• Keine Ergebnisse gefunden

3 Molekulare Drähte

3.2 Rennes-Kooperationsprojekt Teil 2: Expansion des Systems

3.2.3 Voltammetrische und spektroelektrochemische Untersuchungen

3.3.2.4 Quantenchemische Rechnungen

Quantenchemische Rechnungen an einem vereinfachten Modell für den Komplex 9 bestätigten die Bandenzuordnung aus den IR- und UV/Vis-spektroskopischen Untersuchungen. Um die Rechenzeit auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, wurden auch hier die PiPr3-Liganden durch PMe3-Liganden ersetzt. Die berechneten Lagen der Carbonyl- und Acetyl-Valenzschwingungsbanden von 1911 cm-1 bzw. 1725/47 cm-1 stimmen gut mit den experimentell gefundenen Schwingungsbanden überein, was als Anhaltspunkt für die Zuverlässigkeit der Rechnung gelten kann.

In Abbildung 3.3#10 sind die berechneten Grenzorbitale des Komplexes 9 dargestellt. Diese bestätigen die experimentellen Ergebnisse und entsprechen den Rechnungen an analogen Systemen.116,149 Das höchste besetzte Orbital ist den Rechnungen zufolge über die {Ru-Styryl}-Einheit ausgedehnt und schließt das Thioacetyl-Fragment ein. Die Thioacetyl-Gruppe bewirkt eine energetische Absenkung des LUMO+1 (Tabelle 3.3#5). Das niedrigste unbesetzte Orbital ist erwartungsgemäß auf dem Benzoato-Liganden lokalisiert. Die energetische Lage des HOMOs und des LUMOs wird durch die Substitution des Chloro-Liganden nur geringfügig beeinflusst. Im Fall des literaturbekannten Komplexes [Ru(CH=CHPh)(CO)(η2-OOCC6H4C≡CH)(PiPr3)2] (7VCC) führte die entsprechende Substitutionsreaktion zu einer energetischen Anhebung des HOMOs.

Molekulare Drähte Projekt 3: DFT Kapitel 3.3

78 | S e i t e

Tabelle 3.3#5: Berechnete Energien ausgewählter Grenzorbitale für die Komplexe 9, 6VRu

und 7VCC.116,149

9 6VRu 7VCC

LUMO+1 -0.87 eV -0.44 eV keine Angaben

LUMO -1.42 eV -1.55 eV -1.41 eV

HOMO -5.42 eV -5.38 eV -5.07 eV

HOMO-1 -6.59 eV -6.55 eV keine Angaben

LUMO+4 LUMO+3 LUMO+2 LUMO+1

LUMO HOMO

HOMO-1 HOMO-2 HOMO-3 HOMO-4

Abbildung 3.3#10: Berechnete Grenzorbitale des Komplexes 9.

3.3.2.5 Röntgenbeugungsexperimente

Durch Röntgenbeugungsexperimente konnten die Molekülstrukturen der Komplexe 7, 10, 11 und 6VRu im Festkörper bestimmt werden. Zur Diskussion wird auch die Molekülstruktur des Komplexes 5V herangezogen, welche schon in Kapitel 3.2.2.5 betrachtet wurde. In Abbildung 3.3#11 sind die ORTEP-Darstellungen der Molekülstrukturen der Komplexe 7, 10, 11 und 6VRu gezeigt. Ausgewählte Bindungsparameter befinden sich in Tabelle 3.3#6 und Tabelle 3.3#7. In Kapitel 8.4 des Experimentalteils sind die kristallographischen Daten und die den Kristallstrukturen jeweils zugeordnete CCDC-Referenznummer zu finden.

Außerdem werden dort Abbildungen gezeigt, welche die intermolekularen Wechselwirkungen und die Packung der Einzelmoleküle im Kristall darstellen.

