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Die Christlichsozialen und die 48er-Revolution

Das 80. Jubiläum der Wiener Revolution vom Oktober 1848

6. Die Christlichsozialen und die 48er-Revolution

Die Christlichsozialen, die die Partei des politischen Katholizismus waren, der Habsburgermonarchie bald nach Gründung der Republik überwiegend nachtrauerten und deren rechter Flügel die Restauration der Habsburger anstrebte, hatten zur 48er-Tradition ein negatives bis sehr negatives Verhältnis.215 Selbstredend hatte ihr Kalender völlig andere Festtage als den Gedenktag der Märzrevolution, wie die Feier der Gegenreformation, Fronleichnam, und sie begingen seit 1919 den Staatsfeiertag am 12. November, den Tag der Ausrufung der Republik und der Erklärung des Anschlusses an das Deutsche Reich, mit einer Wallfahrt der Wiener Männer nach Klosterneuburg an das Grab des Babenbergers Leopold III., des Heiligen. Wegen ihrer ablehnenden Haltung bezogen sie nur in den Jubiläumsjahren 1923 und 1928 Stellung zur 48er-Tradition.216

Das Märzgedenken 1923 beging die Reichspost mit einer extrem antisemitischen Geschichte von Karl Baumgarten – vor dem historischen Hintergrund, dass Juden in der Revolution 1848 in Wien tatsächlich eine sehr wichtige Rolle gespielt hatten und das Revolutionsjahr dort zugleich auch das Geburtsjahr eines, wie Häusler schreibt, „in seiner Aggressivität und Bösartigkeit bestürzenden Antisemitismus wurde“.217 Bei dem Geschichtsbild, das die Reichspost von der Wiener 48er-Revolution zeichnete, dürfte – auch wenn es nicht ausgesprochen wurde – eine Rolle gespielt haben, dass diese ausgesprochen antiklerikale

bürgerlich-demokratischen Partei an: „Gedenkfeier der bürgerlich-demokratischen Partei für die Märzgefallenen“, in: NFP, 11.3.1928, MB.

215 Zur Rolle der Katholiken im Revolutionsjahr 1848 in Wien siehe Otto Weiss, Die Wiener Katholiken im Revolutionsjahr 1848, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte, 19 (2000), S. 107-142.

216 Vgl. Hanisch, Das Fest in einer fragmentierten Kultur, S. 50 f.; Heer, der Kampf um die Österreichische Identität, S. 90.

217 Ulrich Weinzierl schreibt über den Antisemitismus der Reichspost: „Wie sehr der Antisemitismus christlichsoziale Politik und Politiker bestimmte, ist inzwischen bekannt. Was aber an Intoleranz und krudem Rassismus in der Reichspost, auch und gerade in ihrem ‚schöngeistigen‘ Teil gepredigt wurde, vermag immer noch zu überraschen.“ Und Heer hat dem Chefredakteur der Reichspost, Friedrich Funder, im Rückblick nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt, seine Zeitung habe geschrieben wie Julius Streichers Stürmer. Ulrich Weinzierl, Die Kultur der ‚Reichspost‘, in: Franz Kadrnoska (Hg.), Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938, Wien/Zürich/München 1981, S. 325-344, hier: 331; Heer, Kultur und Politik in der Ersten Republik, S. 305, 307. Zur Rolle von Juden in der 48er-Revolution in Wien und dem Antisemitismus im Revolutionsjahr siehe: Wolfgang Häusler, Konfessionelle Probleme in der Wiener Revolution 1848, in: Das Judentum im Revolutionsjahr 1848 (=Studia Judaica Austriaca, Bd. 1), Wien/München 1974, S. 64-77, hier: 64 (Zitat), 68-73; ders., Toleranz, Emanzipation und Antisemitismus. Das österreichische Judentum des bürgerlichen Zeitalters (1782–1918), in: Anna Drabek u.a., Das österreichische Judentum. Voraussetzungen und Geschichte, Wien 1974, S. 83-140, hier: 97-103; Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 17 f., 557; Herlinde Aichner, Die Revolution von 1848 und die Frage der jüdischen Nationalität. L. A. Frankl und M.

