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Wirkhypothesen zur Sinnesphysiologie

1. Theoretischer Teil

1.4. Wirkhypothesen

1.4.5. Wirkhypothesen zur Sinnesphysiologie

Eine Wirkung über die Stimulation genereller Mechanorezeptoren wurde bisher vor allem in

deutschen und südamerikanischen Kreisen als Wirkhypothese diskutiert. Der südamerikanische Arzt Dr. Joaquin Andrade veröffentlichte dazu einen Aufsatz, in dem mit Dr. Maarten Aalberse und Servatia Geßner-van Kersbergen publizierten Buch über neurohumorale Wirkmechanismen bifokaler Therapiemethoden, „Die Lösung liegt in deiner Hand“. In diesem postuliert er eine mögliche Wirkung über Neurotransmitter, die durch die Stimulierung von Mechanorezeptoren freigesetzt werden.

Ähnlich wie Ronald Ruden wechselt er sehr schnell zu molekularen Wirkmechanismen ohne strukturiert darzustellen was bei dem einfachen Beklopfen passiert. Und erneut ist die Argumentation warum manche Neurotransmitter frei gesetzt werden teilweise intransparent

77 begründet und nachgewiesen. Aus diesem Grund wird auf eine Darstellung verzichtet (Aalberse et al., 2012).

Der deutsche Arzt Michael Bohne verweist ebenfalls auf Studien aus der Haptikforschung. Er beruft sich besonders auf die Forschung Dr. Martin Grunwalds, der unter anderem die

emotionsregulierende Wirkung der Selbstberührung untersuchte. Eine EEG-Studie von Grunwald et al. (2014) zeigte zum Beispiel, dass spontane Selbstberührungen, wie Menschen sie durchschnittlich bis zu 400 bis 800 Mal pro Tag durchführen, emotionsregulierend wirken: Während der Präsentation unangenehmer Geräusche nahmen die spontanen Selbstberührungen des Gesichtes zu. Die EEG-Aufnahmen zeigten ferner kurz vor den Selbstberührungen das Muster einer emotionalen

Dysregulation und Konzentrationsschwierigkeit, nach der Berührung zeigte sich eine Zunahme von Theta- und Gamma-Wellen, was ein Ausdruck von emotionaler Ausgeglichenheit und

Konzentrationsfähigkeit ist (Grunwald, Weiss, Mueller, & Rall, 2014). Grunwald weist zudem darauf hin, wie die spontanen Selbstberührungen schon in Utero beginnen. Föten berühren sich zum Beispiel besonders häufig im Gesicht, wenn die Mutter gestresst ist. Diese Berührung resultiert in einer physiologischen Regulation, die sich unter anderem durch einen Rückgang der Herzfrequenz der Föten ausdrückt (de Vries & Fong, 2006; Reissland, Francis, Kumarendran & Mason, 2015).

Zuletzt sollen eigene Überlegungen zu Mechanorezeptoren und einer möglichen

emotionsregulierende Wirkung von Berührung erläutert werden. Wenn man mit der Hand oder genauer gesagt mit der Haut der Fingerbeeren die eigene Haut berührt, werden sowohl in der Haut der Hand als auch in der Haut der Berührungspunkte Mechanorezeptoren aktiviert. Bei Säugetieren kann zwischen zwei verschiedenen Arten von Haut unterschieden werden: Haarige Haut und Drüsenhaut. Für beide Hautarten gibt es spezielle Mechanorezeptoren, die die speziellen Aufgaben der Hautarten widerspiegeln. Auf unbehaarter Haut, die an den Handinnenflächen und

Fußunterseiten zu finden ist, ist die Rezeptordichte sehr hoch. Sie zeichnen sich durch eine hohe Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung von kleinsten Stimuli aus. Die Informationen der Drüsenhaut erreichen über myelinisierte Aß-Fasern (30-100 m/s) zunächst den Hirnstamm. Nach Kreuzung auf die Gegenseite über den Thalamus erreichen sie den primären somatosensorischen Cortex im Gyrus postcentralis, wo die Körperareale im so genannten Homunculus somatotopisch angeordnet sind. Die Hand, die Lippen, die Geschlechtsorgane und Füße haben im Vergleich zu ihrer Körperoberfläche eine überproportionale Repräsentation. Insgesamt machen die Aß-Fasern nur 25%

der Afferenzen aus (McGlone et al., 2012).

78 Die Mechanorezeptoren der haarigen Haut sind um unterschiedliche Sorten von Haarfollikeln

angesiedelt: Neben den Mechanorezeptoren für die deskriptive Wahrnehmung und Schmerz-/Temperaturempfinden gibt es die CT-Afferenzen. Die CT-Afferenzen, unmyelinisierte Nervenendigungen, sind auch aufgrund ihrer Wirkung auf Emotionen interessant. Sie leiten Informationen am besten über relativ langsame, streichelnde, als angenehm wahrgenommene Berührung an das Gehirn weiter. Ihre optimale Stimulationsfrequenz liegt in einer langsamen Stimulierung (1-10cm/sec). Dies entspricht der Geschwindigkeit beim Klopfen.

