• Keine Ergebnisse gefunden

4. Theoretischer Zugang – die „Soziologie der Sozialen Arbeit“

4.3. Luhmann’s Systemtheorie als Grundlage für eine „Soziologie der Sozialen Arbeit“

4.3.2. Soziale Systeme

Bei systemtheoretischen Analysen liegt stets die Differenz zwischen System und Umfeld zu Grunde:73

„Systeme sind nicht nur gelegentlich und nicht nur adaptiv, sie sind strukturell an ihrer Umwelt orientiert und könnten ohne Umwelt nicht bestehen. Sie konstituieren und sie erhalten sich durch Erzeugung und Erhaltung einer Differenz zur Umwelt, und sie benutzen ihre Grenzen zur Regulierung dieser Differenz. Ohne Differenz zur Umwelt gäbe es nicht einmal Selbstreferenz, denn Differenz ist Funktionsprämisse selbstreferentieller Operationen.“74 Die Selbstreferenz sozialer Systeme ist dann gegeben, wenn die Elemente, aus denen sie bestehen, selbst produziert und reproduziert werden. Selbstreferentielle Systeme bezeichnet Luhmann als geschlossene Systeme, da sie nur in einer bestimmten Art und Weise bestehen und durch keinen anderen Prozess ersetzt werden können.75

Diesbezüglich führt Luhmann das „Konzept der Autopoiesis“ ein. Demzufolge entstehen Systeme selbstständig und nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Dabei laufen die internen Prozesse und Strukturen autopoietisch ab. Systeme mit autopoietischen Charakter sind geschlossen und autonom aber nicht autark, da ihre Reproduktion nicht unabhängig von bestimmten Umweltbedingungen vollzogen werden kann.76

72 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 105.

73 Vgl.: Luhmann (1991), S. 35.

74 Luhmann (1991), S. 35.

75 Vgl.: Luhmann (1991), S. 59-60.

76 Vgl.: Ziemann (2009), S. 476-477.

28

Inwieweit es sich bei der „sozialen Arbeit“ um ein eigenständiges System handelt und welche Funktion ihr zugeschrieben werden kann, gilt es an Hand der „Soziologie der Sozialen Arbeit“ zu betrachten und zu analysieren.77

4.3.3. „Soziale Arbeit“ als ein eigenständiges Funktionssystem?

Von Funktionssystemen spricht man dann, wenn bezüglich einer Problemstellung innerhalb der Gesellschaft ein entsprechendes System entwickelt wurde, welches universelle Zuständigkeit dafür erlangt hat. Unentbehrlich ist ein Funktionssystem dann, wenn es durch kein anderes ersetzbar ist und auch keine anderen Lösungsansätze für eine bestimmte Problemstellung umgesetzt werden können.78

„Eine Gesellschaft kann als funktional differenziert bezeichnet werden, wenn sie ihre wichtigsten Teilsysteme im Hinblick auf spezifische Probleme bildet, die dann in dem jeweils zuständigen Funktionssystem gelöst werden müssen.“79

Durch die Anwendung von binären Codes, die auf bestimmte Problemstellung angewendet werden, können Funktionssysteme ausdifferenziert werden.80

Beispiele für eine Codierung wäre für das wissenschaftliche System das Entscheiden zwischen wahr/unwahr. Das Recht verwendet den Code Recht/Unrecht oder politische Systeme differenzieren sich durch Macht und Opposition.81

Die heutige Bevölkerung ist von den Teilnahmemöglichkeiten und den Leistungen von Organisationen abhängig, um einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Damit man an Organisationen teilnehmen kann, müssen jedoch bestimmte Kriterien erfüllt werden, die nicht immer erreicht werden können.82

„Der Begriff der Inklusion meint die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung in die Leistungen der einzelnen gesellschaftlichen Funktionssysteme. Er betrifft einerseits Zugang zu diesen Leistungen, andererseits Abhängigkeit der individuellen Lebensführung von ihnen. In dem

77 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S, 42-43.

78 Vgl.: Luhmann, Niklas (1987): Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 34-35.

79 Luhmann (1987), S. 34.

80 Vgl.: Luhmann (1987), S. 16.

81 Vgl.: Krause, Detlef (1999): Luhmann - Lexikon. Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann mit 27 Abbildungen und über 500 Stichwörtern, 2. vollständig überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag, 35-38.

82 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 114.

29

Maße, als Inklusion verwirklicht wird, verschwinden Gruppen, die am gesellschaftlichen Leben nicht oder nur marginal teilhaben.“83

In Bezug darauf erwähnt Luhmann, dass Bevölkerungsgruppen, die gesellschaftliche Leistungen nicht beanspruchen können, von Exklusion betroffen sind.84

Die Funktion der „Sozialen Arbeit“ kann darin gesehen werden, dass sie zwischen Inklusionsvermittlung und Exklusionsvermeidung entscheidet. Ob nun diese Art von Hilfeleistung als ein eigenes Funktionssystem ausdifferenziert werden kann, ist umstritten.

