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Die Weimarer Nationalversammlung Ihre Vorbereitung durch die Volksbeauftragten Ihre Vorbereitung durch die Volksbeauftragten

Das 80. Jubiläum der Wiener Revolution vom Oktober 1848

III. Deutsches Reich

3. Die Weimarer Nationalversammlung Ihre Vorbereitung durch die Volksbeauftragten Ihre Vorbereitung durch die Volksbeauftragten

Nicht nur in der Publizistik, sondern auch in den internen Beratungen der Regierung der Volksbeauftragten wurde in den Revolutionsmonaten mit Berufung auf die 48er-Revolution argumentiert. Dies Betraf zwei Sitzungen der Regierung der Volksbeauftragten am 14. Januar 1919, in denen es um den Tagungsort der Nationalversammlung und die Beratung des Verfassungsentwurfs ging. Der Januaraufstand in Berlin war gerade niedergeschlagen worden, und insofern stellte sich die Frage, ob die Nationalversammlung in der Reichshauptstadt Berlin tagen solle oder an einem anderen Ort.

Staatssekretär Preuß, der Autor des Verfassungsentwurfs, argumentierte gegen die Verlegung der Nationalversammlung nach Weimar, weil die Erfahrung von 1848 dagegenspreche. Die in Frankfurt beschlossene Verfassung sei ein Stück Papier geblieben. Eine ordentlich in Berlin durchgeführte Nationalversammlung würde im In- und Ausland Eindruck machen. Sollte die neue Nationalversammlung in Weimar tagen, dann müsse die Reichsregierung sich mit aller

176 Valentin, Die erste deutsche Nationalversammlung, S. 48 f., 108, 156, 158. Die These, dass die 48er-Revolution das mangelnde revolutionäre Talent der Deutschen im Vergleich zu den andern Völkern der Kulturwelt erwiesen habe, auch in: ders., Das erste deutsche Parlament und wir (=Deutsche Revolution, Bd. 10), Leipzig 1920, S. 4; ders., Die revolutionären Bewegungen der Jahre 1848/49, S. 128.

177 Ders., Das erste deutsche Parlament und wir, S. 3.

Macht dafür einsetzen, dass nicht parallel eine preußische Nationalversammlung in Berlin tage – sonst gäbe es dasselbe Unglück wie 1848.178 Der Volksbeauftragte Landsberg berichtete, der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main habe darum gebeten, die Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt tagen zu lassen. Dagegen hatte allerdings schon am 31. Dezember der Volksbeauftragte Ebert in einer gemeinsamen Sitzung des Kabinetts und des Zentralrats der deutschen sozialistischen Republik Bedenken mit den Worten geltend gemacht:

„Es ist schwer, einen geeigneten Ort zu finden. Der Weg führt ja unter Berücksichtigung der historischen Paulskirche nach Frankfurt. In der Nähe von Frankfurt ist aber die neutrale Zone.

Man kann nicht mit der Nationalversammlung in die Nähe der gegnerischen Besetzung gehen.“179

Im weiteren Verlauf der Diskussion sprachen sich die Volksbeauftragten Scheidemann und Ebert mit Sicherheitsargumenten für Weimar aus. In diesem Zusammenhang brachten beide ihren Optimismus zum Ausdruck, dass die neue Nationalversammlung schneller arbeiten werde als die Paulskirche 1848. Scheidemann sagte dazu:

„Solche allgemeine Salbaderei wie in der Paulskirche zu Frankfurt, wo die Professoren redeten, redeten und redeten, werden wir nicht haben.“180

Preuß wandte sich gegen die Verlegung der Nationalversammlung nach Weimar aus Sicherheitserwägungen – Ebert hatte gesagt, man könne zwar die Nationalversammlung als Ganzes in Berlin schützen, aber nicht die einzelnen Abgeordneten –, indem er daran erinnerte, dass die Abgeordneten General Hans von Auerswald und Fürst Felix Lichnowsky am 18.

September 1848 bei Frankfurt am Main ermordet worden waren; solche Angriffe könne man nirgendwo verhindern.181

In der Diskussion des Entwurfs der Reichsverfassung bemängelte der Volksbeauftragte Ebert die unzureichende Hervorhebung „gewisser demokratischer Gesichtspunkte“, der Grundrechte. Aus „politischen und taktischen Gründen“ sei diese jedoch erforderlich. Gemäß

178 Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, Bd. 2, S. 224, auch: 230; zum Verhältnis der preußischen Nationalversammlung 1848 zur Paulskirche vgl. Winkler, Geschichte des Westens, S. 607; ders., Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 112 f.

