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3 Molekulare Drähte

3.2 Rennes-Kooperationsprojekt Teil 2: Expansion des Systems

3.2.3 Voltammetrische und spektroelektrochemische Untersuchungen

3.2.3.1 Voltammetrische Untersuchungen

Anhand der voltammetrischen Untersuchungen konnten mit Hilfe von einfach anzuwendenden, diagnostischen Kriterien Informationen über das Redoxverhalten der Komplexe 1 - 5 gewonnen werden. Das Vorgehen bei der Auswertung wird in Kapitel 8.5 zusammen mit den verwendeten Begriffen beschrieben. In dem genannten Kapitel befindet sich auch eine detaillierte Aufstellung der Messergebnisse aller in dieser Arbeit neu diskutierten Voltammogramme. Die Redoxpotentiale der Komplexe 1 - 5 werden in Tabelle 3.2#12 zusammen mit den Daten entsprechender Vergleichsverbindungen aufgelistet. In Abbildung 3.2#18 sind exemplarisch die Cyclovoltammogramme der Komplexe 1, 2, 3 und 5 dargestellt.

Kapitel 3.2 Molekulare Drähte Projekt 2: CV

43 | S e i t e Die Ethinyl-Komplexe 1 und 2 zeigen im Cyclovoltammogramm jeweils zwei gut separierte Einelektronenredoxprozesse. Der erste Redoxprozess bei einem Halbstufenpotential von -0.11 V (1) bzw. -0.09 V (2) zeigt bei beiden Komplexen annähernd Nernstsches Verhalten.

Beim zweiten Redoxprozess handelt es sich jeweils um eine chemisch irreversible Oxidation.

Die elektrogenerierte Form des Analyten, 12+ bzw. 22+, geht hier eine Folgereaktion ein, welche durch Erhöhung der Vorschubgeschwindigkeit oder durch Absenken der Temperatur deutlich zurückgedrängt werden kann. Der trinukleare Ruthenium-Komplex 3 zeigt im Cyclovoltammogramm vier konsekutive Einelektronenredoxprozesse bei Halbstufen-potentialen von -0.40 V ( ), -0.08 V ( ), 0.16 V ( ) und 0.49 V ( ) mit nahezu Nernstschem Verhalten für jede der Wellen. Die Asymmetrie und der geringe Spitzenstrom der vierten Oxidationswelle sind auf die ansteigenden Grundströme des Hintergrunds und möglicherweise auch auf einen kleineren Diffusionskoeffizienten des hoch geladenen Trikations 3•3+ bzw. des Tetrakations 34+ sowie eine geringe Löslichkeit des hoch geladenen Tetrakations 34+ zurückzuführen. Aus den Halbstufenpotentialabständen von 0.32 V ( ), 0.24 V ( ) und 0.32 V ( ) errechnet sich für die jeweilige Komproportionierungs-konstante ein Wert von 3·105 ( ), 1·104 ( ) und 3·105 ( ).

Alle oxidierten Formen sind damit weitgehend stabil hinsichtlich einer Disproportionierung und sollten sich damit weitgehend frei von Beimengungen der angrenzenden Oxidationsstufen in spektroelektrochemischen Studien erzeugen und charakterisieren lassen.

Sowohl die Halbstufenpotentiale als auch die thermodynamische Stabilität lassen sich durch die Wahl des Leitsalzes beeinflussen. Mit Tetra(n-butyl)ammoniumtetrafluoroborat (TBATFB) als Leitsalz verschieben sich die ersten drei Redoxprozesse kathodisch und der vierte Redoxprozess anodisch. Dabei ist eine Vergrößerung des Halbstufenpotentialabstandes um 0.01 V ( ), 0.04 V ( ) bzw. 0.12 V ( ) und damit eine thermodynamische Stabilisierung der Kationen 3•+, 32+ und 3•3+ zu beobachten (Tabelle 3.2#12).

Molekulare Drähte Projekt 2: CV Kapitel 3.2

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Abbildung 3.2#18: Cyclovoltammogramme der Komplexe 1 (oben links), 2 (oben rechts), 3 (unten links) und 5 (unten rechts).

