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2.3 Die klassischen Allianztheorien

2.3.1 Die realistischen Ansätze

Der Realismus gehört im Bereich der Internationalen Beziehungen zu einer der älteren Theorieschulen. Als systemische Theorie entstand er zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Antwort auf die defizitäre Erklärungskraft des Kantschen Liberalismus und eines Wilsonismus idealistischer Prägung, der in einer verstärkten Interdependenz und Verrechtlichung der internationalen Ordnung die notwendige Bedingung für eine dauerhafte, friedliche Konfliktregelung sah. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen und faschistischen Revisions-, Expansions-, und Annexionspolitik, die im Zweiten Weltkrieg gipfelte, zeigte sich deutlich das Scheitern dieses allzu idealistischen Weltbildes.88

Demgegenüber etablierte sich die realistische Schule, die Hans Morgenthau definierte als eine

„theoretische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen, wie es ist, und mit den geschichtlichen Abläufen, wie sie den Tatsachen entsprechen“.89

Obwohl der politische Realismus keine einheitliche Theorie darstellt und dementsprechend eine Reihe prominenter Vertreter hat, wurde diese Denkschule vor allem durch die Arbeiten von Hans Morgenthau geprägt, der daher auch als „the most brilliant and authoritative political realist“90 charakterisiert wird.

Auch wenn die Realisten sich als Gegenpart zum Idealismus sehen, teilen sie doch mit Letzterem das folgende Erkenntnisinteresse: Wie kann Krieg zwischen Staaten verhindert werden?

88 Masala, Carlo (2005), Kenneth N. Waltz. Einführung in seine Theorie und Auseinandersetzung mit seinen Kritikern. Baden-Baden, S. 25

89 Vgl. Morgenthau, Hans J. (1963), Macht und Frieden. Grundlagen einer Theorie der internationalen Politik.

Gütersloh, S. 49.

90 Niebuhr, Reinhold (1965), Man’s nature and his communities. New York, S. 71.

Gerade vor dem Hintergrund des beginnenden atomaren Zeitalters Ende der 40er Jahre ist für die Realisten die Bewahrung des Friedens angesichts der Perspektive der totalen Vernichtung das zentrale Anliegen.91

Zu Beginn eines seiner Hauptwerke („The Man, The Nation, The War“) postuliert Morgenthau in Ablehnung des seiner Meinung nach falschen, weil illusionären liberalen Menschenbildes ein realistisches Menschenbild, nach dem für ihn der Egoismus „Basis und eine unveränderte Konstante des menschlichen Seins“92 ist.

Zweites Charakteristikum der menschlichen Natur ist nach Morgenthau seine „lust for power“, die auch Hauptgrund für den Krieg des Menschen gegen den Menschen ist:

„For while man’s vital needs are capable of satisfaction, his lust of power would be satisfied only if the last man became an object of his domination, there being nobody above or besides him, that is, if he became like god.“93 Somit bildet dieser Machttrieb die Essenz aller Politik und Politik wird „a struggle for power over men, and whatever its ultimate aim may be, power is its immediate goal.”94 Demzufolge ist es nur konsequent, wenn internationale Politik auch als „[…] an unending struggle for power”95 angesehen wird. Dabei wird von Morgenthau der Schritt von der individuellen menschlichen Ebene zur internationalen Politik mittels Induktion vollzogen. Sind dem einzelnen Menschen in der modernen Gesellschaft beim Ausleben seines Machttriebs Grenzen gesetzt, versucht er dies zu kompensieren, indem er sich mit Kollektiven identifiziert, auf die er seinen Machttrieb verschiebt. Die Nation an sich ist kein empirischer Gegenstand: „Sprechen wir […] empirisch von der Macht oder der Außenpolitik einer bestimmten Nation, ist darunter nur die Macht oder Außenpolitik bestimmter Individuen, die einer Nation angehören, zu verstehen.“96

Hauptakteure im Realismus sind daher auch ausschließlich souveräne und rational handelnde Nationalstaaten, deren Grundziele die Sicherung der eigenen Existenz und die Unabhängigkeit sind. 97

Das Hauptinteresse von Staaten sehen Realisten in erster Linie im Machterwerb. Morgenthau formulierte es explizit: „Internationale Politik ist, wie alle Politik, ein Kampf um die Macht.

