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Die vertraglichen Grundlagen der OAS

potentielle Partner

4 Die Bündnissystempolitik der USA

4.1 Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) .1 Die Entstehung der OAS .1 Die Entstehung der OAS

4.1.2 Die vertraglichen Grundlagen der OAS

Im Folgenden sollen die wesentlichen Bestimmungen der drei Verträge, die bis heute die Grundlage des Interamerikanischen Systems bilden, näher erläutert werden. Da innerhalb dieser Arbeit besonders die Regelungen des gegenseitigen Beistandes von Interesse sind, wird das Hauptaugenmerk verstärkt auf dem „Interamerikanischen Vertrag gegenseitigen Beistands“

(Rio-Vertrag) liegen.

Der Interamerikanische Vertrag gegenseitigen Beistands (Vertrag von Rio de Janeiro)

Der Vertrag, der auf der Konferenz in Rio de Janeiro 1947 beschlossen wurde, bildet auf dem Gebiet der kollektiven Sicherheit und kollektiven Verteidigung das Herzstück der späteren OAS.

In Übereinstimmung mit Art. 51 und den Ausführungen in Kapitel VIII der UN-Charta regelt er die Verpflichtung der amerikanischen Staaten zur Solidarität im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedsland.417 Wie bereits angedeutet, basiert er auf der Akte von Chapultepec. Nachdem im ersten Artikel die Partner sich zum Gewaltverzicht und zur friedlichen Beilegung aller Kontroversen verpflichten, regeln die weiteren Artikel die Anwendungsfälle des Vertrages. Eine wenn auch nicht ganz exakte, aber doch prägnante Beschreibung wird durch ein oft angeführtes Bild wiedergegeben, demzufolge der „Rio-Vertrag auf einem Koordinatensystem beruht, dessen eine Linie den Charakter der Aggression und die andere Linie die Identität des Angreifers darstelle“418. Im Vertrag werden vier unterschiedliche Situationen unterschieden, in denen der Bündnisfall eintritt419:

(1) Art 3, I und III: Ein bewaffneter Angriff auf einen amerikanischen Staat innerhalb einer in Art. 4 des Vertrages definierten Sicherheitszone oder außerhalb dieser Sicherheitszone, aber auf dem Hoheitsgebiet eines amerikanischen Staates.420

(2) Art. 3, III, S. 2: Ein bewaffneter Angriff auf einen amerikanischen Staat außerhalb der unter (1) genannten Gebiete.421

(3) Art. 6: 1. Alternative: einen nicht bewaffneten Angriff auf einen amerikanischen Staat.

417 Vgl. Honegger, Claude (1982), Friedliche Streitbeilegung durch regionale Organisationen. Theorie und Praxis der Friedenssicherungs-Systeme der OAS, der Liga der Arabischen Staaten und der OAU im Vergleich.

Diss. Zürich, 1982, S. 6.

418 Brandt, Niels (1971), Das Interamerikanische Friedenssystem. Idee und Wirklichkeit. Hamburg, S. 184.

419 Die folgenden Ausführungen basieren auf Kutzner, Gerhard, OAS, S. 86 ff.

420 So gehörte z.B. Hawai zwar nicht mehr zu definierten Sicherheitszone, aber zum Hoheitsgebiet der USA.

421 Damit wird z.B. ein Angriff auf die US-Streitkräfte in Europa (Berlin) abgedeckt.

(4) Art. 6: 2. Alternative: einen inner- oder außeramerikanischen Konflikt und jede andere den Frieden Amerikas bedrohende Situation.

Unter Art. 3 fallen also alle bewaffneten Angriffe auf einen amerikanischen Staat, unabhängig davon, ob dieser von einem amerikanischen oder nicht-amerikanischen Staat ausgeführt wird.

Gegen die in Artikel 3 genannten Angriffe sieht der Vertrag einen zweistufigen Verteidigungsmechanismus vor. So kann jeder Vertragspartner auf einen solchen Angriff mit dezentralen Maßnahmen individueller oder kollektiver Selbstverteidigung reagieren. Unter dezentralen Maßnahmen werden Sofortmaßnahmen verstanden, die jeder Staat auf Verlangen des angegriffenen Staates durchführen soll. Umstritten ist, inwieweit sich aus dem Wortlaut des Artikel 3 eine Verpflichtung, überhaupt Maßnahmen zu ergreifen, ergibt. Die herrschende Meinung und insbesondere die Regierungen lehnen in der Regel eine solche Pflicht ab, da sie diese als unzulässigen Eingriff in ihre politische Handlungsfreiheit ansehen.422

Nach Brandt gibt es eine unterschiedliche Interpretation dieses Artikels. So vertrete die lateinamerikanische Literatur den Standpunkt, dass „die Entscheidungsfreiheit der Vertragsstaaten bei der dezentralisierten Durchführung von Maßnahmen kollektiver Verteidigung […] soweit gehe, dass diese sich auch zur Untätigkeit entschließen können“423 und dass es keinen Automatismus zur kollektiven Verteidigung gebe. Dagegen gab die US-Delegation nach Ende der Konferenz eine offizielle Erklärung ab, dass eine solche Verpflichtung durchaus bestehe.

