4 Supramolekulare Architekturen
4.1 Mögliche Routen zur Herstellung von supramolekularen Architekturen Architekturen
„MOF-Synthese erstmals im Industriemaßstab“
Mit dieser Pressemitteilung überraschte die Firma BASF am 5. Oktober 2010 die chemische Fachwelt. In dem Artikel wird davon berichtet, dass Forschern der BASF AG die Entwicklung eines Verfahrens gelungen ist, mit welchem sich metallorganische Gerüststrukturen (MOFs, engl.: metal-organic frameworks) erstmals im Industriemaßstab herstellen lassen.194 Diese Mitteilung ist umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen führt, dass die Substanzklasse der MOFs erst Ende der 90er-Jahre von dem US-amerikanischen Chemiker Omar M. Yaghi definiert wurde.195 Seit dieser Zeit ist die Anzahl neuer Publikationen pro Jahr auf diesem Gebiet förmlich explodiert (Abbildung 4.1#1). Obwohl das Jahr 2013 noch nicht einmal zu Ende ist, findet man allein für dieses Jahr unter dem Stichwort „metal-organic framework“ schon über 1700 Publikationen. Die Gesamtzahl der Publikationen mit diesem Schlagwort beläuft sich inzwischen auf den beeindruckenden Wert von über 11000.196
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Abbildung 4.1#1: Entwicklung der Publikationszahlen auf dem Gebiet der MOFs (Anzahl/Zeit).196
Die stark steigende Zahl der Veröffentlichungen lässt erahnen, welches Potential in Koordinationspolymeren, welche poröse Gerüststrukturen ausbilden, steckt. Das Baukastenprinzip ermöglicht es, mit den einzelnen Bausteinen eine große Vielfalt
"molekularer Architekturen" zu realisieren. Dabei bilden Metallionen die Knotenpunkte, welche über organische Linker miteinander verknüpft werden. Die einzelnen Knotenpunkte mit den dort jeweils gebundenen Liganden definieren einen Hohlraum, welcher Substrate, Ionen oder Gasmoleküle aufnehmen kann. Dieser Hohlraum und die Beschaffenheit der ihn begrenzenden Seitenwände kann über das molekulare Design modifiziert werden. Damit eröffnen MOFs neue Perspektiven in verschiedenen Anwendungsgebieten wie bei der Suche nach alternativen Antriebstechniken, in der Katalyse, als Nanoreaktoren, als reversible Gasspeicher oder für die Wirkstofffreisetzung in der Medizin.30-34,197-199
MOFs lassen sich als dreidimensionale, unendliche Abfolge mehrerer Knotenpunkte mit den sie verknüpfenden Liganden auffassen. Die grundlegenden Baueinheiten von MOFs sind ihrerseits molekulare Architekturen in Form von Quadraten, Rechtecken, Hexagonen oder Prismen. Diskrete molekulare Architekturen dieser Ausprägung werden in wachsender Zahl in der Literatur beschrieben. Über ihre gerichtete Verknüpfung zu ausgedehnten dreidimensionalen Strukturen gibt es in der Literatur jedoch kaum Informationen.200 Außerdem ist über den Zusammenhang zwischen der geometrischen Ausprägung, Ausdehnung und Form von derartigen Assoziaten und ihren mikroskopischen und makroskopischen Eigenschaften kaum etwas bekannt. Daher lohnt es sich, die Lücke zwischen diskreten, nanoskaligen Koordinationsverbindungen auf der einen Seite und
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105 | S e i t e metallorganischen Gerüststrukturen auf der anderen Seite zu schließen. Dies kann durch die gezielte Synthese einer Reihe von Molekülen gelingen, was eine systematische Untersuchung unterschiedlicher Synthesemethoden erforderlich macht.
Von besonderem Interesse für dieses Projekt waren Koordinationskäfige, welche über redoxaktive Metallzentren an den Knotenpunkten bzw. redoxaktive Liganden an den Seitenflächen verfügen. Systeme mit konjugierten, ungesättigten Brückenliganden sollten einen langreichweitigen Ladungstransfer ermöglichen, während sich ausgedehnte Ensembles mit einer Vielzahl redoxaktiver Baugruppen als molekulare Batterien eignen. Diese gehen multiple Redoxprozesse ein und können bei einem bestimmten Potential viele Elektronen aufnehmen bzw. abgeben.201-207 Beide Aspekte sind Gegenstand der gegenwärtigen und künftigen Forschung in der Arbeitsgruppe von Prof. Rainer Winter.