Rappaport, in: Lengauer/Kucher (Hg.), Bewegung im Reich der Immobilität, S. 333-361, hier: 333-338; John Bunzl/Bernd Martin, Antisemitismus in Österreich. Sozialhistorische und soziologische Studien (=Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 3), Innsbruck 1983, S.

25; Albert Lichtblau, Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn – Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart, in: Eveline Brugger u.a., Geschichte der Juden in Österreich, Wien 2006, S. 447-566, hier: 449-455.

Züge gehabt hatte, die sich insbesondere in der Vertreibung des Liguorianerordens gezeigt hatten.218 Schon 1898 hatte Karl Lueger, die prägende Führungsfigur der Christlichsozialen und langjähriger Bürgermeister von Wien, in der Gemeinderatsdebatte über die Frage, ob eine Märzfeier zu veranstalten sei, Folgendes gesagt: Für die Märzfeier seien

„‘die alten Liberalen, die wir die Judenliberalen nennen. Sie wünschen eine Feier, ich begreife das. Was ihnen genützt, hat dem Volke geschadet‘, weiters die Deutschnationalen und die Demokraten; daran erinnert, dass auch er, Lueger, ein Demokrat gewesen sei, antwortet Lueger: ‚Ja, aber kein Jud.‘“219

In der kleinen Erzählung von Baumgarten 1923 waren die Protagonisten Franz Grillparzer und Eduard Bauernfeld, Ersterer wichtigster österreichischer Dramatiker des 19. Jahrhunderts und Gegner der Revolution, der bekanntermaßen für Graf Radetzky fieberte, als dieser auszog, die Revolution in Oberitalien niederzuschlagen, Letzterer nach Johann Nestroy der wichtigste Lustspieldichter der Zeit und zunächst – ohne dass die Reaktion ihn belangt hätte – Unterstützer der Revolution, daneben ein junger neunzehnjähriger Jude, Salomon Burian, geboren in Jaroslau in Galizien.220 Baumgarten hatte für die Erzählung offenbar die jeweils in recht kurzen Texten niedergelegten Erinnerungen Grillparzers und Bauernfelds an die 48er-Revolution herangezogen, ohne dass er aber seiner Phantasie durch die Quellen irgendwelche Grenzen auferlegt hätte.221

Auch Burian war eine historische Figur: Er hatte in einer Rede am 13. März 1848 vor der Staatskanzlei am Ballhausplatz den Rücktritt von Metternich gefordert. In den Standardwerken aus dem 19. Jahrhundert über die Wiener 48er-Revolution wurde Burian durchweg nicht als Jude bezeichnet, sondern ohne Vornamensnennung als der „Jurist Burian“

oder der „Student Burian“; laut Heinrich Reschauer sahen die Zeitgenossen in ihm einen

„schönen, blonden jungen Mann“.222 Dagegen schreibt der führende zeitgenössische Forscher

218 Vgl. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 557.

219 Lengauer, Exil, Verdrängung, Verblassen, S. 284; zum Antisemitismus der Christlichsozialen: Anton Staudinger, Christlichsoziale Judenpolitik in der Gründungsphase der österreichischen Republik, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte, 1978, hg. v. d. Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, S. 11-48; Häusler, Toleranz, Emanzipation und Antisemitismus, S. 116-119.

220 Zu Bauernfeld siehe: Häusler, Freiheit im Krähwinkel?, S. 101-103; Höbelt, 1848, S. 65.

221 Grillparzer, Meine Erinnerungen aus dem Revoluzionsjahr 1848 (September/Oktober 1850), in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 16: Prosaschriften IV, S. 38-55; Bauernfeld, der Abschnitt „Die Märztage“ in dem Buch

„Aus Alt- und Neu-Wien“ (1873), in: ders., Bauernfelds Ausgewählte Werke in vier Bänden. Mit einer biographisch-kritischen Einleitung hg. v. Emil Horner, Bd. 4, Leipzig o. J., S. 171-192.

