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Willow (1988)

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 160-165)

3. De-/Entlokalisierung der neuseeländischen location und dessen Bedeutung für die Frage nach filmgeografischer

3.5 Analyse: V. und VII. Simulationsstufe

3.5.1 Willow (1988)

Während mittlerweile fast allseits bekannt ist, dass die Lord of the Rings- und die Hobbit-Trilogien in Neuseeland gedreht wurden und seitdem Neuseeland als location für Fantasyfilme

„entdeckt“ worden ist, handelt es sich hierbei keineswegs um die ersten in Neuseeland gedrehten Fantasyfilme. Vielmehr kann Willow, unter der Regie von Ron Howard und George Lucas als Produzenten, als der erste in Neuseeland gedrehte Fantasyfilm bezeichnet werden. Zwar wurde auch in Wales und den USA gedreht, ein Großteil der Dreharbeiten fand jedoch in Neuseeland statt. Neben der neuseeländischen location weist der Film jedoch auch deutliche Plotparallelen zu Lord of the Rings auf: Auch hier muss ein kleinwüchsiger Bewohner einer friedlichen agrarischen Siedlung gegen seinen Willen eine abenteuerliche Reise antreten und sich schließlich übermächtig erscheinenden Mächten stellen. Diese Entlehnungen, zusammen mit weiteren aus dem Neuen Tes-tament und auch Lucas‘ eigener Star Wars-Trilogie, stellten damals einen der Hauptkritikpunkte an dem mäßig erfolgreichen Film dar.

Dennoch ist der Film auch bekannt für seine Innovativität hinsichtlich seiner digitalen vi-suellen Effekte, insbesondere einer sogenannten morphing-Sequenz sowie der ausgiebigen Nutzung des greenscreen-Projektionsverfahrens.70 Allerdings beziehen sich diese Effekte sämtlich auf die Charaktere und nicht auf die Landschaft. Die Landschaft wird zum größten Teil durch locations dargestellt, die praktisch ohne digitale Manipulation zu sehen sind. Im Vergleich zur heutigen Pro-duktionsweise äußert sich Visual Effects Supervisor Dennis Muren in einem Interview rückbli-ckend:

It’s a completely different job to how it used to be. In some ways it's physically easier because you used to be on location, working with the director on all the shots, but there’s less of that than there used to be. There were a lot of limits with what you could do with technology […] (Muren, 2013).

Muren weist darauf hin, dass die technischen Möglichkeiten zur Konstruktion einer Fantasywelt Ende der 1980er noch recht eingeschränkt waren, und dass sich solche Filmproduktionen aber mitt-lerweile von realen locations immer mehr wegbewegen und immer stärker dazu tendieren, zu reinen Studioproduktionen zu werden.

70 Mit der morphing-Technik verwandelt sich ein Objekt scheinbar in ein anderes Objekt. Beispielsweise kann hierdurch das Ge-sicht eines Mannes in das einer Frau transformiert werden, wobei der Computer viele Zwischenstufen errechnet, z. B. von „90%

Mann:10% Frau“ hin zu „10% Mann:90% Frau“ usf.

Eine der wenigen Szenen, die am ehesten eine hypersublime und damit eine einer Fan-tasywelt „angemessene“ Landschaftsästhetik aufweist, ist bezeichnenderweise auch eine der weni-gen, die nicht on location gedreht wurde, sondern in einem Filmstudio, wobei die im Hintergrund zu sehende Landschaft nicht digital generiert, sondern wie damals üblich noch „analog“ durch das Malen eines fotorealistisch erscheinenden matte paintings bewerkstelligt wurde:

Abbildung 3.12: Endszene des Films Willow (Nelwyn-Tal) [02:08:19]

Abbildung 3.13: Guilin-Berge in China71

71 Bildquelle: http://i.imgur.com/aQiRN.jpg (Zugriff: 15. Mai 2015), Copyright: Alyson Strike

Die in der Abbildung 3.12 zu sehende Filmeinstellung zeigt das Ende des Films, nach dem der Pro-tagonist Willow unbeschadet von seinem großen Abenteuer in sein Nelwyn-Dorf heimgekehrt ist.

