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III. + IV. Simulationsstufe: Filmgeografische Delokalisierung als Authentisierungsstrategie

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 101-110)

3. De-/Entlokalisierung der neuseeländischen location und dessen Bedeutung für die Frage nach filmgeografischer

3.2.3 Authentisierungsstrategien der Filmemacher und Authentizitätserwartungen der Zuschauer

3.2.3.1 III. + IV. Simulationsstufe: Filmgeografische Delokalisierung als Authentisierungsstrategie

Die in einem Film dargestellte Geografie stellt einen wichtigen Faktor in der Konstruktion filmischer Realität dar. Escher/Zimmermann bezeichnen die Landschaft in Filmen als „Garant für Authentizität und Glaubwürdigkeit“, indem der Zuschauer den Ort als ihm tatsächlich bekannten oder als glaubwürdig umgesetzten Ort wahrnimmt und ihm dadurch „die Bedeutung eines le-bensweltlichen oder zumindest der Geschichte dienlichem lele-bensweltlichen Ort“ zuweist

(2001: 231–232). Trotz aller Inszenierung hat ein Filmdreh an Originalschauplätzen durch seine als realistisch erachtete Abbildfunktion (Hattendorf 1999: 67) einen Informationswert, der über die eigentliche Inszenierung hinausgeht.34 Dies stellt einen der Gründe dar, warum die Blütezeit des Hollywood-Studiosystems mit seinen vorwiegend in Filmstudios (sogenannter Off location) pro-duzierten Filmen schließlich von on location-Drehs, d. h. dem Dreh in offener Landschaft abgelöst wurde, da dies als realistischer und damit authentischer wahrgenommen wurde.

34 Antonionis Film Blow Up (1966) thematisiert anschaulich die realistische Abbildfunktion der (damals noch analogen) Fotogra-fie: Ein Fotograf macht Schnappschüsse von einem Liebespärchen in einem einsamen Londoner Park. Beim späteren Entwickeln und Vergrößern der Bilder meint er im Bildhintergrund eine Leiche zu erkennen. Tatsächlich findet er die Leiche bei einem nächtlichen Besuch des Parks vor. Die Fotos haben somit mehr von der Realität eingefangen als der Fotograf eigentlich inszenie-ren wollte, da das Ablichten der Leiche nicht Teil seiner künstlerischen Absicht gewesen ist. Auch Spielfilme, die früher gern als eine Form „animierter Fotografie“ betrachtet wurden, tragen diesen Abbildcharakter in sich, da in einer Sekunde Film (üblicher-weise) 24 „Fotografien“ geschossen werden.

Hattendorf zeigt auf, wie bei dem 1946 erschienenen Spielfilm Paisa (1946), der von dem Schicksal verschiedener Personen im Italien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs handelt, der Dreh an Originalschauplätzen als „Realitätsplus“ gewertet wurde und damit eine höhere „Authentizität des Ortes“ gewährleistete. Obwohl der Dreh an Originalschauplätzen zuerst eine Notlösung darstellte und eigentlich in Filmstudios gedreht werden sollte, bewertete die damalige Filmkritik den on loca-tion-Dreh als eine Erneuerung des filmischen Realismus in Italien, als ricerca dell authenticita.

Hierbei gewährleistete die Darstellung der Originalschauplätze eine höhere Wiedererkennbarkeit der Topografie beim Besuchen der Orte durch Touristen. Dieser von den Filmemachern also ur-sprünglich gar nicht bewusst eingesetzte Authentizitätseffekt erwies sich als erfolgreich, da hier-durch das nach Hattendorf wichtige Kriterium „authentisierender Überprüfbarkeit von Seiten der Rezipienten“ (Hattendorf 1999: 233) gewährleistet werden konnte.