Diese dezentralen Maßnahmen sind solange rechtmäßig, bis sie durch vom Konsultationsorgan der OAS beschlossene zentralisierte Maßnahmen kollektiver Verteidigung abgelöst werden.

Konsultationsorgan ist nach Art. 11 des Rio-Vertrages der Rat der Außenminister.

Im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedslands werden der Bündnisfall und die Beistandspflicht der anderen unterzeichnenden Parteien ausgelöst. Dabei werden die Beistandsmaßnahmen von den Außenministern mit 2/3-Mehrheit beschlossen. Diese Maßnahmen sind mit Ausnahme des Einsatzes bewaffneter Gewalt für alle Signatarstaaten verbindlich. Im Gegensatz zum späteren NATO-Vertrag oder ähnlichen Verträgen schließt diese Regelung mit ein, dass das einzelne Mitgliedsland nicht selbst entscheiden kann, ob der Bündnisfall gegeben ist und welche konkreten Maßnahmen er ergreifen will.424

422 Vgl. Brandt, Niels, Friedenssystem, S. 193.

423 Brandt, Niels, Friedenssystem, S. 193.

424 Vgl. van Wynen Thomas, Ann/ Thomas, Aron J. (1963), The Organization of American States. Dallas, S. 254-255.

In Artikel 8 werden die möglichen Maßnahmen, die vom Rat ergriffen werden können, aufgezählt: Abberufung von Leitern der diplomatischen Vertretungen, Abbruch der diplomatischen Beziehungen, Abbruch der konsularischen Beziehungen, vollkommene oder teilweise Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen oder der Eisenbahn-, Schiffahrts-, Luft-, Post- oder Telekommunikationsverbindungen sowie die Anwendung bewaffneter Gewalt.

Für die anderen Fälle (2) bis (4) gilt, dass die Staaten keine sofortigen Einzelaktionen unternehmen dürfen, sondern die vom unverzüglich zusammentretenden Beratungsorgan beschlossenen Maßnahmen abwarten, wobei als Gegenmaßnahmen dieselben Sanktionen wie im Falle eines bewaffneten Angriffs, also einschließlich des Einsatzes bewaffneter Gewalt, zur Verfügung stehen.

Der Amerikanische Vertrag der friedlichen Lösungen (Pakt von Bogotá)

Nach Rainer Gerold stellt der in Bogotá geschlossene Vertrag über friedliche Lösungen den

„umfassendsten und theoretisch vollkommensten Versuch dar, die im interamerikanischen System entwickelten Methoden der friedlichen Streitregelung zu koordinieren“425.

In Kapitel 4 der Charta der OAS vereinbarten die Konferenzteilnehmer in Bogotá, einen Vertrag zu verabschieden, der Regelungen und Vorgehensweisen definiert, wie Konflikte innerhalb des amerikanischen Kontinentes gelöst werden sollten. Dazu sollten die im Laufe der Zeit entstandenen vielfältigen Abmachungen und Verträge, die sich mit diesem Thema beschäftigten, durch diesen einen Vertrag zusammengefasst und abgelöst werden.

Sein Zweck besteht gerade darin, „mit Hilfe der Normierung eines kohärenten Systems von detalliert geregelten Streitbeilegungsverfahren die in einer Vielzahl im Verlaufe der entstandenen, jeweils aber nur durch einen Teil der amerikanischen Staatenwelt unterzeichneten und nicht aufeinander abgestimmten Verträge enthaltenen Vorschriften auf dem Gebiet der Streitbeilegung zu vereinheitlichen und zusammenzufassen.“426

Der Bogotá-Pakt muss als Einheit zusammen mit dem Rio-Vertrag gesehen werden, auch wenn er von diesem grundsätzlich unabhängig ist.427 Während der Rio-Vertrag in der Hauptsache die Organisation einer gemeinschaftlichen Reaktion im Falle eines Angriffes regelt, schufen die Vertragsparteien im Pakt von Bogotá ein ausschließlich zur Sicherung der friedlichen Streitbeilegung bestimmtes Vertragswerk.428

Der Pakt sieht vor, dass „the High Contracting Parties recognize the obligation to settle international controversies by regional pacific procedures before referring them to the Security Council of the United Nations“ und „[to, Einf. d. A.] bind themselves to use the procedures established in the present Treaty.“429

Im Weiteren führt der Pakt eine Reihe von Konfliktbeilegungsmechanismen an, die von den Mitgliedsstaaten angewendet werden sollen, darunter findet sich das Instrument des good offices, worunter verstanden wird, dass ein amerikanischer Staat oder Bürger, der nicht Konfliktbeteiligter ist, versucht, die Streitparteien an einen Tisch zu bringen.

