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Warum dient die Systemtheorie als Grundlage „Sozialer Arbeit“?

4. Theoretischer Zugang – die „Soziologie der Sozialen Arbeit“

4.2. Warum dient die Systemtheorie als Grundlage „Sozialer Arbeit“?

In vielen Fachbüchern innerhalb der „Sozialen Arbeit“ dient die Systemtheorie von Niklas Luhmann als Grundlage bzw. wird diese vorausgesetzt. Dabei wird jedoch nicht argumentiert, weshalb gerade diese Theorie als Fundament angemessen ist. Auch Bommes und Scherr gehen in ihrer „Soziologie der Sozialen Arbeit“ von der Systemtheorie Luhmanns aus. Diese begründen jedoch, weshalb dieser soziologische Zugang sich am besten dafür anbietet. Damit der Argumentationsverlauf nachvollziehbar ist, wird dieser hier kurz erläutert.

Geht man von der „Soziologie der Armut“ bei Georg Simmel aus, so kann die Funktion der

„Sozialen Arbeit“ darin gesehen werden, dass sie dazu beiträgt, soziale Ungleichheit und Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Dabei untersucht er, wie Armut in der Gesellschaft überhaupt wahrgenommen wird und wie diese darauf reagiert. Als eine Reaktionsform sieht er die „Armenpflege als öffentliche Einrichtung“. Diesbezüglich stellt

50 Bommes & Scherr (2012), S. 42-43.

51 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 46-47.

52 Bommes & Scherr (2012), S. 47.

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Simmel fest, dass die Armenpflege nicht allen Personen zu Gute kommt, sondern sich nur an Personen richtet, die von Armut betroffen sind. Dabei wird zwar die allgemeine Notlage des Betroffenen vermindert, aber dies sollte seiner Meinung nach nicht der endgültige Zweck der Armenhilfe sein.53

Bezüglich der Armenunterstützung zieht Georg Simmel folgende Erkenntnis: „Sie erfolgt, freiwillig oder gesetzlich erzwungen, um den Armen nicht zu einem aktiven, schädigenden Feinde der Gesellschaft werden zu lassen […]. Der Arme als Person, der Reflex seiner Lage in seinem Gefühl, ist hierbei ebenso gleichgültig, wie für den, der um des Heiles der eigenen Seele willen Almosen gibt; der subjektive Egoismus des letzteren ist zwar aufgehoben, aber nicht um des Armen willen, sondern um der Gesellschaft willen […].“54

Des Weiteren beschreibt Simmel, dass es die Armenpflege selbst ist, die den Armen und deren damit verbundene Hilfsbedürftigkeit als ein soziales Phänomen erzeugt. Dabei fügt er auch hinzu, dass nicht jeder, der von Armut betroffen ist, auch Unterstützung erhält bzw. es kein allgemeines Kriterium für Hilfsbedürftigkeit gibt.55

„Der Arme als soziologische Kategorie entsteht nicht durch ein bestimmtes Maß von Mangel und Entbehrung, sondern dadurch, daß [sic!] er Unterstützung erhält oder sie nach sozialen Normen erhalten sollte. So ist nach dieser Richtung die Armut nicht an und für sich, als ein quantitativ festzulegender Zustand zu bestimmen, sondern nur nach der sozialen Reaktion, die auf einen gewissen Zustand hin eintritt […].“56

Auch marxistisch orientierte Ansätze knüpfen an diesen thematischen Zugang an, indem sie die „soziale Arbeit“ als eine Strukturreproduktion beschreiben, die dazu dient, politische Aufstände zu verhindern, die das Kapital oder politische Herrschaftssicherungen gefährden könnten:57

„In diesem Sinne wirkt die Sozialarbeit […], als Sozialisationsagentur, die die gültigen Normen und Werte der Gesellschaft reproduziert, als Kompensationsagentur, die strukturell begründete Mängel individuell auszugleichen versucht, als Opressionsagentur, die systemgefährdenden Auswirkungen abweichenden Verhaltens entgegenwirkt, als Agentur zur

53 Vgl.: Simmel, Georg (1968): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, 2. Band, 5.

Auflage, Berlin: Duncker & Humblot Verlag, S. 348-349.