222 Heinrich Reschauer/Moritz Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 1, v. Heinrich Reschauer, Wien 1876, S. 225, 232-234; Joseph Alexander von Helfert, Geschichte der österreichischen Revolution im Zusammenhange mit der mitteleuropäischen Bewegung der Jahre 1848–1849, Bd. 1: Bis zur

zur Wiener 48er-Revolution, Wolfgang Häusler, vom „polnischen Studenten Burian“ und legt an abgelegener Stelle über die Nennung der Vornamen Burians eine jüdische Herkunft nahe.223

Während Burian in den Märzerinnerungen Bauernfelds gar nicht vorkommt, wurde er von Grillparzer in dessen Erinnerungen aus dem Revolutionsjahr erwähnt und eine mögliche jüdische Identität doch recht deutlich nahegelegt:

„Der junge Mensch begann seine Rede, von der ich mühsam den Eingang verstand: Ich heiße N. N. Burian, aus ** in Galizien geboren, 19 Jahre alt“.

Allerdings zeichnete Grillparzer Burian nicht, wie Baumgarten das 1923 tat, als hochgefährlichen Sozialrevolutionär, sondern sprach im Hinblick auf ihn und die ihn umgebende Menge, die im Angesicht bewaffneter Soldaten demonstrierten, von

„heldenmütigen Kindern“ und charakterisierte das Geschehen in Wien am 13. März als

„Gassenbüberei“, die erst durch den Schusswaffeneinsatz des Militärs gegen das Volk zur Revolution wurde.224

Die Geschichte Baumgartens, die hingegen suggerierte, die Wiener 48er-Revolution wäre ein deutsches Idyll, wären da nicht Juden wie Burian gewesen, hatte einen mehrfachen aktuellen Bezug: zunächst die starke ostjüdische Einwanderung aus Galizien im und nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien und die Tatsache, dass – so zumindest Otto Bauer – unter den Inflationsgewinnern viele Juden waren, dann die prominente Rolle, die Juden in den Revolutionen seit 1917 in Russland, Berlin und München sowie Ungarn gespielt hatten, und die höchst prominente Rolle, die sie in der österreichischen Sozialdemokratie spielten.225

österreichischen Verfassung vom 25. April 1848, Freiburg i. Br./Wien 1909, S. 245; Ernst Violand, Die soziale Geschichte der Revolution in Österreich 1848, hg. v. Wolfgang Häusler, Wien 1984, S. 90 f.

223 Vgl. Häusler, ‚Was kommt heran mit kühnem Gange?‘, S. 45. In den Fußnoten zur von ihm neu herausgegebenen Revolutionsgeschichte Violands schreibt Häusler: „Der 1823 in Suczawa geborene Jusstudent Julius Joseph Elias Burian musste als politisch Belasteter aus Österreich emigrieren.“ Violand, Die soziale Geschichte der Revolution, S. 188, FN 47; auch Heinrich Ritter von Srbik spricht in seiner 1925 erschienenen Metternich-Biografie vom polnischen Studenten Burian. Vgl. Srbik, Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bd. 2, München 1925, S. 277, auch: 292.

224 Mit ähnlicher Tendenz, wenn auch nicht so radikal wie die Reichspost, 1923 hatte bereits im Dezember 1918 in zwei Vorträgen über die Wiener Revolution von 1848 der Historiker Ritter von Srbik vor Studenten in Graz in ansonsten ausgewogenen Ausführungen die Rolle einiger Juden in der Revolution geschildert. Vgl. Srbik, Die Wiener Revolution des Jahres 1848 in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 43 (1919), S. 19-58, hier: 54 f.

