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2.3 Methode: narrationslogische Analyse

2.3.1 Securitization als Narration

Aus Sicht der „Kopenhagener Schule“ stellt die securitization gleichzeitig einen Sprechakt und einen Prozess dar: „The process of securitisation is what in language theory is called a speech act.”19 (Buzan/ Wæver/ de Wilde 1998: 26). Während der Sprechakt dadurch zu Stande kommt, dass in der versicherheitlichenden Äußerung auf eine Gefahr hingewiesen wird, setzt die Prozesshaftigkeit der securitization vor-aus, dass eine komplette Bedrohungskonstruktion in der Regel mehrerer Sprechakte bedarf, um einen Erfolg zu erzielen. Auf der Grundlage dieser Beobachtung kann der gesamte Prozess der securitization als eine Narration aufgefasst werden, die aus mehreren Sequenzen besteht und mehr als eine zeitliche Referenz umfasst. Sowohl der kommunikative (Sprechakt) als auch der narrative (Erzählung) Aspekt von securitization ziehen wichtige forschungspraktische Folgen nach sich: Die securitization als einen Sprechakt anzusehen, ermöglicht es, anhand der Analyse von Diskursen die einzelnen securitization-Versuche zu identifizieren, um sie anschließend genauer zu beleuchten. Durch die Untersuchung der inneren, narrati-ven Struktur von Bedrohungskonstruktionen lassen sich hingegen die securitization-Prozesse an sich und ihr Funktionieren innerhalb einer politischen Öffentlichkeit bes-ser nachvollziehen.

Um die Prozesshaftigkeit der securitization anhand einer empirischen Analyse zu verdeutlichen, werden Narrationen im Mittelpunkt der im Rahmen dieser Arbeit durchzuführenden Untersuchung von Sicherheitsdiskursen in den polnischen außen-politischen Debatten stehen. Eine solche Herangehensweise an gesellschaftliche Prozesse der Wissenskonstruktion stützt sich auf die Erkenntnis, dass die Narration als eine Logik verstanden werden kann, die soziale Prozesse organisiert (Swidler 2001: 189). Es handelt sich also um eine kultursoziologisch inspirierte Perspektive, die die Bedeutung narrativer Formen betont und sie als “fundamental devices for ordering understandings of the social and natural worlds“ (ebd.: 190) betrachtet.

Überträgt man diesen Gedanken auf die securitization-Prozesse, so kann daraus

abgeleitet werden, dass eine Erzählung über Sicherheit, die innerhalb eines kulturel-len Rahmens stattfindet, bestimmte soziale Strukturen schafft, die als Gedächtnis sozialer Prozesse funktionieren (Abbott 2001: 258). Diese Erzählung zu rekonstruie-ren, gibt daher Aufschluss über ihre narrativen Muster und ermöglicht somit eine ge-wisse Verallgemeinerung in Bezug auf den securitization-Prozess.

Die Vertreter der „Kopenhagener Schule” gehen davon aus, dass es sich bei der se-curitization um eine spezifische Art von Sprechakt handelt. Seine Besonderheit besteht im “casting of the issue as one of an “existential threat“, which calls for extraordinary measures beyond the routines and norms of everyday politics”

(Williams 2003: 514). Um dieser speziellen Stellung von securitization-Versuchen innerhalb der außenpolitischen Gesamterzählung Rechung zu tragen, wird hier auf das von Andrew Abbott entwickelte Konzept des turning point zurückgegriffen. Abbott definiert turning points als “consequential shifts that redirect a process“ (Abbott 2001:

258) und merkt an, dass sie selbst ebenfalls als Prozesse zu verstehen sind und eine zeitliche Dimension haben (Abbott 2001: 251). In Anlehnung an dieses Konzept kön-nen auch die Prozesse der securitization bzw. der desecuritization, die eine Verände-rung im Umgang mit bestimmten Themen erzielen, als turning points betrachtet wer-den. Die Tatsache, dass es sich dabei um Konzepte handelt, die sich jeweils auf zwei verschiedene zeitliche Referenzen beziehen (vorher und nachher), bedeutet, dass sie einen narrativen Charakter haben und folglich in Form einer Erzählung wie-dergegeben werden können. Um den Prozess zu erforschen, gilt es daher, die ihm entsprechende Narration zu rekonstruieren und ihre Strukturprinzipien zu erörtern.