54 Simmel (1968), S. 348.

55 Vgl.: Simmel (1968), S. 369.

56 Simmel (1968), S. 371-372.

57 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 62.

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Disziplinierung Devianter durch Diskriminierung und Kasernierung, schließlich und vor allem eben als Agentur zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft.“58

Im Weiteren stellt die „Soziale Arbeit“ eine sanfte Kontrolle im Gegensatz zu harten Sanktionen dar. Dies trifft dann zu, wenn es um normativ abweichendes Verhalten geht. Die Konsequenz ist, dass die „Soziale Arbeit“ durch die Konfliktvermeidung an Hand von Individualisierung „Prozesse der Etikettierung und Stigmatisierung“ an deren KlientInnen ausübt.59

Beziehend darauf wird aus dieser theoretischen Perspektive festgestellt: „daß [sic!]

Einrichtungen, deren Zweck die Verhinderung, Beseitigung oder Reduzierung von Abweichung ist, […] einen entscheidenden Anteil an der Produktion und Reproduktion abweichenden Verhaltens haben, indem sie an einem Prozeß [sic!] sozialer Stigmatisierung mitwirken, Grundprobleme verschärfen, Möglichkeiten und Handlungsspielräume einengen bis hin zu einer schließlich unausweichlichen Festlegung auf eine delinquente Außenseiter-Rolle.“60

Marxistisch beeinflusste Ansätze schreiben der „Sozialen Arbeit“ zusammenfassend drei zentrale Aufgaben zu. Zum einen dient sie dazu, Reproduktionsrisiken der lohnabhängigen Bevölkerung zu behandeln. Zum anderen liegt ihre Aufgabe darin, abweichendes Verhalten zu kontrollieren sowie Konflikte zu vermeiden. Zuletzt dient die „Soziale Arbeit“ dazu, Sozialisationsaufgaben innerhalb der Gesellschaft zu übernehmen.61

Innerhalb der Kritischen Theorie wird die „Soziale Arbeit“ ebenfalls aufgegriffen. In der Perspektive der Theorie des kommunikativen Handelns bei Habermas wird „Soziale Arbeit“

als die Entstehung einer „Therapeutokratie“ gesehen.62

Habermas stellt vor allem die Kritik auf, dass durch die Behandlung durch ExpertInnen die eigentlichen Ziele, wie beispielsweise die Selbständigkeit von KlientInnen, einen Widerspruch in sich bilden. „Soziale Arbeit“ sieht er als Instanz zwischen System und Lebenswelt:63

58 Cremer-Schäfer, Helga & Peters, Helge (1975): Die sanften Kontrolleure. Wie Sozialarbeiter mit Devianten umgehen, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, S. 6-7.

59 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 66-67.

60 Cremer-Schäfer & Peters (1975), S. 2.

61 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 74.

62 Vgl.: Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, 2. Auflage (1982), Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, S. 533-534.

63 Vgl.: Habermas (1981), S. 533.

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„Denken wir an Beispiele wie den Eintritt der Altersgrenze oder den Verlust des Arbeitsplatzes; die mit solchen Ereignissen typischerweise veränderten Lebenslagen und Probleme vertragen in der Regel keine konsumistischen Umdefinitionen. Zum Ausgleich für diese Unangemessenheit systemkonformer Entschädigungen sind soziale Dienste eingerichtet worden, die therapeutische Hilfestellungen geben. Damit reproduzieren sich aber die Widersprüche der sozialstaatlichen Intervention nur auf höherer Stufe. Die Form der administrativ verordneten Behandlung durch einen Experten widerspricht meistens dem Ziel der Therapie, die Selbsttätigkeit und Selbständigkeit des Klienten zu fördern […].“64

Dieser theoretische Ansatz von Habermas wird bereits teilweise innerhalb der „Sozialen Arbeit“ als Reflexionsmöglichkeit übernommen, doch für eine „Soziologie der Sozialen Arbeit“ trägt dieser eher weniger dazu bei, wenn es um „die Einheit und Differenz“ der

„Sozialen Arbeit“ geht.65