Ein auffälliger Unterschied zu modernen Fantasyfilmen ist die eingeschränkte Beweglichkeit der Kamera: Sie führt in dieser Szene keine dynamischen Flugfahrten durch, sondern verharrt statisch in der gegebenen Perspektive. Die hierdurch für moderne Zuschauer als weniger immersiv emp-fundene Kameraführung ist bedingt durch das lediglich zweidimensionale matte painting im Hin-tergrund, was vor allem keine seitlichen Schwenks zulässt, da ansonsten unmittelbar die Zwei-dimensionalität der lediglich gemalten Landschaft offenbart und für den Zuschauer das Gefühl der Immersion zerstört würde.

Obwohl der Film grundsätzlich der fünften Simulationsstufe zuzuordnen ist, da primär on location gedreht wurde, handelt es sich bei der obigen Sequenz um eine Simulation siebter Stufe, da die Landschaft fiktiv ist und künstlich erzeugt wurde. Dennoch demonstriert Abbildung 3.13, die die chinesischen Guilin-Berge zeigt, dass die Landschaftskonstruktion in dieser Willow-Sequenz eindeutig von einer realen Geografie inspiriert worden ist. Die „Fantastik“ der Landschaft in dieser Sequenz begründet sich demnach auch weniger an der Sprengung physikalischer Gesetze, als viel-mehr an der Auswahl besonders bizarrer irdischer Landschaften, die dann als Inspirationsquelle für den Film genutzt wurden. Zwar ist nicht on location in den Guilin-Bergen gedreht worden, die überaus deutliche Ikonizität zwischen der Willow-Sequenz und den Guilin-Bergen hat aber den-noch deutliches (theoretisches) Potenzial für den Filmtourismus, da ohne weiteres ein referenzieller Bezug zwischen Willow und China hergestellt werden kann. Dies illustriert, dass es bei der siebten Simulationsstufe immer auf den Einzelfall ankommt, d. h. wie sehr sich an realen Geografien orien-tiert wurde, ob daraus eventuell noch Filmtourismus generiert werden kann.

Wirklich charakteristisch für die Filmgeografie von Willow ist jedoch der Einsatz realer locations. Der Vorteil von on location-Drehs ist, wie im Methodikteil angeführt, der sich praktisch automatisch einstellende Realismuseffekt. Reale locations sind immer fotorealistisch, wohingegen bei digitalen Landschaften der Fotorealismus erst aufwendig berechnet werden muss. Zwar können matte paintings, wie sie in der Endszene von Willow eingesetzt wurden, ebenfalls fotorealistisch sein, aber auch dort ist die Erzeugung dieses Realismus aufwendig. Vor allem aber erlauben die on location-Szenen eine freie, dynamische Kameraführung, die die „Fantastik“ bzw. Außergewöhn-lichkeit der Landschaft deutlich betonen kann. Wie wenig die locations in Willow nachbearbeitet wurden, illustrieren die folgenden Abbildungen:

Abbildung 3.14: Vergleich 1 zwischen Filmszene aus cation72 (rechts)Abbildung 3.14

Abbildung 3.15: Vergleich 2 zwischen Filmszene und neuseeländischer Streetview-Aufnahme [„Milford“]

Abbildung 3.15 1

Auf den Abbildungen ist links jeweils eine Filmszene zu sehen und sprechende nicht-manipulierte location

gen hinzugefügten rudimentären Holzbauten archaische, vormoderne Atmosphäre

unverändert zu sehen ist und somit die Ähnlichkeit location außerordentlich hoch ist. Ein Filmtourist nerlei Schwierigkeiten haben, eine

ne zu haben, was den Film an sich für ein befriedigendes filmtouristisches Erlebnis prädestiniert.