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: X-Ray

79 | S e i t e In allen sechsfach koordinierten Komplexen ist das Rutheniumatom oktaedrisch koordiniert, wobei die beiden Phosphin-Liganden transoid zueinander angeordnet sind. Dies konnte bereits aus dem 31P{1H}-NMR-Spektrum geschlossen werden, da dort nur ein scharfes Singulett für die beiden Phosphin-Liganden beobachtet werden konnte. Ferner entsprechen die Molekülstrukturen der Komplexe 7, 10 und 11 denjenigen der entsprechenden fünffach koordinierten Chloro-Komplex-Präkursoren 5V und 6VRu. Auch hier sind der Vinyl- und der Carbonyl-Ligand jeweils cisoid zueinander angeordnet, was auf sekundäre, stabilisierende Wechselwirkungen zwischen dem gefüllten Vinyl(π)- und den leeren Carbonyl(π*)-Orbitalen zurückzuführen ist.158 Wie auch bei anderen divinylphenylenverbrückten, zweikernigen Ruthenium-Komplexen ist auch bei den Komplexen 10 und 11 der gesamte π-konjugierte Pfad des [{Ru}-CH=CH-C6H2R2-CH=CH-{Ru}]-Systems nahezu planar.55,56,62-65

Der Torsionswinkel Ru-C1-C2-C3 liegt für die Komplexe 10, 11 und 5V bei 179.8°, 175.7° bzw.

173.4° und der Interplanarwinkel zwischen der Vinyl-Ebene und der Ebene des Phenyl-Rings bei 17.9°, 15.4° bzw. 17.2°. Bei den mononuklearen Ruthenium-Komplexen beträgt der Torsionswinkel Ru-C1-C2-C3 171.1° (6VRu) bzw. 172.9° (7) und der Interplanarwinkel zwischen der Vinyl-Ebene und der Ebene des Phenyl-Rings 7.8° (6VRu) bzw. 9.1° (7). Der Interplanarwinkel zwischen der (Ru, O2, O3)-Ebene und dem Phenyl-Ring des Benzoato-Liganden beträgt 6.7° (7), 5.7° (10) bzw. 8.3° (11). Die Ru-C1-, die C1=C2- und die C2-C3-Bindungslängen der Komplexe 7, 10, 11, 5V und 6VRu liegen im üblichen Bereich von 1.9 - 2.2 Å, 1.3 - 1.4 Å bzw. 1.4 - 1.8 Å.55,62-65,108,148,152-156

Anders als bei Komplex [Ru(CH=CHPh)(CO)(η2-OOCH)(PPh3)2]179 (7VH) mit den Bindungslängen des Formiato-Liganden von 2.278(7), 2.370(7), 1.21(2) und 1.43(2) für Ru-O(trans-CO), Ru-O(trans-Vinyl), O(trans-CO)-C und O(trans-Vinyl)-C sind die Bindungslängen der beiden Sauerstoffatome zum verknüpfenden Kohlenstoffatom in den Komplexen 7, 10 und 11 nahezu gleich (Tabelle 3.3#6). Die Ru-O-Bindung, welche trans zum Carbonyl-Liganden steht, ist wie beim literaturbekannten Formiat-Komplex kürzer als die Ru-O-Bindung, welche trans zum Vinyl-Liganden steht. Dieser Unterschied beruht auf der Stärkung der Bindung des Metallions zum σ- und -Carboxylat-Donoratom durch den trans-ständigen Carbonyl--Akzeptor-Liganden, wobei das Carboxylat-Sauerstoffatom über das gemeinsame d()-Orbital des Metallions Elektronendichte auf den Carbonyl-Liganden überträgt.179 Das Rutheniumatom ragt bei den Komplexen 7, 10, 11, 5V und 6VRu um 0.103, 0.084, 0.110, 0.163 bzw. 0.200 Å aus der durch die Phosphoratome, das Carbonyl-Kohlenstoffatom und das Chloratom definierten basalen Ebene der Koliganden heraus. Durch die Koordination des

Molekulare Drähte Projekt 3: X-Ray Kapitel 3.3

80 | S e i t e

bidentaten Liganden scheint sich somit die Basalebenenverzerrung zu verringern und die Ru-C1-Bindung zu verlängern.

Abbildung 3.3#11: ORTEP-Darstellungen der Molekülstrukturen der Komplexe 7 (oben links), 10 (oben rechts), 11 (unten links) und 6VRu (unten rechts). Wasserstoffatome und Lösungsmittelmoleküle wurden der besseren Übersicht halber weggelassen.

Schwingungsellipsoide sind mit einer Aufenthaltswahrscheinlichkeit von 50% dargestellt.

