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Zum 80. Jubiläum der 48er-Revolution 1928 war die Tonlage des Leitartikels der Arbeiterzeitung an Schärfe gegenüber dem Bürgertum schwerlich zu überbieten – man kann ihm dem Vorwurf machen, den Bürgerkrieg herbeigeredet zu haben.156 Einen frischen Anlass zur Empörung bot das bereits erwähnte Verbot der Märzfeier der sozialistischen Studenten an der Wiener Universität durch deren Senat. In dem Leitartikel wurde zunächst der Gegensatz zwischen Arbeitern und Bürgertum in der 48er-Revolution zugespitzt herausgearbeitet. Am 13. März hätten Bürgertum und Arbeiter, das ganze Volk, gemeinsam den Kanzler Metternich gestürzt und das Verfassungsversprechen und die Pressefreiheit errungen.

Unmittelbar danach jedoch habe das reiche Bürgertum die Früchte der Revolution zu monopolisieren getrachtet. Die Pillersdorfsche Verfassung vom März behielt das Wahlrecht den wohlhabenden Bürgern vor und schloss die Arbeiter davon aus. Daraufhin hätten sich Bourgeoisie und Volk gespalten, und mit der Sturmpetition im Mai hätte die Demokratie das

155 „Zum erstenmal seit 1848“, in: AZ, 15.11.1927.

156 Freilich betrachtet Heer die Erste Republik als einen einzigen Bürgerkrieg: „Die Erste Republik Österreich wurde zwanzig Jahre alt: sie war ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg, der als kalter Krieg, mit den Waffen mörderischer Feindpropaganda, als ein heißer Krieg, mit den Waffen des Ersten Weltkriegs, welche die Soldaten aufbewahrt hatten, geführt wurde.“ Heer, Kultur und Politik in der Ersten Republik, in: Leser (Hg.), Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit, S. 300-309, hier: 301.

allgemeine Wahlrecht erzwungen. Nun hätten die Arbeiter ihre sozialen Forderungen vorgelegt: höhere Löhne und Arbeitslosenunterstützung.

„Da packt die Bourgeoisie Entsetzen: was soll ihr die Freiheit, sobald sie den Geldsack bedroht? Die Bourgeoisie sucht Schutz hinter den Bajonetten Windischgrätz’ und Jellatschitsch’.“

Im Oktober 1848 habe die Arbeiterschaft allein Wien gegen die kaiserliche Armee verteidigt – die Arbeiterzeitung zog es diesmal vor zu verschweigen, dass die Studenten im Mai und Oktober 1848 aufseiten der Arbeiter gekämpft hatten.

Über die Niederlage der 48er-Revolution tröstete sich das sozialdemokratische Zentralorgan:

„Aber die ganze Geschichte der achtzig Jahre seit 1848 ist die Geschichte der Rache der besiegten Revolution.“

Die Revolution habe den Völkern die nationale Freiheit erringen wollen. Auf den Schlachtfeldern von Magenta und Solferino 1859 und 1866 auf dem von Königgrätz habe die nationale Revolution Rache genommen. Auch im Innern habe Habsburg 1867 nachgeben müssen, und in der Verfassung von 1867 sei die Pillersdorfsche vom März 1848 wieder aufgelebt, nach der der Kaiser die Macht mit der Bourgeoisie teilen musste. Im fünfzehnjährigen Wahlrechtskampf von 1893 bis 1907 habe die Arbeiterklasse den Kampf der Sturmpetition um das allgemeine Wahlrecht erneut gekämpft.

„Siebzig Jahre nach der Niederwerfung Wiens durch die kaiserlichen Heere jagte Wien den Kaiser davon, begründete es 1918 die Republik!“

Wie 1848 habe die Arbeiterschaft nach 1918 versucht, nach der Erringung der politischen Gleichberechtigung dieser auch einen sozialen Inhalt zu geben. Wiederum habe die Bourgeoisie das zu verhindern versucht und das Land gegen die revolutionäre Hauptstadt mobilisiert.