179 Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, Bd. 2, S. 164 f., 225; vgl. Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben, 2. überarb.

u. um ein Nachwort erg. Aufl., Neuwied 1998, S. 134 f.; Rebentisch, Friedrich Ebert und die Paulskirche, S. 21 f. 180 Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, S. 227-229 (Zitat: 228); vgl. Blos, Die deutsche Revolution, S.

261, 286 f.

181 Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, S. 229; zur Ermordung Fürst Lichnowskys und General von Auerswalds vgl. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, S. 164-166.

der sozialistischen Theorie, die in der Verwirklichung des sozialistischen Zukunftsstaates auch die Rechte des Individuums gesichert sah, hatten die Sozialdemokraten in den zurückliegenden Jahrzehnten zwar keinen umfassenden Grundrechtskatalog ausgearbeitet, auf den sie nun hätten zurückgreifen können, aber der praxisbezogene Teil des Erfurter Parteiprogramms forderte die Sicherung einzelner Grundrechte. Dazu gehörten freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und die Gleichstellung von Mann und Frau sowie dezidierte Vorstellungen in der Religions- und Bildungsfrage.182

Zudem hatte der Rat der Volksbeauftragten gleich nach der Revolution am 9. November 1918 in seinem Aufruf an das deutsche Volk vom 12. November einen Katalog von Freiheitsrechten in Kraft gesetzt und große Schritte in der Sozialpolitik und zum Schutz der Arbeiter angekündigt – die Nichtaufnahme von Grundrechten in die Verfassung hätte im Vergleich dazu einen Rückschritt dargestellt.183

Preuß, der sich noch 1915 positiv über die Grundrechte in der Paulskirchenverfassung geäußert hatte, antwortete darauf, ohne sich ausdrücklich auf 1848 zu berufen, aber offensichtlich vor diesem Erfahrungshintergrund: „Die Grundrechte habe ich in der Verfassung nicht aufgenommen, weil man darüber allein drei Monate reden kann.“184 Dementsprechend sah sein Verfassungsentwurf vom 3. Januar auch keinen eigenen Grundrechtsteil vor und begnügte sich mit der Formulierung von Grundrechten in lediglich vier Artikeln und sah drei weitere Grundrechtsartikel vor, die aber noch nicht ausgeführt waren.

In der vorliegenden Fassung sicherten die Grundrechte lediglich die Gleichbehandlung aller Deutschen in den Einzelstaaten des Reiches mit den jeweiligen „Inländern“ (eine Regelung, die auch in der bismarckschen Reichsverfassung von 1871 enthalten war), die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Rechte nationaler Minderheiten im Reich. Vorgesehen, aber noch nicht ausgeführt waren daneben Artikel über das Schulwesen, die Bodengesetzgebung und über Arbeitervertretungen in Unternehmen. Die Formulierung

182 Vgl. Sigrid Vestring, Die Mehrheitssozialdemokratie und die Entstehung der Reichsverfassung von Weimar 1918/19 (=Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, Bd. 18), Münster 1987, S. 262; auch: Baumgart, Die verdrängte Revolution, S. 167.

183 Vgl. Ritter/Miller (Hg.), Die deutsche Revolution 1918–1919, S. 103 f.; Friedhelm Köster, Entstehungsgeschichte der Grundrechtsbestimmungen des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung in den Vorarbeiten der Reichsregierung und den Beratungen der Nationalversammlung, Göttingen 2000, S. 292.

184 Vgl. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 131; Preuß, Deutschlands republikanische Reichsverfassung, S. 351.

der Glaubens- und Gewissensfreiheit im Entwurf war teilweise nahezu wörtlich aus der Frankfurter Reichsverfassung übernommen:

„Jeder Deutsche hat die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. [...] Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung oder seine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu offenbaren.“

Der Artikel über die Rechte nationaler Minderheiten entsprach inhaltlich beinahe vollständig der Bestimmung von 1849.185

Ebert beharrte jedoch gegenüber Preuß auf seinem Standpunkt, und so wurde im überarbeiteten Regierungsentwurf vom 20. Januar der Grundrechtsteil stark ausgebaut.186 Er enthielt – in etwas merkwürdiger Reihung – Artikel über die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und das Recht, Vereine zu bilden, das Petitionsrecht, den Schutz der persönlichen Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und des Eigentums sowie das Postgeheimnis. Alle diese Artikel hatten Vorbilder in der Frankfurter Reichsverfassung.

