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Rolle der Para- und Metatexte im Authentizitätsdiskurs

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 115-121)

3. De-/Entlokalisierung der neuseeländischen location und dessen Bedeutung für die Frage nach filmgeografischer

3.2.3 Authentisierungsstrategien der Filmemacher und Authentizitätserwartungen der Zuschauer

3.2.3.3 Rolle der Para- und Metatexte im Authentizitätsdiskurs

Zu den Paratexten eines Films gehören insbesondere diejenigen Texte, die den Film ver-markten, d. h. Trailer, offizielle Webseiten-Auftritte, die Filmcredits, das DVD-Cover und Making Ofs. Während Trailer lediglich eine kurze Vorschau auf den Filminhalt bieten, können vor allem Filmcredits, offizielle Webseiten-Auftritte und Making Ofs auch Informationen zu den Produkti-onshintergründen des Films liefern. Hierbei wird auch oft auf die location hingewiesen. Während dies bei Filmen der fünften Simulationsstufe relativ unproblematisch ist, kann der location-Hinweis bei Filmen der dritten und vierten Simulationsstufe den Zuschauer auf die geografische Inkongru-enz zwischen location und Handlungsort hinweisen, was dieser dann unter Umständen als

„Inauthentizitätssignal“ werten kann. Obwohl Filmemacher in Making Ofs von Filmen der dritten

42 Auf den Verlust der Indexikalität durch den Einsatz von CGI ist in der Forschungsliteratur mittlerweile vielfach hingewiesen worden, siehe z. B. Hoberg (1999), North (2008), Richter (2008), Prince (2012).

und vierten Simulationsstufe vielfach auf andere Authentisierungsstrategien hinweisen, wie bei-spielsweise das Bemühen, die historische Landschaft des Handlungsortes an der location akkurat nachzubilden oder die „verblüffende“ Ähnlichkeit zwischen location und Handlungsort betonen, ist es fraglich, ob Zuschauer in jedem Fall diese Kompensationsbemühungen als Ausgleich zur filmgeografischen Inkongruenz akzeptieren oder ob für sie beispielsweise die historische Authenti-zität untrennbar mit filmgeografischer AuthentiAuthenti-zität zusammenhängt. Insbesondere in Making Ofs können neben der oben behandelten filmgeografischen Delokalisierung weitere Authentisie-rungsstrategien eingesetzt werden, unter anderen die der Projektion, der Kompensation und der Autorisierung.

Mit „Projektion“ ist hier gemeint, dass Filmemacher ihre eigene Sichtweise auf die Zu-schauer übertragen, wenn sie beispielsweise ihre persönliche Ansicht, dass location und Hand-lungsort sich „verblüffend ähneln“ würden, nicht als persönliche Ansicht, sondern als objektive Tatsache darstellen wollen und damit unterstellen, dass dieser Umstand für Zuschauer ebenso „of-fensichtlich“ und „unbestreitbar“ sein müsse. Die Strategie der Kompensation hingegen stellt den Versuch der Filmemacher dar, den Nachteil filmgeografischer Inkongruenz durch den Verweis auf andere „authentisierende“ Produktionsaspekte ausgleichen zu wollen. So können die Filmemacher im Making Of eingestehen, dass die neuseeländische location zwar nicht mit dem

nicht-neuseeländischen Handlungsort (z. B. Japan, USA etc.) übereinstimme, dass aber immerhin nicht komplett im Filmstudio gedreht worden sei, sondern on location. Mit dem Begriff der Autorisie-rung schließlich ist das Bemühen gemeint, durch InvolvieAutorisie-rung von Experten in die Filmproduktion den Film glaubwürdiger erscheinen zu lassen – beispielsweise durch das Mitwirken eines Extrem-bergsteigers in einem Bergfilm wie Vertical Limit.

Wie bei Filmen der dritten und vierten Simulationsstufe wird auch bei der Vermarktung von Filmen der fünften bis siebten Simulationsstufe darauf geachtet, das Filmprodukt als authen-tisch zu vermarkten. Während bei Lord of the Rings noch die Erwähnung des Drehs in Neuseeland eine wichtige Rolle spielte und der neuseeländischen Tourismusindustrie einen signifikanten Zu-wachs bescherte, wurde auch hier in Making Ofs ein zweiter Schwerpunkt auf die digitale Erschaf-fung und Authentizität der Welt „Mittelerde“ selbst gelegt. Hierbei kann das Making Of trotz der Offenlegung filmischer „Tricks“ durch den Verweis auf die Originalität, Kreativität und Leiden-schaft der Filmemacher und „Weltendesigner“ den Eindruck von Authentizität durchaus noch

verstärken, weil dem Zuschauer dadurch bewusst werden kann, wie viel Aufwand und Know-how in die Filmproduktion investiert wurde.