„Freilich, sie kann heute nicht, wie im Oktober 1848, Schutz suchen im Heerlager der Kroaten Jellatschitsch’, der Dragoner Windischgrätz’. Sie hat jetzt ihre eigenen Zwerg-Jellatschitsche in ihren Schobers, ihre eigenen Windischgrätze in Miniaturformat in ihren Vaugoins!“

Die Bourgeoisie verkörpert durch Schober, den Polizeipräsidenten von Wien, der von den Sozialdemokraten für die toten Arbeiter vom 15. Juli 1927 verantwortlich gemacht wurde, und Vaugoin, den christlichsozialen Heeresminister, der das Heer, das in den ersten Jahren der Republik stark sozialdemokratisch geprägt gewesen war, in ein verlässliches Instrument der bürgerlichen Regierung umgewandelt hatte, bleibe dem Gedenken der bürgerlichen

Revolution völlig zu Recht fern, sie sei die „Erbin nur der Todfeinde der bürgerlichen Revolution“.

Den Kampf um die Erweiterung der politischen Demokratie zur sozialen verglich der Leitartikel daher konsequenterweise mit dem Oktoberkampf 1848:

„Jetzt aber führen wir, in andern Formen freilich und mit andern Mitteln, auf anderm Boden und gegen einen andern Gegner den Kampf vom Oktober 1848 wieder – den Kampf darum, dass sich nicht an die Stelle des gestürzten Thrones die Klubfauteuils der Generaldirektoren, nicht an die Stelle des zersetzten Krönungsmantels die Fracks der Kapitalisten setzen!“

Daher sei das Vermächtnis der „Proletarier von 1848“ noch nicht ganz erfüllt, deshalb werde die Arbeiterjugend auch heute wieder am Märztag zum Obelisken marschieren und dabei „mit Grimm im Herzen“ der ganz in der Nähe liegenden „Juligefallenen“ gedenken.157

Die These, die zeitgenössische Bourgeoisie sei die Erbin der „Todfeinde der bürgerlichen Revolution“ von 1848 trug die Arbeiterzeitung in derselben Ausgabe auch noch in der Form der Satire vor. Unter „Tagesneuigkeiten. Märzrevolution“ fand sich ein fiktiver Dialog zwischen Metternich und verschiedenen Mitarbeitern in den Märztagen 1848 mit zahlreichen offen auf die Verhältnisse der Ersten Republik anspielenden Aktualisierungen. Zum Schluss tritt Metternich zurück, überzeugt es wäre möglich, „den Aufruhr in einem Blutbad zu ersticken. Aber ich habe keine Prälatennerven“. Unter dem Eindruck der Juliereignisse des vorangegangenen Jahres kam die Arbeiterzeitung in satirischer Zuspitzung also zu dem Ergebnis, der nervenstarke Prälat Seipel sei schlimmer als Staatskanzler Metternich.158

Diesen scharfen Attacken auf die Bourgeoisie entsprach es, dass Schutzbund und Arbeiterzeitung jeweils in einem langen Artikel einmal genauer auf die soziale Lage der Arbeiter und ihre Rolle in der Revolution 1848 eingingen.159 Der ehemalige Offizier und das Mitglied der Zentralleitung des Schutzbundes Theodor Körner und der Zeitungsredakteur schilderten die verzweifelte soziale Lage der „zum Teil verlumpten und verwilderten

157 „Achtzig Jahre nach der Revolution“, in: AZ, 11.3.1928.

158 „Tagesneuigkeiten. Märzrevolution“, in: ebd. Valentin hat über Metternich geschrieben: „Seit Napoleon I. ist kein Mensch in Deutschland so gehasst worden wie Fürst Metternich.“ Tatsächlich war Metternich am 13. März 1848 für die gewaltsame Niederschlagung der Volkserhebung eingetreten. Vgl. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1: Bis zum Zusammentritt des Frankfurter Parlaments (1930), Nd., Weinheim/Berlin 1998, S. 398 (Zitat), 404, 408.

