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1.2 „Anti-Kolonialismus“: Die USA und die Dekolonisierungsprozesse

Ein Überblick über den geschichtlichen Rahmen, in dem die US-Bündnispolitik angesiedelt ist, bleibt ohne eine Erwähnung der Dekolonisierungsprozesse unvollständig. Mit diesem Begriff wird die Entstehung neuer Staaten verstanden, die vormals zu den Kolonialreichen der europäischen Großmächte gehörten und die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach ihre Unabhängigkeit erlangen konnten.

Die weitreichenden Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges in Europa betrafen auch die europäischen Kolonialmächte, allen voran Großbritannien und Frankreich, dermaßen, dass aus den ehemaligen Großmächten nunmehr „secondary states“72 wurden, die um die Erhaltung ihrer Überseebesitzungen kämpften. In Asien und im Nahen Osten waren – zum Teil bereits vor dem Krieg – Unabhängigkeitsbewegungen entstanden, die mit wechselndem Erfolg die Loslösung ihrer Staaten den europäischen Kolonialmächten einforderten. In Südostasien erlangten u.a. zuerst die Philippinen (1946), Indien und Pakistan (1947), Burma und Ceylon (1948), Indonesien (1949) und schließlich Laos, Kambodscha (beide 1953) und Nord- und Südvietnam (1954) Eigenstaatlichkeit. Auch wenn im Nahen Osten, die einzelnen Nationen zum größten Teil bereits nach dem Ersten Weltkrieg souverän wurden, hatte Großbritannien, u.a. durch seine Stellung als Mandatsmacht für Palästina, Jordanien und den Irak eine, eine sehr einflußreiche Position in dieser Region. Der Irak wurde bereits 1932 souverän und 1946 entstand zudem das unabhängige Königreich Transjordanien.

Dadurch, dass die USA keine kolonialen Besitzungen besaßen, waren sie von dem Prozess der Dekolonisierung nur indirekt betroffen. Doch aufgrund ihres Aufstieges zur Weltmacht nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten sie die Entwicklungen nicht nur passiv, sondern als aktiver Akteur. Dabei muß ihr Politikansatz auf diesem Feld als ambigue beschrieben werden. Auf der einen Seite herrschte – aufgrund der Geschichte ihrer eigenen Staatsgründung als ein Kampf von 13 Kolonien um Unabhängigkeit – in breiten Teilen der Bevölkerung als auch der politischen Klasse Sympathien für die um Souveränität kämpfenden Kolonien vor. Die USA präsentierten sich oftmals als „leaders of the global process of decolonization“73 und

72 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization. New York/ London, S. 22.

73 Ryan, David, By Way of Introduction: the United States, Decolonization and the World System. In: Ryan, Da-vid/ Pungong, Victor (Hg.) (2000), The United States and Decolonization. Power and Freedom. Chippenham, S.

6.

unterstützten eine Reihe von neu entstandenen Staaten, z.B. Pakistan oder den Iran, mit wirtschaftlichen aber vor allem auch militärischen Hilfsleistungen.

Dieses Eintreten für Antikolonialismus und besonders die Hilfen für ehemalige Kolonialstaaten müssen im Zusammenhang mit dem Bemühen der USA um eine Eindämmung des Kommunismus gesehen werden. Denn oftmals war die Unterstützung Washingtons nur für solche Staaten, „which seemed sturdy and determined enough to help stave off communism.“74 Auf der anderen Seite kollidierten diese US-amerikanischen „anti-colonial“-Einstellungen mit Überlegungen, dass Großbritannien und Frankreich, die beiden großen Kolonialmächte, nicht noch weiter geschwächt werden dürften und als „bulwark against communism“75 von großer Bedeutung wären.76 So unterstützte das Weiße Haus die Bemühungen dieser beiden Nationen zur Wiederherstellung und Sicherung ihrer ehemaligen Kolonialgebiete, wenn dies in den Augen der USA im Kampf gegen den Kommunismus zweckdienlich erschien.77 Für LaFeber waren die USA oftmals bereit, eigene Prinzipien „for the practices of imperial conquest and global hegemony“ zu opfern. Dies hatte natürlich auch negative Konsequenzen für das Ansehen der USA in diesen Regionen: besonders die post-kolonialen Staaten in Asien, und dem Mittleren Osten nahmen die USA kritisch als “collaborator with European imperialism”78 wahr.

Die US-amerikanische Politik gegenüber den Prozessen der Dekolonisierung kann dem entsprechend als „ambiguous and seemingly inconsistent“ umschrieben werden: „anti-colonial where the Russians did not appear as a threat, and supportive of the British and the French position where their colonial activity could be trooped out as action against encroaching communism.”79

74 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization, S. 36.

