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V. + VII. Simulationsstufe: Archaisch-mythische Ästhetik, (Hyper-)Sublimität, Fotorealismus als

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 110-115)

3. De-/Entlokalisierung der neuseeländischen location und dessen Bedeutung für die Frage nach filmgeografischer

3.2.3 Authentisierungsstrategien der Filmemacher und Authentizitätserwartungen der Zuschauer

3.2.3.2 V. + VII. Simulationsstufe: Archaisch-mythische Ästhetik, (Hyper-)Sublimität, Fotorealismus als

Auch in (zwangsläufig effektlastigen) Fantasyfilmen, die rein fiktive Handlungsorte und virtuelle Geografien aufweisen, wird Wert auf Authentizität gelegt, allerdings beziehen sich Fantasywelten nicht unmittelbar auf reale Räume und werden daher auch nicht direkt an ihnen gemessen. Woran wird nun in solchen Filmen die Authentizität ihrer fiktiven Geografien bemes-sen? Die Glaubhaftigkeit einer Fantasywelt bestimmt sich meiner Ansicht nach an verschiedenen Parametern, die sich auf komplexe Weise gegenseitig beeinflussen: Den seit dem Aufkommen von Fantasyliteratur und -filmen etablierten Darstellungskonventionen von Fantasywelten (Intertex-tualität), den persönlichen kreativen Visionen der Filmemacher und den durch das Lesen von Fantasyliteratur (einschließlich der darin vorkommenden illustrativen Zeichnungen) und Betrach-ten von Fantasyfilmen evozierBetrach-ten Vorstellungen in den Köpfen der Leser/Zuschauer.

Fantasywelten weisen meines Ermessens generell zwei Konstanten auf, die mittlerweile als konstitutiv für deren Glaubwürdigkeit betrachtet werden können: Archaik und Sublimität. Der erste Aspekt, die archaisch-mythische Atmosphäre, bedient hierbei in seiner, feudale Strukturen idealisierenden Darstellung, gezielt die nostalgische Sehnsucht der Leser/Zuschauer nach einem Goldenen Zeitalter mit einfachen sozialen Ordnungen, klaren moralischen Werten und einer quasi binären Kontrastierung von Gut und Böse. Hierbei versinnbildlicht die „Kulturlandschaft“ mit ihren einfachen agrarischen Siedlungen, Burgen, Schlössern, Festungen und Ruinen diese Ideale und verleiht der fiktiven Welt (pseudo-)historische Tiefe.

Fantasywelten sind zudem von stereotypischen Landschaftästhetiken geprägt, d. h. pastora-ler, sublimer und gothic-Ästhetiken, wobei insbesondere die Sublimität den „fantastischen“ Cha-rakter dieser Welten ausmacht. Das Sublime bzw. das Erhabene wurde von den Philosophen Ed-mund Burke und Immanuel Kant thematisiert und als ein ästhetisches Phänomen betrachtet, das die empfundene Ohnmacht des Menschen angesichts übermächtig und unendlich erscheinender Naturgewalt zum Ausdruck bringt und sowohl Gefühle der Angst als auch der Euphorie

hervorru-fen kann. Der Begriff des Sublimen ist auch auf menschliche Architektur ausgeweitet worden (technological sublime [Nye, 1994]), was für die späteren Filmanalysen ebenfalls relevant sein wird, da in Fantasywelten nicht nur die Natur, sondern auch die Schlösser und Festungen oft überdi-mensional und gewaltig erscheinen. Da die Fantastik von Fantasywelten oftmals natürliche physi-kalische Gesetzmäßigkeiten überschreitet, möchte ich diese Art von Ästhetik als „Hypersublimität“

bezeichnen, d. h. eine Sublimität, die gewissermaßen „sublimer als sublim“ ist.

