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Hobbit-Trilogie (2010-2012)

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 176-180)

3. De-/Entlokalisierung der neuseeländischen location und dessen Bedeutung für die Frage nach filmgeografischer

3.5 Analyse: V. und VII. Simulationsstufe

3.5.3 Hobbit-Trilogie (2010-2012)

Fünf Jahre nach King Kong und ein Jahr nach Avatar, beides Filmen der 7. Simulations-stufe, erschien der erste Hobbit-Teil An Unexpected Journey als Prequel zur Lord of the Rings-Trilogie. Während bereits bei Lord of the Rings eine Zunahme von CGI von Fellowship of the Ring zu Return of the Ring festzustellen war, hat sich der CGI-Anteil in der Hobbit-Trilogie noch einmal deutlich erhöht und von Folge zu Folge weiter gesteigert. Da noch reale locations eingesetzt wurden, wird der Film hier noch der 5. Simulationsstufe zugeordnet, er tendiert insgesamt aber bereits deut-lich zur 7. Simulationsstufe, was unter anderem auf den Einfluss von King Kong und Avatar zu-rückzuführen ist. Während in der Lord of the Rings-Trilogie bereits die weitgehend digitalen Land-schaften Rivendells, Morias und Mordors einen nicht unerheblichen Teil der Spielzeit des Films ausmachten, machen die digitalen Handlungsorte Goblin Caves, Esgaroth, City of Dale, Dol Guldur und Gundabad in der Hobbit-Trilogie einen noch deutlich größeren Teil der Filmspielzeit aus. Insbesondere in Desolation of Smaug, dem zweiten Teil der Hobbit-Trilogie, alterniert das Geschehen in der zweiten Filmhälfte praktisch nur noch zwischen der Seestadt Esgaroth und der City of Dale, deren Darstellungen ohne reale locations auskommen.82

Parallel zur Zunahme der CGI und Abnahme der locations verfolgt Peter Jackson beim Hobbit eine Authentisierungsstrategie, die sich von derjenigen bei Lord of the Rings deutlich unter-scheidet: Das Ziel, die Fantasywelt immersiver und authentischer wirken zu lassen und zudem beim Zuschauer das Gefühl zu wecken, etwas Neues zu sehen, soll nun durch den verstärkten Einsatz von CGI in Kombination mit moderner 3D- und sogenannter HFR-Technologie83 erreicht wer-den, während reale locations in ihrer Authentisierungsfunktion nur mehr eine Nebenrolle spielen.

Außerdem werden aufgrund der 3D-Technologie keine Miniaturmodelle mehr zur Simulation landschaftlicher Historizität eingesetzt, da diese hierbei zu „modellhaft“ erscheinen würden. Hier kann also erst recht von einer „digitalen Historizität“ gesprochen werden, die im Gegensatz zu Lord of the Rings (beispielsweise die besprochenen Argonath-Statuen) keinerlei physische Realität mehr aufweist.

82 Zwar ist in der Hobbit-Trilogie für das Hobbiton-Filmset auch diesmal wieder ein physisches Set konstruiert worden, wobei es diesmal sogar aus echtem Holz gebaut wurde; dies geschah jedoch nicht aus Gründen des Realismus, sondern ergab sich aus einer Verhandlung zwischen der Alexander Farm und dem Filmproduzenten Warner Bros. und stellt damit vielmehr ein touristisches Zugeständnis dar.

83 HFR bedeutet High Frame Rate und bezeichnet Filme, die statt der üblichen 24 Bilder pro Sekunde mit 48 Bildern pro Sekunde gefilmt werden und dadurch auch schnelle Bewegungen ohne Bewegungsunschärfe oder „Schlieren“ zeigen können, wodurch mehr Details zu sehen sind.