91 Vgl. Masala, Carlo, Waltz, S. 24 und 28.

92Masala, Carlo, Waltz, S. 26.

93 Morgenthau, Hans J. (1974), Scientific Man versus Power Politics. Chicago 1946, S. 193.

94 Morgenthau, Hans J., (1974) Scientific Man, S. 201-204.

95 Morgenthau, Hans J., (1974) Scientific Man, S. 204.

96 Morgenthau, Hans J., (1963), Macht und Frieden, S. 125.

97 Meyers, Reinhard (1997), Grundbegriffe und theoretische Perspektiven der Internationalen Beziehungen. In:

Stammen, Theo (Hg.), Grundwissen Politik. Frankfurt am Main/ New York, S. 372.

[…] Politik im engeren Sinn sucht entweder Macht zu erhalten, Macht zu vermehren oder Macht zu demonstrieren.“98

Eng gekoppelt an den Begriff Macht ist der Begriff des Nationalinteresses. Dieser beschreibt den gesamten Ziel- und Wertekomplex der Außenpolitik. Dessen Durchsetzung ist vollständig abhängig von der jeweiligen Machtposition eines Landes, die wiederum determiniert wird durch die geographische Lage, die natürlichen Ressourcen, die industrielle Kapazität, das Militärpotential, die Bevölkerungsgröße, den Nationalcharakter, die nationale Moral, die Qualität der Diplomatie und die Legitimität der Regierung.99

Im Laufe der Zeit wurden diese Ansichten besonders von Kenneth Waltz weiterentwickelt und es bildete sich eine neorealistische Schule der Internationalen Beziehungen. Auf Morgenthaus Überlegungen aufbauend, erweiterte Waltz den Blickwinkel seiner Analyse und konzentrierte sich auf die systemische Ebene.

Den Fokus auf die Struktur gerichtet versteht der strukturelle Realismus, wie der Neorealismus auch genannt wird, internationale Politik als Ergebnis systemischer Effekte. Die Struktur definiert, in welcher Weise das System geordnet ist (ordering principle), welche funktionalen Charakteristika (qualities) den jeweiligen Einheiten zugeordnet werden und wie die funktionalen Fähigkeiten (capabilities) verteilt sind.100

Für Neorealisten ist das internationale System prinzipiell durch Anarchie gekennzeichnet und besteht aus staatlichen Einheiten, die formal und strukturell gleich sind. Dies bedeutet den Ausschluss einer wie auch immer gearteten höheren Instanz mit einem Gewaltmonopol. Auch der Neorealismus sieht Staaten als prinzipiell am Eigeninteresse orientierte Akteure, die in einem anarchisch strukturierten System bestrebt sind, ihr Überleben und ihre Unabhängigkeit zu sichern.101 Eine wichtige Schlüsselvariable, die diese Struktur wiederum definiert, ist die Verteilung von Machtressourcen. Diese bezieht sich darauf, wie viel Macht ein Staat A im Verhältnis zu einem Staat B, C, etc. besitzt. Unter dem Verweis auf den fungiblen Charakter der Macht werden darunter Faktoren wie die militärische Stärke, die Wirtschaftskraft, die natürliche Ressourcenausstattung, die Bevölkerungsgröße, die Größe des Territoriums, sowie die innere

98 Morgenthau, Hans J. (1963), Macht und Frieden, S. 69 und 81.

99Vgl. Morgenthau, Hans J. (1963), Macht und Frieden, S. 132 ff.

100 Vgl. Siedschlag, Alexander (1997), Neorealismus, Neoliberalismus und postinternationale Politik. Beispiel internationale Sicherheit; theoretische Bestandsaufnahme und Evaluation. Opladen, S. 95.

101 Viotti, Paul R./ Kauppi, Mark V. (2008), International relations theory. Realism, pluralism, globalism and beyond. Boston, S. 32-34.

