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8. Ergebnisse: Vernetzte Versorgung in Praxen für KJPP mit Versorgungsstrukturen nach SPV Versorgungsstrukturen nach SPV

8.3 Die behandelten Patienten

8.3.3 Vorstellungsanlass: Symptomatik/Problemstellungen

In der erbetenen freien Formulierung nannten die Eltern/Sorgeberechtigten im Durchschnitt 3,5 Probleme/Symptome ihrer Kinder, wegen derer sie die fachärztliche Behandlung aufsuchten (Tab. 8.2).

Tabelle 8.2: Symptomatik

Zur Vorstellung führende Symptome/

Probleme der jungen Patienten aus Sicht der Eltern

Absolutzahl der Nennungen

sozial gehemmt 208

aggressives Verhalten/Impulsivität 207

verweigerndes Verhalten 145

Mangel von Ausdauer und Konzentration 180

mangelnde Arbeitshaltung/Unselbständigkeit 134

spezifisches Leistungsversagen 108

funktionelle Störungen/psychosomatische Beschwerden 91

andere Störungen des Sozialverhaltens 84

Depressivität/Minderwertigkeitserleben 74

allgemeines Leistungsversagen 74

Angststörungen 64

Hyperaktivität 61

Lügen/Stehlen 41

Misserfolgsempfindlichkeit 30

Affektstörungen 27

Essstörungen 24

Leistungsverweigerung 22

misstrauisch/zurückweisend 20

Denk-/Wahrnehmungsstörungen 14

Sprachentwicklungsstörungen 14

abnorme Gewohnheiten 14

Störungen der Impulskontrolle 11

Zwangsstörungen 10

selbstschädigendes Verhalten 9

Zust. nach seelischer Traumatisierung 9

Intensiver Gebrauch von Fernseher/Computer 7

Schulverweigerung 6 Unklarer intellektueller Entwicklungsrückstand 6 Psychische Störungen bei chronischer organischerErkrankung 3

autistisches Verhalten 3

Weglaufen/ Streunen 3

sexuelle Verhaltensauffälligkeiten 2

Drogenmissbrauch 2

Zündeln/delinquentes Verhalten 1

Summe der Nennungen 1708

Klassifiziert man die von den Eltern als Vorstellungsanlass in „Mehrfachnennungen“

berichteten Symptome/Probleme, lassen sich 6 unterschiedliche Störungsbereiche abgrenzen (Abb. 8.6).

Freie Formulierungen der Eltern mit anschließender Klassifizierung

(Angaben in Prozent der Patienten)

0

Abbildung 8.6: Klassifizierung der von den Eltern geschilderten Symptome/Probleme

Bei 86% aller Kinder/Jugendlichern nannten die Eltern Leistungs- bzw.

Schulprobleme. Bei 75 % der Patienten klagten sie über Störungen des Sozialverhaltens an erster Stelle. Insgesamt 69 % der Kinder litten nach Meinung der Eltern unter erkennbaren emotionalen Störungen, vor allem unter Depressionen und Ängsten. Erst danach folgten Aufmerksamkeitsstörungen mit 43 %. Bedeutsame funktionelle und organische, vor allem psychosomatische Störungen sowie die in diese Gruppe einbezogenen motorischen, sensorischen und Sprachentwicklungsstörungen wurden in 32% der Fälle berichtet.

0 20 40 60 80 100 120

kein Problem wenig etwas stark sehr stark

sozial gehemmt

autistisches Verhalten misstrauisch/zurückw.

Hyperaktivität

verweigerndes Verhalten aggress. Verh./Impulsivität Lügen/Stehlen

Weglaufen/ Streunen Schulverweig./Schwänzen

Abbildung 8.7: Intensität der Probleme (I) eingeschätzt durch die Eltern

Die Eltern/Sorgeberechtigten stellten damit die Symptomatik ihrer Kinder differenziert, auf verschiedene Verhaltensbereiche bezogen dar. Es zeigte sich auf Grund der häufigen Mehrfachnennungen pro Patient, dass die Eltern nicht nur die Leistungsmängel sondern augenscheinlich genauso häufig die emotionale Belastung ihrer

Kinder als eine eigene Qualität der von ihnen vermuteten psychischen Störung wahrnahmen.

Die Eltern brachten einen hohen Leidensdruck zum Ausdruck, der aus der Intensität abzuleiten war, mit der sie die Probleme und Symptome beschrieben, wegen derer sie die fachärztliche Hilfe suchten (Abb. 8.7 u. 8.8).

In 36% der Fälle betonten die Eltern mit der Bewertung „stark bis sehr stark ausgeprägt“ fast gleich häufig die soziale Gehemmtheit wie das aggressiv-impulsive Verhalten ihres Kindes, welches insgesamt jeweils 175 mal als wesentlicher, sie belastender Grund der gesuchten Abklärung und Behandlung genannt worden war. 26%

der Eltern (128 mal) beklagten ein sich ihrer pädagogischen Lenkung verweigerndes Verhalten des Kindes.

