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Rettich bei Erkrankungen der Leber oder der Eingeweide (318)

Ръдоковъ f. 141ar9 ist aksl. ansonsten nicht belegt32, laute slavisch aber überall ähnlich und be-zeichnet den Rettich (Raphanus, Cruciferae; Dioskurides: ῥαφανίς). Den höchsten Bekanntheits-grad besitzt der Gartenrettich (Raphanus sativus L) sowie der wilde bzw. Ackerrettich (Raphanus

30 SJS: „Disteln“, aber Vasmer: repej „Distel, Klette“. CyrMeth belegen das Wort mit der bg. Übersetzung „repej, bodil“ für Mt 7.16.

31 Siehe u.a. Davidov & Javašev: rěpenъ (Arctium), rěpej (Actimonia); Davydov: osot (Sonchus), čertopoloch (Car-duus). R93/4 Wtb.: Wolf: repjè „Klette“, Stojanov & Janakiev: rěpie „Klette“. Š92: Von den über 10 botanischen Abarten hier einschlägig sei Arctium lappa, das bis heute in der Volksmedizin verwendet werde. Die besten Ver-gleichsbeispiele zeigen sich in sloven. repje und bg./russ. repej. Alle seien zu abg. rěpa zu stellen. diMovA 2014a, 456: goljam repej; in der bg. Volksmedizin bei Hautproblemen, Rheumatismus und Verstauchungen eingesetzt.

Die alten Heiltraktate empfehlen, die Pflanze in Wein zu kochen und auf nüchternen Magen zu trinken, um Wür-mer zu vertreiben. theissen 2015, 313–314, neigt dagegen aufgrund der Vielfalt möglicher Abarten dazu, die Frage nach der genauen Abart letztlich offen zu lassen. Vgl. auch osъtъ unter Nr. 5!

32 Im Wtb. verweist Rosenschon auf Vasmer: russ. redьkovь vor redьka, sloven. redkev. D89-90: Altes europäisches Kulturlehnwort, das von lat. (A.) radicem abstamme und bildungsmäßig dem Muster -y folge, vgl. tyky, smo-ky, mrъky (A. jeweils -ъvь). Vgl. auch das Glossar. CyrMeth zitieren unseren Beleg unter dem Lemma рѣдокъ

„kočan“ und mit der Erklärung „harter Teil mancher Gewächse“.

raphanistrum L). Beheimatet ist der Rettich seit der Antike im ganzen Mittelmeerraum und seit dem Mittelalter auch in Mittel- und Nordeuropa. Der wilde Rettich gedeiht hingegen auf dem Sinai und auf dem Balkan in mehreren Unterarten. Rettich wirkt choleretisch (i.e. die Ausschei-dung der Lebergalle fördernd) und findet in der Volksmedizin VerwenAusschei-dung bei EntzünAusschei-dungen und Steinbildung der Galle sowie zur Schleimlösung bei Atemwegerkrankungen. Während die An-wendungsgebiete bei den anderen Autoren ähnlich und klar umrissen sind, wird er in den MedFol hingegen ohne Anführung besonderer Symptome nur allgemein für die Leber bzw. die Eingewei-de33 appliziert.

4. Kopflauch (Porree) gegen Fieber (318–319)

Лꙋгъ главатоі f. 141ar11: Im Kontext zu lesen sei -k statt -g, da lug- keinen Sinn ergäbe34. Dis-kurides führt unter den Synonymen für πράσον (Allium porrum L) auch κεφαλοτόν an (in der Medizingeschichte bekannt als πράσον κεφαλοτόν, HM). Das Attribut glavatoi in den MedFol könnte somit eine Lehnübersetzung aus dem Griechischen sein, was zweifellos zutrifft (i.e. gla-vatyj ‒ κεφαλοτός). Kopflauch (Allium sphaerocephalon, Allium capitarum) ist eine von knapp dreihundert in Europa verbreiteten Zwiebelarten, deren ursprüngliche Heimat sich in Westasien und im Süden Sibiriens befindet. Nach Europa gelangte sie durch die Römer. Viele Unterarten finden sich auf dem Sinai und dem Balkan. Der Kopflauch entfaltet seine Hauptwirkung im Ver-dauungstrakt: choleretisch, cholagogisch und spasmolytisch. In der Volksmedizin findet die Zwie-bel Verwendung zur Schleimlösung bei Erkältung und Asthma sowie bei Ohrenschmerzen und rheumatischen Beschwerden. Das Anwendungsspektrum der Zwiebel ist bei allen Autoren der Antike sehr breit und übereinstimmend: Schlangenbiss, Haupt-, Ohren- und Zahnerkrankungen, Beschwerden der Atem- und Verdauungsorgane sowie als Aphrodisiakum, blutstillend, harn- und menstruationsfördernd. Von keinem der Autoren hingegen wird der Lauch – wie in den MedFol – zur Fiebersenkung empfohlen.