Bommes und Scherr vertreten die Ansicht, dass es sich um kein eigenständiges Funktionssystem handelt.85

Bommes und Scherr argumentieren damit, dass es schwierig ist, festzulegen, wann Hilfsbedürftigkeit überhaupt vorliegt. Dies wäre allein empirisch kaum untersuchbar. Im Weiteren ist die „Soziale Arbeit“ sehr stark davon abhängig, wie die sozialpolitische Ressourcenverteilung erfolgt. Dadurch wird die Autonomie der „Sozialen Arbeit“ sehr stark eingegrenzt. Inwieweit „Soziale Arbeit“ als angemessen und sinnvoll erachtet wird, hängt ebenso stark von politischen Programmen ab und ist dadurch stark variabel.86

Dadurch kann für deren „Soziologie der sozialen Arbeit“ folgende Schlussfolgerung festgemacht werden: „Vor diesem Hintergrund ist es u.E. für eine gesellschaftstheoretisch fundierte Betrachtung der Bedingungen, Formen und Folgen Sozialer Arbeit nicht angemessen, Soziale Arbeit als ein eigenständiges Funktionssystem zu betrachten.

Erforderlich ist es hierfür vielmehr zu analysieren, wie sich Soziale Arbeit als organisierte Hilfe im Zusammenhang mit der Herausbildung moderner Wohlfahrtsstaaten etabliert.“87 Inwieweit die „Soziale Arbeit“ kein eigenständiges Funktionssystem darstellt und ob sich der Argumentationsverlauf von Bommes und Scherr bestätigen lässt oder nicht, wird am Ende dieser Masterarbeit nochmals diskutiert. In weiterer Folge ist es jedoch wichtig, die Begrifflichkeiten von Inklusion und Exklusion in Bezug auf die „Soziale Arbeit“ näher zu betrachten bzw. darzustellen.

83 Luhmann, Niklas (1981): Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München/Wien: Günter Olzog Verlag GmbH, S. 25.

84 Vgl.: Luhmann (1981), S. 25.

85 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 144-145.

86 Vgl.. Bommes & Scherr (2012), S. 147.

87 Bommes & Scherr (2012), S. 151.

30 4.4. Der Begriff der Inklusion und Exklusion

Bei Bommes und Scherr stellt die „Soziale Arbeit“ kein eigenständiges Funktionssystem dar, auch wenn man diese an Hand der Hilfeleistung von Inklusionsvermittlung und Exklusionsvermeidung betrachten würde. Dennoch ist es für die weitere Analyse notwendig, diese Art von Hilfestellung näher zu betrachten:88

Nach Hemma Mayrhofer lassen sich durch die Begrifflichkeiten Inklusion und Exklusion Teilnahmechancen und Teilnahmebegrenzungen für Individuen innerhalb einer Gesellschaft festhalten. Dabei ist es wichtig, dieses Begriffspaar vor allem wieder unter einem systemtheoretischen Aspekt zu beobachten.89

Als Merkmal in der gegenwärtigen Gesellschaft kann man feststellen, dass Personen an ausgewählten Funktionssystemen teilnehmen müssen. Ein Beispiel hierfür wäre das Gesundheitssystem. Charakteristisch für solche Funktionssysteme ist es, dass diese immer von der Inklusion aller Individuen ausgehen und darauf aufbauen. Somit entscheiden Organisationen über den Inklusions- oder Exklusionsstatus von Personen.90

„Zu betonen ist, dass Exklusionsindividualität ein gesellschaftliches Strukturmerkmal bildet, welches das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in der Moderne charakterisiert.“91 Hinsichtlich der Inklusion ist es wichtig, zu beachten, dass es auch Inklusionen geben kann, die Personen so einnehmen, dass diese in weiteren Inklusionsmöglichkeiten in anderen Systemen beeinträchtigt werden. Mayrhofer bezeichnet dies als „totalitäre Inklusionsverhältnisse“, wie zum Beispiel Gefängnisse, problematische Familiensysteme oder aber auch eine stationäre heimförmige Unterbringung. Solche Situationen können die Teilhabemöglichkeiten an anderen Funktionssystemen erheblich blockieren.92

„Nicht Exklusionen an sich bilden die gesellschaftliche Bezugsproblematik der Sozialen Arbeit, sondern Exklusionsverdichtungen und andauernde Inklusionsschwierigkeiten, aber auch spezifische Inklusionsverhältnisse, die umfassendere Probleme der Lebensführung für Individuen oder auch Gruppen bzw. Kollektive verursachen. Und sie geraten auch nur dann in den Zuständigkeitsbereich der Sozialen Arbeit, wenn die jeweiligen Funktionssysteme

88 Vgl.: Bommes & Scherr (2012), S. 144-145.

89 Vgl.: Mayrhofer (2012), S. 24.

90 Vgl.: Mayrhofer (2012), S. 25.

91 Mayrhofer (2012), S. 26.

92 Vgl.: Mayrhofer (2012), S. 27.

31

selbst und die dort teilweise ausgebildeten helfenden Professionen die Problembearbeitung nicht leisten und die politische Ebene allein dazu nicht in der Lage ist.“93