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2.3 Methode: narrationslogische Analyse

2.3.2 Vorgehensweise und Aufbau der empirischen Studie

1. In erster Linie sollen anhand der sekundären Literatur innerhalb des polni-schen Außenpolitikdiskurses die zentralen Themenbereiche unterschieden und die wichtigsten außenpolitischen Fragen, die in der öffentlichen Diskussi-on als sicherheitsrelevant eingeordnet werden, identifiziert werden (Kap. 3).

2. Der zweite Schritt (Kap. 4) besteht aus einer Auswertung von Presseartikeln aus den Jahren 1999-2006. Ziel der Analyse ist es, die Konstruktion der politi-schen und gesellschaftlichen Sicherheit im politipoliti-schen Diskurs zu untersu-chen. Wie die Abbildung 5 veranschaulicht, fungieren hier als Referenzobjekte der Sicherheitsdiskurse Polen als Staat und Polen als Nation; einzelne Narra-tionen, in denen Bedrohungen aufgezeichnet werden, stellen dabei die Analy-seeinheiten dar.

Referenzobjekt Narrationen

Polen als Staat Konstruktion der politischen Sicherheit Russland

Transatlantische Beziehungen Europäische Sicherheit

Polen als Nation Konstruktion der gesellschaftlichen Sicherheit Europäische Integration

Abbildung 5: Referenzobjekte und Narrationen zur Konstruktion der Sicherheit (Quelle: ei-gene Darstellung)

Die als der zweite und gleichzeitig wesentliche Teil der Fallstudie vorgesehene Untersuchung folgt dem Prinzip einer „reflektierten Rekonstruktion“ (Diaz-Bone 2006:

17) und beinhaltet zwei Arbeitsphasen: In einer Sondierungsphase, die vor allem dazu dient, die Strukturen des Untersuchungsfelds, Institutionen, Akteure und ver-fügbare Datenbestände zu identifizieren, werden zunächst die zu analysierenden Materialien zusammengestellt (Textkorpus). Daraufhin folgt die Aufgabe, „die Regel-haftigkeit der Diskurse zu beschreiben“ (ebd.: 18), was in der vorliegenden Studie der Rekonstruktion von Narrationen gleicht. Hierfür werden in der Literatur zwei von-einander zu unterscheidende Strategien vorgeschlagen, die aber weitgehend kompa-tibel sind und in dieser Arbeit ergänzend angewandt werden sollen. Während es in der ersten darum geht, von den Indikatoren auf der wörtlichen Ebene auf die Deu-tungsrahmen der Narration zu schließen, bedient sich das zweite Verfahren der typi-schen narrativen Strukturelemente (Episoden, Aktanten und narrative Plots), um dann nach rhetorischen Mitteln zu suchen, die die formalen Strukturen füllen (Viehö-ver 2001: 190).

Folgt man der ersten heuristischen Strategie, so setzt sich die eigentliche Textanaly-se aus zwei Aufgaben zusammen (Diaz-Bone 2006: 22-26):

1. Anhand einer Analyse der Textoberfläche werden sprachliche Elemente identi-fiziert:

• Welche wiederkehrenden Thematisierungen, Problematisierungen finden sich?

• Was sind die Modalitäten der Argumentation?

• Welche Handlungsstrukturen weisen die Narrationen auf?

2. Die diskursiven Beziehungen werden rekonstruiert:

• Was findet sich „regelmäßig“ als Problematisierung, als Kategorie, als Be-wertung?

• Welche Verknüpfungen, welche Oppositionen werden ins Spiel gebracht?

• Welche Kohärenzen und Widersprüchlichkeiten können identifiziert wer-den?

• Gibt es fundamentale Schemata?