Hyperaktivität als wesentliches Symptom wurde 61 mal (13%) als ein vorrangiges Problem im Verhalten des Kindes geschildert.

Angststörungen und andere Affektstörungen des Kindes benannten die Eltern in über 90 Fällen (18%), die sie 50 mal (10%) als sie „sehr stark“ bis „stark“ belastend bewerteten. In insgesamt 15% der Fälle (91 mal) schilderten die Eltern ihr Kind als depressiv. Mit einer Häufigkeit von 19% benannten sie psychovegetative körperliche Funktionsstörungen (91 mal).

Die mit großer Häufigkeit geklagten Leistungsstörungen bewerteten die Eltern/Sorgeberechtigten bei 69% der vorgestellten Kinder als sie erheblich belastend.

In insgesamt 175 Fällen (36%) zeigten sich diese in einem Mangel an Konzentration und Aufmerksamkeit. 134 mal (27,5%) wurde eine mangelnde Arbeitshaltung genannt. Bei 108 Patienten (22%) hatten die Schulleistungsstörungen bereits zu einem spezifischen, einzelne Schulfächer betreffenden Leistungsversagen geführt. Bei weiteren 20% (96 Fälle) war es zu einem allgemeinen schulischen Leistungsversagen oder zur Leistungsverweigerung gekommen (Abb. 8.8).

Die Bedeutung von Schulleistungsschwierigkeiten als Grund für eine Vorstellung in der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz betonte beispielsweise auch Eggers (1997), der diese in einem 12-jährigen Beobachtungszeitraum bei 60% der erstmals vorgestellten Kinder beschrieb und darauf hinwies, dass sich unter einer solchen

Problematik ganz unterschiedliche Primärstörungen, wie etwa Angststörungen, Teilleistungsstörungen oder die Diskrepanz zwischen intellektueller Begabung, Leistungsmotivation und Leistungsanforderung sowie andere emotionale Erkrankungen aufdecken ließen.

kein Problem wenig etwas stark sehr stark

Affektstörungen

Abbildung 8.8: Intensität der Probleme (II) eingeschätzt durch die Eltern

In unserer Untersuchung zeigt die Elternbewertung die hohe Bedeutung der Manifestation psychischer Problematik der betroffenen Kinder auf dem kognitiven und sozialen Interaktionsfeld der Schule an.

Ein ähnliches Bild der Auffälligkeiten der Kinder/Jugendlichen ergab sich aus der Auswertung der von den Eltern beantworteten Fragen der CBCL-Fragebögen. Hier wurden deutliche oder zumindest grenzwertig von der Vergleichsnorm abweichende Aufmerksamkeitsstörungen bei 43% der vorgestellten Kinder in Form von Konzentrationsstörungen, motorischer Unruhe und Impulsivität beschrieben, die wesentlich mit den geklagten schulischen Leistungsstörungen im Zusammenhang standen (Abb. 8.9).

Datenbasis: CBCL 4-18, Elternfragebogen

(Angaben in Prozent)

0 20 40 60 80 100 120

sozialer Rückzug körperliche Beschwerden Angst, Depressivität soziale Probleme schizoid / zwanghaft Aufmerksamkeit Dissoziales Verh. Aggressivität

auffällig grenzwertig unauffällig

Abbildung 8.9: CBCL - Beurteilung der Kinder und Jugendlichen durch die Eltern

Aufmerksamkeitsprobleme wiesen in Studien zur Art und Häufigkeit psychischer und psychosomatischer Beschwerden, in denen der CBCL eingesetzt wurde, wiederholt hohe Prävalenzraten auf. Im Forschungsprojekt von Remschmidt und Walter (1990) beispielsweise nahmen Konzentrationsstörungen und Hyperaktivität mit jeweils 23%

bzw. 19% bei den Jungen und 13% bzw. 11% bei den Mädchen zwischen 8 – 11 Jahren die ersten Rangplätze ein. In der Altersgruppe der 12- bis 17-jährigen lagen diese Werte noch zwischen 12% bis 13%. Die Autoren der Arbeitsgruppe der Deutschen Child Behavior Checklist um Döpfner und Mitarbeiter (1993) fanden in der Skala der Aufmerksamkeitsstörungen bei allen Items eine um das Zweifache erhöhte Symptomausprägung in der repräsentativen Klinikstichprobe gegenüber der

Grundgesamtheit einer deutschen repräsentativen Feldstichprobe. Die Prävalenz von Aufmerksamkeitsstörungen in der nicht klinischen Bevölkerungsstichprobe von Kindern zwischen 4 – 10 Jahren lag in dieser Häufigkeitsstudie mit 5% bei den Jungen und mit 3,8% bei den Mädchen sogar deutlich niedriger.