225 Zur östjüdischen Einwanderung: Bunzl/Martin, Antisemitismus in Österreich, S. 41; zu den

„Inflationsgewinnlern“: Bauer, Die österreichische Revolution, S. 758. Die Aufzählung der führenden Sozialdemokraten jüdischer Abstammung bei Kaufmann: der Parteigründer und Übervater Victor Adler, sein faktischer Nachfolger in der Ersten Republik, Otto Bauer, der Theoretiker des marxistischen Zentrums, Karl Kautsky, Friedrich Adler, der durch die Erschießung des Ministerpräsidenten Stürgkh eine ungeheure Popularität in der Arbeiterschaft erwarb, der Chefredakteur der Arbeiterzeitung, Friedrich Austerlitz, der Vorsitzende des Republikanischen Schutzbundes, Julius Deutsch, der Wiener Finanzstadtrat Hugo Breitner, der parteilinke

In der christlichsozialen Zeitschrift Volkswohl hatte Seipel sich schon im Januar 1919 während des Wahlkampfes zur Nationalversammlung zur „Judenfrage“ geäußert. Er würde die Gefahr, „wirtschaftlich, kulturell und politisch von Juden beherrscht zu werden, [...] nicht so drohend“ sehen, „wenn nicht die große Partei der Sozialdemokratie bedingungslos jüdischer Führung folgte“. Die besondere Gefahr der „jüdischen“ Führung der Sozialdemokratie bestand für Seipel darin, „dass sich wie übrigens seit jeher gerade die Juden allem Umsturz geneigt“ gezeigt hätten; er betrachtete folglich die „bolschewistische Gefahr“

als eine „jüdische Gefahr“.226

Nach der Erzählung in der Reichspost hatten die Ereignisse im März 1848 in Wien, soweit sie nicht von Juden beeinflusst waren, kaum revolutionären Charakter.227 Der Archivdirektor Grillparzer zog am 13. März in die Herrengasse um herausfinden, was denn an der

„Geschichte“ dran sei, und fand eine Menge vor, „die von Zeit zu Zeit einen gedämpften Ausruf hören ließ“. Nach der Verfassunggebung habe ein „frohes und treues Volk“ den Kaiser „umjauchzt“. Die Ruhe wurde nur durch den Juden Burian gestört, der überall plötzlich auftauchte, ebenso schnell wieder verschwand und den Arbeitern und „jugendlichen Strolchen“ Reden hielt, in denen es um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ging, um Güterteilung, darum dass Eigentum Diebstahl sei, und in denen er seine Zuhörer aufforderte, die Bürger und Bauern totzuschlagen und den Soldaten „die Bäuche aufzuschlitzen“.228

Theoretiker Max Adler, daneben Wilhelm Ellenbogen und Julius Tandler. Vgl. Kaufmann, Sozialdemokratie in Österreich, S. 88, FN 60. Außerdem der leidenschaftliche Anschlussbefürworter und erste Gesandte der deutschösterreichischen Republik in Berlin, Ludo Hartmann. Vgl. Low, The Anschluss Movement, S. 114, FN 27. Die in großen Teilen jüdische Herkunft der Führung der österreichischen Sozialdemokraten war, wie bereits häufig festgestellt worden ist, gerade in der Haltung zur Anschlussfrage nicht ohne Belang. Karl Kautsky, der Anfang der 1880er-Jahre in Wien gelebt hatte, schrieb in seinen Memoiren über den Intellektuellenzirkel um Victor Adler: „Alle, die ihm angehörten, waren sozialistisch interessiert, mancher war fast Sozialist. Nur eines schied sie alle von mir: ihr ausgesprochener, intensiver deutscher Nationalismus. [...] Jene Juden waren alle entschieden oppositionell, antihabsburgisch und anti-aristokratisch, sozial-liberal. [...] Die österreichischen Juden waren damals die feurigsten Vertreter des Anschlussgedankens.“ Wolfgang Maderthaner, Victor Adler und die Politik der Symbole. Zum Entwurf einer ‚poetischen Politik‘, in: Leser/Wagner (Hg.), Österreichs politische Symbole, S. 147-163, hier: 154; vgl. Heer, Der Kampf um die österreichische Identität, S. 136, 178 f., 338-341.