Eine zentrale These dieses Kapitels ist, wie in der Einleitung angeführt, dass filmgeografi-sche Authentizitätsdiskurse auch bei Filmen der dritten und vierten Simulationsstufe eine wichtige Rolle spielen: Wie in der Analyse zu belegen sein wird, macht die grundsätzliche geografische Übereinstimmung von filmischem Handlungsort und location einen wichtigen Teil der Authenti-zitätserwartung eines signifikanten Teils der Zuschauer aus. Filmgeografische Kongruenz ist vor allem deshalb für Zuschauer wichtig, weil sie zum einen auf kognitiver Ebene Filme als geografische Informationsquellen betrachten, die ihre Vorstellung von dem dargestellten Land deutlich beein-flusst und im Falle eines (film-)touristischen Besuchs ihnen bei der Antizipierung der „Atmosphä-re“ des Urlaubslandes hilft. Zum anderen spielt diese Form von Kongruenz auch auf emotionaler Ebene eine bedeutende Rolle: Durch den Einsatz einer realen location wird der Handlungsort, der in seiner spezifischen Form nur auf der virtuellen filmischen Ebene existiert, mit dem lebensweltli-chen Raum des Zuschauers verknüpft, sodass dieser einen Bezug zwislebensweltli-chen Fiktion und Realität herstellen kann. Hierdurch erscheint ihm der Film bedeutsam für seine eigene Lebenswelt. Mit anderen Worten ragt die filmische Fiktion nicht nur durch einen realitätsbasierten Handlungsort, sondern auch durch den Einsatz einer realen location in die reale Welt des Zuschauers hinein.

Geografische Kongruenz ist aber bei Filmen der dritten Simulationsstufe gerade nicht ge-geben, da hier Handlungsort und location geografisch auseinanderdriften, wodurch die potenzielle Gefahr besteht, dass die Geografie des Films und womöglich der gesamte Filmtext von Zuschauern als inauthentisch eingestuft wird und dadurch auch an emotionaler Bedeutsamkeit einbüßt.35 Der

35 Während die filmgeografische (In-)Kongruenz objektiv feststellbar ist, ist filmgeografische (In-)Authentizität

rezeptionsabhän-Handlungsort gibt in solchen Filmen aus Zuschauersicht vor, in geografischer Hinsicht etwas zu sein, das er nicht „ist“. Die neuseeländische location ist hierbei das primäre „de-authentisierende“

Element, da sie zwar real ist, aber bezüglich des Handlungsortes eine „falsche“ geografische Realität abbildet. Dieser Umstand kann als „Vertragsbruch“ gewertet und beispielsweise mit irritierten oder enttäuschten Rezensionen sanktioniert werden. Im Falle einer Sanktionierung durch den Zuschau-er ist die AuthentisiZuschau-erungsstrategie dZuschau-er FilmemachZuschau-er missglückt. HiZuschau-erbei wird dZuschau-er Filmtext in film-geografischer Hinsicht als inauthentisch und damit sowohl hinsichtlich seiner Brauchbarkeit als geografische Informationsquelle als auch in emotionaler Hinsicht im schlimmsten Falle als unbe-friedigend bzw. irreführend erachtet.

Hattendorf definiert Authentisierungsstrategien als „filminterne pragmatische Markierun-gen [...], die den Rezipienten in einem Spektrum impliziter oder expliziter Appelle dazu auffor-dern, einen ‚Wahrnehmungsvertrag‘ mit dem jeweiligen Film zu schließen“ (1999: 311). Welche Au-thentisierungsstrategien setzen Filmemacher nun bei Filmen der dritten und vierten Simulations-stufe konkret ein, um die Authentizitätserwartungen der Zuschauer nicht zu enttäuschen und sie stattdessen zu einem „Wahrnehmungsvertrag“ zu bewegen? Es gibt meines Ermessens insbesondere zwei Strategien, die hier relevant sind: 1. die filmgeografische Delokalisierung auf der Filmtextebene und 2. die Vermarktung des Films auf paratextueller Ebene.