• Kann eine Tiefenstruktur (z. B. ein System der Kollektivsymbole)

rekon-Die zweite heuristische Strategie setzt sich methodisch gesehen aus der Analyse von drei narrativen Strukturen zusammen (Viehöver 2001: 194-199):

1. Identifikation der Sequenzen und Episoden der Narration (z. B. Problem, Prob-lemursache, Problemfolgen, Lösungen, ihre Konsequenzen, legitimierende Leitbilder und Prinzipien),

2. Analyse der Aktantenbeziehungen (Sender / Empfänger, Subjekt / Objekt, Held / Bösewicht),

3. Rekonstruktion des Plots, der die Erzählung strukturiert.

Nachdem die Analyse in diesen drei Bereichen erfolgt ist und Verbindungen zu den spezifischen rhetorischen Mitteln auf der Textoberfläche aufgezeichnet wurden, las-sen sich die Werte- und Argumentationsstrukturen der Narration aufzeigen. Diese ermöglichen schließlich die Identifikation konkurrierender Narrationen (ebd.: 199).

Als Grundlage für die Durchführung der in dieser Arbeit vorgesehenen Analyse bietet es sich an, sich an der zweiten hier besprochenen Strategie zu orientieren. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass für einen der theoretischen Pfeiler der Arbeit, d. h. für die Theorie der securitization, die narrativen Strukturelemente eine zentrale Bedeutung haben. Da in diesem Rahmen sowohl die Aktantenrollen als auch der securitization- bzw. desecuritization-Plot die Hauptkriterien für die Auswahl der zu untersuchenden Themenbereiche und Narrationen darstellen, ist es in Bezug auf die Methode sicherlich sinnvoll, ebenfalls diese Elemente als den Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen. Für die Analyse der Textoberfläche können hingegen die Leit-fragen der erstgenannten Strategie hingezogen werden.

Als Hauptquelle für die Analyse der Konstruktion der politischen und gesellschaftli-chen Sicherheit in Polen fungiert hier der politische Diskurs, so wie er den mit Hilfe von Medien geführten öffentlichen Diskussionen über außenpolitische Themen zu entnehmen ist. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf die Jahre 1999 bis 2006. Der Textkorpus setzt sich aus Medientexten zusammen, die in dieser Zeit in der polnischsprachigen Presse erschienen sind. Bei der Zusammenstellung des Materials spielte das inhaltliche Kriterium die entscheidende Rolle. Die Auswahl der Dokumente erfolgte in zwei Schritten:

1. Für eine erste mechanische Auswahl aus dem elektronischen Datenbestand (Internet-Archive der Zeitungen und Zeitschriften) wurden als Suchkriterien bestimmte Schlüsselwörter festgelegt. Diese lassen sich in zwei Kategorien

unterteilen: Erstens handelte es sich um funktionale Begriffe aus dem lexi-kalischen Feld der Sicherheit und Außenpolitik wie z. B. bezpieczeństwo narodowe (dt. nationale Sicherheit), interes narodowy (dt. nationales Interes-se), racja stanu (dt. Staatsräson), naród (dt. Nation), zagrożenia (dt. Bedro-hungen). Die zweite Kategorie umfasste geographische und politische Bezeichnungen wie z. B. Rosja (dt. Russland), Niemcy (dt. Deutschland), Stany Zjednoczone (dt. Vereinigte Staaten), Unia Europejska (dt. Europäische Union), integracja europejska (dt. Europäische Integration), stosunki transatlantyckie (dt. transatlantische Beziehungen) u. a.

2. Beim anschließenden Sichten der mechanisch ausgewählten Dokumente wurde vor allem auf ihre innere Struktur (Länge, Genre, Stil, Argumentation) geachtet. Das Ziel dabei war, durch die Feinauswahl einen möglichst qualitativ repräsentativen Textkorpus zu erstellen. Da quantitative Repräsentativität nicht im Vordergrund der diskursanalytischen Untersuchung steht, wurden den kurzen Meldungen längere und fundierte Artikel vorgezogen. Gleichzeitig wur-de versucht, Doppelungen von Argumentationsstrukturen zu vermeiwur-den. Im Laufe der Feinauswahl hat es sich ebenfalls einige Male ergeben, dass auf-grund der Querverweise in den gesichteten Dokumenten weitere interessante Texte in den Korpus aufgenommen werden konnten, die in der ursprünglichen automatisch erstellten Sammlung nicht vorhanden waren. Dies bestätigte die Vermutung, dass die Auswahl der Texte allein anhand von Schlüsselwörtern nicht nur zu einer zu breit gefächerten Datensammlung geführt hätte, sondern auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten nicht ausreichend gewesen wäre.