159 Dazu vgl. Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung; ders., Revolution 1848 und die Anfänge der österreichischen Arbeiterbewegung, S. 7-22.

Arbeiter“ in den Vororten jenseits der Linie, die entlang des heutigen Gürtels verlief – den Vororten, die damals rechtlich noch nicht zur Stadt gehörten.160

Körner äußerte angesichts dieser Verhältnisse Verständnis für die Ausschreitungen dort in den Märztagen:

„Gewiss sind Greueltaten, Brandlegungen und alle möglichen Ausschreitungen vorgekommen, aber im großen und ganzen waren diese nur vollkommen begreifliche und verständliche Entgleisungen von Menschen, die tagelang nichts gegessen hatten, die man als lästige Bettler wegjagte, wenn sie an die Güte und Menschlichkeit der Adeligen, Geistlichen oder Bürger appellierten, die man einsperrte, wenn sie sich aus Verzweiflung an der ‚Heiligkeit des Eigentums‘ vergriffen.“161

Zumal diese Arbeiter völlig rechtlos waren: Nicht nur Arbeiterassoziationen waren verboten, sondern auch Massendeputationen galten als Aufruhr, der mit der Schusswaffe zu unterbinden war.

Die „wildesten Kämpfe“, so schilderten es beide Artikel, fanden am 13. März nicht in der Inneren Stadt, sondern in den Vororten statt, wo die Linienämter, die für die Kassierung der Verzehrsteuer, der auf in die Stadt mitgebrachte Lebensmittel erhobenen Steuer, zuständig waren, gestürmt und dabei auch Finanzbeamte getötet wurden. In der Nacht folgte ein Maschinensturm, Fabriken wurden angezündet: „Von allen Seiten konnte man in Wien Flammenschein sehen, Brandgeruch lag über der Stadt.“ Zunächst hätten die Herrschenden gehofft, durch eine Konfrontation zwischen Bürgern und Arbeitern die Revolution abbiegen zu können, aber der Brand der Fabriken habe zu einem Meinungsumschwung in der Stadt und zur Entlassung von Metternich sowie der Aufhebung der Zensur geführt.

Gleichzeitig aber wurden die Bürger und Studenten in neu gegründeten Garden bewaffnet, die in die Vororte geschickt wurden, um die Aufstände niederzuwerfen:

„Der größte Teil der Märzgefallenen fiel nicht im Kampfe gegen die Truppen Metternichs, sondern vor den Linien im Kampfe gegen Bürger- und Nationalgarden.“

Während in den Vororten die Garden gegen den Aufstand der Arbeiter kämpften, blieben in der Inneren Stadt Arbeiter und Studenten Kampfgenossen; gemeinsam bereiteten sie den Sturm der Hofburg vor und zwangen den Kaiser so zum Verfassungsversprechen.162

160 Theodor Körner, Die Arbeiter im März 1848, in: Der Schutzbund, 5 (1928), Nr. 3, S. 36-38, hier: 36.

161 Ebd., S. 36.

162 „Um den Linienwall herum. Die Arbeiter in den Märztagen“, in: AZ, 11.3.1928.

Während es die Arbeiterzeitung in ihrem Artikel über die Arbeiter 1848 bei der historischen Betrachtung beließ, äußerte sich Körner zur Strategiefrage der Gegenwart. In der 48er-Revolution habe die Arbeiterschaft gelernt, dass niemand ihr helfe und dass sie sich selbst helfen müsse, und später dann den „Klassenkampf organisiert“. Heute seien, wie schon der späte Engels geurteilt habe, Barrikadenkämpfe ein veraltetes Kampfmittel:

„Wir, ‚die Revolutionäre‘, die ‚Umstürzler‘ gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei dem ungesetzlichen und dem Umsturz. Die Ordnungsparteien, wie sie sich nennen, gehen zugrunde an den von ihnen selbst geschaffenen Zuständen. Und wenn wir nicht so wahnsinnig sind, ihnen zu Gefallen uns in den Straßenkampf treiben zu lassen, dann bleibt ihnen zuletzt nichts anderes übrig, als selbst diese ihnen fatale Gesetzlichkeit zu durchbrechen.“

Genau aus diesem Grund gebe es aber den Schutzbund; seine Aufgabe sei es, der Bourgeoisie den gewaltsamen Ausweg zu versperren und die Republik zu bewahren.

