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Theoretische Ergänzung durch exploratives ExpertInneninterview

4. Theoretischer Zugang – die „Soziologie der Sozialen Arbeit“

4.5. Theoretische Ergänzung durch exploratives ExpertInneninterview

Da es zur „Soziologie der Sozialen Arbeit“ sehr wenige Publikationen gibt bzw. es sich dabei um einen innovativen Theorieansatz innerhalb der Soziologie handelt, wurde ein exploratives ExpertInneninterview durchgeführt, um den theoretischen Zugang abzurunden. Ausgewählt wurde dafür eine Person, welche sich seit Jahren sowohl in der Praxis als SozialarbeiterIn als auch im universitären lehrenden Bereich befindet und somit eine angemessene Expertise in diesem Bereich aufweist.

Im explorativen Interview ging es einerseits darum, offene Fragen, die an Hand der Literaturrecherche nicht beantwortet werden konnten, zu stellen und andererseits noch neue Sichtweisen und eventuell übersehene Zugänge zu erfassen. Bei einem explorativen Zugang geht es vor allem darum, Sachverhalte besser zu strukturieren und präzisieren zu können. 94

4.5.1. Interviewleitfaden

Es wurde versucht, mit Hilfe des Interviews auf folgende fünf Fragestellungen eine Antwort zu erschließen: 1.) In der Literaturrecherche wurden immer wieder von strukturellen Faktoren geschrieben, die für die Entstehung „Sozialer Arbeit“ ausschlaggebend sind. Diese wurden jedoch nie beim Namen genannt, weshalb es wichtig war, zu erfassen, welche strukturellen Faktoren nun beispielsweise in der Steiermark eine essentielle Rolle spielen und gespielt haben. 2.) Im Weiteren schreiben Bommes und Scherr von der Ersetzbarkeit von Hilfe. Es stellt sich diesbezüglich jedoch die Frage, wie sich „Soziale Arbeit“ somit von anderen Formen des Helfens unterscheidet? Basierend auf Luhmann stellt sich der Diskussionspunkt, ob man „Soziale Arbeit“ überhaupt als eigenes Funktionssystem sehen kann? 3.) Es ging auch darum, was für den/die Interviewte/n die „Soziale Arbeit“ unentbehrlich macht, wie sie erkennbar und identifizierbar ist? Wie würde der/die Interviewte nach jahrelanger Erfahrung

„Soziale Arbeit“ definieren? 4.) Immer wieder liest man die Kritik, dass sich die Selbsthilfefähigkeit durch die Etablierung der „Sozialen Arbeit“ minimiert. Welche anderen Folgen hat „Soziale Arbeit“ für die/den Interviewte/n? 5.) Bommes und Scherr beziehen sich

93 Mayrhofer (2012), S. 41.

94 Vgl.: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/explorative-verfahren.html#definition.

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in ihrer Theorie der „Soziologie der Sozialen Arbeit“ vor allem auf Luhmann und grenzen sich von Simmel, Marx, Habermas (kritische Theorie) und Foucault als theoretische Grundlage ab. Somit stellte sich die Frage, inwieweit die Systemtheorie im Gegensatz zu den anderen theoretischen Zugängen als ausreichende Grundlage dient?

4.5.2. Resümee und Schlussfolgerungen

Folgende Ergebnisse konnten an Hand des Interviews generiert werden und dienen als Ergänzung zu der vorangegangen theoretischen Aufarbeitung. Dabei ist der Fokus vor allem auf die Steiermark gelegt.

- Etablierung der sozialen Arbeit in der Steiermark, speziell in Graz

Der/Die InterviewpartnerIn gibt an, dass sich die „Soziale Arbeit“ in Graz unter dem Namen Fürsorge etabliert hat. Der Gründungsakt kann am Grazer Jugendamt festgehalten werden. Da es nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder vorgekommen war, dass Säuglinge auf die Straße gelegt und entweder verstorben oder aufgenommen wurden, entschloss sich die Stadt Graz dazu, institutionelle Hilfe anzubieten. 95

- Entwicklung der Sozialen Arbeit und Altenarbeit

Nach Meinung der/des Interviewten ist es wichtig, dass die Definition der „Sozialen Arbeit“

darauf aufgebaut sein soll, dass sie eine Reaktion auf soziale Not darstellt. Dabei ist sie nicht als eine Reaktion auf soziale Probleme zu betrachten, denn das wäre für den/die Interviewte/n zu allgemein gefasst.96