Die grundsätzliche Problematik bei Filmen der dritten/vierten Simulationsstufe ist, dass Handlungsort und location geografisch nicht übereinstimmen. Die Entscheidung, überhaupt an locations zu drehen, die sich geografisch vom Handlungsort unterscheiden, beruht meist entweder auf ökonomischen Erwägungen und/oder stellt eine Verlegenheitslösung dar: Begünstigt durch den allgemeinen Globalisierungsprozess konnte sich Neuseeland als location etablieren, die zum einen preisgünstig ist und zum anderen die notwendige politische Stabilität und vergleichsweise wenig bürokratische Hürden aufweist, um einen reibungslosen Produktionsablauf zu gewährleis-ten. Zwar hat das neuseeländische Department of Conservation (DOC) bestimmte Umweltschutz-auflagen aufgestellt, die bei einem Filmdreh erfüllt werden müssen,36 explizite Drehverbote sind jedoch im Vergleich zu anderen Ländern selten. Diese Vorteile erklären die zunehmende Anzahl sogenannter runaway productions in Neuseeland, d. h. Filmen, die für den US-Markt bestimmt sind, aber in einem anderen Land gefilmt wurden.

gig, vom Zuschauer konstruiert.

36 Beispielsweise musste beim Dreh von Lord of the Rings dem neuseeländischen Department of Conservation zugesichert werden, dass die empfindliche Vegetation vor Schäden geschützt wird (Roesch 2009: 42).

Damit die neuseeländische location in Filmen der dritten/vierten Simulationsstufe ein an-deres Land simulieren kann, muss die location delokalisiert werden. Der Begriff der „filmgeografi-schen Delokalisierung“ ist an Jutels Begriff des radical dépaysement angelehnt. Jutel schreibt hierzu:

„Literally an ‚out-of-nation-ness‘, dépaysement represents the simultaneous attraction of geogra-phic defamiliarisation, and the separation of the lost homeland. In the case of New Zealand, the dépaysement that is left undefined is captured in the landscape“ (2004: 60). In der Regel wird die neuseeländische location so ausgewählt, dass sie dem vom Handlungsort darzustellenden Land geo-grafisch zumindest in den Grundzügen ähnelt, um den Aufwand einer geogeo-grafischen „Retusche“

möglichst gering zu halten. Hierbei machen sich die Filmemacher zunutze, dass bei der globalen Rezeption des Films ein großer Teil der Zuschauer weder mit den geografischen Details37 der loca-tion Neuseeland, noch mit denen des durch den Handlungsort darzustellenden Landes vertraut ist.

Allerdings ist die geografische Ähnlichkeit zumeist nicht groß genug, um nicht doch eine Wahr-nehmung des Films als geografisch inauthentisch zu riskieren. Deshalb weist Leotta auf den wichti-gen Punkt hin, dass zum dépaysement bzw. zur Delokalisierung das Entfernen möglichst vieler neu-seelandspezifischer Charakteristika bzw. „Marker“ der location und anschließend das zielgerichtete

„Befüllen“ mit möglichst bekannten „Markern“ des durch den Handlungsort darzustellenden Landes gehört (2011: 137). Ziel dieser Authentisierungsstrategie ist es, bei dem Zuschauer den Ein-druck zu erwecken, dass tatsächlich dort gedreht wurde, wo der Handlungsort vorgibt zu sein (also nicht in Neuseeland). Wenn diese Strategie glückt, akzeptiert der Zuschauer die Authentizitätssig-nale und empfindet den Handlungsort als geografisch glaubwürdig.

MacCannell zufolge verhält sich der von ihm geprägte Begriff des „Markers“ zu einer Tou-ristenattraktion analog zu der Beziehung zwischen Signifikant und Referent, d. h. der Marker re-präsentiert die Attraktion, wobei die Touristenattraktion sich semiotisch aus der Beziehung zwi-schen Marker und Attraktion zusammensetzt. Des Weiteren kann zwizwi-schen on sight-Markern, die sich an der realen Attraktion befinden und off sight-Markern, die von einem beliebigen Ort aus auf die Attraktion verweisen, differenziert werden, wobei es sich in Filmen immer um off sight-Marker handelt (1999: 110–111). Der Einsatz von Markern ist eine wichtige Strategie der Filmemacher, um Authentizitätseffekte bei der Darstellung des Handlungsortes auszulösen.

37 Mit „geografischen Details“ sind hier charakteristische Eigenarten einer bestimmten Geografie gemeint, die sie einzigartig und von anderen Geografien unterscheidbar machen, beispielsweise endemischer Flora und Fauna sowie charakteristischer

Geormorphologie. So weist beispielweise der neuseeländische Milford Sound eine charakteristische Geomorphologie auf und hat für Neuseeland einen geradezu nationalsymbolischen Charakter. Aber auch stereotypische Bauten und Gebäude als Teil der Kultur-landschaft, beispielsweise „typisch japanische“ Tempel können den Handlungsort als „japanisch“ markieren.