226 Staudinger, Christlichsoziale Judenpolitik, S. 18; vgl. Heer, Der Kampf um die österreichische Identität, S.

357; dazu Norbert Leser: „Aber Seipel konnte sich nicht zu einer auch nur partiellen Bejahung des von der Sozialdemokratie Geleisteten und Angestrebten durchringen, sondern hörte nicht auf, in ihr den Hauptfeind zu erblicken, der auch durch den heraufziehenden Nationalsozialismus nicht aus dieser negativen Rolle verdrängt wurde.“ Leser, Ignaz Seipel und Otto Bauer, S. 270.

227 Die Behauptung von reaktionärer Seite, die Revolution 1848 in Wien sei von ausländischen Agenten, Franzosen, Polen, Italienern, Schweizern und Juden gemacht worden, stammt selbst schon aus der Revolutionszeit – auch Metternich machte sie. Vgl. Häusler, Revolution 1848 und die Anfänge der österreichischen Arbeiterbewegung, S. 11 f.; ders., Hermann Jellinek, S. 173; Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 1, S. 404; Blos, Die deutsche Revolution, S. 112.

228 Bauernfeld hatte in seinen Revolutionserinnerungen von seinem Entsetzen am 13. März über das Auftauchen sozialdemokratischer Ideen in Wien gesprochen, das aber in keiner Weise mit Burian oder „den Juden“ in Verbindung gebracht: „Die auf dem politisch-jungfräulichen Wiener Boden bisher noch nie vernommenen Ideen der Sozialdemokratie schlugen an unser Ohr und fanden an der naiven Bevölkerung gläubige, ja entzückte Hörer.

Gemäß der Erzählung wollte auch Bauernfeld, der weiterhin mit dem Revolutionsgegner Grillparzer verkehrte, mit Burian nichts zu tun haben, ging weder auf dessen Angebot zur Zusammenarbeit in Sachen Revolution noch in Sachen Handel mit Revolutionsausstattung ein und forderte ihn auf: „Wir haben da in Wien eine deutsche Revolution, die wir mit unserm Hof allein ausmachen, und keine polnische!“ Dafür suggerierte der Artikel, dass sich der Jude Adolf Fischhof, der in der Wiener 48er-Revolution als einer der Führer der Studenten eine prominente Rolle gespielt hatte, und der Liberale Eugen Megerle von Mühlfeld mit Burian eingelassen hätten. Das Stück endete mit einem Dialog zwischen Bauernfeld und Grillparzer, in dem dieser eine geradezu apokalyptische Warnung vor den galizischen Juden aussprach:

„Ich habe auch so eine gewisse Ahnung, dass von da droben, aus dem dunkelsten Nordosten von Österreich einmal etwas Grauenhaftes über uns kommen wird. Dort sind geheimnisvolle furchtbare Kräfte am Werk, die im Verborgenen arbeiten. Dieser Salomon Burian erscheint mir als Vorläufer einer anarchischen Sturzflut, die einmal ganz Deutschland in ein Chaos verwandeln wird. In dem Burschen ist etwas Dämonisches“.229

Auch zum Paulskirchenjubiläum 1923 brachte die Reichspost einen historischen Artikel, geschrieben von Richard Kralik, der aber mehr von der Größe Österreichs als von der Paulskirche handelte. Nachdem Kralik erwähnt hatte, dass bei der Eröffnung der Paulskirche in Frankfurt überall „schwarz-rot-gelbe“ Fahnen als „gesamtdeutsches Zeichen“ geweht hätten und Wien „schwarz-rot-gold“ gesinnt diesen Tag mit Fackelzug und Beleuchtung gefeiert habe, leitete er schnell zum konstituierenden Reichstag Österreichs und zu dem berühmten Absagebrief des tschechischen Politikers und Historikers Frantisek Palacký an die Paulskirche über. Dieser habe Österreichs Fortbestand und Stärkung als im Interesse der

„Humanität und Zivilisation“ liegend bezeichnet, da es als Schutzwehr gegen Russland benötigt werde, dem sonst die kleinen Nationen hilflos ausgeliefert seien.