In dem Bestreben, die narrativen Muster innerhalb der Sicherheitsdiskurse zu unter-suchen, folgt die vorliegende Arbeit der These von Viehöver (2001: 178), dass es sich bei Narrationen um Regelsysteme handelt, die neben anderen sich wiederho-lenden Mustern und Schemata wie z. B. Metaphern, Kollektivsymbolen oder Mythen Diskurse strukturieren. Die narrativen Schemata können dabei in doppelter Weise konzipiert werden: Zum einen kann eine Narration im Hinblick auf ihre Strukturen und Inhalte untersucht werden. Zum anderen kann sie aber auch als Prozess (Narrativi-sierung) verstanden werden. Viehöver führt diese Unterscheidung von Herrnstein Smith (1981: 227-228) an, um zu betonen, dass „Narrationen (…) somit als struktu-rierte und als strukturierende Struktur zu verstehen [sind], die im Rahmen von Dis-kursen sowohl Moment der Reproduktion (Integration, Distinktion, Mobilisierung) als auch der Transformation und Kritik sein können.“ (Viehöver 2001: 179). Diese

Unter-scheidung kann ebenfalls hilfreich sein, um deutlich zu machen, dass Faktoren wie soziale Struktur oder kulturelle Traditionen in Narrationen wiedergegeben werden und dadurch Diskurse strukturieren, auch wenn Veränderung oder Transformation der Diskurse immer möglich bleiben (vgl. ebd.). Dadurch, dass es dabei immer Wi-dersprüche gibt, werden ständig Fragmente umdefiniert und mit dem dominierenden Diskurs konfrontiert (Wæver 1994: 255). Dies bedeutet auch, dass sich die Erzäh-lung im Verlauf des Diskurses ändern kann und Lernprozesse möglich sind (Eder 1999).

Der Prozess der Narrativisierung stellt daher die Möglichkeit dar, innerhalb öffentli-cher Debatten bestimmte Vorstellungen und Präferenzstrukturen zu transformieren (Viehöver 2001: 188).20

Insgesamt können vier Typen von Narrationen unterschieden werden (Viehöver 2001: 183-184):

1. ontologische Narrationen, d. h. Erzählungen, die dazu dienen, individuelles Leben zu ordnen und zu beschreiben21;

2. öffentliche Narrationen, die im Prinzip mit allen kulturellen und institutionellen Formationen verbunden sind;

3. Meta-Narrationen, zu denen z. B. große Erzählungen, Gründungsmythen oder Religionen gehören, sowie

4. konzeptionelle Narrationen, d. h. analytische Erklärungsmodelle, derer sich die Wissenschaft bedient.

Für eine Diskursanalyse im Bereich der Außenpolitik ist vor allem der zweite Typ – die öffentlichen Narrationen – von besonderem Interesse. Zu dieser Gruppe gehören

20 Einen interessanten Vorschlag, wie man mit Hilfe des Konzeptes des turning point zur einer Erklä-rung des Wandels gelangen kann, hat Andrew Abbott unterbreitet, indem er sich für eine UmkehErklä-rung in Bezug auf das Explanandum ausgesprochen hat: “We should assume that change is the normal state of affairs. The social world is constantly changing and reforming itself. To be sure, large parts of the social world reproduce themselves continually; much of it looks stable. But this is mere appearance. What transpires is reproduction, not endurance. The central reason for making this assumption is practical. It is possible to explain reproduction as a phenomenon sometimes produced by perpetual change; it is not possible to explain change as a phenomenon sometimes produced by perpetual stasis. By making change our constant, we also exchange our explananda. It becomes necessary to explain reproduction, constancy, and entity-ness, rather than development and change.”

(Abbott 2001: 254-255). In diese allgemeine Sicht auf soziale Prozesse lässt sich auch die poststruk-turalistische Auffassung über die Reproduktion und die grundsätzliche Instabilität der Diskurse einord-nen (vgl. auch Kapitel 2.1.2.2).

21

die für diese Arbeit relevanten nationalen politischen Narrationen, in denen die Frage der Gestaltung der Außenbeziehungen eines Staates aufgegriffen wird. Diese Erzäh-lungen ermöglichen es den politischen und gesellschaftlichen Akteuren, zu bestimm-ten Themen Position zu beziehen. Neben den öffentlichen Narrationen können jedoch auch die Meta-Narrationen eine wichtige Rolle im Prozess der Strukturierung des außenpolitischen Diskurses spielen. Es handelt sich an dieser Stelle vor allem um Gründungsmythen der Nation und des Staates oder auch um bestimmte historische Ereignisse, die als feste Referenz in fast allen öffentlichen Debatten in-nerhalb einer politischen Kultur funktionieren (Schwab-Trapp 1996).