„Denn wir glauben an Engels’ Prophezeiung von 1884: ‚Und doch bleibt die demokratische Republik immer die letzte Form der Bourgeoisherrschaft: die, in der sie kaputt geht.‘“163

Weil 1928 wie schon 1926 an der Wiener Universität die Märzfeier verboten worden war, verzweifelten die sozialdemokratischen Publikationen erneut an dem Verhalten der Hochschule und der Studenten gegenüber der Märztradition. Die Arbeiterzeitung druckte anonym die Zuschrift eines „hochangesehenen“ Wiener Gelehrten ab. In dieser wurde daran erinnert, dass bis in die 1880er-Jahre die Wiener Universität den Idealen von 1848 treu geblieben sei. Besonders der „Leseverein der deutschen Studenten“, aus dem hervorragende Männer wie Victor Adler, Heinrich Friedjung und Pernerstorfer hervorgegangen seien, habe deutschnationale und demokratische Gesinnung miteinander verbunden.

Die Studenten und Professoren der Universität hätten dem aus dem Exil in Amerika zurückgekehrten Theologen Anton Füster, dem „Feldkaplan“ der Akademischen Legion von 1848, mit finanzieller Unterstützung das Überleben ermöglicht. Das Begräbnis Füsters sei eine bewegende gemeinsame Kundgebung akademischer, bürgerlicher und proletarischer Kreise gewesen – teilgenommen hatten auch Victor Adler, Engelbert Pernerstorfer und Georg Ritter von Schönerer. Sofort nach seinem Tod habe die Studentenschaft die Errichtung eines

163 Körner, Arbeiter, S. 38. Körner lag mit diesen Ausführungen ganz auf der Linie der Ausführungen Otto Bauers auf dem Linzer Programmparteitag 1926. Bauer hatte insbesondere die Arbeiterjugend auf dem Parteitag vor Revolutionsromantik gewarnt und Gewalteinsatz nur als Verteidigungsmittel für den Fall gebilligt, dass die Rechte die Demokratie zerstören sollte. Für diesen Fall drohte das Linzer Programm dann allerdings mit dem Einsatz der „Mittel der Diktatur“ durch die Arbeiterklasse als Antwort. Vgl. Protokoll des sozialdemokratischen Parteitages 1926, S. 267 f.; vgl. auch Parteitag 1927, S. 168 f.; Das „Linzer Programm“, in: Klaus Berchtold (Hg.), Österreichische Parteiprogramme 1868–1966, München 1967, 247-264, hier: 253.

Grabdenkmals für Füster beschlossen, und bei dessen Einweihung habe sich erneut die Gesellschaft eingefunden, die schon zum Begräbnis gekommen war.164

Im Schutzbund widmeten sich 1928 zwei Artikel den Studenten und der Akademischen Legion. Beide Beiträge hoben die Rolle der Studenten in der 48er-Revolution hervor: die 2 000 Studenten, die am 13. März, nachdem Lajos Kossuths Rede an der Universität in deutscher Übersetzung verbreitet worden war, in die Herrengasse zogen, und ihr Kampf auf den Barrikaden im Oktober an der Seite der Arbeiter, der Windischgrätz dazu veranlasste, die Stellung von zwölf Geiseln der Akademischen Legion zu fordern. Damals seien die Studenten für die deutsche Republik als Vorbedingung der „Verwirklichung großdeutscher Ideale“

eingetreten, damals habe eine Einheitsfront zwischen Studenten und Arbeitern unter der schwarz-rot-goldenen Fahne bestanden. Aus dieser Zeit hätten sich in der Studentenschaft der Gegenwart nur noch äußere Formen erhalten.

