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1. Theoretischer Teil

1.3. Emotion und Emotionsregulation

1.3.1 Was ist eine Emotion?

What is an emotion?“ (James, 1884, S. 180) Diese Frage stellte der New Yorker Psychologe, Philosoph und Harvard Professor William James in seinem berühmten Artikel im Jahr 1884 (James, W., 1884). Bis heute hat sich die Wissenschaft auf keine einheitliche Antwort auf diese Frage geeinigt (Dixon, 2012).

Das englische Wort „emotion“ wurde erst im späten 17ten Jahrhundert, aus dem Französischen, hier

„émotion“, in den englischen Sprachgebrauch überführt. Zunächst wurde es im Französischen wie im Englischen als Bewegung des Körpers und physisches Unwohlsein verstanden, eine „Agitation von allem möglichen, dem Wetter, einem Baum oder auch dem menschlichen Körper“ (Dixon, 2012, S.340). Gefühle und Stimmungen wurden stattdessen mit den Worten „„passions“, „affections“ or

„sentiments““ (Dixon, 2012, S. 338) beschrieben. Während des 18ten Jahrhunderts wurde der Begriff der Emotion zunehmend verwendet, um den körperlichen Ausdruck mentaler Zustände zu

beschreiben. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde Emotion mehr und mehr für mentale Prozesse verwendet, unter anderem von den schottischen Philosophen der Aufklärung Hume und Smith.

Jedoch erst durch Thomas Brown, einem schottischen Arzt, Poeten und Philosoph, wurde der Begriff Emotion als kategorischer Oberbegriff im akademischen Feld eingeführt (Dixon, 2012). Man sieht an dieser Analyse des Historikers Thomas Dixon, dass der Begriff der Emotion zunächst für körperliche Zustände verwendet wurde.

Charles Darwin legte mit seinen Ansichten über Emotion den Grundpfeiler für einige der heutigen Emotionstheorien. Zentral für ihn war der Zusammenhang von Körperausdruck und Emotion. In seinem Buch „The Expression of the Emotions in Man and Animals” veröffentlichte er Bilder, auf denen Menschen und Tiere mit ähnlichen „emotionalen“ Gesichtern zu sehen waren. Er

argumentiert vereinfacht gesagt, dass wir Emotionen von Tieren ererbt haben, wobei er auf die

„emotionalen“ Gesichter von Tieren verweist. Für ihn folgt Verhalten und Ausdruck der Emotion. Die Emotion steht für ihn also am Anfang des Zusammenspiels aus Verhalten, Physiologie und Empfinden (Darwin, 1872).

35 William James hingegen postulierte, dass Emotionen nicht Auslöser, sondern Folge von Verhalten und physiologischem Ausdruck sind. Er schreibt: “the bodily changes follow directly the perception of the exciting fact, and that our feeling of the same changes as they occur IS the emotion…. that we feel sorry because we cry, angry because we strike, afraid because we tremble, and not that we cry, strike, or tremble, because we are sorry, angry, or fearful, as the case may be. Without the bodily states following on the perception, the latter would be purely cognitive in form, pale, colorless, destitute of emotional warmth…We might then see the bear, and judge it best to run, receive the insult and deem it right to strike, but we should not actually feel afraid or angry.“ (James, 1890, S. 449-450). Aus seiner Sicht ist also die bewusste Wahrnehmung des Feedbacks aus dem Körper, das als Reaktion auf einen Stimulus geschieht, die Emotion (Barrett, 2017; James, 1890).

Die großen Fragen über Emotion, Körper und Kognition stellten sich somit schon früh in der Geschichte der Emotionstheorie: Reagiert der Körper auf eine Emotion? Ist somit die körperliche Reaktion eine Folge einer Emotion? Oder fühlen wir Emotionen, weil wir physiologische Reaktionen des Körpers mit unseren Kognitionen interpretieren? Somit wäre der Körper eine Ursache der Emotion.

In den 1920er Jahren, der Zeit der Behavioristen, rückten zunächst observierbare Fakten wie Stimuli und durch sie konditionierbare Reaktionen in den Vordergrund der Emotionsforschung. Die

Pawlow‘sche Konditionierung galt als Paradebeispiel für eine „messbare“ Emotion. Dabei wird ein neutraler Stimulus so lange in Anwesenheit von einem unangenehmen Reiz präsentiert, bis das Versuchstier mit konditionierten Gefahrenreaktionen auf den nun konditionierten Stimulus, auch in Abwesenheit des unangenehmen Reizes, reagiert. Gefühle wurden als konditionierte Reflexe angesehen (LeDoux, 2015).

Silvan Tomkins war der Ansicht, dass das Feedback aus dem ganzen Körper zu lange brauche, um eine Emotion beeinflussen zu können. Er sieht somit die körperlichen Reaktionen als Ausdruck von Emotionen. Er orientierte sich an Darwins Theorie der Emotionen und schlug vor, dass bestimmte Basisemotionen, wie beispielsweise Angst und Ekel genetisch ererbt seien. Diese beruhten auf einem subkortikal gelegenen Affekt-Programm, welches aus Trigger aus der Umwelt reagiere und die Emotionen auslöse. Die Theorie der Basisemotionen, zu deren Vertreter Paul Ekman und Carroll Izard zählten, postuliert, dass diese sich in jedem Menschen, unabhängig von seiner kulturellen Herkunft, identisch ausdrücken. Das heißt sie führen zu identischer Physiologie und Mimik (Barrett, 2017; LeDoux, 2015).