Diese (hyper-)sublime Ästhetik wird in modernen Fantasyfilmen besonders betont und dabei bewusst eine sensorische Überwältigung des Zuschauers angestrebt. Hoberg spricht in die-sem Zusammenhang unter Rekurs auf Wolfgang Welschs Konzept der „Anästhetisierung“ von einer durch wiederholte sensorische Überreizung erfolgenden Abstumpfung der Sinne des Zu-schauers, was wiederum eine Reizsteigerung vonnöten macht (1999: 213, 214). Um die Gunst des Zuschauers zu gewinnen, treten Filmemacher in einen Wettbewerb und versuchen sich in puncto Fantastik gegenseitig zu übertrumpfen, was Hoberg als „Zwang zur Gigantomanie“ bezeichnet (1999: 9, 142, 218). Um diese ständige Reizsteigerung in modernen Fantasyfilmen zu ermöglichen, die immer mehr dem entsprechen, was Tom Gunning als moderne Form des visuellen Spektakels, dem cinema of attractions, bezeichnet (1986), ist der Einsatz von CGI, das nahezu unbegrenzte Dar-stellungsmöglichkeiten verspricht, bereits zu einer unumgänglichen Notwendigkeit geworden.

Zwar ist die Darstellung hypersublimer Welten bereits früher prinzipiell möglich gewesen, bei-spielsweise durch den Einsatz von matte paintings,39 aber die immersiven, vertiginösen Kamerafahr-ten, die die Sublimität in ihrer Dreidimensionalität voll zur Geltung bringen und für die Peter Jack-sons Filme sowie James Camerons Avatar bekannt sind, können nur mit digitaler Technologie verwirklicht werden.

Hier kommt allerdings neben den generellen Aspekten der Archaik und der Sublimität, die auch auf Fantasyliteratur zutrifft, der filmspezifische Aspekt des Fotorealismus als drittes wichtiges Authentizitätskriterium ins Spiel, das umso bedeutsamer wird, desto mehr CGI eingesetzt wird.

Warum aber erwarten Zuschauer moderner Fantasyfilme überhaupt Fotorealismus? In der Beant-wortung dieser Frage erweist sich Ecos Argument als hilfreich, dass fiktive Welten „Parasiten der wirklichen Welt“ seien und dass zum Verständnis selbst fantastischster Welten Zuschauer von ihrer eigenen Welterfahrung ausgingen (1994: 112–113). Somit müssen auch fiktive Welten Elemente des

39 Bei matte paintings handelt es sich um fotorealistisch gemalte Hintergründe, vor denen die Schauspieler agieren. Diese Technik ist dem Theater entlehnt, hat in Filmen aber den Nachteil, dass die Perspektive starr festgelegt ist und keine dynamischen Kamera-fahrten zulässt, da dem Zuschauer sonst sofort auffallen würde, dass es sich nicht um eine location, sondern „nur“ eine gemalte Landschaft handelt.

Realen enthalten, um zugänglich zu bleiben. Durch den Einsatz realer locations in Filmen der fünf-ten Simulationsstufe wird ein Realitätseffekt erzielt, was ebenfalls eine Art „parasitärer“ Entleh-nung aus realen Geografien darstellt, um der Fantasywelt dieses Element realer Tiefe zu verleihen.

Wenn nun digitale Landschaften mit locations kombiniert werden oder erstere letztere ersetzen, streben Filmemacher den gleichen Realismuseffekt an, indem sie die digitalen Elemente fotorealis-tisch und damit möglichst ununterscheidbar von den ohnehin immer fotorealisfotorealis-tischen locations konstruieren. Auch bei den digital generierten Landschaften von Filmen der siebten Simulations-stufe dient der Fotorealismus als ein Surrogat für die fehlenden realen locations, die bisher eine le-bensweltliche Rückbindung für den Zuschauer ermöglichten. Durch den Fotorealismus soll die Digitalität der digitalen Effekte verschleiert werden, sie sollen „natürlich“ erscheinen.