Der Artikel über die Akademische Legion machte darüber hinaus Werbung für diese. An der Wiener Universität seien sozialistische Studenten, die den Märzfeiertag begehen wollten, mit

„Eisenstangen und Gummiknütteln“ angegriffen worden – vermutlich spielte der Artikel auf den Vorfall im Jahr 1921 an. Aber trotzdem sei die Arbeiterschaft auch in die Universität vorgedrungen; Hunderte Arbeiterkinder studierten dort, und Hunderte Studenten und Studentinnen hätten zu ihnen gefunden (nach einem Bericht der Arbeiterzeitung waren zehn Prozent der Studenten an der Wiener Universität sozialdemokratisch organisiert).165 Deshalb gebe es heute die Akademische Legion als eine Abteilung des Schutzbundes an der Universität; wie die 48er-Tradition heute Tradition der Arbeiter sei, so sei die Legion zu einer Wehrorganisation der Arbeiter geworden.

Die Legion habe zwei Aufgaben: zum einen den Schutz der Republik, zum andern die Ermöglichung der Agitation für den Sozialismus an der Universität, an der sie mitten im

„roten Wien“ gegen eine Übermacht kämpfe. Das Bildungsprivileg der herrschenden Klassen habe die Universität zu einer Bastion der Reaktion gemacht. Die Universitätsbehörden gingen mit Schikanen und Ausschließungen gegen Funktionäre der sozialistischen Studenten vor, die es wagten, gegen Ungleichbehandlungen zu protestieren. Weil nur die Legion die

164 „Die Märzgefallene Universität“, in: AZ, 14.3.1928; vgl. Häuser, ‚Noch sind nicht alle Märzen vorbei ...‘, S.

99 f.

165 „Die sozialistische Studentenbewegung wächst“, in: AZ, 14.3.1928.

Arbeiterstudenten an der Universität vor Übergriffen schützen könne, müssten alle sozialistischen Studenten auch der Legion beitreten.166

Die Märzfeiern der Sozialdemokraten nahmen 1928 in Wien großen Umfang an; in den Wiener Bezirken fanden „künstlerische Märzfeiern“ statt, zumeist mit einer Rede, Rezitationen und Chorgesang, und als Redner traten zahlreiche prominente Parteiführer auf:

Otto Bauer, Karl Seitz und Otto Glöckel sowie Julius Deutsch, Karl Leuthner und Wilhelm Ellenbogen.167 Unter der Überschrift „Die Arbeiterjugend ehrt die Märzgefallenen“ berichtete die Arbeiterzeitung ausführlich auf der Titelseite über die Märzfeier auf dem Zentralfriedhof – wie im Jubiläumsjahr 1923 wurde die Jugend auch diesmal ganz besonders in den Vordergrund gestellt.

Während die andern Teilnehmer an der Märzfeier sich direkt am Obelisken versammelten, zogen die Jugendlichen, mehrere Tausend an der Zahl, geschlossen vom Haupttor des Friedhofes dorthin, mehr als zweitausend Schutzbündler, die den Ordnerdienst versahen, standen dabei in militärischer Haltung Spalier. Der Zug wurde angeführt von einer Fahnenkompanie des Schutzbundes, es folgte die rote Fahne der Akademischen Legion, dann hundert Legionäre in Viererreihen, die Wehrturner und die Jungordner der Bezirksorganisationen und schließlich die Jugendlichen. Viele Kränze mit roten Blumen und roten Schleifen lagen auf dem Sockel des Obelisken: vom Parteivorstand, der Gewerkschaftskommission und der Organisation Wien, dem Republikanischen Schutzbund und der Wiener tschechischen sozialdemokratischen Organisation sowie der sozialistischen Arbeiterjugend und den sozialistischen Studenten. Auch die deutschdemokratischen Studenten hatten einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife niedergelegt und bestätigten damit für die Arbeiterzeitung nur als Ausnahme die Regel, dass das Bürgertum der 48er-Tradition untreu geworden sei. 168

166 Die Studenten im Jahre 1848 und heute, in: Der Schutzbund, 5 (1928), Nr. 3, S. 44 f.; P. M., Die Akademische Legion, in: Der Schutzbund, 5 (1928), Nr. 10, S. 156 f. Zudem druckte die Zeitschrift Ludwig August Frankls berühmtes Gedicht „Die Universität“ aus dem Revolutionsjahr ab: „Die Universität“, in: ebd., Nr. 3, S. 45.