Stabilität verstanden.102 Aus der unterschiedlichen Verteilung dieser capabilities ergibt sich die Polarität des internationalen Systems, also das Vorhandensein von Groß-, Mittel- oder Kleinmächten. Diese Polarität wird als unabhängige Variable betrachtet, von der wiederum die Stabilität und die Tendenz der Systemkonfiguration kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren oder zu verhindern, aber auch die Art, in der die Länder auf äußere Bedrohungen reagieren, abhängig ist.103

Demzufolge kann eine stabile internationale Ordnung zwar ein Produkt von Anarchie sein, diese ist aber per se über die Zeit nicht stabil. Staatliches Handeln wird unter diesen äußeren Bedingungen durch das „Sicherheitsdilemma“ bestimmt. Mit diesem von John Hertz im Jahr 1951 erstmalig eingeführten Begriff wird ein Phänomen beschrieben, das sich aus den Grundannahmen ergibt: Da ein Staat sich zu keinem Zeitpunkt sicher sein kann, dass andere Staaten zu einem bestimmten Zeitpunkt eine feindselige Haltung gegenüber ihm einnehmen, wird er nach Machtakkumulation streben, um seine unabhängige Existenz sichern zu können.104 Das Dilemma besteht nun darin, dass diese Machtansammlung wiederum von anderen Staaten als potentielle Bedrohung angesehen wird, was diese veranlasst, ebenfalls nach Macht zu streben, was erneut von deren Nachbarn als Gefahr betrachtet wird. Ergebnis ist eine Bedrohungs- und Rüstungsspirale, die im Ergebnis zur Herausbildung eines Macht- oder Bedrohungsgleichgewichts führt.

John Mearsheimer liefert eine prägnante Zusammenfassung dieser realistischen/neorealistischen Annahmen:

Realism paints a rather grim picture of world politics. The international system is portrayed as a brutal arena where states look for opportunities to take advantage of each other, and therefore have little reason to trust each other. Daily life is essentially a struggle for power, where each state strives not only to be the most powerful actor in the system, but also to ensure that no other state achieves that lofty position.105

Rational agierende Staaten werden dies realisieren und danach trachten, die Möglichkeiten ihres eigenen Überlebens zu maximieren. Dies wiederum muss kooperatives Verhalten nicht

102 Waltz, Kenneth N (1993), The Emerging Structure of International Politics. In: International Security. 18, S.

50. 103 Waltz, Kenneth N (1993), Structure, S. 45.

104Vgl. Hellmann, Gunther/ Wolf, Reinhard (1993), Neorealism, Neoliberal Institutionalism, and the Future of NATO. In: Security Studies. 3:1, S. 9.

105Mearsheimer, John J. (1994/1995), The False Promise of International Institutions. In: International Security.

19:3, S. 9.

ausschließen. Die Gestalt des internationalen Systems wird dabei im Wesentlichen durch die Interessen und Aktionen der mächtigsten Staaten bestimmt.106

Aus diesen Grundüberlegungen haben sich verschiedene Ansätze entwickelt, die sich mit der Frage beschäftigen, unter welchen Bedingungen Staaten nach kooperativen Verhalten trachten und bereit sind, Allianzen einzugehen.

Der Balance-of-power-Ansatz

Grundsätzlich schließen Realisten die Entstehung von friedenssichernden Organisationen wie z.B. der NATO nicht aus. Sie führen diese vor allem auf die Zuspitzung des Sicherheitsdilemmas zurück. Gerade aus der anarchischen Struktur des internationalen Systems ergäben sich starke Motive für eine Zusammenarbeit: „Anarchy implies both a need for help and a concern for others.“107 Hierbei würden u.a. die Sorge um die nie auszuschließende Möglichkeit eines Angriffs und die Unmöglichkeit, vollständige Informationen über die Absichten seiner Nachbarn zu erhalten, wichtige Rollen spielen. Zentrales Element ist dabei das Konzept eines Gleichgewichts. Dabei gehört die Vorstellung des Machtgleichgewichts zu den ältesten theoretischen Ideen aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen.108 Sowohl der klassische Realismus, wie auch der strukturelle Realismus eines Kenneth Waltz nutzen dieses Konzept, wenn auch in abgewandelter Form. Ist es im klassischen Realismus die Aufgabe der Staatsmänner durch kluge Außenpolitik auf das Gleichgewicht der Macht hinzuarbeiten, wird es im Neorealismus zu einem automatischen Effekt des Systems: Es existiert ein Drang zu einem ausgeglichenen System, jegliche Änderung des Machtgleichgewichts führt zu einem systemimmanenten Streben, diese Balance wieder herzustellen.109 Laut Waltz sind zwei Faktoren notwendig, um ein balance-of-power-System zu etablieren: „[…] [T]hat the order be anarchic and that it be populated by units wishing to survive.“110

In einem anarchischen System ist die oberste Maxime der einzelnen Staaten ihre Sicherheit zu maximieren. Diese Sicherheit ist nur gewährleistet, wenn kein Staat soviel Macht besitzt, dass

106 Theiler, Olaf (2003), Die Nato im Umbruch. Bündnisrefom im Spannungsfeld konkurrierender Nationalinteressen. Baden-Baden, S. 17.