Völlig neu waren gegenüber dieser der Satz: „Die Koalitionsfreiheit darf in keiner Weise beschränkt werden“ sowie der Artikel über eine Bodenreform. Ein weiterer gravierender Unterschied bestand darin, dass der Artikel über den Schutz des Eigentums im Entwurf im Gegensatz zur Frankfurter Reichsverfassung eine entschädigungslose Enteignung nicht ausschloss.187

Das Geschichtsbild der 48er-Revolution, wie es in der Diskussion der Regierung der Volksbeauftragten zum Ausdruck kam, hatte die folgenden zentralen Elemente: Die Paulskirche war in der Sichtweise der mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten ein Professorenparlament gewesen, in dem viel zu viel geredet worden war – genau in diesem Sinne erinnerte wie dargestellt auch der Vorwärts in den Revolutionsmonaten an die erste Nationalversammlung als Mahnung an ihre Nachfolgerin, es besser zu machen. Bei Hugo Preuß standen vor dem Hintergrund von 1848 zwei Befürchtungen im Mittelpunkt: zum einen die Furcht vor überlangen Grundrechtsberatungen, zum andern die Gefahr, die eine parallel

185 Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, S. 240, 242, 253, 255; Hugo Preuß, Das deutsche Volk und die Politik (1915), S. 481; die § 132, 133, 134, 137, 144, 148 und 188 der Frankfurter Reichsverfassung (fortan:

FRV). Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849, in: Die deutschen Verfassungen. Reproduktion der Verfassungsoriginale von 1849, 1871, 1919 sowie des Grundgesetzes von 1949, hg. u. eingl. v. Jutta Limbach/

Roman Herzog/Dieter Grimm, München 1999, S. 87-126, hier: 108, 110, 114; auch: Köster, Entstehungsge-schichte der Grundrechtsbestimmungen, S. 93.

186 Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, S. 247.

187 Artikel 21 bis 28 des Verfassungsentwurfs vom 20. Januar. Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten, Bd. 2, S. 254 f.; vgl. § 138, 140, 142 f., 159, 161 f., 164 der FRV. Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849, S. 109, 111 f.

tagende preußische Nationalversammlung für die deutsche Nationalversammlung bedeutete, zumal wenn diese obendrein nicht in Berlin tagte.188

Die Eröffnung der Nationalversammlung – im Zeichen des Anschlussgedankens

Die ersten beiden Sitzungen der Nationalversammlung in Weimar am 6. und 7. Februar standen ganz im Zeichen der Forderung nach der Vereinigung mit Deutschösterreich.189 Viele der Adressen an die Nationalversammlung, die jeweils zu Beginn der ersten Sitzungen verlesen wurden, waren Bekundungen des Anschlusswillens aus Deutschösterreich und aus Böhmen, darunter eine des Akademischen Senats der Universität Wien sowie eine der deutschböhmischen Landesversammlung.190 Gleich in der ersten Sitzung sagte Friedrich Ebert in seinem Rechenschaftsbericht der Volksbeauftragten, die bis dahin offiziell auf die Anschlusserklärung der deutschösterreichischen Nationalversammlung vom 12. November 1918 nicht reagiert hatten, über die Deutschösterreicher: „Sie gehören zu uns, und wir gehören zu ihnen. (Wiederholter Beifall.)“191

Am Tag darauf erklärte der Sozialdemokrat Eduard David als frisch gewählter Präsident der Nationalversammlung:

„Zu diesem deutschen Land und Volk gehört weiter auch der deutschösterreichische Bruderstamm. (Lebhaftes Bravo.) Die Begeisterung, mit der alle Kundgebungen auf seinen Wiederanschluss hier aufgenommen worden sind, legt Zeugnis ab, wie sehr diese Wiedervereinigung dem ganzen deutschen Volke Herzenssache ist. (Erneut lebhafter Beifall.)“192

Auch der Reichsaußenminister Graf Brockdorff-Rantzau des am 13. Februar vereidigten Kabinetts, der der DDP nahestand, bekannte sich am 14. Februar in der Nationalversammlung zur Vereinigung mit Deutschösterreich und berief sich dabei auch auf 1848:

188 Zur Problematik der Parallelität von deutscher und preußischer Nationalversammlung im Jahre 1848: Preuß, Obrigkeitsstaat und großdeutscher Gedanke (1916), S. 572; auch: ders., Der deutsche Nationalstaat (=Die Paulskirche. Eine Schriftenfolge, Bd. 11, 1924), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 441-516, hier: 451, 454.