Alle hier aufgeführten Komplexe bilden eine sehr dicht gepackte Anordnung der Moleküle im Kristall aus. Bei den mononuklearen Komplexen 7 und 6VRu zeigen die Vinylphenylen-Liganden von zwei Molekülen zueinander wobei die Phenyl-Substituenten übereinander positioniert sind (Abbildung 8.4#11 und Abbildung 8.4#41). Anders als bei Komplex 5V, wo der Chloro-Ligand mit den kokristallisierten Lösungsmittelmolekülen wechselwirkt, sind bei den Komplexen 10 und 11 die Lösungsmittelmoleküle zwischen den Divinylphenylen-Brückenliganden eingeschlossen (Abbildung 8.4#14, Abbildung 8.4#17 und Abbildung 8.4#38). In Komplex 10 ist die zentrale Divinylphenylen-Diruthenium-Einheit leicht bogenförmig gekrümmt. Je zwei Moleküle bilden einen lokal von den Isopropyl-Gruppen der Phosphin-Liganden begrenzten, linsenförmigen Hohlraum, der in seinem Inneren Dichlormethan-Moleküle aufnimmt.

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: X-Ray

Für die Synthese siehe a) Ref.: 60 und b) Ref.: 108; c) Die unrealistische Verkürzung der C-O-Bindungslänge ist auf eine nicht vollständige aufzulösende Fehlordnung des Chloro- und des Carbonyl-Liganden zurückzuführen.

Tabelle 3.3#7: Ausgewählte Bindungswinkel (Werte in °) und die Basalebenenverzerrung (Werte in Å) der Komplexe 7, 10, 11, 5V und 6VRu.

Molekulare Drähte Projekt 3: CV Kapitel 3.3

82 | S e i t e

3.3.3 Voltammetrische und spektroelektrochemische Untersuchungen

3.3.3.1 Voltammetrische Untersuchungen

Die synthetisierten Ruthenium-Vinyl-Komplexe 6 - 13 wurden ebenfalls voltammetrischen Untersuchungen unterzogen. Dabei diente eine 0.2 molare Lösung von Tetrabutylammoniumhexafluorophosphat in Dichlormethan als Leitelektrolyt. Die Redoxpotentiale werden in Tabelle 3.3#8 zusammen mit den Daten entsprechender Vergleichsverbindungen aufgelistet. In Abbildung 3.3#12 sind exemplarisch die Cyclovoltammogramme der Komplexe 9, 10, 11 und 13 dargestellt.

Wie bei den dinuklearen Chloro-Komplex-Präkursoren 5V und 12V entspricht auch bei den Komplexen 10 - 12 die Anzahl der im Cyclovoltammogramm beobachteten, reversiblen elektrochemischen Prozesse der Anzahl der Ruthenium-Einheiten.60 Bei den mononuklearen Vinyl-Komplexen 6 - 9 und 6VRu folgt dem reversiblen Einelektronenredoxprozess ein irreversibler Oxidationsprozess bei wesentlich höherem Potential.149 Der sechsfach koordinierte trinukleare Komplex 13 zeigt, genau wie sein Präkursor 3V, vier aufeinanderfolgende, gut voneinander separierte Einelektronenredoxprozesse. Dabei sind die ersten drei Redoxprozesse reversibel und der vierte Redoxprozess partiell-reversibel.55 Die Verzerrung der vierten Redoxwelle ist auf die Überlagerung mit einem zusätzlichen Redoxprozess bei höherem Potential, der nur geringe Peakströme aufweist, zurückzuführen.

Dessen Herkunft ist unklar; es könnte sich jedoch um ein auf der Stufe des Tetrakations gebildetes Folgeprodukt handeln. Im Folgenden werden lediglich die reversiblen Redoxprozesse diskutiert.

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: CV

83 | S e i t e Abbildung 3.3#12: Cyclovoltammogramme der Komplexe 9 (oben links), 10 (oben rechts), 11 (unten links) und 13 (unten rechts).