25,5% der Eltern bewerteten ihre Kinder in der Beantwortung des CBCL-Fragebogens als „ängstlich/depressiv. In weiteren 15% waren die Einschätzungen in dieser Skala als grenzwertig einzuordnen. In der repräsentativen Vergleichuntersuchung von Lehmkuhl et al. (1998) fanden sich bei Kindern und Jugendlichen in der Normalbevölkerung Belastungsprävalenzen mit depressiven Symptomen bis zu 10 %.

Ein deutlich oder zumindest grenzwertig von der Vergleichsnorm des Testverfahrens abweichendes soziales Rückzugsverhalten der Kinder/Jugendlichen ergab sich bei der Auswertung der Fragenbogenergebnisse mit einer ebenfalls hohen Häufigkeit bei insgesamt 37% der Fälle. Mit fast gleicher Häufigkeit, mit der sie eine vermehrte Aggression kennzeichneten, betonten die Eltern in 23% der Fälle das Bestehen von Ängsten und/oder einer Depression des Kindes. Alle außer einem der dieser Skala zugeordneten Items trennten beispielsweise auch in der Vergleichsuntersuchung von Lehmkuhl et al. (1998) nachdrücklich die Klinikstichprobe von der Untersuchungsgruppe der Feldstichprobe. Das Item „Ist unglücklich/traurig oder niedergeschlagen“ kam in dieser Klinikstichprobe in einer 24 mal stärkeren Ausprägung vor. Damit entspricht die von uns untersuchte Patientengruppe, die als deutlich emotional belastet zu bezeichnen ist, sonstigen klinischen Populationen der KJPP.

27,1% aller Kinder wurden von ihren Eltern als ausgeprägt und weitere 7,1% als manchmal „aggressiv“ eingeschätzt. Die Skala „Dissoziales Verhalten“, auf welcher die Eltern in über 20% der Fälle zumindest grenzwertig von der Vergleichnorm abweichende Einschätzungen ihrer Kinder vornahmen, beinhaltet Symptome wie

„Lügen, Stehlen“ und bezieht sich nicht auf Straftaten.

Im Vergleich hierzu waren lediglich 3% aller Mädchen und 6% aller Jungen von den Eltern in der Grundgesamtheit der repräsentativen deutschen Feldstichprobe von Lehmkuhl et al. (1998) mit demselben Untersuchungsverfahren als ausgeprägt aggressiv eingeschätzt worden. Eine überhalb von einem Prozent liegende Einschätzung der 13

der Skala „dissoziales Verhalten“ zugeordneten Items als „auffällig“ nahmen die Eltern aus der repräsentativen deutschen Vergleichsstichprobe nur für 4 Items vor. Dabei ließen sich statistisch signifikante Verteilungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen nicht finden.

„Aggressives Verhalten“, dissoziales Verhalten, Aufmerksamkeitsprobleme und sozialer Rückzug waren auch in einer in hausärztlichen Praxen in Aachen durchgeführten repräsentativen Untersuchungsstichprobe von 508 Kindern und Jugendlichen mit der Child Behavior Checklist CBCL/4-18 als die häufigsten Probleme gefunden worden. (Ziegert et al., 2002).

Die Interpretation der in 20% der Fälle vorgenommenen hohen Kennzeichnung

„schizoid/zwanghaft“ muss die besondere inhaltliche Problematik dieser Skala beachten (s. Kap. 7.2.2). Die hier erfragten Symptome von Bedeutungszuschreibungen und Phantasieproduktionen des Kindes können als solche nicht als Ausdruck eines psychotischen Erlebens gewertet werden. Andererseits lagen auch die in dieser Skala ermittelten Prävalenzen deutlich über den Einschätzungen der genannten Vergleichsgruppe.

Übereinstimmend mit ihren spontanen Symptomschilderungen beschrieben die Eltern in 19 % der Fälle körperliche bzw. psychosomatische Störungen ihrer Kinder.

Bei einer im Auswertungsverfahren des CBCL vorgesehenen zusammenfassenden Auswertung ergibt sich für die Grundgesamtheit unserer Patienten ein deutliches Überwiegen „internalisierender Störungen“ mit Symptomen des sozialen Rückzugs, sozialer Probleme, Angst und Depression gegenüber den als „externalisierende Störungen“ bezeichneten aggressiven Verhaltensauffälligkeiten, Hypermotorik und dissozialen Symptomen (Abb. 8.10). Damit beschrieben die befragten Eltern auch in der Symptom- und Problemschilderung der CBCL/4-18 in erster Linie die Annahme eines hohen sozialen Belastungserlebens verbunden mit einem gleichzeitig vermuteten subjektiven Leidensdruck ihrer Kinder.

Datenbasis: CBCL/4-18, Elternfragebogen (Angaben in Prozent)

0 20 40 60 80 100 120

internalisierende Störungen externalisierende Störungen auffällig unauffällig

Abbildung 8.10: CBCL - Zusammenfassung

8.3.4 Auswirkung der Symptomatik/Problematik auf die soziale