107 Snyder, Glenn H., Alliance Politics, S. 52.

108 So ist etwa in den Schriften von Thukydides über den Peloponnesischen Krieg „balance-of-power“-Denken aus vorchristlicher Zeit überliefert, Vgl. Sheehan, Michael (1997), The balance of power. History and theory.

London, S. 24.

109 Vgl. Jervis, Robert (1997), System effects. Complexity in political and social life. Princeton, S. 96f.

110 Waltz, Kenneth N. (1979), Theory, S. 121.

er die anderen dominiert. Daher tendieren die Staaten innerhalb eines solchen Systems immer wieder in Richtung eines ausbalancierten Systems, wobei es irrelevant erscheint, ob die Entstehung dieser Machtbalance explizit von den einzelnen Staaten angestrebt wird. Die dominante Strategie ist immer das balancing.

Unterschieden werden kann das interne balancing, das auf eine Verbesserung der eigenen Machtressourcen im Inneren anspielt, z.B. durch eine Verstärkung der militärischen Kapazitäten durch Aufrüstung oder technische Weiterentwicklungen und das externe balancing, also die Gegenmachtbildung durch Allianzen. Allianzen und Bündnisse sind neben Versuchen, eigenständig durch z.B. aggressive Gewinnung neuer Ressourcen seine eigene Stellung zu verbessern, „die wichtigste staatliche Antwort auf die sich aus den anarchischen Strukturen des internationalen Systems ergebenden Unsicherheiten ihrer Existenz“111. Strukturelle Realisten vertreten weiterhin die Auffassung, dass die Art des balancing, intern oder extern, durch die Polarität des Systems definiert wird: In einem bipolaren System konkurrieren die beiden Großmächte untereinander und besitzen ausreichend Ressourcen, so dass sie sich auf internes balancing beschränken können. Bündnisse mit schwächeren Staaten brächten nur unerhebliche Machtvorteile mit sich, die jedoch durch die größeren Risiken, die mit den Bündnisverpflichtungen aufgenommen, konterkariert würden. In einem multipolaren System sehen Neorealisten dagegen Potential für eine größere Allianzdynamik: es stehen mehr Bündnispartner zu Verfügung und externes balancing ist zudem meist kostengünstiger als internes balancing.112

Bedrohung statt Macht: Der balance-of-threat-Ansatz

Stephen Walt knüpfte an die Arbeiten Waltz‘ an, übernahm auch dessen Ansatz eines Strebens nach Gleichgewicht, modifizierte diesen jedoch.

Ausgangspunkt seiner balance-of-threat-Theorie ist nicht wie bei Waltz der Faktor Macht, sondern das Element der Bedrohung: Seiner Ansicht nach betreiben Staaten nicht gegenüber der größten Macht, sondern gegenüber der größten Bedrohung balancing. Das Ausmaß der Bedrohung definiert sich dabei durch den Faktor Macht. Hierunter versteht Walt im Waltzschen Sinne die materiellen Fähigkeiten eines Staates, die geographische Nähe - mit zunehmender Entfernung unterstellt er eine Abnahme der Bedrohung - die Offensivstärke, die natürlich eng

111 Theiler, Olaf, NATO, S. 19.

112 Vgl. Jervis, Robert (1997), System effects, S. 112.

mit den beiden vorher genannten Kategorien zusammenhängt, worunter aber auch z.B.

offensive militärische Doktrinen fallen und die wahrgenommenen Intentionen, d.h. ob ein Staat sehr expansionistisch wahrgenommen wird, wie u.a. das Wilhelminische Deutschland.113 Staaten stehen nach Walt grundsätzlich zwei Strategien zur Verfügung um auf eine Veränderung des balance-of-threat zu reagieren: Sie können entsprechend des balancing-Ansatzes sich Bündnispartner suchen, um durch die Zusammenlegung ihrer Machtressourcen der Bedrohung zu begegnen114 oder sie können die entgegengesetzte Strategie des bandwagoning115 verfolgen.