Metatexte wie Rezensionen oder Forendiskussionen über einen Film können die Authenti-sierungsstrategien des Filmtextes noch viel eher unterwandern als Paratexte. Im Unterschied zu Making Ofs, die das Können der Filmemacher betonen sollen, wird bei Metatexten oftmals das Können der Filmemacher infrage gestellt. Seit der Etablierung des Internets ist es für Zuschauer einfacher als je zuvor geworden, nach diversen Informationen zu einem Film zu recherchieren und so dessen Produktionshintergründe – wesentlich kritischer als in Making Ofs – offenzulegen, was aus Sicht der Filmemacher nicht immer wünschenswert ist.

Eine Metatext-Kategorie, die allein dazu dient, die Inszeniertheit von Filmen offenzulegen und damit potenziell deren Authentisierungsstrategien zu zerstören, sind die sogenannten goofs, auf deutsch „Filmfehler“: Auf der IMDb existiert zu jedem Filmeintrag der Menüpunkt „Goofs“, der noch einmal in Subkategorien wie „Anachronisms“, „Plot holes“, „Factual Errors“ und auch

„Errors in geography“ unterteilt ist. Gerade die Kategorie „Errors in geography“ belegt eindrück-lich, wie wichtig vielen Zuschauern filmgeografische Authentizität ist. Auf YouTube.com ergibt eine Suche nach „film goofs“ Videoergebnisse wie „10 Historical Movie Mistakes“ oder „Top 10 Movies mistakes“, die teilweise über sieben Millionen Aufrufe erhalten. Ganze Webseiten wid-men sich ausschließlich dem Aufspüren kleinster Filmfehler. Hierbei nennt die Seite dieseher.de43 unter anderem folgende Beispiele:

ᘼ leere Gläser werden voll...

ᘼ Tote leben plötzlich wieder...

ᘼ ein Gegenstand oder eine Person vom Set ist zu sehen...

ᘼ Ein Film spielt in England, man sieht jedoch den Eiffelturm...

ᘼ Schauspieler werden falsch genannt, Rollen vertauscht...

ᘼ Allgemeine logische Fehler in der Handlung ᘼ Falsch recherchierte „Fakten“

Neben ihrer Rolle im Authentizitätsdiskurs spielen Para- und Metatexte eine sehr wichtige Rolle bei der Generierung von Filmtourismus, da die allermeisten Zuschauer erst durch diese Texte die

43 Zugriff: 15. September 2014.

locations in Erfahrung bringen können.44 Dies kann durchaus auch im Rahmen eines nation bran-dings geschehen, wenn sich – womöglich extra dafür bezahlte – Zuschauer in ihren Rezensionen scheinbar aus eigener Überzeugung sehr positiv über die neuseeländische location äußern und da-mit touristische „Schleichwerbung“ für Neuseeland betreiben. Obwohl soda-mit Zuschauerrezensio-nen mit einer gewissen Skepsis begegnet werden sollte, ist doch davon auszugehen, dass die meisten Zuschauer ihre Rezensionen aus eigener Überzeugung schreiben, insbesondere wenn es sich um sehr kritische Rezensionen handelt.

3.2.3.4 „Sehnsuchtsgrad“, location-Vermittlung, „Referenzialitätsgrad“ als Faktoren bei der Generierung von Filmtourismus

Sowohl der „Authentizitätsgrad“ eines Films als auch die Verdrängung realer locations durch CG-Landschaften haben direkte Auswirkungen auf das Phänomen des Filmtourismus, was daher in den Analysen auch thematisiert werden soll. Die genauen Faktoren, die Filmtourismus erzeugen, sind nach wie vor nicht genau geklärt, was sich vor allem daran, zeigt, dass einige Filme trotz hoher Erwartungen keinen signifikanten Filmtourismus erzeugen, während andere Filme, von denen man es nicht erwartet hätte, überraschenderweise Scharen von Filmtouristen anlocken. Auf-grund dieser Ungewissheit reagiert die Tourismusindustrie nach wie vor „reaktiv“ und kaum „pro-aktiv“: Selbst im Falle von Lord of the Rings waren viele Touristikunternehmen anfangs von den vielen Anfragen zu Lord of the Rings-spezifischen Touren überfordert, da sie die Nachfrage und deren Umfang nicht antizipiert hatten (Huffstutter, 2003) – Neuseeland vermarktete sich erst dann als „Mittelerde“, als schon längst offensichtlich war, dass erhebliches touristisches Interesse durch den Film geweckt worden war.