Die CT-Afferenzen projizieren zu dem posterioren und dem basalen ventralen medialen Nucleus des Thalamus und dann vor allem in die Insula. In der posterioren Insula gibt es Hinweise auf eine grobe somatotopische Aktivierung. Bei gesunden Probanden rief eine sanfte Stimulation der behaarten Haut, sowohl die für die Aß kodierenden Mechanorezeptoren als auch die CT Fasern aktivierte eine Aktivierung von S1, S2 und der posterioren Insula hervor. Bei Patienten mit einer Störung in den Aß Fasern führte die Stimulierung hingegen zu einer Deaktivierung von S1 und S2 und zu einer alleinigen Stimulation von emotionsrelevanten Strukturen des limbischen Systems (McGlone et al., 2012;

McGlone, Wessberg, & Olausson, 2014; Olausson, Wessberg, Morrison, McGlone, & Vallbo, 2010). In einer anderen Studie wurden ebenfalls Insula und Amygdala aktiviert (Lucas, Anderson, Bolling, Pelphrey, & Kaiser, 2014a).

Die aus diesen Forschungsergebnissen hervorgegangene „affective touch“ Hypothese beschreibt, dass diese Afferenzen soziale und affektive Komponenten von Berührung an das Gehirn übermitteln (Morrison, Loken, & Olausson, 2010). Dass also durch Berührung ebenso direkt unsere Emotionen beeinflusst werden können wie durch verbale Kommunikation. Es wird diskutiert, dass über die CT-Fasern wird bei Babys schon im Mutterleib und in den ersten Monaten die Neurogenese, die Entwicklung des Nervensystems, angeregt wird (McGlone et al., 2014). Auch die Freisetzung von Oxytocin kann durch die Stimulation dieser Afferenzen erfolgen (Walker, Trotter, Swaney, Marshall,

& Mcglone, 2017). Experimentelle Anwendung von Oxytocin moduliert unter anderem die Amygdala.

Zum Beispiel zeigten Domes et al., dass die Inhalation von Oxytocin mit einer verringerten Amygdala Aktivität korrelierte, wenn positive oder negative Gesichter präsentiert wurden (Domes et al., 2007).

Es wirkt ebenfalls analgesierend und anxiolytisch (Yoshida et al., 2009).

Wie stark Berührung sich auf die Psychophysiologie und die Neutrotransmitter von Patienten auswirkte zeigt die Übersichtsarbeit von Field et al. aus dem Jahr 2005. Sie untersuchte die Ergebnisse von klinischen Studien mit Patienten unterschiedlicher psychischer und somatischer Krankheiten: Massagen führten im Durchschnitt zu einem Abfall des Cortisol Spiegels (31%) und

79 einem Anstieg von Serotonin (28%) und Dopamin (31%). Die Veränderung des Cortisol Spiegels ist vergleichbar mit dem in der Studie von Church et al aus dem Jahr 2012 (Field, Hernandez-Reif, Diego, Schanberg, & Kuhn, 2005).

Interessant ist, dass diskutiert wird, dass wiederum die Oxytocin Freisetzung zu einer Stimulation des Nervus Vagus führen kann. So zeigte sich eine Zunahme der vagalen Aktivität durch die gleiche Art von Massage, die ebenfalls mit Oxytocin-Freisetzung und der Stimulation von CT-Afferenzen assoziiert ist (Field, 2016; Uvnas-Moberg, Handlin, & Petersson, 2015). Die durch die Zunahme des vagalen Tonus erzielten positiven Auswirkungen auf den Körper ähneln wiederum den durch Oxytocin Freisetzung hervorgerufenen Veränderungen: Eine erhöhter vagaler Tonus korrelierte in einer klinischen Studie mit einem niedrigen Cortisol, niedrigen Entzündungsmarkern TNF-alpha und niedrigerem Adrenalin Spiegel. Auch die viszerale Schmerzintensität von Patienten mit Morbus Crohn korrelierte invers mit dem vagalen Tonus, der in den Studien mit der Herzratenvariabilität (HRV) gemessen wurde (Pellissier et al., 2014).

Insgesamt geben diese Studien Einblicke in die direkte Beeinflussung von Emotion durch Berührung der Haut. Besonders interessant ist, dass die durch die Klopfstudien beschriebene Beeinflussung der Physiologie denen der Stimulation der CT-Afferenzen/Oxytocin/vagale Aktivierung ähneln. Einige Studien weisen darauf hin, dass zudem besonders die Berührung der Vorderseite zu einer beruhigenden Beeinflussung der Körperphysiologie führt, (Lund, Lundeberg, Kurosawa, & Uvnas-Moberg, 1999; Unväs-Moberg & Petersson, 2010; Uvnas-Moberg et al., 2015) Diese wird vor allem bei der Selbstbestätigungsaffirmation kreisend, in einer für CT-Afferenzen optimalen

Stimulationsgeschwindigkeit, berührt. Und auch das Klopfen stimuliert die Haut in einer optimalen Geschwindigkeit. Insgesamt erscheint somit eine Stimulierung der Haut, losgelöst von einer möglichen Stimulation der Akupunkturpunkte, ein möglicher Wirkfaktor der Klopftechniken.