Allerdings kann bei derart geringfügiger Manipulation der

stehen, dass Zuschauern der Handlungsort nicht „fantastisch“ genug erscheint, um als „authent sche“ Fantasywelt überzeugen zu können

„überirdisch“ erscheinen soll. Zudem verstärkt der E

72 https://farm1.staticflickr.com/114/311744933_af83077527_o.jpg (Zugriff: 15. Mai 2015), Copyright: „Paul & Kelly“

73 Die location des Milford Sound ist in Willow einem Film der 1. Simulationsstufe, und damit einem F darstellen will.

Abbildung 3.14: Vergleich 1 zwischen Filmszene aus Willow (links) und neuseeländischer Abbildung 3.14 1

5: Vergleich 2 zwischen Filmszene und neuseeländischer location [„Milford“])

jeweils eine Filmszene zu sehen und rechts zum Vergleich die en location des neuseeländischen Milford Sound. Abgesehen von ein rudimentären Holzbauten (Abbildung 3.14 links), die dem Handlungsort eine

Atmosphäre verleihen sollen, ist offenkundig, dass die location

somit die Ähnlichkeit bzw. Ikonizität zwischen Handlungsort und außerordentlich hoch ist. Ein Filmtourist dürfte deshalb beim Besuchen der

, eine „mental vision“ (Roesch 2009: 141) der entsprechenden Filmsz , was den Film an sich für ein befriedigendes filmtouristisches Erlebnis prädestiniert.

bei derart geringfügiger Manipulation der locations die

, dass Zuschauern der Handlungsort nicht „fantastisch“ genug erscheint, um als „authent zu können, da diese gerade nicht einfach „irdisch“, sondern vielmehr

„überirdisch“ erscheinen soll. Zudem verstärkt der Einsatz des Milford Sound, einer der bekannte

11744933_af83077527_o.jpg (Zugriff: 15. Mai 2015), Copyright: „Paul & Kelly“

Willow letztendlich genauso gut zu erkennen wie in Race for the Yankee Zephyr

Simulationsstufe, und damit einem Film, der gar nicht erst einen fiktiven, sondern einen „realen“ Handlungsort

(links) und neuseeländischer

lo-location (Google

zum Vergleich die ent-des neuseeländischen Milford Sound. Abgesehen von

eini-dem Handlungsort eine location praktisch zwischen Handlungsort und eshalb beim Besuchen der locations kei-der entsprechenden Filmsze-, was den Film an sich für ein befriedigendes filmtouristisches Erlebnis prädestiniert.73

die Problematik ent-, dass Zuschauern der Handlungsort nicht „fantastisch“ genug erscheintent-, um als

„authenti-, da diese gerade nicht einfach „irdisch“„authenti-, sondern vielmehr , einer der

bekanntes-11744933_af83077527_o.jpg (Zugriff: 15. Mai 2015), Copyright: „Paul & Kelly“

Race for the Yankee Zephyr (1981), ilm, der gar nicht erst einen fiktiven, sondern einen „realen“ Handlungsort

ten Touristenattraktionen Neuseelands, diesen Effekt der bloßen „Irdischkeit“ noch weiter, da ein besonders großer Teil der Zuschauer diese location beim Betrachten des Films unmittelbar wieder-erkennen dürfte. So schreibt der Rezensent „Paul Andrews“:

With a supposed budget of $35,000,000 Willow is technically a very polished film with some terrific scenery, although it never really convinced me that it was set anywhere other than on Earth with it's snow covered mountain peaks, gravel pits & the unspoilt natural beauty of Welsh & New zealand forests that these types of fantasy films seem to use as locations (27. August 2005).

Trotz der relativ positiven Rezension hätte sich dieser Rezensent mehr (und nicht etwa weniger) Manipulation der Landschaft gewünscht, da sie ihm so nicht als wirklich überzeugende

Fantasylandschaft erscheint. Für solche Zuschauer reicht demnach ein reiner on location-Dreh bei Fantasyfilmen nicht, die Landschaft muss vielmehr manipuliert werden, um als authentisch akzep-tiert zu werden.