Statt wie bei der Lord of the Rings-Produktion die Außenszenen größtenteils on location zu drehen, ist die Hobbit-Trilogie folglich eine viel studiolastigere Produktion, wo nur noch dort on location gedreht wurde, wo es „notwendig“ erschien. Dies ist eine Strategie, die sich deutlich von derjenigen beim Dreh von Lord of the Rings unterscheidet, wo noch vom immensen Aufwand bei den zahlreichen on location-Drehs berichtet wurde und diese als prägend für die Authentizität der Fantasywelt dargestellt wurden. Der Einsatz von on location-Drehs beim Hobbit lässt auf den ersten Blick zwar vermuten, dass deren Notwendigkeit wie schon bei Lord of the Rings in erster Linie im perzeptiven Realismus begründet liegt. Hierbei stellt sich aber die Frage, weshalb der fünf Jahre vor dem Hobbit erfolgte Dreh von Peter Jacksons King Kong überhaupt keine locations mehr erforderte und dennoch ja auch dort perzeptiver Realismus angestrebt wurde? Dies legt den Verdacht nahe, dass beim Hobbit weniger aus Gründen des perzeptiven Realismus, sondern vielmehr aus anderen Gründen neuseeländische locations eingesetzt wurden: Zum einen, um das filmtouristische Poten-zial des Films und damit die nation branding-Strategie „Home of Middle-Earth“ nicht zu gefährden und zum anderen, um die neuseeländische Nation nicht zu konsternieren.

Dies wird vor allem vor dem Hintergrund der sogenannten Hobbit-Krise ersichtlich, wo Neuseeland nicht nur Arbeitsplätze in seiner Filmindustrie, sondern auch seinen Filmtourismus und sein Image als „Mittelerde“ gefährdet sah: Der von Jonathan Handel in seinem Buch The New Zealand Hobbit Crisis eingehend erörterte Konflikt im Jahre 2010 zwischen neuseeländischen Schauspielern und Warner Bros. hatte folgenden Ablauf: Als neuseeländische Schauspieler der Aufforderung der MEAA84 nachkommen, die Mitarbeit am ersten Hobbit-Film zu boykottieren, um damit bessere Arbeitsbedingungen einzufordern, sorgt dies für sichtliche Verärgerung beim Produzenten/Regisseur Peter Jackson und bei der Produktionsfirma Warner Bros. Während Jack-son aufgrund seiner national/transnationalen „Doppelagenda“ eher subtile Andeutungen macht, die Produktion notfalls ins Ausland zu verlagern, aber klarstellt, dass dies für ihn nur eine Notlö-sung sei, droht Warner Bros. unverblümt, die Produktion nach Europa, vorzugsweise nach Eng-land, zu verlagern. Das Einlenken der neuseeländischen Regierung mit einer Gesetzesänderung quasi über Nacht, worin der Status der Schauspieler als „freiberuflich“ deklariert wird (2012: 5–7).

Einer der Effekte der Globalisierung ist die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vieler Men-schen, was sich hier an der faktischen Beschneidung der Rechte neuseeländischer Schauspieler auf-grund des transnationalen Agierens von Warner Bros. deutlich zeigt. Dass die neuseeländische

84 Australia’s Media, Entertainment and Arts Alliance

gierung sich dem Druck eines transnationalen Unternehmens gebeugt hat, zeigt, wie existenziell Neuseeland die Bedrohung empfand, weil sich mittlerweile herauskristallisiert hatte, dass der durch Lord of the Rings erzeugte Tourismusboom nicht langfristig über Jahrzehnte anhalten würde, son-dern durch weitere Blockbuster wie The Hobbit das globale Interesse an Neuseeland als Filmtouris-tenziel regelmäßig erneuert werden muss. Hier hat Neuseeland demnach nur wenig Resistenz ge-genüber den Globalisierungseinflüssen gezeigt und ein Stück seiner nationalen Souveränität einge-büßt.