189 Zum Folgenden siehe auch: Ludwig Richter, Die Nachwirkungen der Frankfurter Verfassungsdebatten von 1848/49 auf die Beratungen der Nationalversammlung 1919 über die Weimarer Verfassung, S. 441-466. Die Bekundungen des Willens zur Vereinigung mit Deutschösterreich in den ersten Sitzungen der Nationalversammlung schilderte auch der sozialdemokratische Reichstagspräsident Paul Löbe im Gedenkbuch der Reichsregierung zum zehnten Verfassungstag 1929. Vgl. Löbe, Österreichs Recht und die Weimarer Nationalversammlung, in: Deutsche Einheit, deutsche Freiheit, S. 197-200.

190 Vgl. Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 326, S. 7 f., 37 f.; dazu:

T. W., „Die Nationalversammlung und der Anschluss Deutschösterreichs“, in: BT, 8.2.1919, MA.

191 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 326, S. 2.

192 Ebd., S. 9.

„Aber mit unseren österreichischen Brüdern hatten wir bis zum Zusammenbruch des römischen Reichs deutscher Nation die gleiche Geschichte. Wir haben mit ihnen zusammen in der Paulskirche gesessen, und die kriegerische Auseinandersetzung, die statt der großdeutschen die kleindeutsche Idee verwirklichte, ist für die Besten unter uns immer ein Bruderkrieg gewesen.“193

Diese Bekenntnisse zur Vereinigung mit Deutschösterreich in der Anfangsphase der Weimarer Nationalversammlung gipfelten in der einstimmigen Annahme einer von allen Fraktionen des Parlaments gemeinsam eingebrachten Erklärung am 21. Februar:

„Die Nationalversammlung nimmt mit lebhafter Genugtuung von den Beschlüssen Kenntnis, mit denen die Vertreter der Stämme Deutschösterreichs ihre Zugehörigkeit zu dem deutschen Gesamtvolk bekundet haben. Sie bestätigt den deutschösterreichischen Brüdern, dass über die bisherigen staatlichen Grenzen hinweg die Deutschen des Reichs und Österreichs eine untrennbare Einheit bilden, und spricht die zuversichtliche Hoffnung aus, dass durch die von den Regierungen einzuleitenden Verhandlungen die innere Zusammengehörigkeit bald in festen staatlichen Formen einen von allen Mächten der Welt anerkannten Ausdruck finden wird.“194

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass am Anfang April 1919 tagenden zweiten Reichsrätekongress deutschösterreichische Räte als gleichberechtigte Delegierte teilnahmen.195

Aussprache über den Rechenschaftsbericht der Volksbeauftragten

In den Debatten in den ersten Sitzungen der Nationalversammlung bis Anfang März spielte die Erinnerung an 1848 auch jenseits der Anschlussforderung eine wichtige Rolle. Ebert erklärte in seinem bereits erwähnten Rechenschaftsbericht:

„In der Revolution erhob sich das deutsche Volk gegen eine veraltete, zusammenbrechende Gewaltherrschaft“.

Der 9. November 1918 habe an den 18. März 1848 angeknüpft.196

193 Ebd., S. 68 f.; vgl. Frye, Liberal Democrats, S. 43.

194 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 335, S. 45, Nr. 54; Bd. 326, S.

279.

195 Vgl. Miller, Das Ringen um ‚die einzige großdeutsche Republik‘, S. 47 f.

196 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 326, S. 1, 3.

Der Reichsinnenminister und Autor des Verfassungsentwurfs Preuß begann seine Rede bei der Beratung des Gesetzentwurfs über die vorläufige Reichsgewalt in der dritten Sitzung am 8. Februar mit einem Zitat aus der Rede Heinrich von Gagerns nach dessen Wahl zum Präsidenten der ersten deutschen Nationalversammlung.