Als elektroaktive Konstituenten sollten im Rahmen dieser Doktorarbeit Vinyl-Komplexe des Rutheniums dienen. Diese sind konjugierte metallorganische π–Systeme, deren anodisches Redoxverhalten sich durch den Vinyl-Liganden einstellen lässt.59 Untersuchungen an Einkernkomplexen des Typs [Ru(CH=CHR’)(CO)Cl(L)(PR3)2] zeigten, dass sich die Zusammensetzung des HOMOs sowohl über den Substituenten R’ am Vinyl-Liganden als auch über die Koliganden am Rutheniumatom einstellen lässt.149 Darüber hinausgehend richtet sich das Interesse jetzt auf asymmetrische di- und trinukleare Ruthenium/Osmium-Komplexe, da hierdurch ein permanentes Dipolmoment erzeugt werden kann.54,55,135
Wie oben bereits angesprochen wurde, ist in den letzten Jahren die Anzahl der Publikationen auf dem Gebiet der MOFs förmlich explodiert (Abbildung 4.1#1). Selbst die Zahl der Übersichtsartikel liegt inzwischen im dreistelligen Bereich. Allein im Journal "Chemical Society Reviews" wurden in den letzten zehn Jahren knapp einhundert Übersichtsartikel zum Thema MOFs abgedruckt. Im Folgenden wird deshalb nur auf einige wenige Literaturbeispiele eingegangen, welche für diese Arbeit relevant sind, da sie geeignete Syntheserouten aufzeigen. 30-34,194-196
In den vergangenen Jahren wurden unterschiedliche Methoden entwickelt, um gezielt übergangsmetallbasierte, molekulare Architekturen herstellen zu können. Die Metallzentren können dabei über direkte Metall-Kohlenstoff-Bindungen, über koordinative Bindungen mittels Donoratomen oder auch durch eine Mischung beider Bindungsarten miteinander verknüpft werden (Abbildung 3.1#1). Die Arbeitsgruppe um Guo-Xin Jin hat effektive
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Synthesestrategien entwickelt, um molekulare Koordinationskäfige stufenweise aufzubauen, welche organische Moleküle einschließen können. Dabei konzentriert sich diese Arbeitsgruppe auf Rhodium-, Iridium- und Ruthenium-Einheiten, welche über Liganden wie Isophthalsäure, Chloranilsäure und Bipyridin verknüpft werden.34,207-211 Durch Selbstorganisation lassen sich aus verschiedenen Palladium- und Pyridin-Einheiten käfigartige Koordinationsverbindungen verschiedener Größen und Form erzeugen. Auf diese Weise konnten Fujita et al. Käfige generieren, welche als Schutzgruppen in der Regioselektivitätskontrolle oder als Katalysatoren verwendet werden können.212-216 Von Reger et al. wird vorgeschlagen, mittels starker π-π-Wechselwirkungen supramolekulare Architekturen aufzubauen.217-220 Stang et al. und Mukherjee et al. ist es unter anderem gelungen, molekulare Rechtecke mit starren "Anthracen-Klammern" zu realisieren.204,221-231
Die aktuellen Arbeiten von Chi, Dunbar, Hooley, Jiang, Stang, Mukherjee, Therrien, Yang und Severin zeigen weitere interessante Verknüpfungsmöglichkeiten auf, die hier jedoch nicht im einzelnen aufgeführt werden können.232-240
Für die in dieser Arbeit untersuchten Ruthenium-Vinyl-Einheiten eignen sich nur bestimmte Strategien der Verknüpfung. So ist über die Reaktivität dieser Komplexe folgendes bekannt:26,54-65,67,108-113,116,118,135,137,144,148,149,152-156,158,177,179-181,193,241-265
Addition organischer Liganden
Abbildung 4.1#2: Addition organischer Liganden.
Inzwischen sind eine ganze Reihe organischer Liganden bekannt, welche an die freie Koordinationsstelle des in Abbildung 4.1#2 dargestellten 16-Valenzelektronen-Komplexes binden können (Tabelle 4.1#1). Dabei spielt der Phosphin-Ligand eine entscheidende Rolle.
Der wegen seiner guten Zugänglichkeit sehr beliebte Pyridin-Ligand koordiniert zwar an Komplexe mit PPh3-Liganden, nicht aber an Komplexe mit PiPr3- oder PCy3-Liganden.