Anstatt sich mit anderen Staaten zu verbünden, wird hier der Anschluss an den bedrohenden Staat gesucht. Dies kann aus zwei Gründen geschehen: Wenn der bedrohliche Staat appeasable erscheint116 oder um vor allen in Konflikten auf Seiten des Siegers zu stehen.117 Dies wird vor allem von schwachen, isolierten Staaten getan, denen keine weiteren Bündnispartner zur Verfügung stehen. Diese würden versuchen quasi durch Selbstunterwerfung die Bedrohung abzuwenden.

Der balance-of-interests-Ansatz

In der alleinigen Betonung von Macht oder von Bedrohung liegt laut Randall Schweller eine große Schwäche der gerade vorgestellten Ansätze. Demnach könnten damit zwar einige, aber nicht diejenigen Allianzen, die aus Opportunismus zustande kämen, erklärt werden.118

Sein balance-of-interests-Ansatz fußt daher zwar auf den Ausführungen von Walt, geht jedoch über diese hinaus, indem er davon ausgeht, dass es nicht nur sicherheitsmaximierende Staaten gebe, die den Status-quo erhalten wollten, sondern auch „profitmaximierende“ Staaten, die auf eine Veränderung des Status-quo abzielen würden. Dementsprechend sähen Staaten nicht nur Bedrohungen (threats), sondern auch Möglichkeiten (opportunities). Schweller geht explizit

113 Vgl. Walt, Stephen M. (1987), origins, S. 17ff.

114 Walt, Stephen M. (1987), origins, S. 17f.

115 Ursprünglich stammt dieser Begriff aus dem US-Wahlkampf, als US-Politiker mit großen Pferdewagen umherzogen, auf denen sich meist eine Band befand. Potentielle Unterstützer bekundeten ihre Unterstützung dadurch, dass sie auf den entsprechenden Wagen kletterten. Vgl. Vogt, Thomas (1999), Der Neorealismus in der internationalen Politik. Eine wissenschaftstheoretische Analyse. Wiesbaden, S. 10f.

116 Vgl. Walt, Stephen M. (1988), Testing Theories of Alliance Formation: The Case of Southwest Asia. In: Inter-national Organization. 42:2, S. 279.

117 Vgl. Walt, Stephen M. (1987), origins, S. 21.

118 Vgl. Schweller, Randall (1994), Bandwagoning for Profit: Bringing the Revisionist State Back In. In: Interna-tional Security. 19:1, S. 83.

davon aus, dass Staaten neben Sicherheit auch noch andere Güter wie Wohlstand, Prestige und Einfluss anstreben würden.119

Analog zur Dichotomie zwischen Bedrohungen und Möglichkeiten ergeben sich nach Schweller auch eine Vielzahl von Handlungsoptionen, die über die beiden Strategien des balancing und bandwagonings hinausgehen.120

Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass alle Realisten betonen, dass Bündnisse nur als Instrumente staatlicher Machtpolitik gesehen werden dürfen.121 Auch wenn Staaten zur Zusammenarbeit bereit sind, können sie sich ihrer Partner nie sicher sein. Daher wird der Staat auch in Bündnissen immer seine eigenen Machtressourcen im Blick haben, so dass trotz aller möglichen gemeinsamen Interessen das Ausmaß der Kooperation immer durch die Sorge um relative gains determiniert wird.122

Allianzen stellen aufgrund der meist mit ihnen verbundenen Verpflichtungen natürlich auch einen erheblichen Eingriff in die Souveränität und Handlungsfreiheit eines Staates dar.

Die Verpflichtung, im Bündnisfall seinem Vertragspartner zur Hilfe zu kommen, bedeutet nämlich neben dem möglichen Machtzuwachs, der dadurch entsteht, dass andere Staaten einem selber im Konfliktfall zur Seite stehen, auch einen starken Eingriff in die nationale Autonomie.

Mitgliedsstaaten werden daher ständig zwischen dem Nutzen der Allianz, in Form des Zugewinns an Sicherheit und Kooperation mit den anderen Verbündeten und den Kosten des damit verbundenen Verlusts an eigener Handlungsfreiheit abwägen.