Dass die Hobbit-Krise derart eskalieren konnte, liegt auch an den technologischen Fort-schritten, die die Filmtechnologie mittlerweile gemacht hat: Durch die CGI-Technologie schreitet die Virtualisierung der locations immer weiter voran und entkoppelt damit zusehends den Hand-lungsort von einer physisch existenten location. Dies ermöglicht Filmemachern eine maximale Kon-trolle über die Produktionsbedingungen beim on location-Dreh und eine zunehmende Emanzipie-rung von den Unwägbarkeiten einer physischen location (z. B. Wetterverhältnisse, störende Land-schaftsartefakte, Drehgenehmigungen). Allen Beteuerungen der neuseeländischen Tourismus-industrie zum Trotz, dass Mittelerde und Neuseeland „untrennbar“ miteinander verschmolzen seien, hat die Entschlossenheit Warner Bros., die Produktion ggf. ins Ausland zu verlagern, de-monstriert, dass Neuseeland letztendlich nur eine austauschbare Projektionsfläche bleibt, und die

„Charakteristika“ Mittelerdes heutzutage bei Bedarf mittels CGI auch an einer beliebigen anderen location digital nachgebildet werden können.85 Aus diesem Grund stellt sich auch der neuseeländi-sche Schauspieler Ian Mune, der in Lord of the Rings bereits als Hobbitdarsteller mitgewirkt hatte, gegen das seiner Ansicht nach übertriebene nationale Pathos Neuseelands („I don't think it is as substantial a piece of the New Zealand heart as some people would like to make out“) und kommt zu dem Schluss, dass die Hobbit-Trilogie letztendlich überall gedreht werden könne: „[…] they could shoot it in South Africa, they could shoot it in [the Czech Republic], Romania, or some-where deep in the heart of Kazakhstan, or if they weren't having a war they could probably shoot the thing in bloody Afghanistan“ (Masters, 2010).

Nach den außerordentlichen und letztendlich erfolgreichen Anstrengungen Neuseelands, die Hobbit-Produktion im Lande zu belassen, wäre die Entscheidung Peter Jacksons, die Trilogie

85 Es wäre interessant gewesen zu sehen, ob eine Verlagerung des Drehs nach Europa Zuschauerkritik hervorgerufen hätte. Dies hätte Indizien dazu geliefert, wie sehr die Botschaft „Neuseeland ist Mittelerde“ von Zuschauern tatsächlich internalisiert worden ist. Da aber, wie in der Analyse zu Lord of the Rings angeführt, keine Kritik seitens der Zuschauer über die Wahl einer location, die nicht Tolkiens Vision bzw. Inspirationsquellen entsprochen haben, zu vernehmen war, hätte die globale Zuschauerschaft vermut-lich trotz aller Marketingbemühungen seitens Neuseelands kein Problem mit einer nicht-neuseeländischen location gehabt.

nun ähnlich wie King Kong oder Avatar vollständig digital und ohne den Einsatz neuseeländischer locations zu drehen, geradezu wie eine Verhöhnung erschienen. Es wurde ja nicht allein ein Vorteil für die neuseeländische Filmindustrie erhofft (was auch durch einen rein digitalen Dreh durchaus der Fall gewesen wäre), sondern auch für den Filmtourismus und nicht zuletzt das Selbstbewusst-sein einer Nation. Ohne den Einsatz neuseeländischer locations wäre der Hobbit aber nicht mehr länger wie noch Lord of the Rings als eine Werbung für die landschaftliche Schönheit Neuseelands betrachtet worden und hätte womöglich ähnlich wie King Kong – wie in der nächsten Analyse er-örtert werden wird – keinerlei Filmtourismus ausgelöst. Insofern erscheint die Notwendigkeit des Einsatzes realer (neuseeländischer!) locations aus Sicht der Filmemacher weniger eine des perzepti-ven Realismus, sondern eine vor allem eine „moralische“ gewesen zu sein, da aus filmtouristischen Gesichtspunkten ein Filmdreh mit rein digitalen Landschaften ebenso ungünstig für Neuseeland gewesen wäre wie eine Verlagerung des Filmdrehs nach Osteuropa.