Narrationen zu untersuchen bedeutet vor allem, ihre zentralen Strukturprinzipien zu identifizieren. Die Inhalte einer Narration, d. h. in ihr enthaltene Fakten, Argumente oder Normen, helfen, typische Narrationen zu unterscheiden. Ihre Handlungsstruktur (Plot) bestimmt die zeitliche, räumliche und episodische Ordnung und macht aus ein-zelnen Ereignissen eine bedeutungsvolle Konfiguration. So lässt sich eine Narration als eine Sequenz darstellen, die solche Elemente wie Problemsicht, Ursachen und Folgen, Lösungswege und Legitimation des Handelns und der politischen Forderun-gen beinhalten kann. Die wörtliche Oberfläche und die Tiefenstruktur geben dageForderun-gen Auskunft über die in der Narration zugrunde liegenden Wertgegensätze, Implikatio-nen und Widersprüche. (Viehöver 2001: 185). Die im Rahmen dieser Arbeit zu unter-suchenden Sicherheitsnarrationen, die im Fall äußerer Sicherheit als eine besondere Form öffentlicher Narrationen über Außenpolitik zu betrachten sind, zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie eine besondere Handlungsstruktur aufweisen. Der so genannte securitization-Plot beinhaltet eine existenzielle Bedrohung, einen point of no return und einen möglichen Ausweg (Buzan/ Wæver/ de Wilde 1998: 33). Mit seiner Hilfe werden in der Narration zunächst ein Referenzobjekt und seine Bedro-hung konstruiert und anschließend eine politische Forderung formuliert, auf welche Weise man der Gefahr begegnen soll.

Im Bereich der politischen Kommunikation besteht die Hauptfunktion der Narrationen darin, Diskurskoalitionen zu definieren, innerhalb derer Akteure eine gemeinsame Problemnarration teilen (Hajer 1993, 1995)22. Die Problemnarration bildet die

22 An dieser Stelle sei noch darauf verwiesen, dass Narrationen bei der Strukturierung von Diskursen neben der Definition von Diskurskoalitionen auch andere Funktionen erfüllen können. So baut bei-spielsweise Bach (1999) seine Untersuchung der deutschen Außenpolitik nach 1989 auf der Unter-scheidung von vier Funktionen auf, die Narrationen im politischen Prozess haben können. Die erste

lage der Selbstbeschreibung und ermöglicht es, bestimmte komplexe Situationen zu deuten. Somit gestaltet sie Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren innerhalb der Koalition und erlaubt, Grenzen zwischen unterschiedlichen Diskurskoalitionen zu ziehen (ausführlicher vgl. Viehöver 2001: 185-187). Es entstehen also kollektive (von den politischen Akteuren geteilte) Erzählungen, die zur Herausbildung von Identitä-ten beitragen. Wie Abbildung 4 veranschaulicht, basieren die IdentitäIdentitä-ten nicht nur auf der Selbsteinschätzung der Akteure, sondern haben einen relationalen Charakter.

Dies bedeutet, dass sie durch die Beziehungen zu den „Anderen“ definiert werden, wozu auch die Festlegung von Grenzen notwendig ist (Tilly 2005: 8-9).

Abbildung 4: Grenzen, Bindungen und Identitäten (Quelle: Tilly 2005: 8)

kann als ontologische Funktion bezeichnet werden: Über Narrationen verläuft die Konstruktion sozia-ler Wirklichkeit, was bedeutet, dass eine bestimmte Ordnung geschaffen und Subjekte gebildet wer-den. Die zweite Funktion wird zwar epistemologische Funktion genannt, in der Definition kommt sie aber der Bildung von Diskurskoalitionen (in der Hajerschen Terminologie) sehr nahe: Die Narrationen sollen dazu dienen, diskursive Formationen zu schaffen und dadurch die Beziehungen zwischen den Akteuren zu regulieren. Die dritte von Bach unterschiedene Funktion von Narrationen besteht darin, die narrative Vollständigkeit aufrechtzuerhalten und dominierende Diskurse zu bestimmen.

Narratio-Die Frage nach den Grenzen und Relationen steht ebenfalls im Mittelpunkt der Kon-struktion der Sicherheit, insbesondere im gesellschaftlichen Sektor. Angesichts einer äußeren Bedrohung entstehen in diesem Rahmen Erzählungen, in denen aus der Perspektive des Bedrohten (X) sowohl der „Andere“ / „Fremde“ / „Bedrohende“ (Y) als auch ihre gegenseitige Beziehung (relation) und die Grenze zwischen den beiden (boundary) konstruiert werden. Diese Elemente in den ausgewählten Erzählungen über die polnische Außenpolitik zu identifizieren und ihre Funktion innerhalb den Narrationen zu reflektieren, wird daher die Hauptaufgabe der Fallstudie sein.

2.3.2 Vorgehensweise und Aufbau der empirischen Studie