Kralik ließ Palackýs berühmtes Diktum folgen:

„Wahrlich, existierte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.“

Alle Projekte zur Reorganisation Deutschlands habe Palacký nur auf der Basis der deutschen Republik für durchführbar gehalten, der republikanische Gedanke hätte aber den Zerfall

Ich leugne nicht, dass mich das überraschte, ja erschreckte. Wer kann berechnen, wie weit die Utopien der Aufhebung des Eigentums, von Gütergemeinschaft und dergleichen, eine wild aufgeregte und ungebildete Masse führen mögen! Kurz, die Anarchie stand mir auf dem Michaelsplatz klar und deutlich vor Augen – meiner Empfindung nach das scheußlichste Ungeheuer, welches sich erdenken lässt!“ Bauernfeld, Aus Alt- und Neu-Wien, S. 173.

229 Karl Baumgarten, „Vor fünfundsiebzig Jahren“, in: Reichspost, 15.3.1923.

Österreichs und damit die russische Universalmonarchie bedeutet. Sinnvoller wäre es Palacký erschienen, wenn Deutschland auf der Basis der Gleichberechtigung aller Nationalitäten und Konfessionen Österreich beigetreten wäre.

Was Kralik freilich verschwieg, war, dass das tschechische Bürgertum einen spezifisch nationalen Grund besaß, für den Fortbestand Habsburgs einzutreten: Wäre es zur deutschen Einigung gekommen, hätte der deutsche Nationalstaat die Länder der böhmischen Krone beansprucht, die Tschechen wären möglicherweise zum deutschen Nationalstaat gekommen;

das tschechische Bürgertum sah jedoch mit guten Gründen für sich unter den gegebenen Umständen ungleich bessere nationale Entwicklungschancen im Habsburger-Vielvölkerstaat.230

Kralik erinnerte daran, woran das Frankfurter Parlament angeknüpft habe: den Deutschen Bund und das „Römisch-deutsche Reich“. Die Paulskirche habe die „schwarz-rot-gelben Farben“ zur Reichsfahne erklärt, weil man sie für die Farben des römisch-deutschen Reiches gehalten habe – wogegen Kralik den Einwand erhob, die Farben des Reiches seien bis 1806 immer nur Schwarz-Gelb gewesen. Bis heute symbolisierten die schwarz-rot-gelben Farben den Gegensatz zu Kleindeutschland beziehungsweise Großpreußen, weshalb sie die Weimarer Nationalversammlung 1919 angenommen habe. Vor dem Hintergrund von Ruhrbesetzung und Inflation im Deutschen Reich 1923 bemerkte Kralik dazu:

„Sie bedeuteten damals den Beitritt Deutschösterreichs zum Deutschen Reich, eine Phase der Weltgeschichte, die heute ebenso in der Ferne zu liegen scheint, wie die Dinge von 1848.“

Kralik vermerkte, die Paulskirche sei an der deutschen Einheit gescheitert, weil

„König Friedrich IV. [sic!] von Preußen [...] loyalerweise die ihm von der kleindeutschen Parlamentspartei angebotene Kaiserwürde“

nicht habe annehmen können. Er trauerte dann noch um die nach 1848 fehlgeschlagenen österreichischen Projekte einer Reform des Deutschen Bundes, Schwarzenbergs Projekt eines Siebzigmillionenreiches und den von Kaiser Franz Joseph 1863 nach Frankfurt einberufenen Fürstenkongress. Zwar lasse sich nicht beweisen, dass die österreichischen Vorschläge zur Bundesreform besser den Frieden erhalten hätten, jedenfalls sei erwiesen, dass Bismarcks

