъ GVL – лвемъ SP (106.21); мѫжа PsDemB – ка SPGD кь VL (139.5). ŘSI weist für SPB eine höhere Frequenz des Auftretens von ловѣь als ловѣьскъ aus (S 31 : 5; P 41 : 1; B 22 : 20), während in VL das Verhältnis umgekehrt ist.
-ьскъ; -ьнъ leiten Adjektive von der Wurzel ꙁем- als Entsprechungen des gr. Genitivs τῆς γῆς ab. Gemäß ŘSI ist die Verwendung beider Adjektive in den Psalmen ausgewogen, wobei S an variablen Stellen häufiger ꙁемьнъ aufweist, während wir nun in PsDem ꙁемьскъ (ꙁемльскъ) bebachten: ꙁемъст PsDemGDVL, ꙁемст PB – ꙁемьн S (2.2); ꙁемъсті PsDemDVL, ꙁемьст
PBG – ꙁемніі S (47.2); vgl. aber auch einheitlicher ꙁемъсті PsDemDVL, ꙁемьсті SPBG (137.4);
ꙁемъсті PsDemGDVL, ꙁемьстії SB (148.11a); und dann wieder ꙁемъскаѣ PsDemS – ꙁемнаа PBGDVL (71.17); ꙁемъскъімі PsDem – ꙁемьнꙑм SPBGDVL (88.28). Stellenweise treten zu S auch PsDemPBG: ꙁемънъіхъ PsDemSPBG – ꙁемьскыхⸯ DVL (75.13); dann aber auch ꙁемъні PsDemD, ꙁемьніі S – ꙁемьст GVL, ꙁемлст PB (101.16). Man kann also sagen, dass sich in Ps-Dem eine Tendenz zum häufigeren Gebrauch von Adjektiven auf -ьскъ beobachten lässt.
-ьскъ; -ьнъ kommen auch als Suffixe zur Basis ѩꙁьік- vor; unser Material zeigt ein Beispiel für gr. τῶν ἐθνῶν, und auch hier bevorzugt PsDem das Suffix -ьскъ: ѩꙁꙑьскъ (ѩꙁъіъскаѣ PsDemB – ѩꙁꙑънъ SP – ѩꙁьікь G.pl. GVL, lac.D 21.28). Das Gleiche gilt für das Adjektiv-paar небесьскъ und небесьнъ für gr. ἐπουράνιος, τοῦ οὐρανοῦ: небесъскꙑ PsDem, небеске VL – небеснꙑ SPBGD (67.15); небесъскꙑ PsDemVL – небеснꙑ SPBG – бож D (77.24)
-ьнъ; -ъ kommen in variierenden Adjektiven an einer Stelle vor, wobei in PsDem das zweite Suffix vorliegt: лѫкавꙑѩ PsDem лѫкавыхъ PBDVL лѫкавънꙑхъ S лѫкавнꙋѫщх G (25.5) für πονηρευομένος.
3.1.4. Pronomina
Interesse verdient in dieser Gruppe das Paar вьсѣкъ ‒ вьсь, da man sagen darf, dass PsDem an den meisten Variantenstellen (12x) gemeinsam mit PBGDVL das Pronomen вьсѣкъ aufweist, während in S die Variante вьсь auftritt (10x). Das weist auf eine textologische Entwicklung im Sinne des Ersatzes des ursprünglichen вьсь durch вьсѣкъ.
3.1.5. Adverbien
Hier geht PsDem wiederum teils mit PD, teils mit SPDVL gemein: сꙋе PsDemPB – сѹетьно SGDVL ματαία (107.13) und мъножіцею PsDemSPGDVL – мъногѫщ B πλεονάκις (105.43).