Der/Die interviewte ExpertIn stellt fest, dass die soziale Lage der älteren Menschen immer mehr als Not empfunden wird. Dabei darf jedoch nicht von materieller Not, sondern von einer sozialen und emotionalen Notlage ausgegangen werden. Dadurch dass diese Not immer größer wird, wächst auch der Bedarf an Sozialarbeit mit älteren Menschen. Vor allem durch die „Pluralisierung familiärer Lebensformen“, durch Einpersonenhaushalte usw. haben ältere Menschen oft nicht die Möglichkeit, von Bezugspersonen betreut zu werden. Diesem Problem

95 Vgl.: Interview 1, Zeile 58-64.

96 Vgl.: Interview 1, Zeile 68-75.

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wird mit institutionellen Betreuungsformen (Seniorenheime, Altenheime) entgegengewirkt.

Der/Die ExpertIn spricht hier jedoch nicht von Betreuung, sondern eher von Verwahrung.97

„Zum Teil wohl eher von Verwahrung als Betreuung, weil Betreuung da steht ja was drin, was mit Treue zu tun hat.[…]“98

Dennoch gibt es nach Angaben des/der Interviewpartners/Interviewpartnerin durchaus Modelle, die gutes Altwerden erlauben, wie beispielsweise ambulante Betreuungsformen im Sinne des Empowerments sowie das Stärken sozialer Systeme, damit der älter werdende Mensch länger darin teilnehmen kann. 99

Nach Meinung des/der Experten/Expertin muss man sich die Frage stellen, warum die Gesellschaft immer mehr „Soziale Arbeit“ benötigt. Ein Grund liegt vor allem darin, dass die Gesellschaft scheinbar nicht mehr in der Lage ist, ohne „Soziale Arbeit“ bestimmte Funktionen aufrecht zu erhalten. Eine Funktion wäre beispielsweise den älter werdenden Menschen zu beschützen. 100

Der/Die Interviewte vertritt die Ansicht, dass es zu spät ist, die Entwicklung der stationären Einrichtungen zu stoppen, obwohl diese seiner/ihrer Meinung nach eine komplette Fehlentwicklung sind. Vor allem mit dem sozialen Aspekt sind Altenheime stark überfordert, weshalb die soziale Altenarbeit auch erforderlich und wenn nicht sogar unentbehrlich wird.

„Soziale Arbeit“ ist deshalb auch unabkömmlich, da sie dort aufkommt, wo sich die Gesellschaft in Problemlösungen verstrickt hat.101

„Wenn ich gefragt werde, was ist mein Wunsch bezüglich Sozialarbeit, sag ich, dass sie nicht mehr notwendig ist, ja. Und da bin ich auch…zutiefst überzeugt. Sozialarbeit ist ein Zeichen von gesellschaftlicher Fehlentwicklung und Sozialarbeit hat dann gut gearbeitet, wenn sie nicht mehr notwendig ist, ja.[…]“102

Große Skepsis ist dabei gegenüber den Organisationen, die „Soziale Arbeit“ vermarkten, zu wahren. Herrschaft und „Soziale Arbeit“ wird nach Angaben des/der Interviewten vor allem

97 Vgl.: Interview 1, Zeile 78-84.

98 Interview 1, Zeile 86.

99 Vgl.: Interview 1, Zeile 86-88.

100 Vgl.: Interview 1, Zeile 106-108.

101 Vgl.: Interview 1, Zeile 142-148.

102 Interview 1, Zeile 150.

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durch die Organisationen hervorgebracht. Der/Die SozialarbeiterIn stellt nur ein „Rädchen in einer riesigen Maschinerie“ dar.103

- Zur Kritik an der Sozialen Arbeit

Die „Entmündigung der ExpertInnen“ ist, laut des/der befragten Experten/Expertin, ein legitimer Vorwurf, welcher der „Sozialen Arbeit“ gemacht wird. Würde man jedoch in Methodenbüchern dieser Disziplin nachlesen, könnte man seiner/ihrer Meinung nach erkennen, dass ein Grundsatz darin verfasst ist, welcher besagt, dass die „Autonomie des/der KlientIn“ gefördert werden muss. Dass eine „Verführung zur Unselbstständigkeit“ gegeben ist, steht außer Frage, aber ein ethischer Grundsatz lautet, dass die/der KlientIn unabhängig von der Hilfe zu machen ist. 104