Für andere Zuschauer hingegen macht gerade die nur geringfügige Manipulation der Land-schaften den Reiz des Films aus. User „Benjamin Cox“ schreibt: „This strange land of dwarfs, brownies and fairies feels much more believable because it looks real and it is somewhat alarming how quickly we have all got used to CGI in films“ (20. September 2005). Durch die fehlende digita-le Manipulation wird für diesen Zuschauer die Fantasywelt erst authentisiert. Er äußert sich kri-tisch im Hinblick auf moderne Fantasyfilme wie Lord of the Rings, Chronicles of Narnia und Har-ry Potter, die ohne digitale Effekte nicht mehr auskommen. Während der Trend zur Digitalisierung sämtlicher Schritte einer Filmproduktion gerade bei Fantasyfilmen kaum rückgängig zu machen ist, sieht dieser Rezensent digitale Effekte nicht als authentisierende Hilfsmittel, sondern schreibt die allgemeine Akzeptanz digitaler Effekte vielmehr einem „Gewöhnungseffekt“ zu. Dass die Meinung der Zuschauer derart auseinandergeht, zeigt, dass kein wirklicher Konsens darüber herrscht, wie stark eine Fantasylandschaft manipuliert sein muss, um als glaubwürdig akzeptiert zu werden – wobei die allgemeine Akzeptanz von CGI in Fantasyfilmen darauf hindeutet, dass die CGI-Gegner mit ihrem Authentizitätsverständnis immer mehr zu einer Minderheit unter den Zuschau-ern werden.

Trotzdem die Filmlandschaft von Willow vielen Rezensenten reizvoll erscheint und ob-wohl die genauen Drehorte im Making Of kommuniziert wurden, hat Willow keinen signifikanten Filmtourismus nach Neuseeland oder Wales ausgelöst. Für den ausbleibenden Filmtourismus

kommen meines Ermessens vor allem drei Gründe in Betracht: Zum einen wird aus den Rezensio-nen zwar durchaus ein Interesse an der Fantasywelt in Willow ersichtlich, jedoch keinesfalls die überschwängliche Begeisterung wie für die Lord of the Rings-Fantasywelt – mit anderen Worten war der Sehnsuchtsgrad nicht hoch genug. Gerade dieses Interesse muss aber sehr hoch sein, damit sich ein kleiner Teil der Zuschauerschaft überhaupt dazu entschließt, als Filmtouristen zur location zu reisen – zumal die Kosten für einen Urlaub in Neuseeland Ende der 1980er noch deutlich höher waren als heute.

Des Weiteren stellen die zahlreichen Entlehnungen aus den Tolkien-Romanen einen häufi-gen Kritikpunkt dar, der den Film in den Auhäufi-gen vieler Zuschauer als eine zweitrangige Kopie des damals noch als „unverfilmbar“ geltenden Lord of the Rings-Epos erscheinen ließ. Als dritter Punkt, der filmtouristische Aktivitäten erschwert hat, kann der Einsatz von locations aus verschie-denen Ländern (Neuseeland, Wales, USA) und Inspirationsquellen (China) angeführt werden, der ein vollständiges Nacherleben der Willow-Welt mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden hätte, da dafür eben nicht nur Neuseeland, sondern auch die anderen, weit voneinander entfernten locations besucht werden müssten. Dass letztendlich ein hoher Sehnsuchtsgrad wichtiger ist als ein hoher Ikonizitätsgrad, beweist die knapp 13 Jahre nach Willow erschienene Lord of the Rings-Trilogie, bei der trotz der hochgradigen digitalen Manipulation vieler neuseeländischer locations (im Gegensatz zu Willow) ein Tourismusboom nach Neuseeland ausgelöst wurde, der das Selbst-verständnis einer ganzen Nation verändern sollte.

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 160-165)