8. Ergebnisse: Vernetzte Versorgung in Praxen für KJPP mit Versorgungsstrukturen nach SPV Versorgungsstrukturen nach SPV
8.3 Die behandelten Patienten
8.3.7 Sozioökonomische Statutszugehörigkeit
47,3% der Eltern waren Facharbeiter, Angestellte, Beamte im einfachen Dienst und Handwerker. Der Anteil mittlerer Angestellter und Beamter im mittleren Dienst betrug 17,9%. 8,8% waren der Gruppe der höher qualifizierten Angestellten zuzuordnen.
Akademiker und freiberuflich Tätige nahmen mit insgesamt 4,7 % einen geringen Anteil ein. Andererseits wurde nur in 6,3% der Fälle ein angelernter Beruf und in weiteren 1,8%
eine Tätigkeit als ungelernter Arbeiter mitgeteilt (Abb. 8.14).
unbekannt trifft nicht zu Akademiker/frei Beru Selbst mittl Betrieb Selbst. kl. Betriebe Kl. selbst. Gewerbtr Kleine Selbständige, Leitende Angestellte Höher qual. Ang.
Mittlere Angestellte Facharb, Handwerker Angelernte Berufe Ungelernter Arbeiter
Häufigkeit
300
200
100
0
Abbildung 8.14: Beruflicher Status der Eltern
Zur Beschreibung des sozioökonomischen Status der Eltern wurde die Berufstätigkeit des Elternteils zugrunde gelegt, der eine „sozial höhergestellte“ Tätigkeit ausübte. Die sozioökonomische Schichtzugehörigkeit der Eltern/Ersatzeltern der vorgestellten Kinder und Jugendlichen war nach dem Schichtenschema von Kleining &
Moore (1968), das diese für die ländliche Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland ermittelt hatten, somit vorwiegend den Bereichen der „unteren Oberschicht“ bis „oberen Mittelschicht“ zuzuordnen.
Andere Studien über Inanspruchnahmepopulationen kinder- und jugendpsychiatrischer Einrichtungen beschrieben zu verschiedenen Untersuchungszeitpunkten ähnliche Verteilungen (Jungmann et al., 1978; Remschmidt &
Walter, 1990; Döpfner et. al., 1997). Bei ihrer vergleichenden Untersuchung verschiedener Einrichtungen zur psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen stellten Remschmidt und Walter teilweise erhebliche Unterschiede in der Schichtenzusammensetzung der Klientele fest. Während Kinder aus unteren sozialen Schichten beispielsweise in Frühberatungsstellen, jugendärztlichen Diensten der Gesundheitsämter und in kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen stärker repräsentiert waren, fand sich, ähnlich wie in unserer Stichprobe, eine stärkere Betonung der „oberen Mittelschichtzugehörigkeit“ in kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen.
Die nach ihrer Literaturdurchsicht gemachte Feststellung, wonach sich einfache Beziehungen zwischen sozioökonomischer Schichtzugehörigkeit und psychischer Symptomprävalenz allerdings nicht sichern lassen, führten Remschmidt & Walter sowohl auf die „komplexe Natur“ des Schichtenbegriffes als auch darauf zurück, „dass bestimmte psychische Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter in weit höherem Maß reifungs- als milieuabhängig sein dürften und Schichtunterschiede deshalb zumindest geringer als bei Erwachsenen ausfallen müssen“ (Remschmidt & Walter, 1990).
Nur 3% der Patienten waren Ausländer gegenüber 8,9% ausländischen Mitbürgern in der Gesamtbevölkerung (Statistisches Bundesamt Deutschland, 2004). Studien zur Prävalenz psychischer Störungen ausländischer Kinder und Jugendlicher ergaben, dass diese nicht häufiger von psychischen Störungen betroffen sind als deutsche. In
Migrationsstudien erwies sich vielmehr, dass in Deutschland lebende ausländische Kinder und Jugendliche psychisch gesünder waren als ihre Altersgenossen in den jeweiligen Heimatländern (z. B. Steinhausen & Remschmidt, 1982). Es ist davon auszugehen, dass kulturelle Widerstände, Sprachbarrieren und mangelnde Informationen bei manchen Ausländergruppen einer Vorstellung bei einer deutschen Ärztin oder einem deutschen Arzt entgegenstehen. Vor allem in der Gruppe von traumatisierten Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern ohne geregelten Status dürften nicht selten auch Versicherungsfragen und Ängste vor offiziellen Stellen an sich eine dringend notwendige Diagnostik und Therapie verhindern. Hier zeigt sich eine wichtige Versorgungslücke, die wohl ebenso andere Arztgruppen betrifft und eher allgemeiner Natur ist.
unbekannt nie zusammengelebt durch Tod getrennt
getrennt/geschieden leben zusammen
Häufigkeit
400
300
200
100
0
Abbildung 8.15: Beziehungsstatus der leiblichen Eltern
Insgesamt 98% der in der KJPP vorgestellten Kinder und Jugendlichen lebten mit einem leiblichen Elternteil zusammen. In 93,1% der Fälle war dies die leibliche Mutter, bei 63,3% der leibliche Vater. Die Kinder wohnten daher nur noch in 60,3% der Fälle mit beiden leiblichen Eltern in einer gemeinsamen Familie zusammen (Abb. 8.15, 8.16 u.