„Ja, wenn Sie eine Grippe haben und die Hausärztin kommt und sie gibt Ihnen ein gutes Medikament und Sie sind wieder gesund, da könnten Sie auch denken, … ja das nächste Mal, wenn es kalt wird, geh ich halt auch wieder kurzärmlig herum, ich hab eh so eine gute Ärztin, ja. […] Das ist aber…in jeden…also dann, dann müssten wir mit der Medizin aufhören, dann müssten wir mit allen helfenden…und so kann aber Gesellschaft nicht funktionieren, weil wir alle der Hilfe bedürftig sind, ja.“105

- Luhmanns Systemtheorie und die „soziale Arbeit“

Nach Meinung des/der Interpartners/Interviewpartnerin ist zu beachten, dass Luhmann aus der Verwaltung kommt und somit die Gesellschaft auch aus der Perspektive der Verwaltung analysiert. Dabei spielt er jedoch ein wenig mit der Ironie.106

„[…] gefährlich sind die Luhmannianer, weil sie eigentlich den Luhmann missverstehen und ihm…also sozusagen die Ironie wegnehmen und dann wird die Sache irgendwie komisch.[…]“107

Wenn man die Systemtheorie als Grundlage für jegliches Erklärungsdefizit heranzieht, erleichtert dies den Zugang ungemein, da man vor allem distanziert bleiben kann. Doch in der Praxis der SozialarbeiterInnen kann man, nach Angaben des/der Experten/Expertin nicht auf

103 Vgl.: Interview 1, Zeile 308-318.

104 Vgl.: Interview 1, Zeile 196-198.

105 Interview 1, Zeile 200-202.

106 Vgl.: Interview 1, Zeile 98.

107 Interview 1, Zeile 100.

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Distanz bleiben, weil es sich hier um Beziehungsarbeit handelt. Der/Die Befragte stellt dar, dass die Systemtheorie dann sinnvoll ist, wenn man zwischen sich und dem zu behandelten Problem eine gewisse Distanz braucht. Doch man darf dabei nicht vergessen, dass die Systemtheorie für die Praxis eine entfremdete Theorie ist. Da sie mit alltäglichen Problemen nichts zu tun hat und für das Handwerk innerhalb der „Sozialen Arbeit“ völlig unbrauchbar ist. Schließlich kann man nicht alles anhand von systemischer Inklusion und Exklusion erklären. Auch wenn Fallstudien innerhalb der „Sozialen Arbeit“ systemisch orientiert sind, können sie nicht anhand eines einzigen Begriffspaares abgehandelt werden. Die Fallbeobachtung spielt für den/die ExpertIn eine viel wesentlichere Rolle. 108

- weitere Einflüsse für eine „Soziologie der Sozialen Arbeit“

Es gibt durchaus andere soziologische Zugänge für die „Soziologie der Sozialen Arbeit“, die sich für weitere Analysen anbieten würden, jedoch noch nicht dafür aufbereitet wurden. Das wäre für den/die ExpertIn einerseits der symbolische Interaktionismus und andererseits sind es die feministischen Theorien, die sich mit der Kommunikation, der Fürsorglichkeit und der Herstellung von sozialer Fähigkeit auseinandersetzen. Nach Meinung des/der Interviewten, können feministische Theorien viel mehr leisten als die Systemtheorie, wenn es darum geht, sich damit zu beschäftigen, was uns daran hindert, gut zu leben. 109

108 Vgl.: Interview 1, Zeile 158-170.

109 Vgl.: Interview 1, Zeile 227-249.

36 5. Erhebung – Forschungsdesign

Für die empirische Untersuchung dieser Masterarbeit habe ich mich sowohl für qualitative als auch für quantitative Erhebungsmethoden entschieden. Dabei stellt die qualitative Erhebung den dominierenden Teil der empirischen Arbeit dar. Alle qualitativen Befragungen wurden im Bezirk Weiz durchführt, da dieser als Untersuchungsfeld ausgewählt wurde.

In der quantitativen Erhebung konnten Sekundärdaten, die von der „SGS Weiz“ bereitgestellt wurden, für die Analyse herangezogen werden. Dabei galt es vor allem, die Ergebnisse aus der vorangegangen qualitativen Erhebung zu reflektieren bzw. Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Forschungsinteresse herauszuarbeiten.