167 Zum Programm der Märzfeiern siehe: „Die künstlerischen Märzfeiern in den Bezirken“, in: AZ, 11.3.1928.

Nach einer bei Weidenholzer abgedruckten Statistik über die inhaltliche Verteilung von in Wien von den Sozialdemokraten organisierten Einzelvorträgen erreichte das Sachgebiet „Geschichte“ im Zeitraum 1922 bis 1933 in den Jubiläumsjahren der 48er-Revolution 1928 und 1923 den höchsten (11,1 %) und dritthöchsten (8,5 %) Anteil. Vgl. Weidenholzer, Auf dem Weg zum ‚Neuen Menschen‘, S. 109, 113.

168 „Die Arbeiterjugend ehrt die Märzgefallenen“, in: AZ, 12.3.1928. Ludwig Brügel erzählte im Jubiläumsjahr in der Arbeiterzeitung von der Entstehungsgeschichte des Obelisken und seiner Inschrift. Brügels Schilderung enthielt allerdings gravierende historische Fehler. Ludwig Brügel, „Das Grab der Märzgefallenen. Ein Kampf

Parallel zur Märzfeier auf dem Zentralfriedhof wurden in der Inneren Stadt drei von der Gemeinde Wien gestiftete Gedenktafeln für die 48er-Revolution enthüllt. Anwesend waren viele Gemeinderäte, alle sozialdemokratischen Mitglieder der Bezirksvertretung Innere Stadt, Abteilungen der Gemeindewache und viele Zuschauer. Die erste Tafel war am Mamorhaus am Michaelerplatz gegenüber von der Einfahrt zur Hofburg angebracht worden und erinnerte an den Oberfeuerwerker Johann Pollet, der sich am 13. März 1848 geweigert hatte, mit Kanonen auf Demonstranten vor der Hofburg zu schießen, und sich selbst vor eine feuerbereite Kanone gestellt hatte.169 Eine zweite Gedenktafel wurde an der Feuerwehrzentrale enthüllt, dem ehemaligen Bürgerlichen Zeughaus, das am 13. März 1848 von Arbeitern gestürmt worden war und wo die Nationalgarde dann ihr Hauptquartier gehabt hatte, und die dritte am alten Rathaus, wo 1848 im Mai der vom Volk gewählte Sicherheitsausschuss zusammengetreten war.170

Am Abend dieses Tages hielt die sozialistische Arbeiterjugend im großen Sophiensaal eine Märzfeier ab, auf der Julius Deutsch die Gedenkrede hielt und zwei Sprechchorwerke, beide Requiems, zur Aufführung gebracht wurden.171 Eine Woche später folgte die Märzfeier der Roten Falken in Ottakring. Zweitausend Jungen und Mädchen wurde mit Untermalung durch Musik und Lichtbilder von historischen Stichen von den Märztagen erzählt, anschließend noch ein russischer mit „Freiheitsideologie durchtränkter“ Abenteuerfilm, gezeigt.172 Auch der Republikanische Schutzbund veranstaltete eine eigene Märzfeier im Sophiensaal, auf der die „Sozialistische Veranstaltungsgruppe“ mit einem Spiel „1848–1928. Achtzig Jahre Märzrevolution“ auftrat. Das Spiel warf dem Bürgertum einmal mehr Abfall von der 48er-Tradition vor. Die Darstellung der Ereignisse 1848 zeigte die Paulskirche als ein permanent Resolutionen beschließendes Gremium ohne Einfluss auf und Verbindung zu den eigentlichen Ereignissen des Revolutionsjahres.173

um die Inschrift“, in: AZ, 18.3.1928; vgl. Häusler, Die Wiener ‚Märzgefallenen‘ und ihr Denkmal, S. 261-264, 266; ders., ‚Noch sind nicht alle Märzen vorbei ...‘, S. 94-99.