An dieser Stelle empfiehlt sich die Differenzierung zwischen „nationalspezifischen“ und

„nationaltypischen“ Markern: Während die als Wildnis wahrgenommenen Gebiete Neuseelands sich ausschließlich auf Neuseeland beziehen und dessen Einzigartigkeit bezeugen, sind Marker wie beispielsweise die ebenfalls für Neuseeland als typisch erachteten und in der Tourismuswerbung ebenfalls häufig dargestellten pastoralen Weideflächen mitsamt ihren Schafen und Kühen mehr-deutig, da grüne, von sanften Hügeln geprägte Weideflächen auch typisch für viele andere Länder sind (z. B. England, Schottland, Irland). Urry sieht Touristen als „Quasi-Semiotiker“ an, die das besuchte Land nach nationalstereotypischen Zeichen absuchen, die ihre vorher durch Medienexpo-sition gebildeten Erwartungen an das Land bestätigen (1990: 12). So suchen beispielsweise Touris-ten in Deutschland den typischen BiergarTouris-ten, in Frankreich das typische Chateau und in England das rurale „Olde England.“ Diese Stereotypen entsprechen dem, was Barthes in seiner beispielhaf-ten Analyse einer Panzani-Werbung als „Italianicity“ bzw. „Italienischkeit“ bezeichnet. Hierbei stellt er klar, dass „Italienischkeit“ nicht mit Italien gleichzusetzen ist, sondern vielmehr die kon-densierte Essenz von allem darstellt, das als „typisch italienisch“ gilt (1977: 48).

Aber auch wenn allzu neuseelandspezifische Marker entfernt werden, kann die Simulation als „Täuschung“ entlarvt werden, entweder weil Zuschauer die Inkongruenz des Handlungsortes immer noch erkennen oder weil sie durch Para- oder Metatexte von der tatsächlichen location er-fahren. Dies ist, wie später in der Analyse zu erläutern sein wird, beispielsweise bei The Waterhorse:

Legend of the Deep der Fall, wo Loch Ness durch einen neuseeländischen See simuliert wird und einige Rezensenten sich irritiert darüber zeigen. Hier haben die Metatexte, die über die tatsächliche location Neuseeland informieren, genau den gegenteiligen Effekt wie der Marker bei MacCannells

„Mondstein“-Beispiel: Während für die Museumsbesucher ein absolut unauffälliger Stein durch die Plakette mit der Aufschrift „Moonstone“ eine besondere Bedeutung als „authentischer“ Mond-stein erfährt (1999: 113), markiert der Metatext „filmed in New Zealand“ den Handlungsort

„Schottland“ als geografisch „inauthentisch“. Dies belegt, dass Landschaften im Film in den Augen der Zuschauer – trotz des relativ sorglosen Umgangs der Filmemacher – nicht beliebig austausch-bar sind: Die Vermarktung Neuseelands als „semiotisch flexibles“ landschaftliches „Chamäleon“, mit dem problemlos alle möglichen ausländischen Handlungsorte simuliert werden können, stößt also mitunter an ihre Grenzen.

Gerade bei der Analyse der Markierung der Filmlandschaft bietet sich die Einbeziehung von Zuschauerrezensionen im Rahmen einer Viewer Response Theory an, da Zuschauer in ihren

Rezensionen erstaunlich oft ein Interesse an de

klares Indiz für das filmtouristische Potenzial landschaftsfokussierter Filme darstellt. D Response Theory stellt eine Modifikation der

Spielfilm als Analysegegenstand hat und den theoretischen Gegenpol zur Bei der Viewer Response Theory

objektive Bedeutung hat, sondern dass es immer mehrere Lesarten eines Filmtextes gibt und dass eine bestimmte Bedeutung des Filmtextes erst durch die Interaktion zwischen Zuschauer und Fil text entsteht (Piturro 2008: 7).