Gleiches gilt für andere Imin-Liganden wie 3,5-Dimethylpyrazol (Me2Hpz). Durch Koordination eines weiteren Phosphin-Liganden kann zwar die freie Koordinationsstelle in PPh3-Komplexen besetzt werden, aber nicht in PiPr3-Komplexen. Bei den Komplexen mit
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107 | S e i t e PMe3-, PEt3- oder PnBu3-Liganden ist die Koordinationsstelle trans zum Vinyl-Liganden immer durch einen dritten Phosphin-Liganden besetzt. Bei der Koordination von Isocyaniden und Kohlenmonoxid scheint der Phosphin-Ligand weniger entscheidend zu sein.
Tabelle 4.1#1: Addition verschiedener organischer Liganden.
M L R1 R2 Referenz
Ru, Os CO Me tBu 111
Os CNMe Me tBu 111
Ru CNBzl iPr iPr 111
Ru, Os CO iPr iPr 108
Ru, Os HN=CPh2 iPr iPr 153
Ru CO Ph Ph 111,263
Ru CNMe Ph Ph 111
Ru NC5H4R' Ph Ph 26,57-59,118,149,255
Ru CNR'' Ph Ph 57,259,260
Ru Me2Hpz Ph Ph 258
Ru PPh3 Ph Ph 62
Ru PMe3 Me Me 58,63-65,67,137,255
Ru CNC6H3Me2 Cy Cy 57
R' = COOEt, H, Ph, Py; R'' = C6Me4NC, tBu, Cy
Austausch der Phosphin-Liganden
Viele Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass sich die Phosphin-Liganden der Ruthenium-Vinyl-Komplexe austauschen lassen. Überraschenderweise folgt die Substitutionsreaktion nicht immer den Vorhersagen von Tolman:157
PPh3 durch PMe3, 2,6-Bis(diphenylphosphino)pyridin (PMP),
Tris(pyrazolyl)borat (Tp), 1,1'-Bis(diphenylphosphino)ferrocen (dppf) 56,58,63-65,67,137,254,255
PiPr3 durch PMe3 111
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Koordination bidentater Liganden
Durch Substitution des Chloro-Liganden konnten eine Reihe von anionischen, bidentaten Liganden an Vinyl-Komplexe des Rutheniums bzw. Osmiums koordiniert werden. Auch hier gibt es, je nach Art der gebundenen Phosphin-Liganden, Unterschiede hinsichtlich der Reaktivität. Zum Beispiel können Vinyl-Komplexe mit PPh3-Liganden ausgehend von den Hydridocarboxylato-Komplexen hergestellt werden, was jedoch bei den PiPr3-Komplexen nicht funktioniert.
Tabelle 4.1#2: Koordination von bidentaten Liganden.
M L˄L PR3 Referenz
Ru O2CR PPh3 250
Ru MI PPh3 263
Ru O2CC6H4CCH PiPr3 116
Ru, Os OAc PiPr3 108
Ru, Os acac PiPr3 108
Ru OAc PCy3 262
R = Ph, C6H4Me, C6H4OMe; MI = 1-Methylimidazol-2-thiolat
Weitere Reaktionen
Ferner konnte gezeigt werden, dass der Vinyl-Ligand durch Säuren protonierbar ist (Abbildung 4.1#3).243 Außerdem kann der Vinyl-Ligand unter bestimmten Umständen abgespalten werden.153,177,244,256
Die Arbeitsgruppe um Josep Ros konnte sogar zeigen, dass der Vinyl-Ligand reversibel austauschbar ist.179
Abbildung 4.1#3: Weitere Reaktionen.
Kapitel 4.2 Supramolekulare Architekturen Projekt 1: Synthese
109 | S e i t e Im ersten Teil dieses Kapitels wird diskutiert, welche Brückenliganden sich zur Verknüpfung von Ruthenium-Vinyl-Komplexen einsetzen lassen. Der zweite Teil demonstriert die Eignung von Anthracenylvinyl-Komplexen des Rutheniums und des Osmiums als starre Klammern zur Herstellung asymmetrischer, käfigartiger Koordinationsverbindungen. Der dritte Teil ist der Verwendung von Dicarbonsäuren zur Verknüpfung von Ruthenium-Vinyl-Einheiten gewidmet. Der Fokus war dabei immer auf die Synthese von asymmetrischen
"Koordinationskäfigen" gerichtet. In der abschließenden Diskussion werden die einzelnen Syntheserouten einander gegenübergestellt und evaluiert.