Beim Vergleich der Halbstufenpotentiale der Komplexe 3, 5 und VOMe mit denen der unsubstituierten Komplexe 3V, 5V und VH fällt eine signifikante Verschiebung aller Halbstufenpotentiale zu geringeren Werten auf. Die elektronenreichen Methoxy-Substituenten erhöhen die Elektronendichte der Komplexe und erleichtern somit die Abgabe von Elektronen. Die Komproportionierungskonstante Kc der dinuklearen Komplexe VH, VOMe, 5 und 5V beträgt 6∙105, 6∙106, 4∙104 bzw. 2∙104. Auf die thermodynamische Stabilität des Radikalkations des Ethinyl-Komplexes (VH vs. VOMe) scheinen die Methoxy-Substituenten somit wesentlich größeren Einfluss zu haben als auf die thermodynamische Stabilität des Radikalkations des Vinyl-Komplexes (5 vs. 5V). Beim trinuklearen Ruthenium-Komplex (3 vs. 3V) führen die Methoxy-Substituenten zu einer Verkleinerung der Halbstufenpotentialabstände und um 0.02 bzw. 0.05 V und zu einer Vergrößerung des Halbstufenpotentialabstandes um 0.04 V (Tabelle 3.2#12). Damit geht eine Verkleinerung von und bzw. einer Vergrößerung von einher.

Kapitel 3.2 Molekulare Drähte Projekt 2: CV

45 | S e i t e Tabelle 3.2#12: Cyclovoltammetrische Daten der Komplexe 1, 2, 3, 5, 3V, 5V, VH und VOMe

bei einer Vorschubgeschwindigkeit von v = 100 mV/s .

a) Die Voltammogramme wurden bei 193 K aufgenommen; b) Als Leitsalz wurde TBATFB verwendet; c) Peak-potential für einen chemisch irreversiblen Prozess bei v = 100 mV/s.

Auch Liu et al. untersuchten den Einfluss von Substituenten am Brückenliganden auf das Redoxverhalten von divinylphenylenverbrückten Ruthenium-Komplexen. Dabei gingen sie nach einer nicht immer geltenden Daumenregel davon aus, dass der Wert der Komproportionierungskonstante direkt mit der elektronischen Kommunikation zwischen den Redoxzentren der gemischt-valenten Form zusammenhängt. Wie in der Einleitung bereits angesprochen wurde, tragen zur freien Enthalpie der Komproportionierung jedoch fünf Faktoren bei. Dies erkannten auch Low et al. und machten darauf aufmerksam, dass ohne spektroelektrochemische UV/Vis/NIR/IR-Untersuchungen keine Aussagen über den Einfluss des Brückenliganden auf die elektronische Kommunikation zwischen den Redoxzentren der gemischt-valenten Form(en) getroffen werden können. Im Fall der Alkoxy-Substituenten gehen Low et al. davon aus, dass die Substituenten nicht nur Elektronendichte an den Aromaten abgeben sondern diesen auch vom Lösungsmittel abschirmen und so den Einfluss der Ionenpaarung herabsetzen, was infolge zunehmender elektrostatischer Abstoßung bei weiterer Oxidation die Aufspaltung der Halbstufenpotentiale erhöht. Dadurch wird die thermodynamische Stabilität des Radikalkations und somit Kc erhöht (Tabelle 3.2#13).63-65

Molekulare Drähte Projekt 2: IR-SEC Kapitel 3.2

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Tabelle 3.2#13: Cyclovoltammetrische Daten der Komplexe 5Vb, 5Vd, 5Ve und 5Vf bei einer Vorschubgeschwindigkeit von v = 100 mV/s .64

Kc Kc

in V in V in V in V in V in V

5Vb a) 0.30 0.59 0.29 8∙104 5Ve a) 0.07 0.44 0.37 2∙106

5Vd a) 0.10 0.46 0.35 8∙105 5Vf a) 0.08 0.45 0.37 2∙106

a) Die Molekülstruktur ist in Abbildung 3.2#17 abgebildet.

Die aus den cyclovoltammetrischen Messungen gezogenen Rückschlüsse konnten durch die Aufnahme von Square-Wave-Voltammogrammen untermauert werden. Die Einzelheiten zu diesen Messungen befinden sich ebenfalls in Kapitel 8.5.

3.2.3.2 IR-Spektroelektrochemie

Anhand der IR-spektroelektrochemischen Untersuchungen konnten die während der einzelnen Oxidationsprozesse eintretenden Änderungen verfolgt und Rückschlüsse auf die Ladungs(de)lokalisation in den einzelnen Oxidationszuständen getroffen werden. In seiner neutralen Form zeigt Komplex 3 in einer 0.2 M C2H4Cl2/nBu4NPF6-Lösung erwartungsgemäß das gleiche Spektrum wie in Dichlormethan (Abschnitt 3.2.2.2). Neben der sehr intensiven Carbonyl-Streckschwingungsbande bei 1909 cm-1 erscheint bei 2052 cm-1 die Alkinyl-Streckschwingungsbande (Tabelle 3.2#15). Da sich im Zuge der einzelnen Oxidationsprozesse die Alkinyl- und die Carbonyl-Streckschwingungsbande einander stark überlagern, wurde zur genauen Identifizierung der jeweiligen Banden der 13C-markierte Komplex 4 hergestellt und IR-spektroelektrochemisch untersucht. Durch die Isotopen-markierung verschieben sich die Carbonyl-Streckschwingungsbanden um 45 cm-1 zu geringerer Energie. Durch die Änderung der Energie der Carbonyl-Streckschwingungsbande und den Vergleich der IR-Spektren der Komplexe 3n+ (n = 0 - 4) mit denen der Komplexe 4n+

(n = 0 - 4) ist die Zuordnung der einzelnen Banden in allen Oxidationsstufen des Moleküls möglich (Abbildung 8.6#57).