8,17).
unbekannt keiner Mutter
Großmutter Pflegemutter
Adoptivmutter Stiefmutter
leiblicher Mutter
Häufigkeit
500
400
300
200
100
0
Abbildung 8.16: Kind lebt bei Mutter/Ersatzmuter
Zur Kinderzahl in der Aufenthaltsfamilie ergab sich, dass 50,5% aller betroffenen jungen Menschen in einer Familie mit 2 Kindern lebten. Bei weiteren 21.6% befanden sich drei und mehr Kinder in der Familie. Mit insgesamt 24,4% lag die Angabe der Ein-Kind-Familie deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. 40% der urbanen Familien sind nach statistischen Untersuchungen Ein-Kind-Familien (Bertram, 1994).
unbekannt keinem Vater Verwandten, sonst Er Großvater
Pflegevater Adoptivvater
Stiefvater leiblichem Vater
Häufigkeit
400
300
200
100
0
Abbildung 8.17: Kind lebt bei Vater/Ersatzvater
Aus der Übersicht über die Erwerbstätigkeit der Eltern (Abb. 8.18 u. 8.19) geht hervor, dass die Väter (71,1%) überwiegend ganztags berufstätig waren. Während sie nur zu 1% ausschließlich die Versorgung des Haushaltes als zentrale Tätigkeit nannten, waren es 32,6% der Mütter, denen augenscheinlich unverändert die Hauptsorge für Haushaltsführung, Erziehung und tägliche Betreuung ihrer Kinder übertragen worden war.
Allerdings gingen Mütter in hohem Umfang einer Erwerbstätigkeit in Form von regelmäßiger Teilzeitbeschäftigung (29.1%) und ganztägiger Erwerbstätigkeit (18,1%) nach, was für eine nicht unerhebliche Doppelbelastung sprach.
Ähnliche Verhältnisse mit allerdings deutlich höheren Zahlen der Arbeitslosigkeit sowohl der Väter als auch der Mütter fanden bei der Untersuchung von Inanspruchnahme-populationen sozialpsychiatrischer Versorgungsprojekte in
Sachsen-Anhalt, in welchen Eltern wegen erheblicher psychischer Störungen ihrer Kinder um komplexe Hilfestellung nachsuchten (Jungmann, 2000; 2002).
Unb./K. lebt n. b. M im Haush tätig
Rentnerin Ausbild/Umschul Ohne Ausbild/Arbeit Zeitweise beschäftig Regelmäßig teilzeitb Schichtarbeit (keine Erwerbstätig/ganztag
Häufigkeit
200
100
0
Abbildung 8.18: Derzeitige Tätigkeit der Mutter/Ersatzmutter
Der Befund der einerseits häufig erwerbstätigen und andererseits alleinerziehenden Mütter in unserer Untersuchungsstichprobe bestätigt die Annahme, dass die Erwartungen, die heute an die Lebensplanung von Frauen gestellt werden, weiterhin deren doppelte Orientierung an Familie und Beruf propagieren. Während Väter sich meist primär in ihrem Beruf engagieren und die Erziehungsarbeit ihrem Ehepartner überlassen, haben Mütter somit die Doppelbelastung von Beruf und Haushalt häufig alleine zu tragen. Man fand bei entsprechenden Erhebungen, dass vor allem jüngere Kinder unter sechs Jahren überwiegend von der Mutter betreut werden, wenn beide Eltern erwerbstätig sind (Landtag von Baden-Württemberg – 11. Wahlperiode (1994).
Solche psychosozialen Faktoren dürften besonders dann bedeutsam werden, wenn es zu ernsten Problemen in der psychischen Entwicklung des Kindes kommt.
Unbekannt im Haush tätig Rentner
Ohne Ausbild/Arbeit Zeitweise beschäftig Regelmäßig teilzeitb
Schichtarbeit (keine Erwerbstätig/ganztag
Häufigkeit
400
300
200
100
0
Abbildung 8.19: Derzeitige Erwerbstätigkeit des Vaters/Ersatzvaters
Mit 17,5% lag die Angabe einer psychischen Erkrankung bei einem anderen Familienmitglied im Bereich der Ergebnisse epidemiologischer Untersuchungen von kinder- und jugendpsychiatrischen Stichproben, in denen psychosoziale Belastungen dieser Art erfragt wurden (Jungmann, 1978; Werner und Poustka, 1996).