Der stark gestiegene Anteil digitaler Landschaften und Charaktere hat bei den Zuschauern gemischte Reaktionen hervorgerufen, wobei der Ton der negativen Rezensionen deutlicher schär-fer ist als bei Lord of the Rings. Viele Zuschauer beklagen ein „Zuviel“ an CGI und bezeichnen die Hobbit-Welt als „cartoonhaft“ oder auch „computerspielähnlich“, was definitiv abwertend gemeint ist. Aber wie bei der Analyse von Lord of the Rings angeführt wurde, können Zuschauer meist gar nicht mehr sicher zwischen digitalen und „realen“ Objekten differenzieren, weshalb auch hier we-niger von einem tatsächlichen „Erkennen“ digitaler Objekte als vielmehr von einer generellen Skep-sis gegenüber der filmischen Darstellung gesprochen werden muss. Wenn der Hobbit-Darsteller Graham McTavish in dem touristischen Werbeclip „New Zealand, Home of Middle-earth“ davon spricht, dass Zuschauer davon ausgingen, die Landschaften im Hobbit seien „photoshopped“

(„New Zealand, Home“ [00:03:36–00:03:44]), gleichzeitig aber darauf hinweist, dass diese Berge tatsächliche neuseeländische Berge seien, dann zeigt sich hieran nicht nur, dass viele Zuschauer mittlerweile mit einer präventiven Skepsis bezüglich des Einsatzes von CGI an Filme herangehen, sondern auch in „beide Richtungen“ CGI und reale locations miteinander verwechseln: So wie fo-torealistische CGI-Landschaften für reale locations gehalten werden können, werden auch umge-kehrt reale Landschaften für CGI gehalten. Diese perzeptivische Verwirrung wird durch „erklären-de“ Meta- und Paratexte wie Makings Ofs nicht unbedingt verringert, sondern kann diese sogar verstärken, denn die Tatsache, dass viele Zuschauer die genannten (realen) Berge für „pure CGI“

hielten, lässt sich gerade auf das von Para-/Metatexten geprägte Vorwissen um den immensen Ein-satz von CGI in diesen Filmen zurückführen.

Aber auch wenn Zuschauer tatsächlich die CGI-Landschaften als solche „entlarven“, so beruht eine Kritik daran in erster Linie auf einer in den Augen der Zuschauer mangelhaften Um-setzung der digitalen Effekte und nicht auf einem „Zuviel“ an digitalen Effekten. Gerade die Er-kennbarkeit der Digitalität wird kritisiert und nicht der „exzessive“ Einsatz von CGI. Es wird dem-nach die Qualität und weniger die Quantität der CGI kritisiert.

Trotz des „Zugeständnisses“ Peter Jacksons an die neuseeländische Nation, auch im Hobbit wieder neuseeländische locations einzusetzen, ist dennoch klar erkennbar, dass sich in seinen Filmen der CGI-Anteil immer weiter erhöht und der Anteil realer locations immer weiter abnimmt.

Ironischerweise treibt damit gerade der oft als neuseeländischer „Nationalheld“ bezeichnete Sir Peter Jackson die Entlokalisierung der neuseeländischen location entscheidend voran, was ihm be-reits mehrfach Kritik bei Zuschauern und Kritikern eingebracht hat. Jacksons Fokus hat sich somit von Filmen mit (oftmals humoristischer) Gesellschaftskritik (Bad Taste, Braindead, Heavenly Creatures) über landschaftsfokussierte Filme (Lord of the Rings-Trilogie), hin zu „technikdomi-nierten“ Filmen (Hobbit-Trilogie, King Kong) entwickelt. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Ent-wicklung hat Peter Jackson mit dem als nächstes zu analysierenden Film King Kong erreicht, einem Film, bei dem praktisch keine realen locations mehr eingesetzt worden sind und der damit der 7. Simulationsstufe zuzuordnen ist.

Im Dokument Ende des neuseeländischen Kinos? (Seite 176-180)