Entsprechend schwierig gestaltet sich demnach auch das Ermitteln konkreter Faktoren, mit denen mit hoher Sicherheit prognostiziert werden könnte, ob ein Film Filmtourismus generieren wird oder nicht. Folgende Faktoren werden als möglicherweise in kausalem Zusammenhang mit Filmtourismus stehend erachtet:

ᘼ kommerzieller Erfolg

ᘼ kritischer Erfolg bei Zuschauern und Kritikern

44 Nur mit der Geografie bestimmter locations besonders vertraute Zuschauer können unter Umständen auch ohne das Heranzie-hen von Para-/Metatexten allein durch das Betrachten des Films herausfinden, wo der Film gedreht wurde, insbesondere durch das Erkennen nationalspezifischer Marker wie beispielsweise endemischer Flora und Fauna oder charakteristischer Geomorphologie.

ᘼ „mitreißender“ Plot und Charaktere

ᘼ Grad der Vermarktung der location durch Touristikunternehmen

Dieser Aufzählung Filmtourismus generierender Faktoren möchte ich drei weitere hinzufügen, die vor allem auch im Kontext von filmgeografischer „Authentizität“ und „Entlokalisierung“ erörtert werden sollen: „Sehnsuchtsgrad“, location-Vermittlung und „Referenzialitätsgrad“. Mit „Sehn-suchtsgrad“ ist hier der Grad der Begeisterung der Zuschauer für die dargestellte Filmwelt gemeint.

Hiervon untrennbar ist die Einstufung dieser Filmwelt als authentisch oder inauthentisch. Nur wenn Zuschauer die Filmwelt als glaubwürdig erachten, d. h. auch als geografisch kongruent und bei Fantasywelten die Anforderungen der Archaik, Sublimität und des Fotorealismus erfüllt sehen, können sie Immersion empfinden und einen emotionalen Bezug zum Film herstellen. Negative Extreme bezüglich des Plots oder der visuellen Darstellung sind für die Immersion gleichermaßen hinderlich: Ein Film mit großartigen Effekten, aber „schlechtem“ Plot und Schauspielern dürfte ebenso wenig Filmtourismus auslösen wie ein Film mit überzeugendem Plot und Schauspielern, dafür aber „unterirdischen“ visuellen Effekten, da in beiden Fällen eine tiefere Immersion kaum möglich ist und die Zuschauer den Film auf vielerlei Ebenen als inauthentisch empfinden werden.

Stattdessen ist davon auszugehen, dass sowohl visuelle Effekte als auch Plot und Charaktere über-zeugend sein müssen.

Tooke und Baker stellen in puncto Filmtourismusgenerierung bei Filmen verschiedener Handlungsort-location-Konstellationen folgende interessante These auf:

It seems that if the film location is the true setting, the visitor visits the location: if the film location represents a fictional setting, the visitors go to the location; but if the film location represents a different actual setting, the visitors go to the place represented (Tooke and Baker 1996: 93).45

Diese These erscheint insofern plausibel, als dass Zuschauer bei Filmen der dritten und vierten Si-mulationsstufe die location womöglich als „falsche“ location einstufen und aufgrund dieser Assozia-tion mit Qualitäten der „Inauthentizität“ stattdessen das vom Handlungsort repräsentierte Land besuchen wollen, sofern sie der Film trotz empfundener filmgeografischer Inauthentizität dennoch

45 Tooke und Bakers These ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, könnte aber in vielerlei Hinsicht noch differenzierter formuliert werden: So ist, wie dargelegt, zu berücksichtigen, ob und wie viele Zuschauer überhaupt Kenntnis von der eigentlichen, „falschen“

location haben. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht überhaupt keine Wahlmöglichkeit zwischen „Handlungsort-Tourismus“ und

„location-Tourismus“. Des Weiteren ist auch die Art des Handlungsortes in Betracht zu ziehen. Sofern der Handlungsort ein Kri-sengebiet darstellt oder extrem abgelegen ist, könnte es für interessierte Zuschauer aus Sicherheitsgründen reizvoller sein, die zumeist ungefährliche location zu besuchen und dennoch die „Atmosphäre“ des Handlungsortes erleben zu können.

