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Infolge des politischen Umbruchs von 1989, der die geopolitische Lage Polens grundlegend verändert hat, rückte die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes ver-stärkt in den Blickwinkel politikwissenschaftlicher Forschung. In den letzten 15 Jah-ren sind zu diesen Entwicklungen zahlreiche Forschungsarbeiten entstanden, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Dabei werden hauptsächlich deutsch-, eng-lisch- und polnischsprachige Arbeiten berücksichtigt.

In der deutschsprachigen politikwissenschaftlichen Literatur lassen sich in den letz-ten Jahren zwar wenige, aber durchaus interessante Publikationen finden, die sich mit der Außen- und Sicherheitspolitik Polens auseinandersetzen. Quantitativ gese-hen scheint das wissenschaftliche Interesse an der politiscgese-hen Entwicklung der mit-tel- und osteuropäischen Staaten seit dem Ende der 1990er Jahre, d. h. im Vergleich zu der großen Welle an Arbeiten aus dem Bereich der Transformationsforschung24, eher gesunken zu sein. Dennoch fällt die gegenwärtige Außenpolitikforschung positiv auf, da nicht nur ihre empirischen Fragestellungen weit über die allgemeine Trans-formation des politischen Systems und der politischen Kultur hinausreichen, sondern in den letzten Jahren auch eine Differenzierung der theoretischen Zugänge sichtbar geworden ist.

Als Beispiele dieser Forschungslinie können an dieser Stelle einige Arbeiten von jün-geren Politikwissenschaftern angeführt werden, die sich überwiegend mit der Euro-papolitik Polens befassen. Aus einer institutionalistischen Perspektive analysiert Bieniek (2005) die außen- und europapolitischen Positionen der politischen Parteien.

Einer ähnlichen Frage, der nach europäischen Leitbildern und Grundverständnissen, geht Münch (2007) nach, indem er mit Hilfe inhaltsanalytischer Methoden die Finali-tätsideen der polnischen politischen Parteien untersucht. Die Europabilder von Euro-enthusiasten, Eurorealisten und Euroskeptikern untersucht auch Hahn (2007), deren Arbeit einem konstruktivistischen Ansatz folgt und den Ursprung europapolitischer Vorstellungen in der polnischen Politik anhand von Identitätskonzeptionen erklärt.

Gerhardt (2003), der auf den ebenfalls konstruktivistisch verorteten PAFE-Ansatz25 zurückgreift, widmet sich hingegen der Untersuchung der polnischen Ostpolitik. Fer-ner sind an dieser Stelle noch die Aufsätze von Frank (2003 und 2005) zu nennen, die sich explizit mit der polnischen Sicherheitspolitik befassen und – basierend auf dem Konzept einer „verstehenden Sicherheitspolitik“ – Denkmuster, Leitsätze und sicherheitspolitische Praktiken analysieren.

24 Als Beispiele der Arbeiten, in denen die Systemtransformation in Polen analysiert wurde, können folgende Publikationen genannt werden: Bingen 1993 und 1995; Altmann/ Hirsch 1994; Wolf-Powęska 1994; Wollmann/ Wiesenthal/ Bönker 1995; Fehr 1996 und 1998; Osiatyński 1997; Wollmann 1997;

Franzke 1998; Matthes 1999; Franz 2000; Ziemer 1998 und 1999.

25 Bei dem PAFE-Projekt (Project on the Comparative Analysis of Foreign Policies in Europe) handelt es sich um ein Forschungsprojekt, das in den Jahren 2000-2002 am Lehrstuhl für Internationale Be-ziehungen der Universität Trier durchgeführt wurde. Der von den Autoren selbst als „gemäßigt kon-struktivistisch“ bezeichnete PAFE-Ansatz geht davon aus, dass das außenpolitische Verhalten von Staaten wesentlich durch ihre jeweilige „nationale Identität“ geprägt ist. Für ausführliche Informationen über das Projekt und seine Ergebnisse s. Joerißen/ Stahl 2003 und http://www.politik.uni-trier.de/forschung/pafe_pubs.php [Datum des Zugriffs: 21.01.2008].

Die wenigen englischsprachigen wissenschaftlichen Arbeiten zur polnischen Außen-politik unterstreichen die Kontinuität und eine gewisse Kohärenz der außenpoliti-schen Orientierung Polens in den 1990er Jahren sowie einen bemerkenswerten Konsens innerhalb der politischen Eliten in Bezug auf die außenpolitischen Ziele (Rachwald 1993, Prizel 1995, Vinton 1995, Terry 2000). Eine aus Sicht der vorlie-genden Studie besonders interessante Analyse, die sich dem Zusammenhang zwi-schen der polnizwi-schen nationalen Identität und der Außenpolitik widmet, findet sich in einer Publikation von Prizel (1998), in der die Außenpolitik Polens, Russlands und der Ukraine verglichen werden. Da diese Analysen hauptsächlich der in den USA verbreiteten Forschungstradition der „Post-Kommunismus-Studien“ oder der area studies angehören, handelt es sich dabei überwiegend um beschreibende Arbeiten, die das Ziel verfolgen, gegenwärtige Entwicklungen festzuhalten, und nicht um poli-tikwissenschaftliche Studien mit einem theoriebezogenen Anspruch. Als eine Aus-nahme kann an dieser Stelle allerdings ein neuerer Aufsatz von Pomorska (2007) gelten, in dem aus einer institutionalistischen Perspektive die Europäisierungsten-denzen im Prozess des außenpolitischen policy-making untersucht werden.