Anhand der Daten in Tabelle 3.3#8 können für die aufgeführten Komplexe weitere Trends festgehalten werden:55,60

(I) Das Halbstufenpotential des ersten und zweiten Redoxprozesses der dinuklearen Komplexe ist im Vergleich zu dem Halbstufenpotential der entsprechenden mononuklearen Komplexe kathodisch verschoben. Beispielsweise liegt das Halbstufenpotential des reversiblen Redoxprozesses des Komplexes 6 bei 0.11 V und das Halbstufenpotential des ersten und zweiten Redoxprozesses des Komplexes 10 bei -0.25 und 0.02 V. Dieser Sachverhalt unterstützt die Annahme, dass die oxidierten Formen stabilisiert werden, wenn zwei Ruthenium-Vinyl-Donoren in direkter Konjugation an den Arylrest gebunden sind. Dies konnte bereits an den Studien des Komplexes 5V festgestellt werden (6VRu: E½ = 0.28 V vs.

5V: E½ = -0.09 und 0.17 V). Es spielt somit keine Rolle, ob der Komplex fünffach oder sechsfach koordiniert ist.

Molekulare Drähte Projekt 3: CV Kapitel 3.3

84 | S e i t e

(II) Der Austausch des Chloro-Liganden durch den bidentaten Benzoato-Liganden verschiebt die Redoxprozesse zu kathodischen Werten. Dies wird sowohl durch den Vergleich des Halbstufenpotentials des mononuklearen Komplexes 6VRu (0.28 V) mit demjenigen des Komplexes 6 (0.11 V) als auch beim Vergleich der Halbstufenpotentiale des dinuklearen Komplexes 5V (-0.09 bzw. 0.17 V) mit denjenigen des Komplexes 10 (-0.25 bzw. 0.02 V) belegt. Da die Redoxprozesse sehr stark am Vinyl-Liganden lokalisiert sind, können durch das Halbstufenpotential nur indirekt Rückschlüsse auf die Elektronendichte am Metallatom getroffen werden. Offenbar steigt die Energie des HOMOs mit der Erhöhung der Elektronendichte am Metallion merklich. Dieser Befund steht im Einklang mit den Ergebnissen aus den IR-spektroskopischen Untersuchungen. Auch quantenchemische Rechnungen unterstützen diese These. So ist das HOMO des literaturbekannten Komplexes [Ru(CH=CHPh)(CO)(η2-OOCC6H4C≡CH)(PiPr3)2] (7VCC) mit einer Energie von -5.07 eV gegenüber demjenigen des Komplexes 6VRu (-5.38 eV) energetisch angehoben.

(III) Die Thioacetyl-Gruppe verschiebt das Halbstufenpotential zu anodischen Werten.

Beispielsweise ist das Halbstufenpotential des Komplexes 6VRu (0.28 V) gegenüber dem des Komplexes 8 (0.33 V) um 0.05 V, das Halbstufenpotential des Komplexes 6 (0.11 V) gegenüber dem des Komplexes 7 (0.13 V) um 0.02 V und die Halbstufenpotentiale des Komplexes 10 (-0.25 und 0.02 V) gegenüber denen des Komplexes 11 (-0.24 und 0.04 V) um 0.01 V bzw. 0.02 V zu höherem Potential verschoben. Dies konnte auch von Rigaut et al. bei Ruthenium-Acetylid-Komplexen beobachtet werden und ist vermutlich auf eine energetische Absenkung des HOMOs zurückzuführen.49

(IV) Wie bei den Chloro-Komplex-Präkursoren sind auch bei den sechsfach koordinierten Komplexen die Redoxprozesse gut voneinander separiert. Die Werte für die Komproportionierungskonsanten Kc betragen 4∙104(10) bzw. 4∙104, 2∙103 und 6∙106 (13). Alle oxidierten Formen sind damit weitgehend stabil hinsichtlich einer Disproportionierung und sollten sich nahezu frei von Beimengungen der angrenzenden Oxidationsstufen in spektroelektrochemischen Studien erzeugen und charakterisieren lassen.

(V) Die Komplexe mit einer Thioacetyl-Gruppe scheinen während des Experiments die Platinoberfläche der Elektrode zu belegen, was zu einer Verbreiterung der Redoxwellen führt. Dieses Problem kann, wie exemplarisch durch die cyclovoltammetrische Messung des Komplexes 11 gezeigt werden konnte, durch Verwendung einer Glaskohlenstoffelektrode umgangen werden (Tabelle 8.5#52).