Bei der Zusammenstellung des Untersuchungsmaterials wurden drei Printmedien berücksichtigt:

1. Rzeczpospolita (RP)

Rzeczpospolita ist eine landesweit erscheinende Tageszeitung mit einer Druckauflage von 200.000 und einer verkauften Auflage von 137.000 Exemp-laren [ZKDP 2006, 4. Quartal]23. Sie wurde im Jahr 1981 als eine Regierungs-zeitung gegründet. 1991 wurde die Zeitung von der neuen demokratischen

23 Alle hier angeführten Informationen über die Druckauflage und die verkaufte Auflage der Zeitungen stammen aus dem Datenbestand des Związek Kontroli Dystrybucji Prasy (ZKDP, Verband zur

Kontrol-Regierung in die Unabhängigkeit entlassen. Sie erscheint von Montag bis Samstag in dem sog. Broadsheet-Format und pflegt ein elitäres und konserva-tives Image. Der Sitz der Redaktion ist Warschau.

2. Tygodnik Powszechny (TP)

Tygodnik Powszechny (Allgemeine Wochenzeitung) ist eine seit 1945 landes-weit erscheinende katholische Wochenzeitung mit einer Druckauflage von 40.000 und einer verkauften Auflage von 20.000 Exemplaren [ZKDP 2006, 4.

Quartal]. Die Zeitung versteht sich als ein Blatt der katholischen Intelligenz und erscheint in Krakau.

3. Polityka (Pol)

Polityka ist eine landesweite Wochenzeitschrift mit einer Druckauflage von 273.000 und einer verkauften Auflage von 163.000 Exemplaren [ZKDP 2006, 4. Quartal]. Sie wurde 1957 als systemloyales Gegenstück zur verbotenen Zeitung „Po prostu“ (dt. „Einfach“) gegründet. Ursprünglich als eine Zwischen-lösung gedacht, wurde die linksliberale, in Warschau erscheinende Polityka in ihrer mittlerweile über 50jährigen Existenz zu einer wichtigen Institution in der polnischen Medienlandschaft.

Alle drei Printmedien gehören der in Polen immer noch weniger als in Deutschland entwickelten Kategorie der Qualitätspresse an. Daraus folgt auch, dass – was die politische Ausrichtung angeht – die Auswahl ein breites Spektrum der in den gesell-schaftlichen Diskussionen präsenten Ansichten widerspiegelt, die aber extreme bzw.

sehr kontroverse Meinungen eher ausschließen.

3 Grundlinien der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik nach 1989

Im Anschluss an die theoretischen Vorüberlegungen, auf die sich die vorliegende Fallstudie stützt, befasst sich dieses Kapitel mit der Auswertung der bisherigen For-schung über die polnische Außen- und Sicherheitspolitik. Neben Einschätzungen zum aktuellen Stand der Forschung in diesem Bereich sollen hier auch ausgewählte Ergebnisse genauer präsentiert werden, um auf der Grundlage sekundärer Literatur die Rahmenbedingungen der polnischen Außenpolitik nach der Wende zu erläutern und die Grundlinien ihrer Entwicklung nach 1989 nachzuzeichnen. Ziel dieser Aus-führungen ist es, eine Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit zu schaffen, in dem die Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Sinn- und Meinungsbildung nach 1999 analysiert wird. Bei den folgenden Darstellungen wird es also darum ge-hen, zum einen eine Übersicht über entscheidende innen- und außenpolitische Er-eignisse zu erstellen und zum anderen die wesentlichen Themen des außenpoliti-schen Diskurses der 1990er Jahre zu identifizieren und kurz zu charakterisieren.

Die folgende Auswertung der politikwissenschaftlichen Literatur über die polnische Außen- und Sicherheitspolitik nach 1989 erfolgt in drei Schritten: Zunächst werden Forschungsarbeiten zu diesem Thema vorgestellt (3.1), bevor der Frage nach den Rahmenbedingungen der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik nach 1989 nach-gegangen werden soll (3.2). In einem dritten Schritt werden schließlich die Schwer-punkte der außenpolitischen Debatten der 1990er Jahre beleuchtet (3.3).