75 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization, S. 28.

76 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization, S. 24, 28.

77 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization, S. 22.

78 Osgood, Kenneth A. (2006), Words and Deeds: Race, Colonialism, and Eisenhower’s Propaganda War in the Third World. In: Statler, Kathry/ Johns, Andrew L. (Hg.), The Eisenhower Administration, The Third World, And the Globalization of the Cold War. Oxford, S. 4.

79 Betts, Raymond F. (2004), Decolonization, S. 22.

2 Das Allianzkonzept

2.1 Der Begriff „Allianz“ in der Forschung

Bevor im weiteren Text auf die theoretischen Grundlagen eingegangen werden kann, ist es notwendig, sich mit den wesentlichen Konzepten und Begrifflichkeiten auseinander zu setzen, bilden diese doch das Fundament.

Wie bei vielen anderen wissenschaftlichen Begriffen, gibt es auch für das Allianzkonzept keine allgemein anerkannte Definition, obwohl wie oben dargelegt, Allianzen seit vielen Jahren im Zentrum wissenschaftlicher Forschung stehen. Während auf der einen Seite einige Autoren in ihren Arbeiten auf eine Definition verzichten, bieten andere Autoren eine Vielzahl von unterschiedlichen, teils sich widersprechenden Begriffsbestimmungen an. Hinzu kommt, dass oftmals dem Allianzbegriff ähnliche Begriffe wie „alignment“, „Koalition“ oder „Entente“

synonym in der Diskussion Anwendung finden.80 So hat Friedrich Ruge festgestellt, dass in der Literatur 27 unterschiedliche Begriffe benutzt werden, um dem Phänomen „Allianz“ näher zu kommen.81

Die vorliegende Arbeit verzichtet angesichts dieser bereits bestehenden Vielfalt darauf, einen eigenen Definitionsversuch zu unternehmen, da dies für den hier verfolgten Zweck nicht erforderlich erscheint. Sie lehnt sich vielmehr an den von Bergsmann vorgezeichneten Weg an, der in seiner Arbeit aufbauend auf einer Reihe von charakteristischen Merkmalen eine sehr brauchbare Allianzdefinition erarbeitet hat, demzufolge:82

 Allianzen von souveränen Staaten gründet werden.

 Im Unterschied zu alignments sie auf expliziten Abmachungen in Form eines Bündnisvertrages basieren.

 Allianzen sich auf ein Verhalten in einer bestimmten Eventualität in der Zukunft beziehen. Der Kern des Vertrages beschreibt ein Verhalten, dass erst im casus foederis, also dem Bündnisfall, zum Tragen kommt.

 Dieses Verhalten kann als Beistandsleistung charakterisiert werden. Im Bündnisfall bedeutet dies, dass ein Staat zum Einsatz seiner eigenen Machtressourcen zugunsten des

80 So benutzt Waltz Begriffe wie „alliance“, „alignment“, „coalition“, „balance oder external balance“ nahezu synonym, vgl. Waltz, Kenneth N., Theory, S. 125, 126-127, 165, 166.

81 Ruge, Friedrich (1972), Bündnisse. In Vergangenheit und Gegenwart unter besonderer Berücksichtung von UNO, NATO, EWG und Warschauer Pakt. Frankfurt am Main, S. 12-13.

82 Vgl. Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 16-17.

anderen bereit ist. Dabei kann sowohl Ausmaß, als auch Art und Weise dieses Einsatzes von Allianz zu Allianz verschieden sein.

 Beim Abschluss des Allianzvertrags ist das Eintreten des Bündnisfalles ungewiss. Hier ist der wesentliche Unterschied zu Koalitionen anzusiedeln, die für eine bereits eingetretene oder in Zukunft nahezu sicher eintretende Situation geschlossen werden.

Bergsmann verweist auf die Bedeutung dieses Unterschieds, denn gerade bei der Kosten-Nutzen-Abwägung eines möglichen Beitritts zu einem Bündnis ist die Frage der Gewissheit, bzw. Ungewissheit entscheidend.

 Aus dem oben genannten ergibt sich zwangsläufig, dass der Allianzvertrag ein Versprechen beinhaltet. Dieses Versprechen ist gegenseitiger Natur. Ob ein Vertragspartner im Bündnisfall seinen Verpflichtungen nachkommt, ist keinesfalls sicher, wodurch sich das Glaubwürdigkeitsproblem von Bündnissen, oder anders formuliert, die Gefahr des „allein-gelassen-werdens“ ergibt.

 Schließlich beziehen sich Allianzverträge stets auf den Bereich der nationalen Sicherheit.