auf anderen Ebenen anspricht. Tooke und Bakers These wird vor allem bei der Analyse des Films The Waterhorse: Legend of the Deep relevant sein.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist der der Vermittlung. Hiermit ist weniger der Grad der tou-ristischen Vermarktung der location an sich gemeint, sondern vielmehr die überaus wichtige Rolle von Para-/und Metatexten bei der Generierung von Filmtourismus. Die Sehnsucht der Zuschauer nach einem „realen“ Erleben eines Handlungsortes allein kann keinen Filmtourismus auslösen – die Zuschauer müssen auch wissen, mittels welcher location sie ihre Sehnsucht verwirklichen bzw.

„kanalisieren“ können. Nur wenn Zuschauer wissen, dass reale locations eingesetzt wurden und um welche locations es sich genau handelt, können sie einen referenziellen Bezug zwischen Handlungs-ort und location herstellen. Dieser referenzielle Bezug muss demnach klar kommuniziert werden, beispielweise in Making Ofs oder auf Filmdatenbanken wie der IMDb.

Als dritter Aspekt ist der Grad der Referenzialität zu nennen, der vor allem eine Rolle bei der Zufriedenheit der Filmtouristen beim Besuchen der locations spielt, aber auch bei der Abwä-gung, ob sich der Besuch einer location überhaupt lohnen würde. Hier ist insbesondere die ikoni-sche Form der Referenzialität, d. h. der Grad der Ähnlichkeit zwiikoni-schen location und Handlungsort, entscheidend.46 Roesch und Carl weisen daraufhin, dass die Zufriedenheit der Filmtouristen sehr häufig von einem Wiedererkennungseffekt (2009: 141; 2004: 148) abhängt: Je mehr in der location visuelle Fragmente des Handlungsortes wiedererkannt werden, desto „hyperrealer“ ist das Erlebnis.

Roesch spricht in diesem Zusammenhang von „mental visions“ der Touristen, einem temporären Abtauchen in die Filmwelt am Ort der location, die umso stärker war, desto mehr die location dem Handlungsort der jeweiligen Filmszene ähnelte und folglich diese „Vision“ auf die location proji-ziert werden konnte (2009: 141–144) – so wie es die Filmemacher in gewisser Hinsicht auch schon getan hatten. Hierbei spielt die durch zunehmenden Einsatz digitaler Landschaftselemente und damit einhergehender Entlokalisierung eine große Rolle: Je mehr Landschaftselemente digital gene-riert sind, desto geringer ist der ikonische Referenzialitätsgrad und desto geringer der Wiedererken-nungseffekt beim Besuchen der location. Insofern ist bei ausbleibendem WiedererkenWiedererken-nungseffekt die Enttäuschung der Filmtouristen kaum überraschend, was wiederum darauf hindeutet, dass sich Zuschauer zwar über den generellen Einsatz von CGI im Klaren sind, das Ausmaß aber unterschät-zen und folglich auch den Grad der Ikonizität regelmäßig überschätunterschät-zen. Während die im

46 Der indexikalische Bezug weist die Zuschauer darauf hin, dass eine reale location abgefilmt worden sein muss, wohingegen dieser indexikalische Bezug bei digitalen Landschaften ja gerade wegfällt (allerdings kann weiterhin ein ikonischer Bezug zu realen Orten auch bei digitalen Landschaften gegeben sein).

lungsort trotz CGI-Einsatz verbliebenen sichtbaren „Reste“ der location für Filmtourismus relevant sind, so verblassen durch immer stärkere digitale Manipulation allmählich die charakteristischen Züge der location. Umso wichtiger wird, wie Carl konstatiert, die Rolle touristischer Guides, die die Touristen auch auf kleinste Reste von Ikonizität in der location hinweisen, um weiterhin die Zu-friedenheit der Touristen zu garantieren (2004: 148), wobei auch Guides eine zu geringe Ikonizität nicht mehr ausgleichen können. Ob die häufig bei digital generierten Landschaften eingesetzten Fototexturen noch ausreichen, um durch (minimale) Ikonizität noch Filmtourismus auslösen zu können, wird eine wichtige Fragestellung bei der Analyse der Filme der 7. Simulationsstufe sein.

3.3 Überlegungen zu Authentizität, De- und Entlokalisierung in I. +

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 115-121)