5. Gänsedistel zur Wiedereinleitung der Menstruation nach der Geburt (319–320)35

Осъта велкаго f. 141ar15-16: Ähnlich wie bei рѣпѣ zeigen im Falle von осътъ Wörterbücher und botanische Enzyklopädien abweichende Bedeutungen. In ersteren wird осътъ bzw. осотъ als Distel, τρίβολος, angegeben36. In den Systematiken hingegen wird осотъ als die Gänsedistel (Sonchus, Compositae) angeführt37. Die ein und derselben Gattung zugehörigen Pflanzen werden aufgrund äußerer Merkmale verwechselt.

Die Gänsedistel (Dioskurides: σόγχος) gedeiht in ganz Europa, aber auch auf dem Sinai in mehreren Unterarten. In der mittelalterlichen Kräuterkunde werde die Pflanze kaum erwähnt und ist deshalb auch in der Volksmedizin nicht bekannt. Manchmal wird sie von „weisen Frauen“

gegen Zahnschmerzen angewandt. Das Blattwerk verwenden antike Autoren vor allem

äußer-33 Miklosich: jętro n. hepar, jętra intestina; Wolf: jetra n.pl. Leber; Vasmer: russ. jatra Eingeweide, rksl. jatro Leber, jetra skr., slov., jatra slovak.

34 D.h. lukъ glavatyi. M93, 126, M94 und mit ihm S98 verweisen hingegen auf tschech. und slovak. Entsprechungen von lug- im Sinne von „crategus, hloh“, vgl. auch tschech. loh, luhovec „Weißdorn“. Da Letzterer in der medizini-schen Anwendung eng auf Herzschwäche begrenzt ist, ist Rosenschons Deutung vorzuziehen, zumal sich auch die Verschreibung unschwer aus regressiver Assimilation nach Jerausfall erklärt. diMovA 2014a, 456 (unter Berufung auf I. Dobrev) bg. magareški bodil (i.e. Eseldorn, Eselsdistel, Onopordum); vgl. auch unter 5.

35 Rosenschon übersetzt und kommentiert die Übersetzung richtig, gelangt aber dann zur Deutung „gegen Blutungen in der Schwangerschaft“; vgl. die Anmerkung zur Übersetzung!

36 SJS: Distel (Carduus). D89-90/90: Carduus acanthoides. CyrMeth führen unseren Beleg mit der bg. Übersetzung magareški bodil, trăn, Onopordon acanthium; vgl. auch unter Verordnung 4.

37 So Davydov: osot Gänsedistel (Sonchus), čertopoloch Distel (Carduus, Asteraceae, Compositae), bodjak Kratzdi-stel (Cirsium, Asteraceae, Compositae).

lich aufgrund ihrer kühlenden und adstringierenden Wirkung bei Entzündungen. Entgegen Rosen-schons zurückhaltender Charakteristik verweisen neuere Nachschlagwerke darauf, dass die beiden Abarten der Gänsedistel, Sonchus oleraceus und Sonchus asper, früher aufgrund ihrer vielseitigen medizinischen Tugenden als Heil- und Schönheitsmittel wie auch als Nahrungsmittel sehr ge-schätzt waren, und zwar sowohl für innerliche als auch äußerliche Anwendungen. Unter den inner-lichen Anwendungen werden neben Kurzatmigkeit, Leberschwäche, Magenbrennen u.a. auch die Menstruationsförderung genannt, die allerdings entgegen der Anweisung in den MedFol mit dem verdünnten Milchsaft der Pflanze erzeugt werden soll38.

In dieser Rezeptur erscheint zum ersten Mal eine Mengenangabe: 30 Samenkörner. Dioskuri-des empfiehlt 30 Körner der Schlangenwurz in Essigwasser als Abortivum.

6. Wurzel der myrtenblättrigen Wolfsmilch gegen Bisse von tollwütigen Tieren (Hunden oder Wölfen). 7a. Wurzel der Wolfsmilch gegen Bauchbeschwerden und Obstipation. Kraut oder Wurzel der Wolfsmilch gegen infizierte Wunden (320–321)(133)

ꙁмінаⷷго39 млѣъѣ корене (bis) ff. 141ar21-141av1, 5-6: In bulgarischen botanischen Enzyklo-pädien werden alle Pflanzen mit Milchsaft млѣчъка, млѣчокъ, mljako genannt, darunter auch die Gänsedistel (Sonchus), das Schöllkraut (Chelidonium)40 und die Wolfsmilch (Euphorbia). Schöll-kraut (Chelidonium maius, Papaveraceae) ist ein in fünf Arten vorkommendes Kraut, das auf dem Balkan, in Slovenien und auf dem Sinai sogar in Wüstengebieten vorkommt und die Nähe mensch-licher Behausungen bevorzugt. Es zeigt spasmolytische Wirkung auf Magen und Darm, cholere-tische auf die Galle. Das Lagern und Trocknen führt jedoch zum Zerfall der Wirkstoffe. Sein An-wendungsspektrum ist überaus breit, Avicenna empfiehlt es gegen Darmkoliken und Obstipation, bei Gelbsucht, gegen Zahnschmerzen und Augenleiden, ähnlich wie schon Dioskurides und Paulos.