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: IR-SEC

85 | S e i t e Tabelle 3.3#8: Cyclovoltammetrische Daten der Komplexe 6 - 13, 3V, 5V, 6VRu und 12V bei einer Vorschubgeschwindigkeit von v = 100 mV/s .

Kc

in V in V in V in V in V

6 0.11 0.98 a) --- --- --- ---

7 0.13 1.08 a) --- --- --- ---

8 0.33 1.02 a) --- --- --- ---

9 0.19 0.98 a) --- --- --- ---

10 -0.25 0.02 --- --- 0.27 4∙104

11 -0.24 0.04 --- --- 0.28 5∙104

12 0.04 0.32 --- --- 0.28 5∙104

13 -0.31 -0.04 0.16 0.56 0.27, 0.20, 0.40 4∙104, 2∙103, 6∙106 3V55 -0.26 0.08 0.26 0.63 0.34, 0.18, 0.37 6∙105, 1∙103, 2∙106

5V60 -0.09 0.17 --- --- 0.26 3∙104

6VRu149 0.28 0.85 a) --- --- --- ---

12V60 0.18 0.45 --- --- 0.27 4∙104

a) Peakpotential für einen chemisch irreversiblen Prozess bei v = 100 mV/s.

3.3.3.2 IR-Spektroelektrochemie

Anhand der IR-spektroelektrochemischen Untersuchungen konnten die während der einzelnen Oxidationsprozesse eintretenden Änderungen verfolgt und Rückschlüsse auf die Ladungs(de)lokalisation in den einzelnen Oxidationszuständen getroffen werden. Die Experimente wurden nur für die vollständig reversiblen Redoxprozesse der Komplexe 6, 10 und 13 durchgeführt, um exemplarisch zu zeigen, welchen Einfluss der Benzoato-Ligand auf die elektronische Delokalisation in den verschiedenen Redoxzuständen hat. Die Daten werden in Tabelle 3.3#9 zusammen mit den Daten entsprechender Vergleichsverbindungen aufgelistet. In Abbildung 3.3#13 wird exemplarisch die Änderung der IR-Spektren der Komplexe 6 und 10 dargestellt.

Molekulare Drähte Projekt 3: IR-SEC Kapitel 3.3

86 | S e i t e

Abbildung 3.3#13: Änderung im IR-Spektrum der Komplexe 6 und 10 während der Oxidationsprozesse: 6→6●+ (links), 10→10●+ (Mitte) und 10●+→102+ (rechts). Skala in cm-1.

In ihren neutralen Formen zeigen die Komplexe 6, 10 und 13 erwartungsgemäß in einer 0.2 M C2H4Cl2/nBu4NPF6-Lösung die gleichen Spektren wie in Dichlormethan (Abschnitt 3.3.2.2). Die Verschiebung der ladungssensitiven IR-Streckschwingungsbanden v(C≡C), v(C≡O) und v(C=O) an den einzelnen Fragmenten des Komplexes 13 lassen Rückschlüsse zu, inwieweit diese Einheiten an den Oxidationsprozessen beteiligt sind. Komplex 13 verhält sich bei den einzelnen Oxidationsprozessen etwas anders als sein Chloro-Komplex-Präkursor 3V.

Bei Komplex 13 wird die Carbonyl-Streckschwingungsbande im Zuge des ersten Oxidationsprozesses um 19 cm-1 blauverschoben. Demgegenüber wird für die Carbonyl-Streckschwingungsbande des Komplexes 3V nur eine Verschiebung von 6 cm-1 beobachtet.

Dies legt nahe, dass die Ruthenium-Vinyl-Einheit des Komplexes 13 einen größeren Beitrag zum ersten Oxidationsprozess leistet als die Ruthenium-Vinyl-Einheit des Komplexes 3V.