36 Diese Annahme, dass Emotionen durch spezifische sensorische Trigger in subkortikal gelegenen Affekt-Programmen ausgelöst werden können, findet sich auch in der Theorie von Paul McLean, der Theorie des dreieinigen Gehirns. Dieser Theorie nach setzt sich das Gehirn aus drei Gehirnstrukturen zusammen: Dem Reptil-Gehirn, welches für instinktives Überleben, Aggression und Dominanz

zuständig sei, dem limbischen System, in dem Motivation und Emotion verortet seien und dem Neocortex mit den Funktionen Sprache, Planung und Wahrnehmung. Diese Sichtweise ist, zumindest in der Absolutheit ihrer Aussage, inzwischen überholt. Denn auch wenn einige Anteile des Gehirns phylogenetisch älter sind als andere, so hat sich das Gehirn doch als Ganzes entwickelt (LeDoux 2015). Der Begriff des limbischen Systems ist jedoch weiterhin sehr gebräuchlich. Damit sind

vereinfacht gesagt die Bereiche des Gehirns gemeint, die gemeinsam emotionale Vorgänge im Gehirn maßgeblich steuern. Folgende Regionen des Gehirns werden dem limbischen System zugeordnet:

Gyrus cinguli, Thalamus, Hippocampus, Fornix, Corpora Mamillaria, Basalganglien, Nukleus accumbens, Amygdala, sowie der Riechkolben (MacLean, Kral 1973).

Neben der Einordnung der Emotion anhand ihrer Kategorie gibt es auch die Möglichkeit Emotionen anhand ihrer Dimension zu beschreiben. Die Vertreter dieser Theorie benennen die quantitative Ausprägung, die eine jede Emotion in verschiedenen Dimensionen zeigt. Osgood et al identifizierten 1957 drei Hauptdimensionen: Valenz, Erregungsniveau und Dominanz. Die Valenz beschreibt, ob eine Emotion positiv oder negativ ist, das Erregungsniveau, wie sehr sie einen Menschen in

Erregung/Aktivierung bringt, die Dominanz, wie stark die Ausprägung der Emotion im Vergleich zu anderen Emotionen in einem Menschen ist. Durch diese Einteilung beeinflussten sie maßgeblich die Erforschung von Emotion (Osgood, Suci, & Tannenbaum, 1957). Das System der IAPS, das

International Affective Picture Set, welches im Versuch dieser Arbeit verwendet wird, baut auf den drei von Osgood benannten Dimensionen auf (Lang, P. J., Bradley, & Cuthbert, 1995–2008).

Die kognitiven Prozesse stehen im Mittelpunkt der Gruppe der Appraisal Theorien, die in frühe und späte Appraisal Theorien eingeordnet werden können. Die (kognitive) Bewertung, das Appraisal, istfür die Anhänger dieser Theorie ausschlaggebend für die Entstehung einer Emotion. Somit entstehen Emotionen immer dann, wenn ein Individuum eine Situation als relevant für ein wichtiges Ziel erkennt und danach bewertet. Sie können sowohl bewusst als auch unbewusst sein. Aus der Bedeutung und der Bewertung, die eine Situation aufgrund eines solchen Ziels für einen Menschen erhält, entsteht die Emotion. Wenn sich die Bewertung und somit die Bedeutung der Situation verändert, verändert sich auch die Emotion selber (Ochsner & Gross, 2014). Ob ein Stimulus

37 (Ereignis, Gedanke) bei einer Person eine Emotion hervorruft, hängt also davon ab, wie die Person das Ereignis interpretiert. Die kognitive Bewertung steht im Mittelpunkt der Emotion, die je nach Emotion spezifische biologische Reaktionen nach sich ziehen. Spätere Appraisal Theorien sehen die Bewertung nicht als Ursache der Emotion, sondern als Teil der Emotion.

Die Konstruktionstheorie der Emotionen ist erst in den letzten zehn Jahren entstanden, ihre Hauptvertreter sind James Russel und Lisa Feldmann Barrett. Die Konstruktionstheorie baut ebenso wie die Theorie der Basisemotionen auf klassischen Werken aus dem 19. Jahrhundert auf, unter anderem auf den Werken von James und Wundt. Jedoch kritisieren sie die Theorie der

Basisemotionen und sehen ihre Theorie als einen Gegenentwurf zur Theorie der Basisemotionen an.

Die Vertreter der Konstruktionstheorie sprechen sich gegen klar definierte Emotionskategorien aus, das heißt keine fest gelegten Schaltkreise, keine festgelegten körperlichen Reaktionsmuster, die zu einer einzigen Emotion gehören, sondern überlappende Areale, Schaltkreise und körperliche Reaktionen. Der Grund für unsere Wahrnehmung von Emotionen als feste Kategorien liegt laut Barett vor allem in der Natur unseres Gehirns die Welt in Kategorien wahrzunehmen.