Wie in der Antike erfolgt auch die Verwendung in der osteuropäischen Volksmedizin. Aufgrund seiner Applikation gegen Obstipation in den MedFol könnte es sich um das Schöllkraut handeln.

Die größere Übereinstimmung der Indikation in unserem Fragment mit den antiken Autoren deutet jedoch daraufhin, dass es sich am ehesten um die in ganz Europa und Nordafrika verbreitete Wolfsmilch41 handelt. Die Familie der Euphorbiaceae hat zahlreiche in Europa und Afrika ver-breitete Varianten; lediglich die Euphorbia myrsinites erscheint nur in den Systematiken der Bal-kanhalbinsel und ist in Griechenland und Italien bis 1200m Höhe heimisch. In der Volksheilkunde Osteuropas findet sie Verwendung gegen Wassersucht, hauptsächlich aber gegen Wasserscheu, die für Tollwut symptomatisch ist. Mit einem Extrakt der Pflanze werden Bisswunden tollwüti-ger Tiere ausgewaschen. Antike Ärzte empfehlen die Pflanze zur äußerlichen Anwendung gegen Geschwüre, Flechten, Warzen, Fisteln und innerlich als Purgativum. Im BMT erscheint sie als geheimes Heilmittel gegen psychische Erkrankungen wie Epilepsie, finsterem Gemüt, Tobsucht und Irrereden. In den MedFol wird die Euphorbia myrsinites zuerst beim Biss tollwütiger Tiere angewandt, allerdings ohne Informationen darüber, welche Pflanzenteile verwendet werden und ob sie äußerlich oder innerlich verabreicht werden sollte. Weiters wird die in Wein gekochte Wur-zel ähnlich wie bei Dioskurides als Laxativum empfohlen und schließlich das zerstoßene Kraut oder Wurzelwerk auf infizierte Wunden gestreut.

38 https://heilkraeuter.de/lexikon/gaensedistel.htm.

39 R91a (zmiinego mlěčě): Euphorbia myrsinites gem. Davidov & Javašev; M93: Unklar sei die Endung -ego – han-dle es sich hier um einen Schreibfehler oder wirklich um einen Nordwestslavismus? Vgl. PDS 2012, 36 und den Kommentar zum slav. Text.

40 Dimkov: zmijsko mljako „Chelidonium majus“; D89-90/90: dass. CyrMeth: dass. theissen 2015, 314, sieht für Mareš’ Vermutung, wonach es sich um den Löwenzahn (Taraxacum officinale) handle, zumindest im Bg. kaum Anhaltpunkte.

41 R91a (zmiinego mlěčě): Davidov & Javašev: zmejova mlěčka Euphorbia myrsinites L. diMovA 2014a, 456, 457–

458: bg. zmijska mlečka. Eine vergleichbare Verordnung fehle in der bg. Volksmedizin.

7b. Suppositorium oder Klistier aus Salz und Honig gegen hartnäckige Obstipation (321–

322)Nach sechs Pflanzen werden nun je ein mineralisches und tierisches Heilmittel genannt, Salz und Honig: цѣлѫ солъ f. 141av12, sowie медомъ f. 141av13: Sie sollen bei hartnäckiger Ver-stopfung als Zäpfchen oder Klistier in den Darm eingeführt werden. Nach Hippokrates wirken See- und Steinsalz laxierend und harntreibend; die Mischung aus Salz und Honig reinigt Ge-schwüre. Die stärkste Wirkung besitzt laut Dioskurides das Steinsalz, welches den Wundschorf fördert, Granulome beseitigt und Fäulnis verhindert. Äußerlich angewandt hilft es gegen Haut-krankheiten, innerlich gegen Wassersucht und als Zusatzmittel zu Klistieren. Honig verwenden Dioskurides, Avicenna sowie die Autoren des BMT hauptsächlich äußerlich, u.a. gegen giftige Tierbisse. Eine Mischung aus Honig und Steinsalz wird bei Augen-, Ohren- und Halserkrankun-gen verabreicht.

Dem Verfasser des Traktats ist die kräftig laxierende Wirkung zweier stark hypertoner Sub-stanzen wie Salz und dem im Honig vorhandenen Zucker bekannt, wie bereits bei Paulos von Aigina.