Dies liegt an der im Vergleich zur {Ru(CO)Cl(PiPr3)2}-Einheit elektronenreicheren {Ru(CO)(η2-O2CR)(PiPr3)2}-Einheit, wodurch sich der Metallbeitrag dieser Einheit zum HOMO erhöht.45 Diese Annahme wird durch die IR-spektroelektrochemischen Untersuchungen an Komplex 6 bestätigt. Während des ersten Oxidationsprozesses verschiebt sich die Carbonyl-Bande des Komplexes 6 um 73 cm-1, wohingegen die Carbonyl-Bande des Komplexes 6VRu lediglich um 65 cm-1 verschoben wird. Das ist ein Indiz dafür, dass der Beitrag des Metallions zur Oxidation in Komplex 6 größer ist. In Folge des zweiten Oxidationsprozesses verschiebt sich die Carbonyl-Streckschwingungsbande bei Komplex 13 um 4 cm-1 und bei Komplex 3V um 13 cm-1. Hier scheint die {Ru(CO)(η2-O2CR)(PiPr3)2 }-Einheit einen kleineren Beitrag zum Oxidationsprozess zu leisten als die {Ru(CO)Cl(PiPr3)2}-Einheit. Beim dritten Oxidationsprozess ist es wieder genau umgekehrt;

die Carbonyl-Streckschwingungsbande des Komplexes 13 verschiebt sich um 47 cm-1 und die Carbonyl-Streckschwingungsbande des Komplexes 3V um 38 cm-1. Hervorzuheben ist, dass,

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: IR-SEC

87 | S e i t e wie bei Komplex 3V auch, bei Komplex 13 in den vier untersuchten Oxidationszuständen des Moleküls 13n+ (n = 0 - 3) jeweils nur eine Carbonyl-Streckschwingungsbande zu beobachten ist. Die beiden endständigen Ruthenium-Einheiten scheinen somit immer die gleiche Elektronendichte aufzuweisen. Bei Komplex 13 handelt es sich damit ebenfalls um ein System, bei dem die Brückenliganden jeweils einen hohen Beitrag zu den Redoxprozessen leisten, wobei die {Ru(dppe)2}- und die {Ru(CO)(η2-O2CR)(PiPr3)2}-Einheiten je nach Oxidationsprozess in unterschiedlichem Maße betroffen sind. Entscheidend ist, dass die relevanten Grenzorbitale der einzelnen oxidierten Formen des Moleküls 13n+ (n = 0 - 3) vollständig über das gesamte π-konjugierte System delokalisiert zu sein scheinen, was für den Ladungstransport sehr wichtig ist. Die C=O-Streckschwingungsbande der Acetyl-Gruppe wird durch die Oxidationsprozesse nicht verschoben, was die Annahme, dass der Benzoato-Ligand vom π-konjugierten System entkoppelt ist, untermauert. Dadurch wird die elektronische Kommunikation zwischen der an die Elektrode anbindenden Einheit und dem π-konjugierten molekularen Draht blockiert.

Die Interpretation der IR-spektroelektrochemischen Daten des Komplexes 10 gestaltet sich etwas schwierig, da für alle drei Oxidationszustände des Moleküls 10n+ (n = 0 - 2) eine Kompositbande zu beobachten ist (Abbildung 8.6#68). Bei dem Chloro-Komplex-Präkursor 5V und beim sehr ähnlichen Komplex 5 war lediglich auf der Stufe des Radikalkations 5V●+

bzw. 5●+ eine Aufspaltung in mehrere Carbonyl-Banden zu beobachten. Dies ist wahrscheinlich auf unterschiedliche Rotamere zurückzuführen (Abschnitt 3.2.3.2).60,160 Wenn das Absorptionsmaximum der jeweiligen Kompositbande für die Diskussion herangezogen wird, so wird klar, dass es sich bei beiden Oxidationsprozessen des Komplexes 10 um dominant ligandzentrierte Oxidationen handelt. Mit einer Verschiebung der Carbonyl-Streckschwingungsbande um 47 cm-1 ist der Metallbeitrag zum zweiten Oxidationsprozess etwas größer als zum ersten, wo die Verschiebung der Carbonyl-Streckschwingungsbande lediglich 20 cm-1 beträgt. Insgesamt verschiebt sich die Carbonyl-Streckschwingungsbande um 67 cm-1. Im entsprechenden mononuklearen Ruthenium-Komplex 6 verschiebt sich die Carbonyl-Streckschwingungsbande bei der ersten Oxidation um einen Wert von 73 cm-1 zu höherer Energie. Dies verdeutlicht, wie groß der Ligandbeitrag zu den Oxidationsprozessen des dinuklearen Komplexes 10 ist.