Was also einen wichtigen Reiz für Zuschauer von Fantasyfilmen darstellt, ist, dass trotz aller physikalisch unmöglichen Hypersublimität das Geschehen dennoch „real“ und immersiv wirkt, was North folgendermaßen ausdrückt: „When we see, onscreen, an impossible event happe-ning in ‚photorealistic‘ CGI, we are invited into the fantasy that it has actually been recorded photographically, and thus that it has taken place in the real world“ (2008: 12). Dies gilt allerdings nur, wenn für den Zuschauer die Digitalität der digitalen Effekte weitgehend unsichtbar bleibt.

Wenn die zur Simulation dieser Fantasywelten eingesetzten digitalen Effekte jedoch von den Zu-schauern als „schlecht“ eingestuft werden, d. h. dass sie dem Zuschauer unmittelbar als künstliche Effekte ins Auge springen, wird diese virtuelle Welt als inauthentisch eingestuft. Hierbei wird die unbefriedigende Darstellung der Fantasywelt in abwertender Weise z. B. mit der plakativen, nicht-naturalistischen Darstellungsweise klassischer Zeichentrickfilme oder mit „Computerspielgrafik“

verglichen.40

Dasselbe gilt für die digitale Generierung historischer Artefakte, um dem Handlungsort historische Tiefe zu verleihen: Ein digital generiertes, aber total „verpixeltes“ Fantasyschloss bei-spielsweise würde nicht nur den Realismuseffekt zerstören, sondern zugleich auch auf seinen Status als digitales, also hochmodernes Artefakt verweisen, was dem Bestreben der Filmemacher nach der

40 Mit „klassischem Zeichentrickfilm“ sind hier noch von Hand gezeichnete und anschließend animierte Filme gemeint wie es vor allem die Disneyfilme vor der Ära moderner 3D-Animationsfilme wie Toy Story (1995) waren. Klassische Zeichentrickfilme zeich-nen sich ungeachtet ihres durchaus hohen künstlerischen Wertes durch eine zweidimensionale Plakativität (Richter 2008: 73) aus, die sich vor allem in der Darstellung der Landschaft bemerkbar macht, der die perspektivische „Tiefe“ fehlt, was aber durchaus auch ihren Charme und Märchencharakter ausmacht. In der Entwicklung von Computerspielen wird zwar wie bei Fantasy-/Science Fiction-Filmen nach Fotorealismus gestrebt, jedoch hinkt diese Entwicklung dem Grad des Fotorealismus von Holly-woodfilmen immer einen Schritt hinterher, da heimische PCs stets leistungsschwächer sind als die Hochleistungsrechner von Postproduction-Anlagen wie beispielsweise WETA digital. Sowohl von der Plakativität von Zeichentrickfilmen als auch von der

„schlechten“ Grafik von Computerspielen wollen sich Filmemacher von Fantasyfilmen in jedem Fall distanzieren.

Simulation historischer Tiefe bzw. oben erwähnter Archaik geradezu diametral entgegenstehen würde.41 Weil der neuseeländischen

oder Schottland fehlt, müssen Filmemacher zur „Historisierung“ Neuseelands zwangsläufig en weder auf Filmsets oder digitale Effekte zurückgreifen.

Die heutige Möglichkeit,

auch zu ersetzen, lässt sich semiotisch folgendermaßen darstellen:

Abbildung 3.5: V. Simulationsstufe

41 Ähnlich argumentiert North, wenn er schreibt: „The production of a special effect denotes the use of a technique specifically designed to alter, enhance or create an element o

jarringly pronounced, we dismiss them as ‚bad‘ special effects, those which have reminded us too forcibly that Superman is no really flying or that the Titanic is just a glorified bath toy bobbing in a pond on the studio backlot“ (2008: 4).

Simulation historischer Tiefe bzw. oben erwähnter Archaik geradezu diametral entgegenstehen Weil der neuseeländischen location aber die historische Tiefe anderer Länder wie England oder Schottland fehlt, müssen Filmemacher zur „Historisierung“ Neuseelands zwangsläufig en weder auf Filmsets oder digitale Effekte zurückgreifen.