Die bei den IR-spektroelektrochemischen Untersuchungen an Komplex 3 aufgenommenen Spektren zeigen, dass im Verlauf der ersten Oxidation die Intensität der Alkinyl-Streckschwingungsbande abnimmt. Dabei entstehen bei 2034 und 1889 cm-1 zwei neue Alkinyl-Banden. Die Carbonyl-Streckschwingungsbande verschiebt sich um lediglich 5 cm-1

Kapitel 3.2 Molekulare Drähte Projekt 2: IR-SEC

47 | S e i t e zu höherer Energie (Tabelle 3.2#15). Die Verschiebung der Alkinyl-Streckschwingungsbanden während der ersten Oxidation entspricht überraschenderweise genau der, wie sie während der ersten Oxidation der Präkusoren 1 und 2 beobachtet wird (Abbildung 8.6#49 und Abbildung 8.6#50). Dieser Befund lässt zusammen mit der geringen Verschiebung der Carbonyl-Streckschwingungsbande auf ein {Ru(dppe)2}-zentriertes Radikalkation schließen, bei welchem die Elektronendichte mäßig über das gesamte Molekül delokalisiert ist. Auch für die Spektren der zweifach, dreifach und vierfach oxidierten Formen des Moleküls beobachtet man jeweils nur eine Carbonyl-Streckschwingungsbande bei 1932, 1962 bzw. 1978 cm-1. Die Elektronendichte an den beiden peripher gebundenen {Ru(CO)Cl(PiPr3)2}-Einheiten ist somit in allen fünf Oxidationszuständen gleich, woraus sich eine vollständige Elektronendelokalisation über das gesamte Molekül ableiten lässt (Abbildung 3.2#19).

Abbildung 3.2#19: Änderung im IR-Spektrum der Komplexe 3 und 4 während der Oxidation von 3 zu 3●+ (links oben) bzw. 4 zu 4●+ (links unten), von 3●+ zu 32+ (Mitte oben) bzw. von 4●+ zu 42+ (Mitte unten) und von 32+ zu 3●3+ (rechts oben) bzw. von 42+ zu 4●3+ (rechts unten).

Skala in cm-1.

Anhand des Fingerprintbereichs lässt sich die bei stufenweiser Oxidation eintretende Änderung der elektronischen Struktur ebenfalls verfolgen (Abbildung 8.6#56). Auf diese Weise kann man deutlich erkennen, dass im Zuge der ersten Oxidation im Bereich der (C=C)-Streckschwingungen intensive Banden entstehen, welche im Verlauf der zweiten und dritten Oxidation wieder an Intensität einbüßen. Dies deutet auf eine starke Beteiligung des

3 → 3●+

4 → 4●+

3●+ → 32+

4●+ → 42+

32+ → 3●3+

42+ → 4●3+

Molekulare Drähte Projekt 2: IR-SEC Kapitel 3.2

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Brückenliganden an allen Oxidationsprozessen hin. Die im Verlauf der einzelnen Oxidationsprozesse anwachsenden, sehr intensiven Banden im nahen Infrarotbereich des Spektrums (3300 - 12800 cm-1) unterstützen die These, dass in allen vier Oxidationszuständen ein stark delokalisiertes metallorganisches -System vorliegt (Abbildung 8.6#54 und Abbildung 8.6#55). Durch den Vergleich des IR-Spektrums des Komplexes 3●+ mit denen der Präkusoren 1 und 2 (Abbildung 8.6#49 und Abbildung 8.6#50) kann die kurzwellige Bande im nahen Infrarotbereich des Spektrums um 7000 cm-1 einer MLCT-Bande zugeschrieben werden. Bei der langwelligen Bande im nahen Infrarotbereich des Spektrums sollte es sich um einen Metall-zu-Metall-Charge-Transfer- oder einen →*-Übergang innerhalb eines stark delokalisierten Gesamtsystems handeln.16,20,73,159

Auf die Banden im nahen Infrarotbereich des Spektrums wird bei der UV/Vis/NIR-spektroelektrochemischen Untersuchung des Moleküls noch näher eingegangen (Kapitel 3.2.3.3).