169 Das Gedenken an den Feuerwerker Pollet hatte die Züge einer Legende, weil er am 13. März 1848 nicht aus besonderer Bürgerfreundlichkeit das Abfeuern der Kanonen unterbunden hatte, sondern weil der Erzherzog Maximilian d’Este, der das Abfeuern der Kanonen gefordert hatte, nicht befehlsbefugt war. Pollet hat später als Artillerist gegen die Revolution in Prag und Ungarn gekämpft. Vgl. Häusler, ‚Was kommt heran mit kühnem Gange?‘, S. 48.

170 „Die Enthüllung der Gedenktafeln“, in: AZ, 12.3.1928; vgl. Höbelt, 1848, S. 59. Auch der reichsdeutsche Vorwärts hat mit einigen Tagen Verspätung die Enthüllung der Gedenktafeln in Wien gemeldet. Das stellt im Untersuchungszeitraum eine Ausnahme dar. Ansonsten wurde das Revolutionsgedenken in Wien und Berlin kaum wechselseitig wahrgenommen. „März-Gedenktafeln in Wien. Am Revolutionstag enthüllt“, in: Vorwärts, 21.3.1928, MA; dagegen schon am 13. März: „Märzfeier in Wien“, in: Leipziger Volkszeitung, 13.3.1928.

171 „Die künstlerische Märzfeier der Arbeiterjugend“, in: AZ, 12.3.1928.

172 M. P., „Noch sind nicht alle Märzen vorbei! Wie die Roten Falken 1848 feiern“, in: AZ, 20.3.1928.

173 „1848–1928. Die Märzfeier des Republikanischen Schutzbundes“, in: AZ, 15.3.1928; „Die Märzfeier des Republikanischen Schutzbundes“, in: AZ, 16.3.1928.

Im Jubiläumsjahr 1928 berichtete die Arbeiterzeitung ausnahmsweise auch einmal von Märzfeiern der Sozialdemokratie außerhalb Wiens: Erwähnt wurden drei Märzfeiern, allesamt in Niederösterreich, in Wiener-Neustadt, in St. Pölten und die, wie es hieß, „alljährliche“ in Pottendorf. Sowohl in Wiener-Neustadt als auch in Pottendorf wurde im Rahmen der Feier das Grab eines 1848 gefallenen Studenten aufgesucht.174

Die Arbeiterzeitung brachte in der Ersten Republik nur sporadisch eine Kurzmeldung über die Märzfeiern in Berlin und abgesehen von den Artikeln aus Anlass der Paulskirchenfeier 1923 auch nie historische Artikel über das Revolutionsgeschehen 1848 in den Gebieten des späteren Deutschen Reiches.175 Mit wenigen Ausnahmen galt dies auch für den Schutzbund.176 Dagegen nahm die österreichische Sozialdemokratie in den Jahren 1927 und 1928 etwas ausführlicher Notiz von dem Umgang mit der 48er-Tradition in Ungarn.177 Sie empörte sich

Die Arbeiterzeitung brachte in der Ersten Republik nur sporadisch eine Kurzmeldung über die Märzfeiern in Berlin und abgesehen von den Artikeln aus Anlass der Paulskirchenfeier 1923 auch nie historische Artikel über das Revolutionsgeschehen 1848 in den Gebieten des späteren Deutschen Reiches.175 Mit wenigen Ausnahmen galt dies auch für den Schutzbund.176 Dagegen nahm die österreichische Sozialdemokratie in den Jahren 1927 und 1928 etwas ausführlicher Notiz von dem Umgang mit der 48er-Tradition in Ungarn.177 Sie empörte sich