Der eingeschränkte Handlungsspielraum eines Staates innerhalb eines Bündnisses entsteht nach dem Neorealismus durch das „alliance security dilemma“123, das dadurch zustande kommt, dass Staaten innerhalb eines Bündnisses zum einen mit der Unsicherheit leben müssen, dass ihre Bündnispartner sie im Konfliktfall im Stich lassen könnten (abandoment) und zum anderen, dass sie durch ihre Mitgliedschaft im Bündnis in Konflikte mit hineingezogen werden, die sie sonst hätten vermeiden können und in denen sie keine eigenen vitalen Interessen tangiert sehen (entrapment).

119 Vgl. Schweller, Randall (1999), Realism and Present Great Power System: Growth and Positional Conflict over Scarce Ressources. In: Kapstein, Ethan B./ Mastanduno, Michael (Hg.), Unipolar politics. Realism and state strategies after the Cold War. New York, S 36.

120 Vgl. Schweller, Randall (1998), Deadly imbalances. Tripolarity and Hitler's strategy of world conquest. New York, S. 66 ff.

121Vgl. Rittberger, Volker/ Zangl, Bernhard (2008), Internationale Organisationen. Politik und Geschichte.

Opladen, S. 74 f.

122Vgl. Hasenclever, Andreas/ Mayer, Peter/ Rittberger, Volker (2004), Theories of International Regimes.

Cambridge, S. 114-119.

123 Siedschlag, Alexander, Neorealismus, S. 138.

Dabei hängen abandoment und entrapment eng miteinander zusammen und bilden zwei Seiten derselben Medaille des Verlusts an nationaler Handlungsautonomie. Ohne das Risiko des entrapments zu erhöhen, kann ein Staat nämlich nicht die Gefahr des abandoment verringern und umgekehrt.124

Realisten gehen daher davon aus, dass innerhalb der Staaten ein ständiger Abwägungsprozess stattfindet zwischen dem Zugewinn an Sicherheit, der eine solche Kooperation mit anderen Staaten darstellen kann auf der einen Seite und dem Verlust an eigener Handlungsautonomie auf der anderen Seite.125 Diesem Dilemma würden sich Staaten nur unter der Bedingung aussetzen, dass sie in einer spezifischen Bedrohungssituation nicht in der Lage sind, die nationale Sicherheit eigenständig zu gewährleisten. Somit ist eine von außen kommende Bedrohung meist das zentrale Element für die Entstehung eines Bündnisses und dessen Erhalt:

„The cohesion of an alliance depends on the cost/benefit calculation of its members, so it is almost exclusively determined by the threat posed by an adversary. The greater the threat, the greater the cohesion of the alliance.” 126

Dies führe dazu, dass Bündnisse tendenziell nur von zeitlich beschränkter Natur sind.127

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für Realisten Allianzen nur „Instrumente nationaler Sicherheitspolitik und nicht Bestandteil der Struktur des internationalen Systems sind.“128

124 Theiler, Olaf, NATO, S. 217.

125 Snyder, Glenn H., Alliance politics, S. 43-44.

126 Hellmann / Wolf, Neorealism, S. 56.

127Vgl. Snyder, Glenn H., Alliance Politics, S. 43-44.

128 Theiler, Olaf, NATO, S. 20.

2.3.2 Die liberalen Ansätze

Noch vor einigen Jahrzehnten galt der Liberalismus als die herausragende, theoretische Alternative zum Realismus. Als wichtigster Vordenker wird Immanuel Kant (1724-1804) angesehen. Dessen These, dass liberale Herrschafts- und Gesellschaftsordnungen die Qualität der Außenpolitik und internationalen Politik verändern zugunsten von Frieden und internationaler Kooperation, ist für den Liberalismus zentral. Zeitgenössische Hauptvertreter sind vor allem Ernst-Otto Czempiel und Andrew Moravcsik.

Die liberale Schule ist keine in sich geschlossene Denkschule, sondern teilt sich in mehrere Richtungen, denen aber bestimmte Annahmen gemein sind. So sind die Anhänger des Liberalismus sich darin einig, dass die Internationalen Beziehungen für sich nicht nur durch konflikterzeugende Interessenwidersprüche, sondern genauso durch kooperationsfördernde Interessenübereinstimmungen definiert werden können. Daraus folgt, dass die gewaltförmige Art der Konfliktlösung als grundsätzlich vermeidbar gilt.

Weiterhin nimmt die liberale Schule an, dass die internationale Welt durch Interdependenzen

Weiterhin nimmt die liberale Schule an, dass die internationale Welt durch Interdependenzen