Die beiden Komplexe 3 und 3V verhalten sich in ihren einzelnen Oxidationszuständen sehr ähnlich. Bei der durch den Oxidationsprozesse hervorgerufenen Verschiebung der Carbonyl-Streckschwingungsbande ist jedoch ein deutlicher Unterschied zu erkennen (Tabelle 3.2#14).

Im Vergleich zur neutralen Form des Komplexes 3 bzw. 3V verschiebt sich die Carbonyl-Streckschwingungsbande des Trikations bei Komplex 3 um 53 cm-1 und bei Komplex 3V um 57 cm-1 zu höherer Energie. Der {Ru(CO)Cl(PiPr3)2}-Einheit des Komplexes 3 ist somit weniger Elektronendichte entzogen worden als bei Komplex 3V.

Dieses Verhalten ist auch für Komplex 5 zu beobachten (Abbildung 8.6#58 bis Abbildung 8.6#60). Im Vergleich zu 70 cm-1 in Komplex 5V beträgt die Verschiebung zwischen der Carbonyl-Streckschwingungsbande der neutralen Form des Komplexes 5 und der Carbonyl-Streckschwingungsbande des Dikations 52+ lediglich 63 cm-1. Das Monokation des Komplexes 5 zeigt genauso wie Komplex 5V und andere divinylphenylenverbrückte Ruthenium-Zweikern-Komplexe (z. B. 10, 44, 45) eine Kompositbande (Abbildung 8.6#61).

Diese Kompositbande lässt sich in mehrere Banden zerlegen, was auf verschiedene Rotamere60,160 (cisoide oder transoide Ausrichtung der Carbonyl- und Chloroliganden) oder Valenztautomere161 (lokalisiertes oder delokalisiertes Radikalkation) schließen lässt. Anhand von temperaturabhängigen IR-Messungen am Radikalkation 5●+, welches durch chemische Oxidation mit Ferroceniumhexafluorophosphat hergestellt wurde, konnte diese These untermauert werden (Abbildung 8.6#62). Es zeichnet sich in den IR-Spektren eine klare

Kapitel 3.2 Molekulare Drähte Projekt 2: IR-SEC

49 | S e i t e Temperaturabhängigkeit der Gestalt der Kompositbande ab. Ein eigenes Projekt wird sich genauer mit diesem Phänomen beschäftigen, weshalb im Rahmen dieser Arbeit keine weiteren Untersuchungen dazu erfolgten. Der Ladungsdelokalisationsparameter ∆ρ (Abbildung 1.1#2) lässt sich wegen der unklaren Zuordnung der einzelnen Carbonyl-Streckschwingungsbanden des Radikalkations 5●+ nicht eindeutig bestimmen. Wird, wie in anderen Arbeiten, davon ausgegangen, dass die Banden bei 1947 und 1913 cm-1 zu einer Spezies und die Bande bei 1932 cm-1 zu einer anderen Spezies gehören, so ergibt sich für den Ladungsdelokalisationsparameter ein Wert von 0.23 bzw. 0.50. Sollten jedoch die Banden bei 1956 und 1913 cm-1 zu einer gemeinsamen Spezies gehören, so verringert sich der Wert des Ladungsdelokalisationsparameters auf 0.16. Zweifelsfrei lässt sich jedoch der hohe Ligandbeitrag zu den beiden Oxidationsprozessen erkennen. Bei einem metallzentrierten Oxidationsprozess sollte die Carbonyl-Streckschwingungsbande um über 100 cm-1 blauverscherschoben werden.78 Demgegenüber steht eine Verschiebung von lediglich 4 – 47 cm-1 während des ersten und 16 - 59 cm-1 während des zweiten Oxidationsprozesses des Komplexes 5 sowie eine Gesamtverschiebung von 63 cm-1. Wie auch bei Komplex 5V festgestellt wurde, scheint der Metallbeitrag zu den Grenzorbitalen mit dem Oxidationszustand zu steigen.60

Abbildung 3.2#20: IR-SEC des Komplexes 5 zwischen 1500 - 2250 cm-1; links: 5 (schwarz)

 5•+ (rot); rechts: 5•+ (schwarz)  52+ (rot). Skala in cm-1.

5 → 5●+ 5●+ → 52+

Molekulare Drähte Projekt 2: UV-SEC Kapitel 3.2 Oxidationsprozessen besser einschätzen zu können, wurden UV/Vis/NIR-spektroelektrochemische Untersuchungen an den Molekülen 1, 3 und 5 durchgeführt. In ihren neutralen Formen zeigen die Komplexe in einer 0.2 M C2H4Cl2/nBu4NPF6-Lösung erwartungsgemäß das gleiche Spektrum wie in Dichlormethan, weshalb hier auf die