Zur besseren Veranschaulichung soll rung noch einmal grafisch dargestellt werden:

Abbildung 3.2: Delokalisierung und Entleerung von/Befüllung mit Landschaftsmarke

Abbildung 3.2 1

Die Abbildung illustriert den semiotischen Prozess des Entleerens und Befüllens, in dessen Verlauf die neuseeländische location in ein

rend des Filmdrehs und/oder in der Postproduct

Rezensionen erstaunlich oft ein Interesse an der tatsächlichen location eines Films zeigen, was klares Indiz für das filmtouristische Potenzial landschaftsfokussierter Filme darstellt. D

stellt eine Modifikation der Reader Response Theory dar, die statt Literatur den Spielfilm als Analysegegenstand hat und den theoretischen Gegenpol zur Auteur

Viewer Response Theory wird davon ausgegangen, dass der Filmtext nicht eine singuläre objektive Bedeutung hat, sondern dass es immer mehrere Lesarten eines Filmtextes gibt und dass eine bestimmte Bedeutung des Filmtextes erst durch die Interaktion zwischen Zuschauer und Fil

Zur besseren Veranschaulichung soll nun der Prozess der filmgeografischen Delokalisi rung noch einmal grafisch dargestellt werden:

: Delokalisierung und Entleerung von/Befüllung mit Landschaftsmarke

illustriert den semiotischen Prozess des Entleerens und Befüllens, in dessen Verlauf in einen nicht-neuseeländischen Handlungsort verwandelt wird. Wä rend des Filmdrehs und/oder in der Postproduction werden so viele neuseelandspezifische Lan

eines Films zeigen, was ein klares Indiz für das filmtouristische Potenzial landschaftsfokussierter Filme darstellt. Die Viewer dar, die statt Literatur den

Auteur-Theorie darstellt.

n, dass der Filmtext nicht eine singuläre objektive Bedeutung hat, sondern dass es immer mehrere Lesarten eines Filmtextes gibt und dass eine bestimmte Bedeutung des Filmtextes erst durch die Interaktion zwischen Zuschauer und

Film-der Prozess Film-der filmgeografischen

Delokalisie-: Delokalisierung und Entleerung von/Befüllung mit Landschaftsmarkern

illustriert den semiotischen Prozess des Entleerens und Befüllens, in dessen Verlauf verwandelt wird. Wäh-ion werden so viele neuseelandspezifische

Land-schaftsmarker wie möglich aus der location entfernt (Entleerung), da diese nur bei der Simulation eines ausländischen Handlungsortes stören würden. Die Abbildung verdeutlicht zudem, dass mei-nes Ermessens diese Entleerung nie vollständig sein kann, da eine Entfernung sämtlicher neusee-landspezifischer Landschaftsmarker der Entfernung der neuseeländischen location an sich nahezu gleichkommen würde und zudem zu zeit- und kostenaufwendig für die Filmemacher wäre. Statt-dessen muss sich auf diejenigen Marker konzentriert werden, die als zu markant erachtet werden:

So würde die Darstellung des bekannten Milford Sound aufgrund seiner hohen Bekanntheit bei der Simulation eines ausländischen Handlungsortes die geografische „Authentizität“ des Films prinzipiell wesentlich stärker beeinträchtigen als die Darstellung einer weniger bekannten neusee-ländischen Region, die leichter für einen ausneusee-ländischen Landschaftsmarker gehalten bzw. damit

„verwechselt“ werden kann. Anschließend wird die entleerte Landschaft mit auslandsspezifischen Landschaftsmarkern befüllt, beispielsweise bei Last Samurai durch die digitale Platzierung des als typisch japanisch erachteten Mt. Fuji in der neuseeländischen location, oder US-Flaggen in Without a Paddle, um eine neuseeländische Kleinstadt in eine amerikanische Kleinstadt zu verwandeln.

Hierdurch soll die zugrundeliegende neuseeländische location verschleiert bzw. maskiert werden.