„Wir sollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. Deutschland will eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes unter Mitwirkung aller seiner Gliederungen; diese Mitwirkung auch der Staatsregierungen zu erwirken, liegt mit in dem Beruf dieser Versammlung. Wenn über manches Zweifel besteht: über die Forderung der Einheit ist kein Zweifel; es ist die Forderung der ganzen Nation. Die Einheit will sie, die Einheit wird sie haben.“

Die Frankfurter Nationalversammlung, so Preuß, sei wesentlich am Widerstand der dynastischen Mächte in Deutschland gescheitert.197

Der Sozialdemokrat Wilhelm Keil erklärte, wie zuvor schon Ebert, am 14. Februar die deutsche Novemberrevolution knüpfe, obwohl sie einen ganz anderen Charakter habe, an die deutsche Märzrevolution von 1848 an. Sie führe durch, was 1848 vergebens versucht worden sei durchzuführen: die Demokratie. Es sei „das Unglück des deutschen Volkes“, dass es bis zum Ende des Weltkriegs auf die Verwirklichung seiner politischen Ideale habe warten müssen. England habe vor 300 Jahren die Feudalherrschaft zertrümmert, Frankreich vor 130 Jahren, dagegen habe sich das deutsche Bürgertum nach „der misslungenen Märzrevolution“

mit dem Fortbestehen der Junkerherrschaft abgefunden. Erst die Arbeiterschaft habe in Deutschland in der Novemberrevolution der Junkerherrschaft für immer ein Ende gesetzt.198

Der ebenfalls sozialdemokratische Reichsjustizminister Otto Landsberg erklärte, eine parlamentarische Monarchie sei mit Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1918 eine Unmöglichkeit gewesen – für eine solche radikale Neuorientierung sei Wilhelm mit fast 60 Jahren zu alt gewesen –, und fügte in Anspielung auf die von Friedrich Wilhelm IV. veranlasste Revision der im Dezember 1848 von ihm selbst oktroyierten preußischen Verfassung nur wenige Zeit später hinzu:

197 Ebd., S. 12; vgl. Reden für die deutsche Nation 1848/1849, Bd. 1, S. 17.

198 Ebd., S. 72 f.

„Und es hätten sich Parteien gefunden, die ihm plausibel gemacht hätten, wie jenem unglücklichen Friedrich Wilhelm IV, dass es die Pflicht der Könige sei, demokratische Verfassungen zu brechen.“199

Aussprache über den Regierungsentwurf der Reichsverfassung

Bei der Erläuterung des von der aus MSPD, Zentrum und DDP bestehenden Reichsregierung am 21. Februar vorgelegten Verfassungsentwurfs drei Tage später durch den der DDP angehörenden Preuß spielte die Erinnerung an die 48er-Revolution in zwei Zusammenhängen eine Rolle: der Flaggenfrage und der Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung. Im weiteren Verlauf der Verfassungsberatungen und darüber hinaus waren das die beiden Themen, bei denen immer wieder auch mit Berufung auf 1848/49 argumentiert wurde. Zur Rechtfertigung der Aufnahme von Schwarz-Rot-Gold als Reichsfarben in die Verfassung – zur Flaggenfrage hatte sein ursprünglicher Entwurf geschwiegen – erklärte Preuß zunächst an die Parteien der Rechten der Versammlung gewandt, dass sich die deutschkonservative und die nationalliberale Partei beide in „Volksparteien“ umbenannt hätten; auch darin liege etwas

„wie das Hissen von Schwarz-Rot-Gold“.200

Die eigentliche Begründung der Aufnahme von Schwarz-Rot-Gold blieb bei Preuß abgesehen von der Berufung auf den großdeutschen Gedanken historisch ziemlich im Ungefähren – er vermied es, die 48er-Revolution zu erwähnen. Nachdem er bemerkt hatte, dass die Historiker zum größten Teil bestritten, dass Schwarz-Rot-Gold die Farben des Alten Reiches gewesen seien, und es auch offen gelassen hatte, ob diese Farben aus der Lützowschen Freischar stammten, sagte er:

„Das Historische an ihnen ist die Fülle von Gedanken, Zielen, Bestrebungen politischer Art, die im Verlaufe des 19. Jahrhunderts sich eng verbunden haben, ich möchte sagen: mit dem Prinzip schwarz-rot-gold. (Widerspruch rechts.) Es war zugleich der Gedanke politischer Freiheit mit dem der nationalen Einigung, und zwar der großdeutschen nationalen Einigung, (sehr richtig! links) der dann auch noch lange, als über dem kleindeutschen Reiche schon die schwarz-weiß-rote Fahne wehte, in Deutschösterreich das Schwarz-Rot-Gold in Ehren hielt.“