Die heutige Möglichkeit, locations sukzessive durch digitale Landschaften zu erg auch zu ersetzen, lässt sich semiotisch folgendermaßen darstellen:

Simulationsstufe

Ähnlich argumentiert North, wenn er schreibt: „The production of a special effect denotes the use of a technique specifically designed to alter, enhance or create an element of the diegesis. […] If the discrepancies between the real and its simulation are too jarringly pronounced, we dismiss them as ‚bad‘ special effects, those which have reminded us too forcibly that Superman is no

glorified bath toy bobbing in a pond on the studio backlot“ (2008: 4).

Simulation historischer Tiefe bzw. oben erwähnter Archaik geradezu diametral entgegenstehen anderer Länder wie England oder Schottland fehlt, müssen Filmemacher zur „Historisierung“ Neuseelands zwangsläufig

ent-sukzessive durch digitale Landschaften zu ergänzen oder

Ähnlich argumentiert North, wenn er schreibt: „The production of a special effect denotes the use of a technique specifically f the diegesis. […] If the discrepancies between the real and its simulation are too jarringly pronounced, we dismiss them as ‚bad‘ special effects, those which have reminded us too forcibly that Superman is not

glorified bath toy bobbing in a pond on the studio backlot“ (2008: 4).

Abbildung 3.6: VI. Simulationsstufe mit realitätsbasiertem Handlungsort

Abbildung 3.6 1

Abbildung 3.7: VII. Simulationsstufe mit fiktivem Handlungsort

Abbildung 3.7 1

Die Abbildungen zeigen

semiotisch nur deswegen auf einen realen Ort, in diesem Fall Neuseeland dische locations eingesetzt wurden

Simulationsstufe mit realitätsbasiertem Handlungsort

Simulationsstufe mit fiktivem Handlungsort

en, dass bei der fünften Simulationsstufe der fiktive Handlungsort semiotisch nur deswegen auf einen realen Ort, in diesem Fall Neuseeland, verweist, weil neuseelä

eingesetzt wurden – und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass der Zuscha , dass bei der fünften Simulationsstufe der fiktive Handlungsort

, verweist, weil neuseelän-und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass der

Zuschau-er aufgrund von Para-/Metatexten weiß, dass reale locations eingesetzt wurden und dahZuschau-er den Handlungsort mit ihnen assoziieren kann. Bei der sechsten Simulationsstufe wird keine location mehr eingesetzt, wobei aber dennoch aufgrund des realitätsbasierten Handlungsortes wie bei-spielsweise dem digital generierten New York in King Kong ein referenzieller Bezug zum realen New York besteht, in dem Sinne, dass sich das digitale New York und das reale New York „ähneln“.

Diese Ähnlichkeit kann mit dem peirceschen Begriff des Ikons (1876: 56) beschrieben werden, wäh-rend ein indexikalischer, d. h. zwingend kausaler Bezug zwischen digitalem und realem New York fehlt42 – ganz im Gegensatz zu einem tatsächlichen Filmdreh in New York, bei dem eine semioti-sche Doppelreferenzialität vorliegt, nämlich sowohl ein indexikalisemioti-scher als auch ikonisemioti-scher Bezug zwischen Handlungsort und location.

Bei Filmen der siebten Simulationsstufe schließlich wird auf reale locations verzichtet, wo-durch eine location oder ein vom Handlungsort repräsentiertes Land als Referent entfällt. Im Falle von „Skull Island“ in King Kong, kann der Zuschauer keine reale Geografie mit dem Handlungsort assoziieren und weder „Skull Island“ noch eine location besuchen. Allerdings soll an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen werden, dass insbesondere bei Avatar zur Generierung der digitalen Landschaften fotografische Texturen eingesetzt wurden, die durch sogenanntes „Sampling“ chine-sischer, hawaiianischer und neuseeländischer Regionen gewonnen wurden. Ob diese Fragmente realer Geografien für Zuschauer doch noch eine Referenzialität begründen, hängt von der Art und dem Umfang der fotografischen Samples ab und wird in der Analyse beantwortet werden.

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 110-115)