425 Gerold, Rainer (1971), Die Sicherung des Friedens durch die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS). Berlin, S. 22.

426 Honegger, Claude, Friedliche Streitbeilegung, S. 7.

427 Vgl. van Wynen Thomas/ Thomas, The Organization of American States, S. 282.

428 Vgl. Honegger, Claude, Friedliche Streitbeilegung, S. 7.

429 Zit.nach: Mecham, J. Lyod, Inter-American Securiy, S. 311.

Gelingt dies, endet die Funktion dieses Staates oder Bürgers. Daneben sieht der Pakt auch die Möglichkeit einer Mediation vor, in der ein allparteilicher dritter Staat die Konfliktparteien auf dem Weg zur Lösung begleitet und Struktur und Prozess bestimmt.

Weitere Mechanismen sind die Untersuchung und Schlichtung. Eine unabhängige Kommission wird dabei beauftragt, die Fakten zu sichten und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Daneben gibt es noch gerichtliche und Schiedsgerichtliche Verfahren und schließlich die Möglichkeit den Internationalen Gerichtshof anzurufen.430

Während 2/3 der Regierungen den Vertrag unterzeichneten, taten sieben, darunter auch die USA, dies jedoch nicht vorbehaltlos. Der Pakt von Bogotá bisher nur von wenigen Staaten ratifiziert worden und blieb in der Praxis nur von geringer Relevanz.

Die Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten

Wie bereits angedeutet, kann die Unterzeichnung der Charta der Organisation der Amerikanischen Staaten als Schlusspunkt einer evolutionären Entwicklung gesehen werden, insofern in ihr keine wesentlichen neuen Prinzipien oder Ziele geregelt wurden, sondern vielmehr bestehende Strukturen und Verträge reorganisiert und unter dem Dach der OAS zusammengefasst wurden.

Die Charta der OAS bildet das Organisations- und Grundgesetz des interamerikanischen Systems. Sie ist in drei große Bereiche zu unterteilen, von denen sich der erste mit den Zielen, Rechten und Pflichten der unterzeichnenden Staaten, der zweite mit der Struktur und der letzte Abschnitt mit verschiedenen Bestimmungen z.B. in Bezug auf Ratifikation und dem Verhältnis OAS-UNO, befasst.

In der Charta definiert sich die OAS als internationale Organisation, was nach Thomas „eine lose Konföderation von Staaten mit zentralen Organen von begrenzter Kompetenz, die rudimentäre Regierungsinstitutionen sind“431 ist.

In der Literatur hat sich der Konsens durchgesetzt, die OAS nicht mit herkömmlichen Begriffen wie „Staatenbund“ oder „Bundesstaat“ zu beschreiben, sondern sie als Völkerrechtspersönlichkeit „sui generis“ anzusehen.

Oberstes Ziel aller Bemühungen ist laut Art. 1 der Aufbau eines gerechten Friedenssystems, die Förderung der Solidarität und die Verstärkung der Zusammenarbeit unter den amerikanischen

430 Vgl. van Wynen Thomas/ Thomas, The Organization of American States, S. 287-296.

431 Van Wynen Thomas/ Thomas, The Organization of American States, S. 42.

Staaten sowie die Verteidigung einzelstaatlicher Souveränität, territorialer Integrität und Unabhängigkeit. Weitere Zielsetzungen sind laut Art. 4 der ursprünglichen Fassung der Charta:

– Die Stärkung des Friedens und der Sicherheit auf dem amerikanischen Kontinent – Die Verhütung möglicher Ursachen von Streitfragen und die Sicherstellung der

friedlichen Beilegung von zwischen Mitgliedsstaaten entstandenen Konflikten – Das gemeinsame Vorgehen im Falle einer Aggression

– Die Suche nach Lösungen für politische, rechtliche und wirtschaftliche Probleme, die zwischen den Mitgliedsstaaten entstehen können

– Durch gemeinsames Vorgehen die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung.

Im Weiteren verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten zur Einhaltung einer Reihe von internationalen Rechtsgrundsätzen, wie z.B. der Gleichheit der Mitgliedsstaaten, des Interventionsverbots, ächten Krieg als Mittel der Politik und verpflichten sich noch einmal zum Beistand im Falle eines Angriffes.432

Der Grundsatz der gegenseitigen Beistandspflicht wird in Artikel 3 beschrieben: „An act of aggression against one American State is an act of aggression against all the other American States.“ Brandt stellt fest, dass damit „für die Mitglieder der OAS ein Recht der Staaten in eine Pflicht umgewandelt worden“433 ist. Die konkrete Ausgestaltung dieser Pflicht ermöglichte der Vertrag von Rio de Janeiro.

432 Vgl. Stoetzer, O. Carlos, Organization of American States, S. 33-35.

433 Brandt, Niels, Friedenssystem, S. 144.