Eine bedeutsame Analyse der sicherheits- und außenpolitischen Orientierung Polens bietet die 2007 als Chatham House Paper unter dem Titel The New Atlanticist.

Poland’s Foreign and Security Policy Priorities erschienene Studie von Kerry Longhurst und Marcin Zaborowski. In bester Tradition umfassender historischer Fall-studien im Rahmen der traditionellen Außen- und Sicherheitspolitikforschung werden hier das als the culture of foreign and security policy verstandene sicherheits- und außenpolitische Profil Polens und seine strategische atlantische Ausrichtung erörtert, um auf dieser Grundlage die Entwicklungen in den wichtigsten außenpolitischen Be-reichen zu beschreiben und zu analysieren. Hierzu zählen die Sicherheitspolitik der Europäischen Union, die Ostpolitik sowie die allgemeine Europapolitik.

Die verfügbaren polnischen politikwissenschaftlichen Publikationen, die sich mit au-ßen- und sicherheitspolitischen Fragen befassen, haben überwiegend deskriptiven Charakter und basieren implizit auf einem rationalistischen Modell, das sich Begriffen wie „nationale Interessen“ und „externe und interne Bedingungen“ bedient. Die Ziel-setzung der polnischen Außenpolitik in den Jahren 1989-2000 und den Stellenwert der Sicherheitsfragen zu erläutern, stand am Ursprung des 2001 von dem War-schauer Politikwissenschaftler Roman Kuźniar herausgegebenen Sammelbands

mittlerweile zu einem Standardwerk zu diesem Thema geworden ist, bietet einen Überblick über die bi- und multilateralen Beziehungen Polens in den Jahren 1989-2000 und analysiert, unter besonderer Berücksichtigung der Verteidigung, die inne-ren Faktoinne-ren der polnischen Sicherheitspolitik. Zahlreiche ebenfalls um die Jahrtau-sendwende herum entstandene Publikationen sind hingegen von einer anderen Ten-denz geprägt. Sie versuchen, eine Bilanz des ersten Jahrzehnts selbstständiger polnischer Außenpolitik zu ziehen und bedienen sich dabei verstärkt geopolitisch ori-entierter Argumentationen (vgl. Wieczorek/ Kłudka 1997, Bieleń 1999, Zięba 1999, Piwnicki 2001, Janowski 2001, Kuźniar/ Szczepanik 2002, Otłowski 2002, Wojtaszczyk 2002, Bartosiewicz 2003, Madera 2003).

Eine wiederum andere Entwicklungsrichtung, die durch die polnische Publizistik an-gestoßen wurde, ist in einigen jüngeren Arbeiten zu sehen, die die Auswirkungen innenpolitischer und kultureller Faktoren auf die Gestaltung der Außenpolitik in den Blick nehmen. In dieser Perspektive wird häufig auf die polnische politische Kultur zurückgegriffen, um beispielsweise nach dem Einfluss historischer Erfahrungen auf die Formulierung außenpolitischer Positionen zu fragen. An dieser Stelle sind vor allem Arbeiten jüngerer Wissenschaftler und Publizisten zu nennen, darunter vor al-lem die Analysen von Olaf Osica, in denen die Rolle der Geschichte in der polni-schen Sicherheitspolitik thematisiert wird (Osica 2001, 2002 und 2004). Diese neue Perspektive wurde in dem im Jahr 2003 erschienenen Sammelband Kultura bezpieczeństwa narodowego w Polsce i Niemczech (dt. Die Kultur der nationalen Sicherheit in Polen und Deutschland) theoretisch weiter ausgearbeitet. Der von Krzysztof Malinowski, Mitarbeiter des Westinstituts an der Universität Posen, heraus-gegebene Band beinhaltet eine theoretische Diskussion des rationalistischen und des konstruktivistischen Ansatzes zur Analyse der Außenpolitik. Darauf folgt eine auf konstruktivistischen Prämissen basierende Analyse der Sicherheitskulturen in Deutschland und in Polen, in deren Mittelpunkt die kulturellen Einflüsse auf die Au-ßen- und Sicherheitspolitik der beiden Länder stehen. Obwohl dieser Vergleich eine gewisse Generalisierung der Regeln der „inneren“ Gestaltung der Sicherheitspolitik ermöglicht, fehlt es ihm an einer Verknüpfung zwischen der konstruktivistischen The-orie und der empirischen Untersuchung. Das Buch belässt es bei einer Analyse der

„psychologischen“ und „kulturellen“ Faktoren, indem es, ähnlich wie die dort zitierten amerikanischen Autoren (Keohane 1988, Wendt 1999), die Transparenz der Sprache

voraussetzt und diese als ein bloßes, transparentes Medium der „Bedeutung“ und eine Übersetzung des „Denkens“ versteht.

3.2 Rahmenbedingungen polnischer Außenpolitik nach