230 Vgl. Franz Trescher, Das Ende einer Revolution, in: Der Schutzbund, 7 (1930), Nr. 10, S. 12-16, hier: 13 f.;

Jiří Kořalka, Prag – Frankfurt im Frühjahr 1848: Österreich zwischen Großdeutschtum und Austroslawismus, in:

Heinrich Lutz/Helmut Rumpler (Hg.), Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Probleme der politisch-staatlichen und soziokulturellen Differenzierung im deutschen Mitteleuropa (=Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 9), München 1982, S. 117-139, hier: 134-138; ders., Das Jahr 1848 in Politik und historisch-politischer Publizistik der Tschechen, in: Haider/Hye (Hg.), 1848, S. 229-238, hier: 229 f.

kleindeutsches Reich den Weltkrieg nicht habe verhindern können.231 Dem Artikel von Kralik über die Paulskirche, der ja kaum von dem Wirken dieser Nationalversammlung handelte, entsprach es, dass die Reichspost nur einen sehr knappen Bericht über die Feier zum Paulskirchenjubiläum in Frankfurt brachte, dem kaum zu entnehmen war, dass die Teilnahme der österreichischen Parlamentarier den Charakter einer großdeutschen Demonstration hatte.232

Im Jahr 1928 fand die Reichspost zu einer etwas positiveren Haltung zur Wiener 48er-Revolution als 1923. Zwei – von Antisemitismus freie – Artikel erzählten von den Ereignissen in Wien in den Märztagen des Jahres 1848. Demnach hatte es 1848 im Bürgertum eine loyale Opposition gegeben, die dem Kaiser gegenüber treu war, aber Metternichs System ablehnte und Reformen, wie Veröffentlichung des Staatshaushalts, eine ständische Volksvertretung und eine zeitgemäße Kommunalverfassung, für geboten hielt. Die Gewalt in der Herrengasse am 13. März sei zunächst von der Menschenmenge ausgegangen, die die anrückenden Soldaten mit allem, was zur Hand war, bewarf, wobei die Reichspost die Rolle der Arbeiter hervorhob. Erst dann habe das Militär das Feuer eröffnet, und es gab fünf Tote in der Menge.

In den Vororten kam es zu Ausschreitungen und Plünderungen; in der Hofburg erklärte ein Angehöriger der Bürgerwehr, der Thron könne nur noch durch den Rücktritt Metternichs gerettet werden, wozu dieser – hieß es historisch unzutreffend – sofort bereit gewesen sei. Da die Ruhe in den Vororten wiederhergestellt werden musste, Kaiser Ferdinand jedoch gesagt hatte: „Ich lasse auf meine Wiener nicht schießen“, wurden die Studenten bewaffnet und in der Akademischen Legion zusammengefasst, die noch in der Nacht meist ohne Gewaltanwendung in den Vororten für Ruhe sorgte. Nach Gewährung der Pressefreiheit und dem Verfassungsversprechen konnte der Kaiser zwei Tage später in einem Blumenregen durch die Stadt fahren. Freilich sei das nicht das Ende gewesen; der Oktober habe zum

„großen Bruch mit der Vergangenheit“ geführt.233 Der Artikel, der speziell der Rolle der Wiener Bürgerwehr gewidmet war, betonte, dass ihre Angehörigen im Oktober passiv oder sogar „mannhaft“ „dem Terror der Revolutionsmänner“ widerstanden hätten.234

„großen Bruch mit der Vergangenheit“ geführt.233 Der Artikel, der speziell der Rolle der Wiener Bürgerwehr gewidmet war, betonte, dass ihre Angehörigen im Oktober passiv oder sogar „mannhaft“ „dem Terror der Revolutionsmänner“ widerstanden hätten.234