Molekulare Drähte Projekt 3: UV-SEC Kapitel 3.3

88 | S e i t e

Tabelle 3.3#9: Charakteristische IR-spektroskopische Daten der Komplexe 6, 10, 13, 3V, 5V und 6VRu in ihren verschiedenen Oxidationszuständen.55,60,149

Verb. (C≡C)

Um den Einfluss des Benzoato-Liganden auf den Grad der Delokalisation bzw. den Beitrag des Brückenliganden zu den Oxidationsprozessen evaluieren zu können, wurden exemplarisch UV/Vis/NIR-spektroelektrochemische Untersuchungen an den Komplexen 6 und 10 durchgeführt. In ihren neutralen Formen zeigen die Komplexe erwartungsgemäß in einer 0.2 M C2H4Cl2/nBu4NPF6-Lösung das gleiche Spektrum wie in Dichlormethan, weshalb hier auf die analoge Diskussion in Abschnitt 3.3.2.3 verwiesen sei. Wichtige theoretische Aspekte, welche für die Interpretation der Spektren nötig sind, wurden bereits in Abschnitt 3.2.3.3 erläutert.

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: UV-SEC

89 | S e i t e Bei Komplex 10 verliert die Bande bei 362 nm im Verlauf der ersten Oxidation an Intensität und es entstehen neue Kompositbanden im sichtbaren Bereich und im nahen Infrarotbereich des Spektrums (Tabelle 3.3#11). Das Spektrum des einfach oxidierten Styryl-Komplexes 6●+

zeigt keine Bande im nahen Infrarotbereich des Spektrums. Dies ist ein Hinweis dafür, dass es sich bei der Kompositbande zwischen 800 und 1400 nm (12500 und 7000 cm-1) um IVCT-Banden handelt. In Abbildung 3.3#14 sind das Spektrum des Radikalkations 10●+ und die Dekonvolution der Bande im nahen Infrarotbereich des Spektrums dargestellt. Eine Analyse dieser Banden anhand des von Brunschwig, Creutz und Sutin eingeführten Parameters Γ (Gleichung 1.4) zeigt, dass die Banden im nahen Infrarotbereich des Spektrums so scharf sind, dass sie einer gemischt-valenten Verbindung der Klasse III zuzuordnen und als

"Charge-Resonance-Banden" zu bezeichnen wären (Tabelle 3.3#10).18-20,73-75

Gleiches findet sich auch für die ähnlichen, divinylphenylenverbrückten Komplexe 5, 5V, 42, 44 und 45.

Diese Beobachtung kann durch quantenchemischen Studien untermauert werden, denen zufolge es sich um Übergänge zwischen besetzten Molekülorbitalen und dem SOMO handelt, welche über das gesamte System [{Ru}-Brücke-{Ru}] delokalisiert sind. Im Gegensatz zu klassischen gemischt-valenten Systemen ist bei Komplexen dieser Architektur der Beitrag des Brückenliganden ungewöhnlich hoch. Dass es sich bei den Radikalkationen dieser Komplexe um ligandzentrierte Kationen handelt, deren Grenzorbitale über das gesamte System ausgedehnt sind, wird vor allem beim Vergleich mit den Spektren der Radikalkationen bzw. Radikalanionen entsprechender Oligophenylenvinylene deutlich. Die Bandenmuster beider Systeme stimmt sehr gut miteinander überein.159

Abbildung 3.3#14: UV/NIR-SEC des Komplexes 10•+; links: Gesamtspektrum, rechts:

Auszug aus dem Gesamtspektrum; Auftragung in Wellenzahlen. Dekonvolution: Experiment (schwarz), Gausskurven (rot), überlagerte Gausskurven (blau).

Molekulare Drähte Projekt 3: UV-SEC Kapitel 3.3

90 | S e i t e

Tabelle 3.3#10: Dekonvolution der Kompositbande im nahen Infrarotbereich des Spektrums des Radikalkations 10•+ und berechnete Werte von ∆ ½(theo) und Γ.