Die Legitimation des Flaggenwechsels vor allem durch den großdeutschen Gedanken spiegelte sich auch in dem Verfassungsentwurf. Im Artikel 1 wurden unmittelbar nach der

199 Ebd., S. 227; vgl. Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 115, 132.

200 Vgl. Kurtze, Die Nachwirkungen der Paulskirche, S. 49.

Formulierung, die als Grundlage für den Anschluss Deutschösterreichs dienen sollte, die Reichsfarben bestimmt:

„Das Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der bisherigen deutschen Gliedstaaten sowie aus den Gebieten, deren Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechtes Aufnahme in das Reich begehrt, und die durch ein Reichsgesetz eingegliedert werden.

Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold.“201

Zur Aufnahme der Grundrechte in den Verfassungsentwurf bemerkte Preuß, dass dies eine Abweichung von der Reichsverfassung von 1871 darstelle, die nicht nur aus Pietät gegenüber der Paulskirchenverfassung von 1849 erfolgt sei. Bevor er aber weitere Gründe für die Aufnahme der Grundrechte nannte, relativierte er zunächst deren Bedeutung mit dem Hinweis, ein großer Teil der Grundrechte oder zumindest deren Proklamation in der Verfassung habe an praktischer Bedeutung verloren, weil sie zum großen Teil seit der Paulskirche in der Gesetzgebung, insbesondere in der Gesetzgebung der Gliedstaaten verwirklicht worden seien. Trotzdem glaube er, es sei richtig, die Grundrechte in den Entwurf aufgenommen zu haben, weil diese dadurch eine verfassungsmäßige Garantie erhielten und weil damit eine Richtlinie für die weitere Entwicklung und Gesetzgebung in den Gliedstaaten gezeichnet werde. Preuß beschloss seine Ausführungen mit einem Zitat des Freiherrn vom Stein, den er als größten „inneren Staatsmann“ der deutschen Geschichte bezeichnete.202

Der Grundrechtsteil hatte im Entwurf der Reichsregierung vom 21. Februar gegenüber der Fassung vom 20. Januar, als noch die sozialdemokratischen Volksbeauftragten regierten, Veränderungen erfahren. Enteignungen waren jetzt wie schon in der Paulskirchenverfassung nur gegen Entschädigung zulässig, wie auch der Artikel über die Bodenreform entfallen war.

Gleichfalls analog zur Verfassung von 1849 wurde bestimmt, dass der Unterricht an öffentlichen Volksschulen unentgeltlich sein sollte und dass das Unterrichtswesen unter staatlicher Aufsicht stehe. Auch die Bestimmung, dass alle Deutschen gegenüber dem Ausland den gleichen Anspruch auf den Schutz des Reiches hätten, hatte einen Vorläufer in der Frankfurter Reichsverfassung, allerdings mit dem Unterschied, dass es seinerzeit um den Schutz „in der Fremde“ ging. Eingeschränkt wurde gegenüber dem Entwurf vom 20. Januar und der Paulskirchenverfassung das Recht, seine religiöse Überzeugung nicht zu offenbaren.

Den Behörden wurde jetzt das Recht zugebilligt, danach zu fragen, insoweit davon „Rechte

201 Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 335, S. 48.

202 Ebd., Bd. 326, S. 285, 292.

und Pflichten“ abhingen – das zielte offensichtlich auf die Fortführung des Einzugs der Kirchensteuern durch die staatlichen Behörden.203

Der Parteivorsitzende des Zentrums und Abgeordnete Peter Spahn sprach sich in seiner Wortmeldung am 28. Februar dafür aus, die von Preuß ursprünglich geplante Aufspaltung Preußens im Verfassungsausschuss ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Er erinnerte daran, dass Friedrich Wilhelm IV. 1848 erklärt habe, dass er Preußen in Deutschland aufgehen lassen wolle. Mit dem Wegfall des Herrscherhauses 1918 habe sich das Zusammengehörigkeits-gefühl in Preußen deutlich gemindert. Zur Begründung seiner Position sagte Spahn:

„Es wäre ein tragisches Geschick, wenn wie 1848 nunmehr auch diese Verfassung an den Verhältnissen zwischen Preußen und dem Reich scheitern sollte.“

Spahn widersprach ausdrücklich Preuß, der die angebliche Herkunft von Schwarz-Rot-Gold

Spahn widersprach ausdrücklich Preuß, der die angebliche Herkunft von Schwarz-Rot-Gold