Aus diesen Eigenschaften ergibt sich, dass eine Allianz „eine explizite Abmachung zwischen Staaten im Bereich der nationalen Sicherheit ist, die für eine bestimmte Eventualität in der Zukunft (Bündnisfall), deren Eintreten aber ungewiss ist, einen gegenseitigen Beistand der Partner verspricht.“83

Innerhalb dieser Arbeit wird diese Definition erweitert durch das zusätzliche Merkmal eines organisatorischen Unterbaus. Bis auf das ANZUS-Bündnis weisen alle hier untersuchten Allianzen diesen auf. Gleichzeitig ist aber darauf hinzuweisen, dass nur wenige Allianzen eine organisatorische Struktur ausgebildet haben, wodurch die hier im Fokus stehenden Paktsysteme sich ein Stück weit hervorheben.84 Trotz dieser Sonderstellung wurde aber darauf verzichtet Berkowitz zu folgen und einen neuen Terminus - er selber spricht von „Internationalen Vertragsorganisationen“85 - für diese besondere Art der Allianzen einzuführen, da sich der Mehrwert dieses Vorgehens nicht erschließt.

Trotz der Festlegung dieser für ein Bündnis konstituierenden Merkmale bleibt das Allianzkonzept weiterhin insofern unscharf, als dass es unterschiedliche Formen von Allianzen

83 Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 18.

84 Vgl. Thies, Wallace (1987), Alliances and Collective Goods. A Reappraisal. In: Journal of Conflict Resolution, 31:2, S. 305-306.

85 Berkowitz, Bruce (1983), Realignment in International Treaty Organizations. In: International Studies Quar-terly. 27:1, S. 78.

und Grade der Bindung gibt. Aus diesem Grund werden hier zwischen stark multilateralen und schwach multilateralen Bündnissen unterschieden. Dabei sind diese Begriffe nicht absolut zu sehen, sondern als Pole. Staaten können sich entscheiden, Allianzen mit einer tiefergehenden oder nur einer losen Bindung zu schließen. Eine tiefergehende Bindung zeichnet sich dadurch aus, dass besonders der mächtigere Staat bereit ist, eigene Truppen längerfristig in schwächeren und bedrohten Ländern des Vertragsgebietes zu stationieren, es eine koordinierte Militärplanung unter den Alliierten gibt und es sogar zum Aufbau einer integrierten Kommandostruktur kommen kann. Bei einer schwachen Bindung existieren diese Merkmale nicht, vielmehr wird der stärkere Staat sich damit begnügen, einseitig seine Absicht zu erklären, die anderen Bündnispartner zu verteidigen. In diesem Zusammenhang definiert John Ruggie stark multilaterale Allianzen durch die Konzepte der „indivisible security“ und „collective response“. 86 Der Grundgedanke dieser beiden Konzepte ist, dass ein Staat sich in dem Bündnis nach dem Prinzip verhält, dass die Verteidigung der Sicherheit der Alliierten gleichgesetzt wird mit der Verteidigung der eigenen Sicherheit. Einfach ausgedrückt ließe sich dies zusammenfassen mit der Idee „einer für alle und alle für einen“.

Bei schwach multilateralen Bündnissen gibt es zwar das Versprechen einer gemeinsamen Verteidigung, dies ist aber nur schwach ausgeprägt. In diesem Fall wird es nicht oder nur in einem begrenzten Maße zu gemeinsamer militärischen Planung kommen. Der Aufbau integrierter Kommandostrukturen ist daher ausgeschlossen.

86 Vgl. Ruggie, John (1992), Multilateralism: the Anatomy of an Institution. In: International Organization. 46:3, S. 569-570.

2.2 Der Prozess der Allianzbildung

Aufbauend auf der vorangegangen Begriffsdefinition soll in diesem Abschnitt der Prozess, wie es zu der Herausbildung von Allianzen kommt, untersucht werden.

Allianzen werden von souveränen Staaten geschlossen. Ausgangspunkt des Prozesses ist daher ein Staat, der einen Bedarf für die Bildung eines Pakts sieht. In der Literatur lassen sich für einen solchen Staat unterschiedliche Termini finden, am geeignetsten erscheint hier die Bezeichnung des „Allianzinitiators“87.

Dieser Allianzinitiator sucht sich anhand von noch näher zu bestimmenden Kriterien potentielle Partner aus, mit denen er dann in Verhandlungen eintritt, an deren Ende im Erfolgsfall der Abschluss eines Allianzvertrages steht.

Zusammengefasst sieht der Prozess folgendermaßen aus:

(Quelle: Bergsmann, Stefan (1996), Warum entstehen Bündnisse?. Sinzheim, S. 33.)

87 Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 33.

Allianzinitiator

Allianzbedarf