Bande max in cm-1 ε in M-1cm-1 ½ ½(theo) Γ

1 7860 5780 1154 4261 0.73

2 9228 1880 1001 4617 0.78

3 9844 1200 2606 4769 0.45

Beim zweiten Oxidationsprozess verblasst die Absorptionsbande im nahen Infrarotbereich des Spektrums vollständig und die breite Kompositbande zwischen 400 und 700 nm gewinnt weiter an Intensität und dehnt sich zu höheren Wellenlängen aus (Abbildung 8.7#31). Diese Kompositbande ist für die intensive Blaufärbung des Dikations verantwortlich. Im Verlauf des Oxidationsprozesses sind drei isosbestische Punkte bei 301, 403 und 885 nm zu erkennen, deren Position sich deutlich von denen des zweiten Oxidationsprozesses des Komplexes 5V (318, 383, 466 und 860 nm) unterscheidet.

Im Vergleich zu den Chloro-Komplex-Präkursoren 5V●+ und 6VRu●+ sind die langwelligen Absorptionen der Komplexe 6●+ und 10●+ bathochrom verschoben und weisen eine deutlich geringere Intensität auf. Auffällig ist auch, dass im kurzwelligen Bereich der verschiedenen oxidierten Formen des Komplexes 10 wesentlich mehr Banden zu beobachten sind als bei 650 nm von verschiedenen Übergängen verursacht wird. Einen großen Beitrag scheint dabei der β-HOSO→β-LUSO-Übergang von einem Benzoat-basierten Donororbital in ein Einelektronenorbital, welches über die gesamte Ruthenium-Vinyl-Einheit delokalisiert ist, zu leisten. Übergänge aus tieferliegenden Orbitalen wie β-HOSO-1 und β-HOSO-2 in das oben erwähnte Einelektronenorbital, welches über die gesamte Ruthenium-Vinyl-Einheit delokalisiert ist, tragen ebenfalls zu der langwelligen Absorption von Komplex 6●+ bei.116 Es liegt nahe, dass auch die gegenüber dem Spektrum des Komplexes 5V●+ zusätzlichen Absorptionsbanden im Spektrum des Komplexes 10●+ ihren Ursprung in Übergängen aus einem Benzoat-basierten Donororbital in ein Akzeptororbital, welches über die divinylphenylenverbrückte Ruthenium-Einheit delokalisiert ist, haben.

Kapitel 3.3 Molekulare Drähte Projekt 3: ESR

91 | S e i t e Festzuhalten ist somit, dass die relevanten Grenzorbitale in den einzelnen oxidierten Formen des Moleküls 10n+ (n = 0 - 2), genau wie bei seinem Chloro-Komplex-Präkursor 5V auch, vollständig über das gesamte π-konjugierte System delokalisiert zu sein scheinen, was für den Ladungstransport sehr wichtig ist. Weiterhin werden die Oxidationsprozesse vom Brückenliganden dominiert, wobei die {Ru(CO)(η2-O2CR)(PiPr3)2}-Einheit einen etwas größeren Beitrag zu dem HOMO der neutralen Form und dem SOMO des Radikalkations leistet als die {Ru(CO)Cl(PiPr3)2}-Einheit.

Tabelle 3.3#11: Daten der UV/Vis/NIR-spektroelektrochemischen Untersuchungen der Komplexe 6, 10, 5V und 6VRu.60,149

λmax in nm ( in cm-1; ε in M-1cm-1)

6 314 (31847; 19000)

6•+ 381 (26247; 5800), 403 (24814; 5600), 652 (15337; 3200) 10 362 (27624; 33800)

10•+ 357 (28011; 12800), 487 (20534; 6600), 536 (18657; 6800), 587 (17036; 8000), 1016 (9844; 1200), 1084 (9228; 1900), 1272 (7860; 5800)

102+ 375 (26670; 9200), 427 (23420; 9000), 606 (16500; 13000)

5V a) 358 (27933; 35700), 388 (25773; 18500), 542 (18450; 880)

5V•+ a) 355 (28169; 18400), 501 (19960; 7000), 532 (18797; 11700), 578 (17301;

15150), 647 (15456; 5680), 925 (10811; 2060), 1062 (9416; 9080), 1252 (7987;

20900)

5V2+ a) 368 (27174; 6320), 501 (19960; 7570), 616 (16234; 33500) 6VRu a)

306 (32680; 19300), 381 (26247; 2160), 510 (19960; 370) 6VRu •+ a) 301 (33223; 13690), 388 (25773; 15950), 633 (15798; 6920)

a) Die Werte für ε wurden nach neuesten Erkentnissen gegenüber den publizierten Daten korrigiert.