Sie bezieht sich auf Mimik Studien, in denen EEGs der menschlichen Gesichtsmuskulatur zu

unterschiedlichen Emotionen durchgeführt wurden, die keine spezifische Aktivität für die einzelnen Emotionskategorien beweisen konnten. Des weiteren erbrachten Metaanalysen von mehr als 22.000 Datensätzen und mehr als 220 Studien keinen eindeutigen Zusammenhang von peripheren

physiologischen Veränderungen und spezifischen Emotionen. Barrett et al. sprechen sich, wenn man genau hinschaut, nicht kategorisch gegen Kategorien aus. Jede Emotionskategorie für sie jedoch eine hohe Varianz in involvierten Gehirnarealen, Physiologie sowie subjektivem Erleben. Emotionen sollten daher eher anhand von Valenz und Erregungsniveau (auf Englisch: Arousal) in einem Diagramm dargestellt werden (Barrett, 2017).

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Abbildung 1: Dimension der Emotionen

(Valenza, Allegrini, Lanata, &

Scilingo, 2012)

Auch wenn dieser Disput mit den Anhängern der Theorie der Basisemotionen etwas radikal

erscheint, so ist besonders ihre Sichtweise auf die Generierung von Emotion neurowissenschaftlich fundiert und interessant. Emotionen sind für sie Ereignisse, die aus dem dynamischen

Zusammenwirken von Schaltkreisen im Gehirn entstehen, die per se nicht spezifisch für die

Generierung von Emotionen sind. Die Signale aus dem Körper sind dabei zentral für die Generierung einer Emotion: Denn Emotionen sind laut Barrett Interpretationen dessen, was unsere

Körperwahrnehmungen und Körpersensationen für uns in dem momentanen Kontext bedeuten.

Durch Abgleich mit kultureller und autobiographischer Information können für ein und dasselbe Körpersignal daher unterschiedliche, individuell geformte Emotionen entstehen (Barrett, 2017; Gross

& Barrett, 2011).

Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux schließt sich öffentlich keiner der Theorien an, seine Äußerungen der letzten Jahre weisen jedoch eine große Nähe zu den Konstruktivisten auf. Dies ist bemerkenswert, da seine Aussagen noch wenige Jahre zuvor die Theorie der Basisemotionen

unterstützten. In seinem Buch „Anxious - The modern Mind in the Age of Anxiety“ wendet er sich von seinen alten Theorien ab und setzt sich mit der Rolle des Bewusstseins in der Generierung einer Emotion auseinander. LeDoux beschreibt in seinem Buch die Generierung einer Emotion wie folgt

„emotions arise from intrinsically nonemotional ingredients, things that exist in the brain for other reasons but that create feelings when they coalexe in consciousness“ (LeDoux, 2015, S.95). Ähnlich wie die Konstruktivisten sind für ihn Emotionen zusammengesetzt aus Basiskomponenten, die für

39 sich allein genommen nicht per se emotionsassoziiert sind. Erst durch das bewusste Wahrnehmen dieser unbewussten, nicht primär emotionalen Inhalte entsteht eine Emotion. Er knüpft damit an William James Definition an, nach der Emotionen das bewusste Wahrnehmen der körperlichen Reaktionen auf einen Stimulus sind. Jedoch tragen nach LeDoux nicht alleine das körperliche Feedback, sondern semantische, historische, episodische Erinnerung, kulturelle und individuelle Bewertung des Stimulus ebenso dazu bei. Im Arbeitsgedächtnis werden diese integriert, das Wahrnehmen und Zusammenführen dieser Inhalte führt dann zu dem, was Menschen als Emotion fühlen. Eine Veränderung der Körperphysiologie durch Klopfen würde nach seiner Theorie zu einer veränderten Emotion führen.

Zusammenfassend lassen sich folgende Beobachtungen machen: In ihren unterschiedlichen Ansichten über Emotionen vereinen die Theorien gemeinsame Bestandteile einer Emotion. Ein Stimulus oder Ereignis, welches die Emotion triggert, biographische und semantische Information über den Stimulus, die Bewertung des Stimulus, die unbewusst oder in der Form bewusster Gedanken erfolgt. Die körperlichen Reaktionen auf den Stimulus werden von einigen Theorien als Reaktionen des Körpers auf die Emotion angesehen. Spätere Theorien beziehen

neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit ein. Sie sehen, ähnlich wie William James, die bewusste Wahrnehmung der körperlichen Reaktionen, die durch die Konfrontation mit einem Stimulus

ausgelöst werden, und die Interpretation und Bewertung dieser Signale aus der Körperperipherie als zentralen Bestandteile einer Emotion an. Dieser Prozess der Emotion kann in Modellen der Emotion und dargestellt werden, wodurch die Angriffspunkte der verschiedenen

Emotionsregulationsstrategien verdeutlicht werden können. Zunächst sollen nun relevante

Gehirnareale dargestellt werden, die an der Generierung und Regulierung von Emotion beteiligt sind.