Durch die zwangsläufig unvollständige Entleerung der location kann es je nach Zuschauer-typ zu einem kognitiven und emotionalen Konflikt aufgrund der Pluralisierung der Zeichenbedeu-tungen kommen. Folgende Grafik zeigt in Anlehnung an Ogden und Richards dreiteiliges semioti-sches Modell (1923: 30) die unterschiedlichen semiotischen Konstellationen bei Filmen der ersten und dritten bzw. vierten Simulationsstufe:

Abbildung 3.3: I. Simulationsstufe

Abbildung 3.4: III. / IV. Simulationsstufe Simulationsstufe

Simulationsstufe

Abbildung 3.4 1

Die Abbildungen zeigen, dass ein Film der ersten Simulationsstufe zwei Signifikanten hat, die beide auf der Signifikatsebene die Vorstellung von Neuseeland hervorrufen. Durch den Einsatz einer neuseeländischen location wird dem Zuschauer zugleich signalisiert, dass der Film eine reale geogra-fische Ebene hat, weil die im Film gezeigte location einen Ausschnitt aus der realen Geografie Neu-seelands, dem Referenten, darstellt. Die location ist somit zugleich Teil des virtuellen, filmischen Handlungsortes als auch eine Untermenge der (physisch existenten) Geografie Neuseelands. Der Film wird dadurch in der Regel als filmgeografisch authentisch wahrgenommen, da der Zuschauer weiß, dass es sich bei Neuseeland um einen realen, lebensweltlichen Raum handelt. Ein Film der dritten/vierten Simulationsstufe hingegen hat ebenfalls zwei Signifikanten (Handlungsort und location), die auf geografisch unterschiedliche Signifikate verweisen. Wenn der Zuschauer die ge-naue location nicht kennt, kann ihm der Film wie ein Film der ersten Simulationsstufe erscheinen (s. o.). Wenn der Zuschauer jedoch Kenntnis von der location hat (rote/gestrichelte Linien), kann er die Filmlandschaft simultan mit dem vom Handlungsort dargestellten Land und Neuseeland asso-ziieren (Zeichenpluralisierung). Dieser semiotische Konflikt kann dazu führen, dass der Film als filmgeografisch inauthentisch wahrgenommen wird, da der erwartete Bezug zum realen Ausland fehlt und stattdessen nur das reale Neuseeland als „falscher“ Referent dient, der mit dem Hand-lungsort in geografischer Hinsicht nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Zugleich eröffnet die-ser Bezug zu Neuseeland aber für den Filmtouristen die Möglichkeit, entweder die location oder aber das vom Handlungsort repräsentierte Land zu besuchen.38

Bei einigen der zu analysierenden Filme wurden gleich locations mehrerer Länder eingesetzt.

So wurden für The Last Samurai, dessen Handlungsort das Japan des 19. Jahrhunderts ist, neusee-ländische, aber auch japanische locations eingesetzt. Hierdurch wird die Situation auf semiotischer Ebene besonders komplex: Da sich nicht auf eine location beschränkt wurde, kann der Zuschauer sich letztlich nicht mehr sicher sein, ob eine bestimmte Szene gerade in Neuseeland oder aber Japan gedreht wurde. Letztlich handelt es sich bei The Last Samurai folglich um ein Hybrid zwischen zweiter und dritter Simulationsstufe, da der Handlungsort „historisches Japan“ stellenweise auch tatsächlich durch eine japanische location simuliert wird. Hierdurch werden die Zeichenbedeutun-gen nicht nur pluralisiert, es kommt auch zu einer Zeichenindeterminiertheit, d. h. die Zeichen

38 Beispielweise weist Beeton darauf hin, dass Filmtouristen nach Mel Gibsons Braveheart sowohl Schottland (Handlungsort) als auch Irland (location) besucht haben (2005: 58-60).

können nicht mehr eindeutig zugeordnet werden. Folglich kann sich der Zuschauer auch nicht mehr sicher sein, dass er eine für ihn emotional bedeutsame Landschaft, in die er seine Sehnsüchte investiert (beispielsweise eine pastorale Idylle) auch mit dem „richtigen“ realen Raum in Bezug setzt, was in der Folge Verwirrung und emotionale Distanzierung erzeugen kann.

3.2.3.2 V. + VII. Simulationsstufe: Archaisch-mythische Ästhetik, (Hyper-)Sublimität,

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 101-110)